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Plattformen im Engagementsektor

Im Dokument Dritter Engagementbericht (Seite 123-126)

Viele der in Kapitel 3 vorgestellten Typen digitalen Engagements sind in Koevolution mit Plattformen entstanden und zum Teil erst durch diese möglich geworden. Plattformen legen durch ihr technisches Design und die Aus-wahl der Funktionen (wie etwa den Like-Button oder das Einbinden von Hashtags) bestimmte Nutzungsweisen nahe und schließen andere aus.75 Die Betrachtung der Nutzungsweisen verschiedener, für den Engagementsektor relevanter Plattformen erlaubt eine Unterscheidung zwischen zwei Kategorien:

– International etablierte Plattformen, die für Engagement genutzt werden. Gemeint sind jene Plattformen, die nicht auf Engagementaufgaben zugeschnitten sind, jedoch für diese genutzt werden. Unternehmen wie Fa-cebook, Instagram oder WhatsApp erfüllen zwar gesellschaftliche Funktionen, verfolgen aber nicht primär gesellschaftliche, sondern wirtschaftliche Ziele.

75 Gefolgt wird einem Verständnis von „affordance-in-practice“, bei denen die Beschaffenheit von Plattformen und ihre Nutzungspraktiken in einer nicht determinierten Wechselwirkung stehen. Wie die Eigenschaften von Plattformen mit Leben gefüllt werden, bleibt damit unbestimmt, bis Nutzende diese in konkreten Praktiken verwenden (Costa 2018: 11).

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– 122 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – Engagement-spezifische Plattformen, die speziell für diesen Zweck geschaffen wurden. Sie bieten

Funktio-nen an, die spezifische Formen von Engagement unterstützen, zum Beispiel das Sammeln von Spenden oder die Vermittlung von Freiwilligen für gemeinwohlorientierte Projekte (vgl. betterplace lab 2019: 5).

5.2.1 Nutzung kommerzieller Plattformen im Engagement

Wie in vielen anderen Gesellschaftsbereichen spielen die bekannten US-amerikanischen Plattformen auch im En-gagementsektor eine zentrale Rolle. Ursächlich dafür sind nicht zuletzt die schon erwähnten Netzwerkeffekte.

Selbst wenn engagierte Organisationen der Nutzung dieser Plattformen kritisch gegenüberstehen, fällt es doch sehr schwer, auf den Zugang zu ihren großen Nutzerkreisen zu verzichten. Alternative Plattformen mögen zwar Vorteile bei der Datensicherheit bieten oder ein ethisch anspruchsvolleres Geschäftsmodell vertreten, häufig er-weisen sie sich jedoch aufgrund ihrer kleineren Nutzerschaft als sozial weniger anschlussfähig oder konfrontieren die Engagierten mit höheren technischen Herausforderungen (DEB-Organisationenbefragung 2019; betterplace lab 2019: 19; siehe Kapitel 4.3)

Plattformen wie Facebook oder Twitter legen eine Engagement-spezifische Nutzung eigentlich nicht nahe. Der Bezug zum Engagement wird erst durch die Nutzenden hergestellt, die Aufmerksamkeit für ihr Engagement er-zeugen oder sich koordinieren wollen. Facebook, Instagram, Twitter, YouTube oder WhatsApp werden für die Öffentlichkeitsarbeit sowie die interne und externe Kommunikation verwendet. Über diese Plattformen lassen sich Informationen der Organisationen für eine breite Öffentlichkeit bereitstellen und beispielsweise Veranstal-tungen oder andere Aktivitäten organisieren. Neben der Ansprache breiter Öffentlichkeiten eignen sich diese Plattformen für Organisationen aber auch, um mit ihren Engagierten und Klient*innen in Kontakt zu bleiben und die Identifikation mit der Organisation zu stärken. Beispielsweise nutzen Aktivist*innen Hashtags gleichermaßen zur Herstellung von Öffentlichkeit wie zur Bildung temporärer kollektiver Identitäten (wie beispielsweise

#Fridays for Future). WhatsApp wiederum stellt sowohl ein zentrales Tool wie auch ein Forum zur Kommunika-tion und KoordinaKommunika-tion von Freiwilligen, insbesondere Jugendlichen, untereinander sowie zwischen Engagement-Organisationen wie Kirchengemeinden, Jugendringen oder Freiwilligenagenturen und ihren Engagierten dar (DEB-Organisationenbefragung 2019). Auch Facebook wird als Kommunikationsinfrastruktur genutzt, etwa wenn sich Vereinsmitglieder abstimmen (DEB-Organisationenbefragung 2019) oder zu Events einladen. Die Nut-zung kommerzieller Plattformen hat das Handlungsmuster des „presencings“, des kontinuierlichen Aufrechterhal-tens einer Präsenz auf digitalen Plattformen (Couldry 2012: 50), hervorgebracht. Der Engagementsektor macht hier keine Ausnahme. Auch für Engagierte und Engagement-Organisationen gehört das laufende Veröffentlichen digitaler Inhalte oder des Community Managements zum Tagesgeschäft (DEB-Organisationenbefragung 2019).

