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Fazit: Vielfältiges Engagement junger Menschen

Im Dokument Dritter Engagementbericht (Seite 75-78)

Die für den Dritten Engagementbericht befragten Jugendlichen sind in erfreulich hohem Ausmaß gesellschaftlich engagiert. Fast zwei Drittel der 14- bis 28-Jährigen geben an, in der Freizeit für andere oder einen sozialen Zweck engagiert zu sein. Dabei nimmt das digitale Engagement mittlerweile durchaus eine prominente Rolle ein. Insge-samt 43 Prozent der Engagierten geben an, ihr Engagement zum Teil, überwiegend oder vollständig mittels digi-taler Medien auszuüben, womit ein großer Teil des Engagements im Jugendalter mindestens in Kombination mit digitalem Handeln erfolgt oder sogar gänzlich in das digitale Feld hineinverlagert ist. Diese Gruppe ist darüber hinaus vielfältiger engagiert als andere und zeigt zum Teil häufigeres und intensiveres Engagement. Das Internet ist für Jugendliche mittlerweile auch ein wichtiger Impulsgeber für gesellschaftliches Engagement und unterstützt bei einem Viertel der Jugendlichen den Einstieg in dieses. Für Engagement-Organisationen ist es damit mittler-weile ein wichtiger Faktor, um Jugendliche auf ihre Themen und Angebote aufmerksam zu machen. Hierin ste-cken gerade für klassische Organisationen große Chancen: Mit einem Angebot an zeitgemäßeren Einstiegspunk-ten und Formen für Engagement könnEinstiegspunk-ten zum Beispiel Parteien oder andere Großorganisationen, die unter Über-alterung und Mitgliederschwund leiden, vermutlich durchaus auch für junge Engagierte wieder attraktiver werden.

Fragt man nach der Nutzung konkreter Tools für das Engagement, dann wird deutlich, dass fast alle Engagierten zumindest soziale Medien nutzen und sich diese Praxis so in das alltägliche Handeln der Jugendlichen einge-schrieben hat, dass sie sie kaum als digitale Aktivität hervorheben. Für die Organisation des Engagements sind gerade die Messengerdienste nicht mehr wegzudenken, weniger genutzt werden dagegen spezielle Tools für die Organisation von Engagement (siehe Kapitel 5).

Die Jugendlichen schätzen am digitalen Engagement vor allem die Möglichkeit, mehrere Themen gleichzeitig und unabhängig von Ort und Zeit unterstützen zu können. Zudem wird deutlich, dass die digitalen Medien auch ganz neue Themen des Engagements eröffnen (siehe Kapitel 3), die das Engagement für die digitale Welt selbst betreffen, und sich darüber ein neuer Engagementraum mit hoher Attraktivität für Jugendliche abzeichnet.

Für immerhin ein Viertel der Engagierten kompensiert das digitale Engagement fehlende Möglichkeiten der ge-sellschaftlichen Mitwirkung vor Ort. Insbesondere Jugendliche in kleineren Gemeinden nutzen die Optionen, die ihnen die digitalen Medien bieten, um sich räumlich und zeitlich unabhängig zu engagieren und eingeschränkte lokale Möglichkeiten zu kompensieren. Gerade für Jugendliche in ländlichen Regionen werden damit onlineba-sierte Engagementangebote zunehmend wichtiger. Sie scheinen durchaus eine Ersatzfunktion auszuüben, die ihnen ein für ihre thematischen Interessen sowie zeitlichen und sozialen Ressourcen passgenaueres Engagement ermöglicht. Dabei zeigen sich aber bei denjenigen, die auch auf lokale Engagementangebote zurückgreifen kön-nen, keine Hinweise auf eine „Substitution“ solcher Aktivitäten durch digitale Engagementformen. Im Gegenteil sind gerade die stark digital Engagierten überaus vielfältig und auch lokal aktiv.

26%

67%

21%

74%

36%

64%

36%

73%

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Ich nutze es, weil es für mich vor Ort keine Möglichkeit gibt,

sich zu engagieren.

Ich kann Internet und Social Media sehr gut für mein Engagement vor Ort nutzen.

INTERNET-NUTZUNGSMOTIVE NACH WOHNORTGRÖSSE

< 20.000 EW 20.000 bis < 100.000 EW 100.000 bis < 500.000 EW > 500.000 EW

Drucksache 19/19320

– 74 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Im Kontext der generellen Internetnutzung spielt digitales Engagement dabei aber in der Regel nur eine nachran-gige Rolle. Für die jungen Menschen dieser Erhebung zeigt sich der allgemeine Befund der Partizipationsfor-schung (Emmer et al. 2011), dass politische oder gesellschaftliche Inhalte im Vergleich zu privaten oder Unter-haltungsinhalten seltener geteilt, weitergeleitet oder kommentiert werden und Politik und Engagement generell im Vergleich zu anderen Lebensbereichen einen begrenzten Stellenwert haben. Dennoch sind diese Aktivitäten für etwa ein Drittel der Befragten durchaus relevant und bilden einen wichtigen Teil des Aktivitätsspektrums der digital Engagierten.

