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45.000 neue Ladepunkte bis 2020

Im Dokument Unternehmerin Kommune: (Seite 72-77)

Von Michael Ebling, Präsident des VKU und Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Mainz

S

tadtwerke: Die E-Mobilität begleitet uns thematisch in diesem Jahr schon länger. Sie sich hält hartnäckig in den Medien. Droht das Thema abzuflachen, kommt der nächste Dieselgipfel oder ein weiteres Kapitel im Abgasskandal. Wer kann, versucht auf den Zug aufzuspringen: E-Mobilität verspricht, ein neues Verkaufsargument zu werden.

Michael Ebling Foto: Stadt Mainz, Alexander Heimann

Dass sich die E-Mobilität im Individualverkehr auf dem Vormarsch befindet, bemerkt man in Deutschland bis-lang nur vereinzelt: Wie viele E-Autos haben Sie beispiels-weise heute gesehen? Doch der Blick zu den europäischen Nachbarn verrät: Die E-Mobilität kommt nicht nur, in vielen Ländern prägt sie zunehmend das Straßenbild.

Norwegen gehört beispielsweise zu den Ländern mit der derzeit höchsten E-Auto-Quote. Dort fährt jeder dritte Neuwagen elektrisch. Und weltweit tut sich sowieso eine ganze Menge: China ist mit jährlich über 20 Millionen verkaufter Autos der weltweit größte Markt der Auto-mobilbranche. Hier hat die Regierung erst vor kurzem eine verbindliche E-Auto-Quote eingeführt. Und Tesla zeigt: E-Autos kommen an. Für den neuen 30.000 Euro-Tesla liegen 450.000 Bestellungen aus der ganzen Welt vor. In naher Zukunft wird es immer mehr Angebote für E-Autos auch in der mittleren Preisklasse geben.

Auf dem Weg zu mehr Elektromobilität stellt sich eine klassische Henne-Ei-Frage. Was muss zuerst kommen: die E-Autos oder die E-Tankstellen? Das eine lohnt sich nicht ohne das andere. Einer muss zwangs-läufig in Vorleistung gehen. Die Verbraucher sind nicht in der Pflicht, die E-Mobilität nach Deutschland zu tragen. Es braucht eine flächendeckende Infrastruktur und preislich attraktive E-Autos. Als Fahrer eines Autos mit Verbrennungsmotor haben Sie sich wahrscheinlich noch nie Gedanken darüber gemacht, ob Sie Ihr Fahrt-ziel wirklich erreichen. Irgendwo findet man immer eine Tankstelle, um schnell aufzutanken. Für den E-Auto-Be-sitzer gilt das (noch) nicht. Er muss eine freie Ladesäule entlang der Strecke suchen und finden. Und dann gilt es,

die beträchtliche Ladedauer einzuplanen – mitunter ein doppelter Zeitfresser. Um bei der Elektromobilität wirk-lich substanzielle Fortschritte zu erreichen, brauchen wir ein flächendeckendes E-Tankstellennetz und Autos, die man in wenigen Minuten betankt.

Bundesförderprogramm

Vielerorts haben die kommunalen Stromversorger damit bereits begonnen. In Hamburg beispielsweise hat der lokale Stromnetzbetreiber im Stadtgebiet mehr als 700 Ladesäulen installiert. Und in Mainz bauen wir gerade Ladesäulen in Parkhäuser ein. In vielen Orten in Deutschland sehen wir zurzeit, dass sich etwas tut. 67 Prozent der Stadtwerke planen, in den nächsten Jahren Ladeinfrastrukturen aufzubauen. Bis 2020 sollen rund 45.000 Ladepunkte entstehen.

Trotzdem kann das nur ein Anfang sein. Zur Mobili-tätswende gehört nicht nur die Einzelbeförderung.

Auch die vielen Busse im Öffentlichen Personennahver-kehr brauchen ein Update. Und das kostet. Wenn wir in Mainz nur 25 Prozent der Busse der städtischen Ver-kehrsbetriebe von Diesel- auf Elektro- oder Brennstoff-zellenantrieb umstellen, würden dadurch Mehrkosten von 20 Millionen entstehen. Wir brauchen deswegen ein deutschlandweites Programm, um 10.000 Busse mit Wasserstoff- oder E-Antrieb anzuschaffen. So könnten wir Luftschadstoffe reduzieren und einen Schub für saubere Technologien auslösen. Damit könnte die neue Bundesregierung ein klares Signal setzen. Kommunen können mit ihren Stadtwerken zu echten Infrastruktur- und Mobilitätsmanagern werden. Das schließt neben Bussen und Bahnen auch den Radverkehr nebst Ver-leihsystemen ein. Aber: Für alle Maßnahmen gibt es andere Förderprogramme. Das ist nicht ausreichend koordiniert, um die Kommunen in die Poleposition zu bringen. Das Know-how ist in den Kommunen da.

