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Digitalisierung als Gegenstand von Engagement

Im Dokument Dritter Engagementbericht (Seite 84-87)

3.1 Zwischen Überraschung und Routine: Engagement-relevante

3.1.3 Digitalisierung als Gegenstand von Engagement

Digitales Engagement beschränkt sich nicht auf die Nutzung digitaler Infrastrukturen. Es betrifft ebenso die Ge-staltung des Digitalen, die Arbeit an der digitalen Technik selbst, sowie deren kreative Neu- und Umnutzung. Im Folgenden soll daher ein Bereich des Engagements vertieft in den Blick genommen werden, der sich in spezifi-scher Weise digitaler Praktiken bedient: Civic Tech. Damit sind Technologien bezeichnet, die zur Information, zum Engagement und zum Austausch von Bürger*innen untereinander, mit Nichtregierungsorganisation (NGOs) oder mit der Regierung genutzt werden. Civic Tech ermöglicht „Technologie aus der Gesellschaft heraus zu ent-wickeln, an technologischen Prozessen teilhaben zu können und diese mitzuprägen“, so Paula Grünwald (Grün-wald 2019: Protokoll, S. 18). Diese Technologien sind somit Werkzeuge des Engagements, die erst durch die Möglichkeiten der Digitalisierung, also durch das Digitale, entstehen. Dabei wird ein gemeinschaftliches und häufig gemeinwohlorientiertes Ziel verfolgt. Der Nutzung von Civic-Tech-Tools liegt die Überzeugung zugrunde, dass diese Technologien das Potenzial haben, die Art der Interaktion zwischen Regierung und Bürger*innen

36 Die Webseite der European Citizen Science Association ist verfügbar unter: https://ecsa.citizen-science.net/ (abgerufen am 29.08.2019).

37 Die Webseite der Plattform „Bürger schaffen Wissen“ ist verfügbar unter: https://www.buergerschaffenwissen.de/ (abgerufen am 29.08.2019).

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grundlegend zu verändern, zivilgesellschaftliche Gemeinschaften zu stärken und sie in das Regierungshandeln einzubeziehen. Bürger*innen, Organisationen und Regierungen haben begonnen, Technologien so zu nutzen, um bürgerschaftliches Engagement zu stärken (vgl. Knight Foundation o. J.). Dies wird an Beispielen wie der verein-fachten Registrierung von Wähler*innen über die Veranstaltung virtueller Town Hall Meetings bis hin zur Initi-ierung von Crowdfunding-Kampagnen für zivilgesellschaftliche Belange deutlich. Ein Hintergrund dieser Ent-wicklung ist die wachsende technologische Kompetenz einer – wenn auch kleinen – Gruppe von Bürger*innen, die sich damit aktiv in die Generierung von Daten einbringen können. Gleichzeitig sind die Kosten für einfache Technologien wie Sensoren oder Microcontroller in den letzten Jahren massiv gesunken, sodass deren Verfüg-barkeit sich verbessert hat. Durch Open Source Software und Open Hardware sind um diese Tools herum Com-munitys entstanden, die über die Programmierung, Nutzung und Analyse Auskunft geben, sodass das Wissen der Civic-Tech-Community auf einer breiten und global vernetzten Basis aufbaut.

Ein Beispiel für die Verschränkung von Hardware, Software, Community-Engagement und einem globalen Netz-werk ist MAZI, das auf einem EU-Forschungsprojekt basiert. In dem Projekt wurde gemeinsam mit verschiedenen europäischen Nachbarschaftsinitiativen, unter anderem in Berlin-Kreuzberg, London und Zürich, ein kostenloses Civic-Tech-Toolkit entworfen, das auf der Open Source Hardware Raspberry Pi beruht und dazu dient, ohne technologische Vorkenntnisse ein lokales Nachbarschafts-Intranet aufzubauen.38 Innerhalb der lokalen Reich-weite kann über die Hardware ein Netz aufgebaut werden, das die Speicherung und den Austausch von Informa-tionen ermöglicht. Das Toolkit umfasst Open Source Software wie Etherpad oder eine offene Cloud-Infrastruktur, sodass gemeinschaftlich Dokumente erstellt und lokale Datenspeicher angelegt werden können. Die Idee des Pro-jekts ist es, lokale Gemeinschaften in die Lage zu versetzen, unabhängig vom Internet eine eigene vernetzte In-frastruktur für die eigenen Belange aufzubauen, bei der die Daten lokal gehalten werden und nicht von Dritten analysiert oder monetarisiert werden. Gleichzeitig geht es darum, technologisches Wissen über den Aufbau eines eigenen Netzes zu vermitteln und Datenhaltung, Vernetzung, Sicherheit und Zugriffsrechten in der eigenen Nach-barschaft zu thematisieren.

