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Engagement-Organisationen und der Engagementsektor

Im Dokument Dritter Engagementbericht (Seite 98-101)

Engagement-Organisationen sind dadurch charakterisiert, dass sie arbeitsteilig auf gemeinsame Ressourcen zu-rückgreifen und über eine Rechtsform sowie über Regelwerke verfügen, die ihre Zwecke, ihren Ressourcenein-satz, ihre Ressourcenverteilung sowie ihre Entscheidungsstrukturen festlegen. Sie sind hierdurch darauf ausge-richtet, relativ dauerhaft zu bestehen (vgl. Abraham und Büschges 2004: 21 ff., Erstauflage 1983). Ihre zentralen Aktivitäten sind dabei als Engagement im Sinne der Definition des vorliegenden Berichts zu verstehen. Engage-ment-Organisationen sind also nicht primär dadurch beschrieben, dass sich Ehrenamtliche in ihnen engagieren – auch wenn das häufig der Fall ist –, sondern darüber, dass sie auf einen Beitrag zum Gemeinwohl hinwirken (vgl. Priemer et al. 2017: 51).

Mit allen Vereinen, Stiftungen, Genossenschaften und gemeinnützigen GmbHs umfasst der Sektor des organi-sierten Engagements mehr als 600.000 solcher Engagement-Organisationen.55 95 Prozent dieser Organisationen sind eingetragene Vereine, neben etwa drei Prozent Stiftungen und zwei Prozent an gGmbHs sowie einem kleinen Anteil von unter einem Prozent Genossenschaften (Priemer et al. 2017: 53).56 Und dieser Sektor wächst: Die Anzahl der Vereinsmitglieder ist in den fünf Jahren zwischen 2009 und 2014 von 37,8 auf 44,8 Prozent gestiegen (Vogel und Hameister 2017: 244)57 und auch die Anzahl der Organisationen ist von 570.000 im Jahr 2009 auf über 600.000 (2016) gestiegen (Priemer et al. 2017: 9).

55 Nicht mitgezählt sind dabei Körperschaften öffentlichen Rechts, die Organisationsform vieler christlicher Religionsgemeinschaften oder Gewerkschaften.

56 Die Anzahl an Organisationen mit neuen Rechtsformen wie gemeinnützigen Unternehmer- und Aktiengesellschaften steigt zwar, liegt jedoch bei unter einem Prozent (Priemer et al. 2017).

57 Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass insgesamt mehr Personen Vereinsmitglieder sind, sondern kann auch bedeuten, dass die gleiche oder sogar eine kleinere Anzahl in mehreren Vereinen Mitglied ist (Vogel und Hameister 2017: 245).

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Der Engagementsektor ist hinsichtlich seiner Organisationen ausgesprochen heterogen. Das zeigt sich nicht nur in den Organisationsformen. Entscheidend ist auch das Selbstverständnis der Organisation oder die Frage, wer von ihrem Engagement profitiert. Während einige Engagement-Organisationen eine Gemeinschaft für ihre Mit-glieder schaffen wollen, betrachten sich andere als Fördereinrichtungen oder sogar als Dienstleister, beispiels-weise bei den sozialen Diensten (Priemer et al. 2017: 20 f.). Damit verbunden sind unterschiedliche Wirkungs-richtungen des Engagements. Organisationen mit politischer, ökologischer oder ökonomischer Ausrichtung, wie etwa Naturschutz- und Menschenrechtsorganisationen oder Interessenverbände, umfassen mitunter in ihren Ak-tivitäten ein breiteres Leistungsspektrum als Mitgliedsorganisationen. Einige verfolgen auch abstrakte Ziele wie die Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung. Interessant ist vor diesem Hintergrund der Befund, dass der Anteil an gemeinschaftsorientierten Organisationen gegenüber dem Segment von Organisationen, die Leistungen für Dritte erbringen, leicht abnimmt (Priemer et al. 2017: 20 f.; Bertenrath et al. 2018). Einige sind darüber hinaus hybride Organisationen, verfolgen also gleichzeitig soziale und ökonomische Ziele (Wolf und Mair 2019).

Neben ihrem Selbstverständnis unterscheiden sich Engagement-Organisationen hinsichtlich vieler weiterer Fak-toren. Dazu gehören verschiedene Rechtsformen, Aktivitätsbereiche, die Größe der Organisation, ihre geografi-sche Verortung sowie der Unterschied zwigeografi-schen Stadt und ländlichem Raum, die Aktivität vor Ort oder bundes-weit als Verband, das Alter der Organisation oder das durchschnittliche Alter ihrer Mitglieder usw. Es ist davon auszugehen, dass diese Heterogenität nicht abnimmt, sondern mit der zunehmenden Pluralisierung von Rechts-formen, Themengebieten und Selbstverständnissen eher komplexer werden wird (vgl. Priemer et al. 2017: 46).