Bei all den Anstrengungen zur Umrüstung bleibt die Frage: Wie kommt der Strom in das Auto oder den Bus? Der Strombedarf des Verkehrs wird nach Schätzungen von Experten in den nächsten Jahrzehnten sehr stark ansteigen.Bei E-Mobilität ist Dezentralität gefordert. Während die großen Stromautobahnen, die Übertragungsnetze, den Strom über weite Strecken transportieren, reichen die Stromverteilnetze bis in die entlegensten Regionen Deutschlands. Nur mit diesen Land- und Kreisstraßen der Stromversorgung bekommen wir ein flächendeckendes Tankstellennetz für E-Mobilität. Nur die Verteilnetze sind in der Lage, allenthalben Strom bereitzustellen. Die Bedeutung der Verteilnetze wächst aber auch, weil mit der Elektri-fizierung des Verkehrs verschiedene Mengen an Strom

zu verschiedensten Zeiten durch die Leitungen gesteuert werden. Ohne die Verteilnetze keine Verkehrswende.

Lücken bei der Anreizregulierung Mehr Strom zu transportieren und dezentral zur Ver-fügung zu stellen bereitet keine Probleme. Die zusätzlich durch die Elektrofahrzeuge verbrauchte Energiemenge ist für die Netze derzeit noch nicht entscheidend. Der Jahresverbrauch eines Elektrofahrzeuges liegt durch-schnittlich bei 1.500 Kilowattstunden pro Jahr. Das entspricht etwa dem Stromverbrauch eines kleinen Haushaltes. Kommen zukünftig eine Millionen zusätz-licher Kleinhaushalte in Form von Elektromobilen ans Netz, gerät das System nicht aus den Fugen.Allerdings:

Wenn in einer Straße drei bis fünf Elektroautos gleich-zeitig im Schnelllademodus tanken, kommt das Netz an seine physikalischen Grenzen. Es ist immer die lokal abgerufene Leistung in Form von Leistungsspitzen, die bei einer hohen Gleichzeitigkeit Probleme bereiten kann.

Was also tun? Das „Betanken“ von Elektromobilen braucht eine intelligente Steuerung. Dafür müssen die Verteilnetze beobachtbar und der Netzzustand prognostizierbar sein. Gleichzeitig muss der Mobilitäts-anspruch des Autobesitzers erfüllt werden und am besten noch der Bedarf des Strommarktes. Das heißt: Elektro-autos sollen genau dann laden, wenn der Wind weht, die Sonne scheint und viel Strom durch die Leitungen fließt.

Allen Fachleuten ist klar, dass in den nächsten Jahren Milliarden Euro zur Integration der Erneuer-baren Energien in die Netzinfrastruktur, für die Elektro-mobilität und die Digitalisierung der Verteilnetze investiert werden müssen. Es ist eine Optimierungsauf-gabe sondergleichen. Für deren Machbarkeit weist der ordnungspolitische Rahmen noch große Lücken auf.

Beispielsweise bei der sogenannten Anreizregulierung.

Derzeit ist es den Netzbetreibern wirtschaftlich unmög-lich, das Netz so auszubauen, dass sie Leistungsbedarfe berücksichtigen, die erst in einigen Jahren entstehen könnten. Das bildet die Anreizregulierung derzeit nicht ab. Dabei wäre die einmalige Ausrüstung der Netze für zukünftig höhere Bedarfe volkswirtschaftlich bedeutend günstiger als das Netz alle paar Jahre erneut aufrüsten zu müssen.

Umso mehr ist die Politik gefordert, die not-wendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Wir brauchen neue Anreize für diese zukunftsorientierten und volkswirtschaftlich wichtigen Investitionen. n

www.vku.de

i infos

UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 02 / NOVEMBER 2017 73

TITELTHEMA

UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Interaktion und wechselseitige Bedingt-heiten. Wie verhalten sich unter diesen beiden Überschriften die Prozesse, die 1992 mit dem Stromvergleich von Karlsruhe, 1997 mit der Brüsseler Entscheidung zur Liberalisierung und 2002 mit dem Berliner Auftaktkongress zur Energiewende auf den Weg gebracht wurden?