NGOs wie Code for America, Code for Africa oder Code for Germany setzen sich für die Verbreitung von Civic-Tech-Ansätzen und Tools weltweit ein. Das Public Lab in Israel wurde unter anderem mit der Aktion bekannt, ein Civic-Tech-Toolkit für die lokale Bevölkerung in Jerusalem auszugeben, um die tatsächliche Grenzziehung zu Ostjerusalem aus der Luft zu kartografieren. Dies wurde zu einem gemeinschaftlichen Anliegen, da dieses Areal auf öffentlichen Karten und auf Google Maps aus politischen Gründen verpixelt wurde. Teil des Civic-Tech-Toolkits war ein einfacher Drache mit einer daran befestigten Kamera, um damit in einem gemeinsamen Event aus der Luft eine Karte des Gebiets erstellen zu können (vgl. Keysar 2013). Diese Karte wird so zu einem politischen Dokument, da sie eine faktische Grundlage für eine Diskussion um die Grenzziehung zwischen israe-lischen und palästinensischen Nachbarschaften liefert.

Die Produktion von Civic-Tech-Tools kann als Enabler für digitales Engagement gesehen werden, das als Grund-lage für Information, Kommunikation, aber auch zur Generierung von Daten fungiert. Die Anwendung dieser Tools durch Bürger*innen unterstützt ihr jeweiliges Anliegen, ist Teil eines Empowerments und soll gleichzeitig über die einfache Anwendung von Technologien und digitalen Kenntnissen aufklären. Der Zugang zu diesen Tools ist jedoch bislang einer eher kleinen, gut vernetzten und digitalaffinen Community vorbehalten, da sich das Wissen über die Quellen bisher wenig verbreiten konnte.

Eine der Praktiken, mit denen Civic Tech entwickelt wird, sind sogenannte Civic Hackathons. Hackathons haben ihren Ursprung in der Softwareentwicklung. Die seit den späten 1990er Jahren gebräuchliche Wortschöpfung setzt sich aus „Hack“ und „Marathon“ zusammen. Während der Begriff des Hackens heute oft auf das unerlaubte Ein-dringen in Computersysteme und deren Manipulation verkürzt wird, verweist die Genealogie des Begriffs doch auf einen ungleich breiteren Sinnhorizont des unkonventionellen Umgangs mit Technik, der subversive Neukom-binationen ermöglicht. Der Hack ist damit eine Form des Technikgebrauchs, der etablierte Praktiken des Umgangs unterläuft und kreative Lösungen für Probleme anstrebt (Plönges 2012). „Es ist nicht das Konventionelle, das Hacker reizt, sondern die Herausforderung, die im bisher Ungedachten und Unerprobten liegt“ (Funken 2010:

193). Hackathons inszenieren Hacking als Marathon. Damit wird zum einen zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine zeitlich begrenzte, aber durchaus lange und entbehrungsreiche Veranstaltung handelt. Zum anderen wird signalisiert, dass Hackathons prinzipiell für einen breiten Teilnehmer*innenkreis geöffnet sind: Hacking wird als

„Breitensport“ präsentiert (Dickel 2019: 85–109). In der Praxis handelt es sich bei Hackathons typischerweise um Events, in denen Entwickler*innen und Designer*innen sich in Teams zusammenfinden, um ein bestimmtes Prob-lem zu adressieren, indem sie dafür Prototypen entwickeln und diese präsentieren. Das schnelle Ausprobieren und

38 Alle Informationen zum Toolkit sind verfügbar unter: http://www.mazizone.eu/toolkit_guidelines/ (abgerufen am 05.09.2019).

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– 84 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Verwerfen prototypischer Ideen ist dabei eines der Leitprinzipien. Hackathons finden innerhalb eines vordefinier-ten Zeitraums statt. Dieser kann Stunden, Tage oder Wochen umfassen. Vonseivordefinier-ten der Organisator*innen werden dabei in der Regel Räumlichkeiten, eine basale technische Ausstattung zum Design und Entwurf von Prototypen sowie oft auch Verpflegung bereitgestellt. Hackathons wollen Zeiträume schaffen, in denen die Akteure sich los-gelöst von den Zwängen und Verpflichtungen ihres beruflichen oder familiären Alltags gemeinsam mit anderen einer spezifischen Herausforderung widmen können und sollen (vgl. Irani 2015).