Kommerzielle Plattformen erschließen sich jedoch Engagierte auch als eigene Zielgruppe. So hat Facebook im Frühjahr 2019 im Berliner Raum eine Kampagne zum Thema Engagement initiiert (vgl. Rondinella 2019). Unter dem Titel „Ehrenamtler lassen Taten sprechen“ kooperierte Facebook mit GoVolunteer, dem Paritätischen Ge-samtverband und der Stiftung Digitale Chancen und porträtierte verschiedene Engagementprojekte. Facebook versah diese Kampagne mit dem Hinweis, „wir möchten den Einsatz von Menschen, die sich ehrenamtlich enga-gieren, feiern, denn ohne ihren Einsatz wären unzählige soziale Projekte nur schwer umsetzbar oder gar nicht erst möglich“ (Facebook Newsroom 2019). Die Strukturen der Plattform sollen helfen, Engagement zu unterstützen, indem auf „Jobs auf Facebook“, dem Bereich zur Arbeitsvermittlung, nun auch Engagementvermittlung stattfin-det und gezielte Spendenaktionen für gemeinnützige Zwecke über Facebook abgewickelt werden können.

INPUT VON EXPERT*IN

Hanna Lutz, Mitgründerin und Geschäftsführerin von vostel.de, sieht in solchen Initiativen keine Konkur-renz: „Facebook wird niemals erreichen, was wir an Qualität der Vermittlungsarbeit leisten. Viele Unterneh-men, die kommerzielle Absichten mit den Daten haben, hinterlassen nichts als verbrannte Erde. Soziale Or-ganisationen sind eine für digitale Plattformen schwer zu erreichende Zielgruppe. Wenn soziale Organisati-onen auf Plattformen wie zum Beispiel Facebook schlechte Erfahrungen gemacht haben, ist es für uns schwieriger, sie von unserer Plattform zu überzeugen.“ (Lutz 2019: Protokoll, S. 13)

Andererseits berichten Organisationen aus dem Engagementsektor, dass sie mitunter gezielte Werbung auf Face-book für ihre Zwecke schalten.

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EXPLORATIVES INTERVIEW

„Wenn eine ganz bestimmte Person oder eine bestimmte Unterstützung gebraucht wird, greifen wir gele-gentlich auf Facebook-Werbung zurück. Das ist meistens sehr gezielt für Ehrenamtliche, wenn ich irgendwo etwas kurzfristig aufbauen will. Ich kann eine Straßenzeile x, y raussuchen oder wer diesen Bildungsgrad oder diese Interessen hat. Ich kann dort für geringes Geld gezielt Werbung platzieren.“

— Steffen Schröder, Bürgerstiftung Berlin (2019 Expert*inneninterview) Trotz der hohen Verbreitung der etablierten Plattformen im Engagementsektor gibt es konkrete Bedarfe und Be-dingungen, denen die großen kommerziellen Plattformen des Silicon Valley nicht gerecht werden können. Diese Nische füllen Engagement-spezifische Plattformen, die wir im folgenden Abschnitt vorstellen.

5.2.2 Engagement-spezifische Plattformen

Innerhalb des letzten Jahrzehnts sind eine ganze Reihe internationaler und deutscher Plattformen entstanden, die gezielt den Engagementsektor ansprechen. Engagement-spezifische Plattformen zielen darauf ab, durch ihre Funktionen Engagement hervorzubringen oder zu erleichtern. Nicht selten beanspruchen diese Plattformen, un-terstrichen durch ihre Gestaltung und Narrative, sich von anderen Anbietern zu unterscheiden. helpteers etwa bezeichnet sich als „Engagement-Plattform“, nebenan.de will „sich für das Gemeinwohl in Ihrem lokalen Umfeld einsetzen“ (helpteers o. J.; nebenan.de o. J.).

Auch im Engagementsektor findet sich folglich „die intelligente Orchestrierung eines vorhandenen oder neuen Angebots mit einem vorhandenen oder neuen Kundennutzen“ (Meier 2018: 214), die aus volkswirtschaftlicher Sicht im Herzen jedes Plattform-Geschäftsmodells liegt. Plattformen, die sich auf die Vermittlung von Engagier-ten und Engagement-Organisationen spezialisiert haben, haben in den letzEngagier-ten Jahren eine relativ hohe Verbreitung gefunden. Dazu gehören unter anderem vostel.de, helpteers oder auch spezialisierte Vermittlungsdienste wie Cor-relAid oder youvo. Organisationen können hier Projekte und Programme einstellen und bewerben, für die Enga-gierte gesucht werden. Für Plattformnutzende, die nach Engagementgelegenheiten suchen, sind diese Projekte durchsuchbar.