Dr. Reinhard Richter:

Alle drei Entscheidungen müssen in ihrem Zusammenhang für die ostdeutsche Energiewirt-schaft unter einigen Aspekten anders bewertet werden, als aus einer gesamtdeutschen Perspektive.

Aus dieser Sicht haben für mich der Strom- und folgend auch der Gasvergleich eine besondere Bedeutung. Ohne diese Urteile hätte es für die Liberalisierung in den Neuen Ländern ja eigentlich gar keinen Nährboden gegeben. Die 1990 im Osten geschaffene Kolonialisierung mit monopolartigen Konzernstrukturen hätte ihre Stellung behauptet.

Liberalisierung bedarf Vielfalt und Stadtwerke, die die Chance zur Teilnahme am Wettbewerb gehabt und – das zeigen ja die realen Szenarien – auch umfassend genutzt haben, gäbe es nicht.

In der Energiewende sind die Neuen Länder bei der Erzeugung von Erneuerbaren Energien weit überproportional vertreten. Die Stadtwerke meistern diese Flut an dezentralen Einspeisungen auf ihrer Verteilnetzebene bestens, und sie sind selbst maßgebliche und innovative Akteure auf dem Weg in das neue Energiezeitalter: Bei der Erzeugung von Erneuerbaren Energien, bei großen Emissionsminderungen im Wärmemarkt,

beim Thema Energieeffizienz, um nur einige Stichworte zu nennen.

Helmut Preuße:

Was mein Kollege Dr. Richter sagt, ist ja keine bloße Annahme zu einem Szenario, das real dank der Urteile aus Karlsruhe ja so glücklicher-weise nicht stattgefunden hat. Ostdeutschland wäre ohne diese Richtersprüche das Domizil der großen Vier. Und die haben die Energie-wende regelrecht verschlafen Das konnte sogar Otto-Normalverbraucher Tag für Tag in den Spitzenmeldungen der Nachrichten hören:

Milliardenverluste, keine Dividendenzahlungen – betroffen davon waren auch die kommunalen Anteilseigner zum Beispiel von RWE und Eon – Aktien im Sturzflug.

Energiewende ist eine

gesamtgesellschaftliche Aufgabe UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Beim Verband kommunaler Unternehmen (VKU) wurde vor geraumer Zeit der Begriff energiewirtschaftlicher Mittelstand geprägt.

Gemeint sind die rund 1.000 in Deutschland agierenden Stadtwerke, deren Rolle – hier verweisen wir ebenfalls auf die Wertung des VKU – bei den energiepolitischen Rahmen-setzungen häufig nicht ausreichend gewürdigt und beachtet wird. Dafür steht beispielhaft die Verteilnetzebene, die eine immer größere Zahl von Einspeisungen von Erneuerbaren Energieerzeugern verkraften muss. Zu dieser Thematik zwei Fragen: Erstens, worin sehen ES GIBT SPEZIFISCHE AUFGABEN FÜR DIE STADTWERKE IN DER ENERGIEWENDE

„Wir wollen aber keine

Lex Kommunalwirtschaft schreiben“

Interview mit Dr. Reinhard Richter, Sprecher der Geschäftsführung der DREWAG Stadtwerke Dresden, und Helmut Preuße, Geschäftsführer Stadtwerke Schwedt

D

as dreigeteilte Titelthema in dieser Ausgabe von UNTERNEHMERIN KOMMUNE war ja zunächst eher dem von uns

„entdeckten“ Zufall geschuldet, dass wir für drei energiepolitische Weichenstellungen, die man ohne Übertreibung als historisch bezeichnen kann, im Jahr 2017 ein rundes Jubiläum begehen können. Wir haben – das ist konzeptionell auch gar nicht anders zu machen – jedes dieser Daten zunächst solitär zum Gegenstand unserer Bestandsaufnahmen, Analysen und Dispute gemacht. Dabei wissend, dass es zwischen diesen Prozessen vielfältige Interaktionen und auch Bedingtheiten gibt. Zur Illustration nur ein Beispiel: Die kommunalen Energieversorger könnten ihre aktive, ja sogar Vorreiterrolle bei der Umsetzung der Energiewende gar nicht spielen, wenn sie ohne die Liberalisierung weiter ihr vormaliges Dasein im Dunstkreis des eigenen Kirchturms fristen würden.

Denn mit dem Beginn des Marktzeitalters sind sie nicht etwa wie von vielen prophezeit, gestorben, sondern haben eine ungeahnte Vitalität entwickelt. Sie sind schneller, sie sind innovativer, sie sind beweglicher als die großen Tanker ihrer Branche.