Auch in unserer Untersuchung zeigen sich die bekannten Differenzen im Hinblick auf soziale Ungleichheitsfak-toren im Zusammenhang mit der Engagementbeteiligung. Der pointierte Blick auf das digitale Engagement weist dann aber auf eine weitere Hürde hin, die sich im Hinblick auf digitale Engagementformen für Jugendliche aus niedrigeren Bildungswegen ergibt. Deren geringe Integration in digitale Praktiken des Engagements geht gleich-zeitig mit einer geringeren Frequenz politisch-gesellschaftlicher Online-Aktivitäten einher, sodass sich hier ebenso eine deutliche „Digital Divide“ zeigt. Dieser Bildungs-Gap in Fragen von gesellschaftlichem Engagement und digitaler politischer Partizipation wirft die Frage nach der Rolle der Schule für diese Themen auf. Zu disku-tieren wäre hier, inwiefern diese nicht nur im Hinblick auf die Gewinnung von Jugendlichen für Engagement und politische Beteiligung allgemein stärkeres Gewicht erlangen sollte, sondern auch, inwiefern sie die Vermittlung von Medienkompetenz auch vor dem Hintergrund problematischer Kommunikations- und Informationskulturen im Netz intensivieren müsste.

Zugleich zeigt sich, dass die Differenzen zwischen Jugendlichen aus unterschiedlichen Bildungsmilieus im Hin-blick auf eher niedrigschwellige Online-Aktivitäten im Kontext gesellschaftlicher und politischer Themen deut-lich geringer ausfallen als bei Handlungen, die ein größeres Aktivitätsspektrum erfordern. Gerade diese Formen des Online-Handelns sollten im Hinblick auf Jugendliche aus niedrigeren Bildungswegen nicht vorschnell als

„Slacktivism“ oder mögliche Normverletzung abgetan werden. Angemessener wäre es, genauer hinzuschauen und diese Aktivitäten auch unter der Perspektive zu betrachten, dass sie den Jugendlichen auch außerhalb der ihnen oft zu komplexen und komplizierten Sprache der Politik (Arnold et al. 2011) die Möglichkeit bieten, sich zu positionieren und einen Ausdruck für ihre Kritik an gesellschaftlichen und politischen Fragen zu finden. Denn auch wenn sich die Mehrheit der befragten Jugendlichen für das Informationsdickicht des Internets gut gerüstet sieht und dem Netz zum Teil große Potenziale und Wirkungen zuschreibt, so zeigen sich hier doch deutliche soziale Unterschiede im Hinblick auf die Kompetenzen, Fake News erkennen und richtige von falschen Informa-tionen unterscheiden zu können. Ein Grund hierfür wird die insgesamt deutlich geringere Beteiligung bildungs-ferner Jugendlicher am digitalen Engagement sein. Mehr als doppelt so viele Gymnasiast*innen wie Hauptschü-ler*innen sind in ihrer Freizeit auch in digitalen Formen engagiert, was auch die deutlich geringere Quote an politisch-gesellschaftlichen Online-Aktivitäten der letztgenannten Gruppe mit sich bringt. Diese geringere Praxis digitalen Engagements, die bereits in geringeren Medienkompetenzen begründet liegen kann, führt dann auch dazu, dass sich die Medienkompetenzen zwischen den Jugendlichen aus unterschiedlichen Bildungswegen noch weiter voneinander entfernen, und zeigt somit die Verlängerung, wenn nicht gar Verstärkung sozialer Ungleich-heit durch digitales Engagement im Jugendalter auf. Diejenigen, die sich digital engagieren, verfügen auch über höhere Medienkompetenzen und können diese über das Engagement weiter ausbauen, während diejenigen, die über geringe Medienkompetenzen verfügen, sich auch weniger digital engagieren und insofern auch von entspre-chenden Lern- und Bildungsprozessen ausgeschlossen bleiben.

Die Erweiterung des Handlungsrepertoires von Bürger*innen über klassische Partizipation hinaus, nämlich die vielfältigen Möglichkeiten in sozialen Medien zur Teilnahme an politischen Diskussionen und politischer Öffent-lichkeit, werden von den jungen Befragten schließlich noch nicht vollumfänglich als Teil ihres gesellschaftlichen Engagements wahrgenommen. Wie die Daten gezeigt haben, üben auch substanzielle Anteile derjenigen, die sich selbst als nicht engagiert beschreiben, solche Aktivitäten wie „interessante Beiträge mit politisch-gesellschaftli-chem Inhalt weiterleiten“ oder „in Foren oder Chats seine Meinung zu politisch-gesellschaftlichen Themen sagen“

aus. Hier werden wir vermutlich Zeug*innen eines erst beginnenden Wandels der Bürger*innenrolle und der Re-flexion des eigenen Einflusspotenzials auf gesellschaftliche Entwicklungen. Mittelfristig wird hier auch zu prüfen sein, wie die Institutionen der Gesellschaft auf einen solchen Wandel reagieren (sollen).

