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Perspektiven der Medizinischen Physik als Wissenschaft

Im Dokument Festschrift zum 40-jährigen Jubiläum (Seite 132-137)

Fridtjof Nüsslin, München Medizinische Physik – Ausgangssituation

Medizinische Physik ist, obwohl angesichts des 40sten Geburtstags der DGMP den Ju-gendjahren entwachsen, doch immer noch ein junges Fach. Jugend assoziiert mit der Ent-wicklung eines wissenschaftlichen Fachgebiets, macht sich wie im menschlichen Leben an ungebrochener Entdeckungsfreude ihrer Wissenschaftler, an ihrer Lust auf Neues, aufs Schöpfen und Umsetzen neuer Ideen und an der Interaktion mit der Umwelt sprich den Nachbarfächern fest. Eines der wichtigsten Kriterien für die Attraktivität eines Faches aber ist die Ausstrahlung auf den wissenschaftlichen Nachwuchs an den Hochschulen, For-schungsinstituten und Kliniken. Unser Fach hat gerade heute angesichts der Dominanz der Lebenswissenschaften eigentlich die besten Aussichten auf schier unbegrenzte Jugend. Und dennoch nagen erstaunlicherweise gerade in der Medizinphysiker – Community immer wieder Zweifel an unserer Zukunft. Bei den jungen, klinisch tätigen Medizinphysikern begrenzt oft wie bei den ärztlichen Mitarbeitern der überlastete Berufsalltag das wissen-schaftliche Engagement. Weitere Hürden sind insuffiziente Strukturen in der Akademia, mangelhafte Aus-, Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten und die geringe Zahl von me-dizinphysikalischen Leuchttürmen in Deutschland im Vergleich zu anderen Industrienati-onen. Zu einer ausbalancierten Analyse gehört aber auch die Selbstkritik, dass nicht immer gebotene Möglichkeiten zu wissenschaftlichem Arbeiten genutzt, dass sozusagen Resig-nation und Lethargie das jugendliche Feuer bedrohen. Obwohl in der DGMP etwa 80%

der Mitglieder im Bereich der Strahlentherapie tätig sind, sollte man nicht vergessen, dass sich Medizinische Physik schon immer weit darüber hinaus erstreckt hat. Zum einen ist der Beitrag von Physikern zum wissenschaftlichen Fortschritt z.B. in der Physiologie, der Augenheilkunde, der Audiologie, und heute besonders aktuell im Bereich der Bildgebung evident. Zum anderen gibt es traditionell enge Verbindungen von Physik, Ingenieurwis-senschaften und Informatik. Darüber hinaus ist nicht zu übersehen, dass als Folge der Evolution der Naturwissenschaften die klassischen Fächergrenzen zunehmend erodieren und viele Physiker in Nachbardisziplinen heimisch geworden sind. Für junge Nachwuchs-wissenschaftler gewinnen gegenüber den klassischen Domänen der Medizinischen Physik wie etwa der Dosimetrie gerade diese neuen Horizonte an Attraktivität. Dies lässt sich an der Ausschreibung von Forschungsprogrammen, der Ausrichtung von Forschungsanträ-gen, an den wissenschaftlichen Veröffentlichungen in führenden Journalen wie auch an der Einrichtung von Professuren und Forschungsstellen ablesen.

Medizinische Physik – neue Horizonte

Von der Vielfalt medizinphysikalischer Forschung kann man sich aktuell durch einen Blick in das Programm des Worldcongress Medical Physics & Biomedical Enginee-ring 2009 in München einen Eindruck verschaffen. Ein weiter Bogen spannt sich von