EXPLORATIVES INTERVIEW

„Vor fünf bis zehn Jahren hat man im Internet gesucht und oft schlechte Websites gefunden oder ist aus-schließlich von Freiwilligenagenturen vermittelt worden. Jetzt gibt es Vermittlungsplattformen von Stiftun-gen oder dem öffentlichen Sektor.“

— Steffen Schröder, Bürgerstiftung Berlin (2019 Expert*inneninterview) Im Jahr 2019 gibt es in Deutschland etwa 30 verschiedene Plattformen, die Vermittlungsfunktionen im Engage-mentsektor anbieten. Darunter befinden sich Vermittlungsplattformen, die durch bereits bestehende Engagement-Organisationen geschaffen wurden. Hinzu kommen Engagement-spezifische Plattformen, die sich auf Crowdfun-ding, Petitionen, Bürgerbeteiligung, Nachbarschaftshilfe, Vermittlung von Ehrenamtlichen oder Citizen Sourcing spezialisiert haben (siehe Kapitel 3).

Für die Finanzierung spezifischer Engagementprojekte bieten sich Crowdfunding- und Spenden-Plattformen an.

Ihre Vermittlungsfunktion bringt Projekte und potenzielle Spender*innen digital zusammen und erleichtert den Spendenprozess. Erkenntnisse aus anderen Gesellschaftsbereichen legen nahe, dass Crowdfunding auch für die Öffentlichkeitsarbeit genutzt wird. So lässt sich nicht nur die Anzahl der Teilnehmenden maximieren, sondern auch die Bindung der Geldgebenden an die Organisationen stärken (vgl. Scherer und Winter 2015).

Engagement-spezifische Plattformen stellen unterschiedliche Beziehungen her. Crowdfunding oder Petitions-plattformen vermitteln zwischen (gemeinnützigen) Organisationen und individuellen Nutzenden, aber auch indi-viduellen Nutzenden untereinander (vgl. betterplace lab 2019: 26). Einige Plattformen wie betterplace.org, ne-benan.de oder fairplaid werden jedoch auch von kommerziellen Unternehmen für

Corporate-Social-Responsibi-Drucksache 19/19320

– 124 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode lity-Maßnahmen genutzt. Auf diese Weise entstehen neue Beziehungen zu Engagierten oder Spender*innen. Of-fen ist bislang, ob Engagement-spezifische Plattformen auch Menschen erreichen, die sich ansonsten nicht enga-gieren.

INPUT VON EXPERT*IN

Sebastian Gallander, Geschäftsführer der Stiftung nebenan.de, sieht in digitalen Methoden eine Möglichkeit, neue Zielgruppen zu Engagement zu motivieren, und erwähnt beispielhaft, dass mittlerweile auch ältere Ge-nerationen sehr viel mehr online seien, als es gemeinhin erwartet werde. (Gallander 2019: Protokoll, S. 11) Hanna Lutz, Geschäftsführerin von vostel.de, hebt hervor, dass ein großer Teil der vostel.de-Nutzer*innen internationaler Herkunft sei, also zum Beispiel Expats und Geflüchtete einschließe, was eine völlig neue Zielgruppe darstellen dürfte. Sie erklärt außerdem, es sei sinnvoll, für die Plattform auch über solche Kanäle zu werben, über die Menschen nicht speziell nach Engagement suchten, sondern sich ganz allgemein nach Freizeittätigkeiten (zum Beispiel couchsurfing.com) umsähen. So könne man weitere Kreise ansprechen als nur die Menschen, die ohnehin schon in die typische Zielgruppe für Engagement fallen. Bei der Anmeldung bei vostel.de werden Nutzer*innen befragt, ob dies das erste Mal sei, dass sie sich engagieren möchten, was ein Drittel der Befragten bestätige. (Lutz 2019: Protokoll, S. 11)

Plattformen erschließen also durchaus Engagementoptionen für neue Zielgruppen. Allerdings können Engage-ment-spezifische Plattformen nicht im Einzelnen ausschließen, dass ihre Infrastrukturen unter Umständen auch für Projekte genutzt werden, die nicht dem Gemeinwohl dienen. So wurden über die Crowdfunding-Plattform GoFundMe auch Projekte zum Aufbau einer Mauer zwischen den USA und Mexiko abgewickelt (Volumen:

22 Millionen US-Dollar) (betterplace lab 2019: 28).

5.3 Organisationsformen und Geschäftsmodelle von Plattformen im Engagementsektor

Im Dokument Dritter Engagementbericht (Seite 123-126)