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 75 –

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3 Neue Formen des Engagements im digitalen Zeitalter

Die Digitalisierung verändert nicht nur etablierte Modi des Engagements, sie bringt auch neue Formen der Betei-ligung hervor. Insbesondere sind hier flüchtigere und kurzfristigere Engagementaktivitäten zu nennen, etwa das Unterschreiben einer Online-Petition oder das Teilen eines Spendenaufrufs in sozialen Medien. Im öffentlichen Diskurs wird diesbezüglich oft abfällig von „Slacktivism“ gesprochen – verbunden mit der Befürchtung, dass langfristigere und verbindlichere Formen des Engagements nun oberflächlichen Aktivitäten im Netz weichen, die in der analogen Welt wenig verändern. Doch weder müssen neue Formen des Engagements wirkungslos sein, noch ist es sinnvoll, Neues und Altes gegeneinander auszuspielen. Denn neue Varianten des Engagements erset-zen keineswegs die etablierten Formen, sondern treten vielmehr an ihre Seite (siehe auch Kapitel 2 und Kapitel 4).

INPUT VON EXPERT*IN

„Es macht vor allem vielen aus der jüngeren Generation mehr Spaß, an einem Problem zu arbeiten, bei dem man Ergebnisse und Erfolge schnell sieht, anstatt sich für langfristige Ämter in festen Strukturen zu ver-pflichten.“

— Philipp von der Wippel, Mitgründer von ProjectTogether (von der Wippel 2019: Protokoll, S. 7) Zudem bilden sich aktuell eine Vielzahl zum Teil miteinander verschränkter Arten und Weisen digitaler Beteili-gung heraus, die mit dem Schlagwort des „Slacktivism“ kaum adäquat erfasst werden können. Das vorliegende Kapitel ist solchen neuen Varianten des Engagements gewidmet. Es erhebt nicht den Anspruch einer Vermessung des Feldes in seiner Breite, sondern wirft Schlaglichter auf prototypische Beispiele und Tendenzen. Wenn wir in diesem Kapitel von digitalem Engagement sprechen, implizieren wir ferner nicht, dass dieses Engagement aus-schließlich auf digitalen Praktiken beruhe. Stattdessen möchten wir mit dem Begriff darauf hinweisen, das be-stimmte neue Formen des Engagements ohne das Internet und die Digitalisierung nicht denkbar wären.

Um die sich im digitalen Zeitalter neu herausbildenden Formen gesellschaftlichen Engagements möglichst facet-tenreich und umfassend zu beschreiben, greifen wir auf ein zweistufiges Vorgehen zurück. Zunächst stellen wir mehrere digital konturierte Praktiken vor, die wir als prototypisch erachten. Ob Civic Hackathons, Participatory Mapping oder Crowdfunding – die Möglichkeiten digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien wer-den auf innovative Weise auch von gesellschaftlich Engagierten genutzt. Dies geschieht selten ausschließlich, sondern zumeist als Teil eines vielfältigen Repertoires Engagement-relevanter Praktiken. Um die Veränderungen des Engagements greifbarer zu machen, schlagen wir anschließend eine Typologie neuer digitaler Engagement-formen vor: Neben formale Organisationen treten Gemeinschaften, Netzwerke und Schwärme. Anhand von vier aus den Praktiken induktiv hergeleiteten Merkmalen charakterisieren wir so neues Engagement im Zeitalter digi-taler Medien idealtypisch. Hinter dem Fokus auf Praktiken und Typen steht die Beobachtung, dass es heute und insbesondere im Zuge der Digitalisierung neue und überraschende Engagement- und Partizipationsformen gibt und dass diese sich rasch wandeln können. Dies erfordert auf wissenschaftlicher Seite einerseits eine empirische Bestandsaufnahme, die im Sinne einer Momentaufnahme aktuelle Formen des Engagements sichtbar macht – weshalb wir den Fokus unserer Analyse auch auf Praktiken legen. Andererseits bedarf es einer offenen und fle-xiblen Herangehensweise, die möglichst verschiedene Beteiligungsformen erfassen kann – daher die abstrakte Typologisierung.21

Das Kapitel schließt mit einem Ausblick auf aktuelle Themen und Spannungsfelder, wie sie etwa an der Bewe-gung Fridays for Future sichtbar werden.

21 Neben den Inputs von Expert*innen während der Kommissionssitzungen bietet uns dabei das vom globalen Thinktank Youth Policy Labs erstellte Gutachten zu „Internationalen Perspektiven zum Engagement im Zeitalter digitaler Medien“ qualitatives Datenmaterial.

Anhand von 20 Fallbeispielen wurden darin aktuelle Impulse bezüglich der Rolle der Digitalisierung als Werkzeug und Thema von Engagement dargestellt.

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