den Themen der modernen Strahlentherapie über Bildgebung und - verarbeitung, Mo-dellierung, Simulation bis zu Zukunftskonzepten der Laser basierten Bildgebung und Hadronenerzeugung für die medizinische Anwendung. Die zunehmende Verzahnung mit Biologie und molekularer Medizin ist im Programm evident, nicht zuletzt durch den Festvortrag von Nobelpreisträger Roger Tsien, dessen Arbeiten zum green fluo-rescent protein (GFP) einen wesentlichen Impuls für den Aufschwung der optischen Bildgebung gesetzt haben. Auch dies wieder ein Hinweis auf das Hinauswachsen un-seres Faches in Richtung Biologie, der Wandel von Medizinischer Physik zu Biomedi-zinischer Physik, ein Etikett, das zunehmend in Gebrauch kommt, um die Interferenz von physikalischer Wissensanwendung in Biologie und Medizin zu signalisieren. Viele europäische und amerikanische Forschungseinrichtungen benutzen dieses Etikett seit langem. In Deutschland ist mir nur die Universität Tübingen mit einer Sektion für Biomedizinische Physik bekannt. Masterkurse in Biomedical Physics, wie sie in den Niederlanden, England und USA, leider noch nicht in Deutschland angeboten werden, sind viel stärker als wir das von früheren Fort- und Weiterbildungsprogrammen der Medizinischen Physik kennen, auf die Vermittlung auch von Grundlagen der Biolo-gie, der Zell- und MolekularbioloBiolo-gie, Biochemie und Physiologie ausgerichtet, damit Physiker auch Fragen der biologischen Grundlagenforschung aufnehmen und für ihre Translation in die medizinische Anwendung sorgen können. Umgekehrt ist das Ver-ständnis von in der Physik meist schon lang etablierten Mess- und Analyseverfahren (Röntgenkristallographie, Ramanspektroskopie, Massenspektroskopie etc.) unabding-bare Voraussetzung für ihre Anwendung in Biologie und Medizin.

Aus der unübersehbaren Vielfalt physikalischer Forschung in den Lebenswis-senschaften soll hier nur das Segment betrachtet werden, das dem Autor etwas näher liegt und das Themen der physikalischen Innovation in der Radioonkologie zur Ver-besserung von Tumordiagnostik und Tumortherapie enthält.

Aus klinische Studien weiß man, dass solide Tumoren im Frühstadium, wenn sie noch aus wenigen, etwa bis zu 109 Zellen bestehen, meist lokal begrenzt sind und daher auch erfolgreicher behandelt werden können als große, bereits generalisierte Tu-moren. In engem Zusammenhang damit steht eine zweite Beobachtung, die ebenfalls mit vielen Publikationen belegt ist: Bis auf seltene Ausnahmen sind bei soliden Tu-moren Strahlentherapie und Chirurgie deutlich wirksamer als jede Medikamentenbe-handlung. Beide Beobachtungen begründen seit jeher zwei für die Medizinische Physik entscheidende strategische Grundzüge jeder Krebstherapie:

a) die Früherkennung von Tumorerkrankungen und b) die zielgenaue, effiziente Do-sisapplikation. Beide Bereiche stellen Schwerpunkte medizinphysikalischer Forschung dar, wobei die früher eher geringe Beachtung der Bildgebung bei Physikern längst einer besonderen Fokussierung auf neue Technologien gewichen ist. Der rasante Fortschritt etwa in der MR - Bildgebung, der PET und SPECT, der Ultraschall - Bildgebung ist zweifellos dem hohen Engagement von Physikern zu zu rechnen.

Diese Trendverlagerung zu den modernen Bildgebungsverfahren, eingeleitet vor allem durch die physikalisch anspruchsvolle Kernspinresonanz, wird auch in den nächs-ten Jahren anhalnächs-ten und uns völlig neue Methoden der morphologischen und biolo-gischen Detailerkennbarkeit bieten. Ein Beispiel allein für den aktuellen Stand höchstau-flösender morphologischer Bildgebung mit dem Potential einer elektronischen in-vivo Histologie ist in der Abbildung wiedergegeben. Mit Röntgenstrahlung hoher Brillianz

wie man sie an einem Synchrotron, in Zukunft wohl auch mit Lasern erzeugen kann, gelingt es, über Phasenkontrastbildgebung Auflösungsgrenzen im Nanometerbereich und im Gegensatz zur Röntgenabsorptionsbildgebung hohe Kontrastauflösungen zu er-reichen. Parallel zu verbesserter morphologischer Bildgebung verspricht man sich vor allem in der Onkologie deutliche Fortschritte in Richtung Früherkennung und Gewebe-differenzierung von biologischer und molekularer Bildgebung, z.B. bei PET und SPECT, vor allem aber in dem sich stürmisch entwickelnden Gebiet der optischen Bildgebung.

Hier eröffnen sich sogar Wege zur Überwindung der inhärent begrenzten Eindringtiefe von Licht, etwa durch Einsatz neuer tomografischer Verfahren. Sehr vielversprechend ist das Raman-Spectroscopy-Imaging, das in Erweiterung der PET-Technologie die Bildge-bung von gleichzeitig bis etwa 20 markierten Molekülen erlaubt. Anfang 2009 wurde unter dem Namen ¹ Magnetic Particle Imaging“ ein neues MR-Verfahren vorgestellt, das 3D-Bildgebung durch Einsatz von Eisenoxid-Nanopartikeln ermöglicht, vorerst auf kar-diologische Fragestellungen angewendet, jedoch durchaus auch Potential zur Charakte-risierung des Tumormikromilieus hat. Schließlich ist die Renaissance der Ultraschallbild-gebung und ihre Etablierung als molekulares Verfahren nicht zu übersehen.