Deshalb war es für uns folgerichtig, dass wir das Fazit zu unserem großen Titelthema in dieser Ausgabe mit zwei Männern ziehen, die seit Jahrzehnten auf der Kommandobrücke ihrer Unternehmen stehen. Von dieser Position aus haben sie die komplexen Prozesse mitgestaltet, für die diese drei energiepolitischen Jubiläen auch symbolhaft stehen. Zu unserem Interview trafen wir uns am 17.

Oktober in Dresden im Haus der DREWAG.

Beim Gespräch am 17. Oktober 2017 in Dresden. Rechts im Bild der Interviewer, Prof. Dr. Michael Schäfer.

Fazit

FAZIT

Sie im Einzelnen die Benachteiligung der Ver-teilnetzbetreiber? Zweitens, warum werden die kommunalen Protagonisten am Energiemarkt in diesem Falle – und es gibt ja leider weitere Beispiele – so stiefmütterlich behandelt.

Preuße:

Es gibt in der Tat folgende Diskrepanz: die Verteilnetzbetreiber, und das sind in der über-wiegenden Mehrheit die Stadtwerke, müssen mit gewaltigem Aufwand organisieren, dass die weiter zunehmende Zahl von zumeist kleinen Erzeugern ihre Energie in diese Netze einspeisen kann. Dieser Aufwand aber wird – obwohl es sich um einen klassischen Prozess der Wertschöpfung handelt – gar nicht oder nur geringfügig vergütet. Das Geld wird in der Übertragungsebene von den vier dort tätigen Betreibern verdient. Das funktioniert aber nur, weil die Verteilnetzebene Leistungen erbringt.

Also muss sie angemessen beteiligt werden.

Unsere Forderung lautet, dass wir ebenfalls zur Netzstabilität der Übertragungsnetze beitragen können, denn auf unserer Ebene wird Angebot und Nachfrage überhaupt erst zusammen-gebracht. Natürlich müssen dafür Voraus-setzungen erbracht werden. Zum Beispiel in Gestalt von Speichern, in der Transformation von „Power to X“ und mit eigener Erzeugung.

Wir wollen uns auch um die Stabilität unserer Netze selbst kümmern dürfen. Über die dazu notwendigen technischen Voraussetzungen und das Know-how verfügen fast alle der großen und mittleren bisweilen auch kleineren Stadt-werke in Gestalt eigener dezentraler Leitwarten, wo die Prozesse auch gesteuert werden können.

Wir können also Flexioptionen darstellen, und zwar für die gesamte Ebene. Mit den kleinen Kommunalversorgern müssen dazu natürlich Kooperationen aufgebaut werden.

Es geht den Stadtwerken nicht nur ums Geld verdienen. Dezentralität – Tendenz zunehmend

– erfordert eine Neuregelung der derzeitigen Kooperations- und Verantwortungsmodelle.

Es kann nicht sein, dass vier Übertragungsnetzbetreiber auf unsere Verteilebene weiter ein-fach durchregieren und uns zum Beispiel befehlen, eine wichtige Erzeugungsanlage ein-fach abzustellen. Wir wissen vor Ort doch viel besser, wo das unter dem Primat der Ver-sorgungssicherheit mit den geringsten Beeinträchtigungen für die dezentralen Erzeuger funktioniert.

Dr. Richter:

Bei der Frage nach den Gründen für die Benachteiligung der Verteilnetze muss ich mit aller Vorsicht Hypothesen formulieren. Die vier Übertragungsnetzbetreiber sind schon eine Macht und es liegt nahe zu vermuten, dass sie diese auch nutzen, um das Primat der Übertragungsebene zu zementieren. Das dürfte – auch hier kann ich nur vermuten – auch im Interesse des Regulierers liegen. Der Prozess lässt sich mit vier Akteuren leichter steuern als mit rund 1 000 Stadtwerken.

Es mag wohl auch sein, dass den „Kommunalen”

einfach nicht zugetraut wird, gleichberechtigt an der Bereit-stellung von Regel- und Reserve-energie mitzuwirken. Da könnte durchaus die Angst mitspielen, mit einer deutlich größeren Zahl an Akteuren nicht mehr die Ver-sorgungssicherheit gewährleisten zu können.