Dass Engagement in Organisationen gebündelt wird, ist kein Zufall. Grundsätzlich ist jede Form der Organisation ein Ausdruck der „Rationalisierung“ moderner Gesellschaften (Weber 2002, Erstauflage 1922), der Entwicklung und Gestaltung von Lebensbedingungen und Lebensbereichen mit systematischen Ansatz. Dahinter steht begrün-dend neben dem Gewinn an Geselligkeit und der Chance auf Kooperationsgewinne die Einschätzung, dass es schlicht effizienter und effektiver sein kann, in Organisationen gemeinsame Zwecke zu verfolgen. Die Formali-sierung einer Organisation entlastet im täglichen Ablauf durch Routinen und vorgegebene Lösungen. Somit sind die Durchsetzung von Interessen sowie die Wirksamkeit im öffentlichen Raum von organisatorischen Lösungen abhängig. Neben formalen Engagement-Organisationen gehören dazu nun auch digital gestützte Organisations-formen, die dazu beitragen, Transaktionskosten in der Koordination zu senken (siehe Kapitel 3). Ziel ist es in jedem Fall, Präferenzen sowie Interessen zu identifizieren und zu bündeln, daraus Entscheidungen und Handlun-gen abzuleiten sowie letztlich wirksam werden zu lassen. Gemeinnützige Organisationsformen sind dabei eine Grundlage, auf der Engagement wahrscheinlicher wird: Vereine erfordern beispielsweise, dass zumindest einige ihrer Mitglieder Funktionen wie die des Vorstandes übernehmen und sich an Vereinsaktivitäten beteiligen.

Gleichzeitig können Engagement-Organisationen Ressourcen entwickeln, die sich positiv auf das Engagement in der Organisation auswirken, beispielsweise das Vorhandensein von Ansprechpartner*innen für Engagierte oder aber die Bereitstellung von Infrastruktur (Simonson und Vogel 2017: 534 f.).

Die besondere Bedeutung von Vereinen und Verbänden im Engagementsektor hat einen Grund: Der Verein und seine überregionalen Zusammenschlüsse, die Verbände, sind „intermediäre Organisationen“ (Sturzenhecker 2007: 113), die zwischen den lebensweltlichen Milieus und dem Staat vermitteln. Aus Sicht der Engagierten hat ein Verein vor allem einen lebensweltlichen Charakter, vorherrschend ist eine verständigungsorientierte und kom-munikative Handlungslogik. Wächst der Verein und wird zum Verband, bildet sich durch die zunehmende Ar-beitsteilung ein System mit Hauptamtlichen und Funktionär*innen heraus, das beispielsweise auf die Ansprüche von Staat, Markt und Kirche reagieren kann. Die mit der überregionalen Organisation einhergehende Bürokrati-sierung erscheint zunächst als Entlastung für die Vereine vor Ort, birgt aber die Gefahr, dass die Verbandsebene mit ihrer zweckrationalen Handlungslogik auf die Vereinsebene zunehmend übergreift. Vereine sind von ihrer Anlage her demokratische Institutionen, deren Handeln zunächst von Mitgliedern für Mitglieder gedacht ist. Eine Professionalisierung durch Wachstum und Verbetrieblichung kann den ursprünglichen Charakter dieser Engage-ment-Organisation aushebeln (vgl. Riekmann 2011).

In Bezug auf Kinder und Jugendliche ist festzuhalten, dass Vereine eine der wichtigsten Sozialräume darstellen (Schneekloth 2015). Die Mitgliedschaftsquote von Jugendlichen in Vereinen ist weiterhin hoch. Die Ergebnisse pendeln seit vielen Jahren um die 40 Prozent und können damit als stabil gelten. Die Handlungsfelder der klassi-schen Vereine bleiben dabei grundsätzlich sehr ähnlich: „Dominiert wird das Vereinswesen in Deutschland nach wie vor von Sport- und Kulturvereinen, Freizeit- und Geselligkeitsvereinen sowie von den Vereinen der Hand-lungsfelder Bildung und Soziale Dienste. Sie machen zusammen fast zwei Drittel der Vereinslandschaft aus“

(Krimmer 2019: 16). Überwiegend sind es kleine Vereine mit unter 1.000 Mitgliedern. Nicht selten verbinden sich mit der Vereinstätigkeit (und -mitgliedschaft) mehrere unterschiedliche Zwecke, wenn beispielsweise die

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– 98 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Brauchtumspflege mit sozialer Fürsorge, Nachbarschaftshilfe oder aktuell der Integration von Geflüchteten Hand in Hand geht, nicht zuletzt aufgrund der lokalen Verankerung (zum Beispiel Schützenwesen).