Viele diagnostische Fragestellungen lassen sich nur durch Kombination unter-schiedlicher Bildgebungsverfahren beantworten. Multimodale Bildgebung stellt nicht nur Herausforderungen an technische Konzepte der Geräteintegration, sondern auch an die Datenverarbeitung. Dies gilt insbesondere für dynamische Studien, wie sie heute mit MR, CT, PET und den optischen Verfahren möglich sind. Aktuell am weitesten fortgeschritten sind Hybridverfahren, die auf eine Integration von hochauflösender und biologischer Bildgebung zielen, beispielsweise PET-CT, PET-MR oder PET und Fluoreszenztomographie.

Perspektiven für die Bildgebung

Vergleich von tomografischen Röntgen-CT Aufnahmen eines formalin-fixierten Kleintiers (Maus): (a) Kon-ventionelle Mikro-CT, (b) Phasenkontrast Mikro-CT. Die Aufnahmen wurden an der ESRF Grenoble bei 35 keV Röntgenenergie durchgeführt [für mehr Details zur Methode, siehe F. Pfeiffer, Phys. Med. Biol. 52, 6923 (2007)].

Aus der immer wichtigeren Rolle der biologischen Bildgebung wird deutlich, wie sehr hier auch neue Ansprüche an die Weiterbildung der Medizinphysiker zu stel-len sind. Zum anderen spiegelt diese Entwicklung eindrucksvoll den Wandel von Me-dizinischer zu BiomeMe-dizinischer Physik.

Perspektiven der Strahlentherapie

Innovationen mit Zielrichtung Optimierung der Dosisverteilung – maximale Dosis im Zielvolumen, minimale Dosisbelastung des tumorumgebenden gesunden Gewebes – sind derzeit in vier großen Feldern der Medizinischen Physik zu beobachten:

Entwicklung von Software für die Bestrahlungsplanung

Minimierung von Unsicherheiten der Bestrahlung, z.B. durch Einsatz von in- tegrierter Bildgebung (image guidance)

Neue Bestrahlungstechniken (z.B. volume-arc Technik)

Gerätetechnologie und physikalische Methodik (z.B. neue Bestrahlungsein- richtungen, Hadronentherapie)

Fortschritte der Datenverarbeitung, Bildgebung und computergesteuerten Geräte-technik in Verbindung mit den biologischen und molekularen Grundlagen von Tu-morerkrankungen bestimmen noch stärker auch in Zukunft die Strahlentherapie.

Für die Medizinische Physik geht dies einher mit der Herausforderung einer ver-stärkten Interaktion über die Fächergrenzen hinweg. Hierfür gibt es in allen vier Schlüsselbereichen der Strahlentherapiephysik zahllose Beispiele. So erlaubt die stän-dig wachsende Rechnerleistung schon heute routinemäßig die Anwendung von Mon-te-Carlo Verfahren in der Bestrahlungsplanung. Dagegen ist die Integration mul-timodaler Bildgebung, z.B. PET-CT, in die Bestrahlungsplanung noch weitgehend Forschungsfeld. Hier sind insbesondere die mit IMRT eröffneten Möglichkeiten einer gezielten Dosisadaption an die biologische Heterogenität des Tumors zu un-tersuchen und in klinischen Studien deren Stellenwert zu evaluieren. Mit den neuen gerätetechnischen Lösungen zur Präzisionsbestrahlung gewinnt die Frage nach den Fehlern und Unsicherheiten des gesamten Strahlentherapieprozesses immer größere Bedeutung. Methodische Verbesserungen und technische Entwicklungen der letzten Jahre fokussieren auf eine immer bessere Konformation der Dosisverteilung auf das Zielvolumen, angefangen bei den Techniken der fluenzmodulierten Strahlentherapie (IMRT) z.B. dynamische Bestrahlungsmethoden (IMAT), bis hin zur Hadronenthera-pie. Zumindest die Protonentherapie mit ihrem Potential einer deutlich verbesserten Dosisentlastung der gesunden Organe erfährt derzeit international größtes Interesse.

Ob die Bestrahlung mit Kohlenstoffionen aus klinischer Sicht den erheblich höheren Kostenaufwand rechtfertigen wird, bleibt einer klinischen Evaluierung vorbehalten.