Wahr ist auch, dass die vier Übertrager mit ihrer privilegierten ökonomischen Stellung sehr gutes Geld ver-dienen und zudem davon profitieren, dass der Datenfluss von den vielen Messstellen-daten auf der Verteilnetzebene zu ihren eine Einbahnstraße ist. Ein solches Datenmonopol mit ständig wachsendem Ertragspotenzial gibt Niemand freiwillig auf.

UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Nach der Bestandsaufnahme und der Frage nach den Ursachen muss zwingend die Frage folgen, was die Politik – hier geht es in aller-erster Linie um die Bundesebene – in der neuen Legislaturperiode korrigieren muss, um der besonderen Verantwortung – diese wird ja von der Politik jedenfalls in den Sonntagsreden immer wieder betont – der

kommunalen Energiewirtschaft bei der Umsetzung der Energiewende gerecht zu werden?

Dr. Richter:

Wir müssen aufpassen, dass wir zur Umsetzung der Energiewende keine „Lex Kommunal-wirtschaft“ schreiben. Denn es geht um keine sektorale, sondern um eine gesamtgesellschaft-liche Aufgabe. Ich unterstreiche deshalb die Grundforderungen, die der BDEW in sein Positionspapier für die neue Bundestagslegislatur geschrieben hat. Wir müssen uns in der Tat ver-abschieden von den dort thematisierten identi-tätsstiftenden Gegnerschaften, von ideologisch geprägten Schuldzuweisungen oder dem ein-seitigen Verfechten von Partikularinteressen.

Es ist doch sehr erfreulich, dass es zu zentralen Fragen der Energiewende einen parteiüber-greifenden Konsens gibt. Ich nenne beispielhaft den Ausstieg aus der Kernenergie und das Ziel, ab 2050 nur noch Erneuerbare Energien zu erzeugen.

Auf diesem stabilen Untergrund bedarf es jetzt der sachbezogenen Verständigung über die richtigen Wege, und wir sollten bis 2050 auch realistische Etappenziele formulieren. Also Abkehr vom Wunsch-denken. Wir haben bei den Themen Klimaziele und Elektromobilität gesehen, dass aktionistische Vor-gaben Glaubwürdigkeit kosten und damit die große Aufgabe Energiewende diskreditieren.

Preuße:

Der Ansatz, das Gemeinsame zu betonen, und auf dieser Grundlage über spezifische Beiträge einzelner Protagonisten zu reden, ist konstruktiv.

In dieser Reihenfolge ist es wieder zulässig über besondere Erfordernisse der Kommunalwirt-schaft zu reden. Ich hoffe, dass die Politik inzwischen die besondere Rolle der Verteilnetze begriffen hat. Die Konsequenz daraus muss jetzt lauten, dass die besonderen Belastungen dieser Ebene – ich nenne beispielhaft die weiter zunehmenden Einspeisepunkte für Erneuerbare

Dr. Reinhard Richter

Helmut Preuße

UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 02 / NOVEMBER 2017 75

TITELTHEMA

Der Markt allein kann Ver-sorgungssicherheit nicht

garantieren.

„ ______________________

Helmut Preuße Energien – vor allem regulatorisch exakt

abgebildet werden müssen. Ein zweiter Punkt sind die Rahmensetzungen für den Wärme-markt und ein dritter die Anerkennung, dass Erdgas der wichtigste Brückenenergieträger auf dem noch recht langen Weg in das Zeitalter der Erneuerbaren ist.

Regulierungswut behindert bürgerschaftliche Partizipation und ist deshalb undemokratisch UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Es wird viel geregelt in diesem Land. Die Kanzlei Becker Büttner Held hat für einen Zeitraum von rund zwanzig Jahren für den Bereich des Energierechts nachgewiesen, dass die Zahl der Regelungen von wenigen hundert auf inzwischen rund 10.000 gewachsen ist.

Kann man bei einer solchen Regelungsdichte überhaupt noch von einem liberalisierten Markt sprechen und ist dieser überbordende Rechtsrahmen von einem kleinen oder mittleren Stadtwerk überhaupt noch zu über-blicken, geschweige denn zu beherrschen?

Preuße:

Ich antworte darauf mit einem klaren Nein. Nicht nur aus der Perspektive meiner Stadtwerke, die für die von Ihnen genannte Unternehmensgröße stehen, sondern mit dem Überblick, den ich als langjähriges Mitglied des VKU-Präsidiums deutschlandweit habe.

Dr. Richter:

Die DREWAG gemeinsam mit der ENSO gehört, mit ihren 2.500 Beschäftigten zu den ganz großen kommunalen Versorgern. Natürlich gibt es unter diesem Dach auch deutlich mehr Experten, auf deren Know-how zurückgegriffen werden kann.