Mit Civic Hackathons hat sich eine besondere Form dieser Veranstaltungen herausgebildet, die sich gesellschaft-lichen Problemen widmet. Das Produkt soll gemeinwohlorientierte Technik sein, Civic Technology. Bürger*innen werden dazu animiert, technische Lösungen für lokale oder globale Probleme zu entwickeln. Oft geht es dabei um technische Lösungen für den urbanen Raum – ein typisches Resultat sind Prototypen für Apps, die sich offen verfügbare Daten (Open Data) zunutze machen (zum Beispiel eine preiswerte Messstation für Umweltdaten oder eine App für Foodsharing). Civic Hackathons werden zu den unterschiedlichsten Themenbereichen veranstaltet und sind mittlerweile zu einem weltweiten Phänomen geworden (Johnson und Robinson 2014: 351). Bei Hacka-thons, die urbane Probleme behandeln, kann dies etwa Wissen über städtische Infrastrukturen oder milieuspezifi-sche Herausforderungen sein. Eine besondere Herausforderung für Civic Hackathons besteht darin, auch Personen sinnvoll zu beteiligen, die keine spezifisch technische Expertise mitbringen, aber gleichwohl ihre Kreativität oder Wissen zu bestimmten Fragen (etwa bzgl. urbaner ökologischer Problemlagen) in eine Veranstaltung einbringen wollen.

Im Zusammenspiel von Datengenerierung, -aggregierung, -analyse und -verbreitung mit Praktiken des Journalis-mus entstehen auch neue Praktiken des Data Journalism (DatenjournalisJournalis-mus). Der Begriff wird seit 2010 immer populärer (vgl. Matzat 2011), seit Wikileaks gemeinsam mit Medienpartnern wie The Guardian Daten, sogenannte War logs aus dem Afghanistankrieg, veröffentlichte (vgl. Rogers 2010). Online konnten die User*innen in einer interaktiven Karte nachvollziehen, wo die Bombenabwürfe im Land über die Jahre des Krieges hinweg stattge-funden haben. So wurde auf der Grundlage geleakter Daten eine visuelle Evidenz durch die Karte geschaffen, die die Kampfhandlungen konkretisierte und transparent darstellte. Dies führte zu heftigen Reaktionen in der Öffent-lichkeit, die sich kritisch zum Afghanistankrieg äußerte und immer mehr Menschen mobilisierte.

Neu an dieser Art der Berichterstattung waren drei wesentliche Punkte: zum Ersten, dass brisante Daten über die Plattform Wikileaks veröffentlicht wurden, zum Zweiten, dass diese aus Datenbanken heraus in visueller und interaktiver Form aufbereitet wurden, und zum Dritten, dass diese Informationen zur faktenbasierten Berichter-stattung über das Kriegsgeschehen genutzt wurden. Auch wenn bereits vor diesem Zeitpunkt mit Datenquellen im Journalismus gearbeitet wurde, so markiert diese Zeit doch das Entstehen eines neuen Typus der Berichter-stattung, der die Daten ins Zentrum stellt. Data Journalism bezieht somit nicht nur Datenquellen als Recherche-basis ein, sondern die Daten selbst sind Gegenstand der journalistischen Arbeit. So sind Formate auch das daten-basierte Storytelling, die Infografik oder die Animation, die aus Rohdaten Geschichten schreiben. Diese Form der Berichterstattung findet sich häufig im investigativen Journalismus wieder und zeigt die konträre Entwicklung zu Fake News auf.

Für die Praktiken des Data Journalism sind unterschiedliche Kenntnisse notwendig, die sich von einer allgemeinen Datenkompetenz („data literacy“) über die Analyse und mediale Aufbereitung in Film, in interaktiven Grafiken, als Audioformat von Datenquellen bis hin zur journalistischen Nutzung erstrecken. Voraussetzung ist zudem die Verfügbarkeit von Daten, etwa als Open Data, die Nichtregierungsorganisationen oder die öffentliche Verwaltung zur Verfügung stellen. Auch die gemeinsame Generierung von Datenquellen durch Crowdsourcing oder Civic Tech sind Teil der Praktiken.

Zum Data Journalism kann auch gehören, die notwendigen Daten selbst zu generieren. So arbeitet zum Beispiel die Nichtregierungsorganisation Code for Africa, die die Generierung von Daten mittels Civic-Tech-Tools an den Anfang ihrer Projekte stellt. So werden zu einem Sachverhalt, wie etwa der Luftverschmutzung in bestimmten Teilen einer Stadt, gemeinsam mit Aktivist*innen eigene Datenpunkte generiert. Zu diesem Zweck werden Tool-kits mit Sensoren zur Verfügung gestellt, die ihre Messpunkte in eine gemeinsame Datenbank hochladen. Code for Africa bietet Informationen zur Nutzung der Toolkits wie auch zur gemeinsamen Datenanalyse an, um auf dieser Grundlage zum Beispiel von der Regierung veröffentlichte Daten zu widerlegen. Die journalistische Auf-bereitung der Daten und ihrer Analyse kann dann in unterschiedlichen Formaten stattfinden, wobei Evidenz und Überprüfbarkeit der Daten im Fokus stehen.

Als Form des Engagements ist Data Journalism insofern von besonderer Bedeutung, als dass Daten selbst zum Werkzeug werden. Missstände aufzudecken, Fakten gegen Behauptungen zu stellen oder Transparenz zu schaffen sind starke Motive, die Teil des Engagements in dieser Form des Journalismus sind.

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