Digitales Engagement wird von Jugendlichen häufig additiv zum Engagement in einer Organisation verfolgt (siehe Kapitel 3). In diesem Zusammenhang ist die Relevanz des Vereins im Engagementsektor trotz neuer, digi-taler Formen von Engagement ungebrochen. In der DEB-Jugendbefragung 2019 geben 63,7 Prozent der befragten Jugendlichen an, dass sie sich engagieren. Gefragt wurden sie auch, in welchem Rahmen sie sich engagieren.

64,2 Prozent dieser Engagierten geben an, in einem Verein, Verband oder einer Partei engagiert zu sein, 30,3 Prozent üben ihr Engagement innerhalb einer selbst organisierten Gruppe aus, 22,0 Prozent geben an, sich alleine zu engagieren, und 21,9 Prozent der Engagierten geben an, in einer online organisierten Gruppe engagiert zu sein.

Die meistgewählte Organisationsform ist damit auch hier der Verein, ein Verband oder eine Partei.58 50,0 Prozent derjenigen, die sich in einer online organisierten oder selbst organisierten Gruppe engagieren, sind auch in festen Organisationen (Verein, Verband oder einer Partei) tätig.

Die Relevanz klassischer Organisationen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass neue Formen ebenfalls zur Le-benswelt von Jugendlichen gehören. 22,0 Prozent der befragten Jugendlichen geben an, dass sie in einer primär online organisierten Gruppe tätig sind. Damit ist noch nichts über die Rechtsform dieser Gruppe ausgesagt.59 Deutlich wird jedoch, dass der Fokus dieses Kapitels auf die formalen Organisationen ein Ausschnitt ist und dass in der Realität mit Wechselwirkungen zwischen formalen und loseren, digitalen Organisationen gerechnet werden muss.

Abbildung 25:Organisatorischer Rahmen des Engagements (Antwort: „Trifft zu“, Mehrfachantworten möglich, Basis: Engagierte, N = 640) (Quelle: Ergebnisse der DEB-Jugendbefragung 2019)

Die Befunde überraschen nicht, denn Engagement-Organisationen stellen einen zentralen Grundpfeiler in der Entwicklung, Gestaltung und Ausführung des Engagements dar. Das macht eine gesonderte Betrachtung der Per-spektiven und Potenziale von Organisationen im Kontext des Dritten Engagementberichts nötig und wünschens-wert. Vor dem Hintergrund der Heterogenität des Sektors, die bisher jedoch nicht aus Gesichtspunkten der Digi-talisierung betrachtet wurde, müssen entsprechende Ordnungsversuche zunächst entwickelt werden.

58 Auch der Freiwilligensurvey 2014 verzeichnet, dass 49,2 Prozent der 14- bis 25-Jährigen sich engagieren (Gesamtbevölkerung 43,6 %) und 44,8 Prozent dieser Altersgruppe Mitglieder in einem Verein sind. Diese engagieren sich häufiger als Personen, die nicht Mitglied in einem Verein oder einer anderen gemeinnützigen Organisation sind (Vogel und Hameister 2017: 244). Insgesamt engagiert sich über die Hälfte der Engagierten (52,1 %) in einem Verein oder Verband (Simonson und Vogel 2017: 530). Die Shell-Studie 2019 bestätigt die Bedeutung von Organisationen für das Engagement, so geben 37 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren an, dass sie zum Beispiel im Rahmen eines Vereins aktiv sind, 13 Prozent in einer Jugendorganisation und 8 Prozent bei Rettungsdiensten oder der Freiwilligen Feuerwehr (Schneekloth und Albert 2019: 101).

59 Unter anderem kann es sich dabei um die verschiedenen Organisationsformen dieser Gruppen als Schwärme, Netzwerke, Organisationen oder Gemeinschaften handeln (siehe Kapitel 3).

64%

alleine. In einer Gruppe von Leuten, die sich vor

allem online organisiert.

ORGANISATORISCHER RAHMEN DES ENGAGEMENTS

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