Aber unterm Strich ist die Lage so, dass es ver-mutlich Niemanden in unserem Lande gibt, der diese unfassbar große Zahl an Regelungen auch nur ansatzweise überblicken kann. Auf das Energiethema spezialisierte und große Kanzleien,

wie die von Ihnen erwähnte Becker Büttner Held mit mehreren hundert Anwälten sehen diesen Regelungswahnsinn als Problem. Es geht ja nicht nur um die Anwendung, sondern auch um die Rechtsprechung. Ich bin mir sicher, dass selbst spezialisierte Kammern an ihre Grenzen stoßen.

Nicht nur wegen der fünfstelligen Zahl von Regeln, sondern auch deshalb, weil es völlig unmöglich ist, deren oft widersprüchliche zum Teil chaotische Interdependenzen zu kalkulieren.

Die Folge: ein Richter sieht das so, der der andere so. Das Ergebnis: sie brauchen nicht nur ständig neue Schränke zur Aufbewahrung der Gesetze, sondern auch zum Deponieren der sich darauf gründenden Urteile.

Preuße:

Sie verstehen ja dieses Interview als Fazit Ihres Titelthemas zu den drei wichtigen Energie-jubiläen. Wenn ich diesen Strich also hier ziehen soll, dann lautet er wie folgt: Die neue Bundes-regierung muss zum Thema Regelungen einen genau konsequenten Paradigmenwechsel

voll-ziehen, wie wir ihn alle bei der Umsetzung der Energiewende bewältigen müssen. Der Grund dafür ist nicht nur der, dass dieses Regelsystem nicht mehr handhabbar ist. Solche Paragrafen-dschungel führen auch dazu, dass Otto-Normal-verbraucher seine Mitwirkung einstellt, weil er nicht mehr versteht, worum es eigentlich geht. Er wird ausgeschlossen und das ist undemokratisch.

UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Schon seit geraumer Zeit wird an einem neuen Regelungsmonster gewerkelt. Für den

überschaubaren Zeitraum, in dem es noch Reservekapazitäten bei konventionellen Kraftwerken geben muss, wird aus Sicht des Interviewers ein Pseudomarkt geschaffen, von dem viele meinen, dass er objektiv gar nicht funktionieren kann. Wäre es angesichts der jetzt schon bestehenden Überregulierung nicht sinnvoller gewesen, die Reservekraft-werke in einem staatlichen Unternehmen zu konzentrieren?

Dr. Richter:

Ihrem Urteil kann ich mich nicht anschließen.

Inzwischen gibt es Modelle, die ich für funktions-fähig halte und die auch den Zusammenhang zur zweiten großen Stellgröße, dem Emissions-handel, herstellen. Es ist ja leider nicht abseh-bar, wie lange wir diese Reservekapazitäten benötigen, und schon deshalb sollten wir auf flexible Mechanismen setzen. Das, was Sie

vor-schlagen, wäre ein neues VEB Energiekombinat, und das passt nicht in unsere marktorientierte Wirtschaftsordnung. Wir werden die Energie-wirtschaft der Regionen erleben.

Preuße:

Ihre Überlegungen in der Frage kann ich grund-sätzlich nachvollziehen. Der Markt allein kann Versorgungssicherheit nicht garantieren. Wir bewegen uns also auch im Feld der Daseinsvor-sorge. Mithin muss der Staat, muss die Politik sicherstellen, dass Energie jederzeit verfügbar und zudem bezahlbar ist. Das sind zwei gleich-rangige Zielprojektionen, die nicht zwingend auch konsistent sind. In diesem Spannungsfeld Fazit

Ein neues VEB Energiekombinat passt nicht in unsere markt-orientierte Wirtschaftsordnung.

„ ______________________

Dr. Reinhard Richter

FAZIT

BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V.

7. Forum für kleinere und mittlere Stadtwerke Nord/West

20. Februar 2018 in Osnabrück

www.kmu-foren.de

Vorabendveranstaltung:

KMU meets E-Kart

Neue Landesregierung in Niedersachsen!

Neue Weichenstellung in der Energiepolitik?

Mobilität der Zukunft – Akteure, Ideen und Kooperationsmöglichkeiten

Smart Meter, Blockchain & Co. – Wie sieht das Stadtwerk 2030 aus?

Wie gelingt die Wärmewende in der Stadt?

Themen:

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Im Dokument Unternehmerin Kommune: (Seite 72-77)