Um die gravierenden Nachteile gegenwärtiger Großbeschleuniger und Gantrysyste-me wie Raumbedarf, Investitions- und Betriebskosten zu berücksichtigen, werden derzeit Konzepte kleinerer kompakter Synchrotrons, vor allem aber laserbasierte Technologien zur Ionenstrahlerzeugung verfolgt, u.a. im Münchner Exzellenzcluster Munich Advanced Photonics [MAP]. Ziel dieses Projekts ist es, kostengünstigere und technisch einfachere Konzepte zur Ionentherapie zu entwickeln und so z.B. die Protonentherapie nicht mehr einzelnen wenigen Zentren vorzubehalten. Das Schlüs-selargument für die Hadronentherapie ist die Dosisreduktion im gesunden Gewebe,

weniger die Dosiskonformation im Zielvolumen, da diese in der Regel bereits mit den modernen Konzepten der Photonenstrahlung erreichbar ist.

Die immer engere Anpassung der Dosisverteilung an die Form des Zielvolumens und damit die Reduzierung der tumorumgebenden Randzone verlangt immer höheren Aufwand in der Durchführung einer Strahlenbehandlung. Anspruchsvolle technische Konzepte zur bildgesteuerten Strahlentherapie wie die Integration von CT- oder gar von MR-Bildgebung in den Linearbeschleuniger oder bei der Ionen-Strahlentherapie von PET werden deshalb auch künftig Forschungsschwerpunkte der Medizinischen Physik sein.

Schlussfolgerung

Medizinische Physik als originär interdisziplinäres Fach wird auch künftig eine wich-tige Rolle als Brücke innerhalb der Natur-, Lebenswissenschaften und Medizin spielen, sofern sie sich noch stärker dem Austausch mit den Nachbarfächern öffnet, gleichzei-tig aber sich seiner Wurzeln in der Physik bewusst bleibt. Der Dialog mit der Medizin und der Biologie muss dabei Vorrang haben. Beispielsweise schlagen sich die enormen Fortschritte in der Tumorbiologie auch in den heutigen Möglichkeiten der Krebsfrüh-erkennung durch neue Bildgebungsverfahren und ihre Anwendung in der Strahlenthe-rapieplanung nieder. Hier ist die Interaktion mit der Biologie für den Medizinphysiker unentbehrlich.

Viele Entwicklungen, neue Methoden und Geräte müssen auch immer kritisch vor dem Hintergrund der medizinischen Relevanz und nicht nur der Machbarkeit ge-sehen werden. Hierbei ist gerade die Interaktion von Medizinphysiker und Mediziner zur Einschätzung von Innovationen und der Bestimmung der Richtung künftiger Ent-wicklungen essentiell. Dieser Dialog sollte in Zukunft angesichts neuer klinischer Kon-zepte, z.B. der Chemoradiotherapie, der Optimierung von Fraktionierungsschemata, neuer Modelle der Tumorausbreitung und der Translation biologischer Grundlagen-forschung in die Klinik auch bei Medizinphysikern mehr Gewicht erhalten.

Die früher noch schärferen Grenzen zwischen den einzelnen Fächern werden durchlässiger, neue Gebiete in den Schnittflächen zu Nachbardisziplinen der Biowis-senschaften tun sich auf. Ähnlich wie biologisches Grundlagenwissen Diagnose- und Behandlungsstrategien in der Medizin zunehmend bestimmen, wird auch die Medizi-nische Physik diesem Einfluss unterworfen sein und sich in Richtung BiomediziMedizi-nischer Physik erweitern müssen, um attraktiv gerade für junge Wissenschaftler zu sein. Die gegenwärtigen Engpässe bei der Besetzung von Forschungsstellen mit Wissenschaftlern aus dem Bereich Medizinische Physik/Biomedizinische Physik sollten als Signal an die Wissenschaftslandschaft in Deutschland verstanden werden, insbesondere an die wis-senschaftliche Fachgesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Medizinische Physik.

Impressum

2009: Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Physik e. V.

(DGMP)

mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Röntgengesellschaft e. V. (DRG).

Gestaltung: Konrad Roterberg, Graphic-Design-Studio, 16230 Chorin OT Senftenhütte Druck: Buch- und Offsetdruckerei H. Heenemann, 12103 Berlin

ISBN 3-925218-47-5

Zu den Fotos: Die Qualität einiger Fotos ist gewiss unzureichend, aber der Entstehungszeit geschuldet.

Wir habe n die se Bilde r als his torische Dokum ente tr otzdem be wußt in die se F estschrift aufge nommen.

(der Herausgeber)

Im Dokument Festschrift zum 40-jährigen Jubiläum (Seite 132-137)