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Narrativität und Narration in der literaturwissenschaftlichen Narratologie Narratologie

Im Dokument Zwischen Interaktion und Narration: (Seite 124-127)

‚narrativen Begriffsfeld‘

2.4.1 Narrativität und Narration in der literaturwissenschaftlichen Narratologie Narratologie

Narrativität wird, nach H. Porter Abbott, in zwei Weisen verwendet: „in a fixed sense as the »narrativeness« of narrative and in a scalar sense as the »narrativeness« of a narrative“.

(ABBOTT 2011; Herv.i.O.) Somit kann sich Narrativität grundsätzlich auf Narrative im

203 Im Folgenden wird aber dennoch, zumindest terminologisch, weiterhin auf Barthesʼ Begriffe zurückgegriffen,

da sie gemeinhin bekannter sind. Heuristisch wertvoll kann Chatmans Modifikation des Konzeptes Roland Barthesʼ v.a. mit Blick auf personale Narrationen sein, da bei diesen die Multioptionalität eine größere Rolle spielt als bei medialen Narrationen. Selbst in hypertextuell aufgebauten digitalen Spielen sind bestimmte Entscheidungen, die Spieler treffen, retrospektiv betrachtet von geringer Bedeutung, da, aus ökonomischen wie technologischen Gründen, verschiedene Zweige recht schnell wieder zusammengeführt werden. Somit hat man es hier weniger mit einer wirklichen als vielmehr mit einer inszenierten Multioptionalität zu tun. Das folgende, wenn auch etwas polemische, Bild aus einem Fan-Forum verdeutlicht dies mit Bezug auf die The Walking Dead-Spiele von Telltale Games. Vgl. http://i.imgur.com/4S2ki.png (30.06.2018).

204Verkürzt ausgedrückt besteht die Erzähllogik des Narrativs, das diesen Romanen zugrunde liegt, aus einer Verkettung der folgenden Kardinalfunktionen: Eine junge, leidenschaftliche Frau lebt in einem idyllischen Mikrokosmos, heiratet einen sozial exponierten Herren und zieht an einen Ort, der ihren Präferenzen zutiefst widerspricht und versucht der hierdurch hervorgerufenen Langeweile durch (außereheliche) Eskapaden zu entfliehen. Der Enttarnung dieser Eskapaden folgen die soziale Ächtung und schließlich der (Frei-)Tod. Die Erzähllogik zeichnet sich dadurch besonders aus, dass sie Handlungsbeginn und Handlungsende immer durch eine nahezu identische prozessual-prozedurale Abfolge von Kardinalfunktionen miteinander verbindet.

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Allgemeinen beziehen wie auf ein bestimmtes. Verkompliziert wird die Bestimmung der Narrativität durch die zahlreichen narratologischen Konzepte, die ihr ähnlich sind. Abbott nennt hier exemplarisch: „»narrativeness« (used colloquially above), »narrativehood,«

»narratibility,« »tellability,« »eventfulness,« »emplotment,« and »narrative«“. (ebd.) Gemein ist den meisten dieser Begriffe, und hierdurch kommt man dem Kern der Sache näher, dass sie Eigenschaften bezeichnen.205 So stellt auch Abbott fest, dass Narrativität eine „variable quality“ sei. (ebd.) Narrativität ist aber nicht nur eine Qualität, eine Eigenschaft, sondern ist in ihrer Gestalt variabel oder graduell, d.h. etwas (bspw. ein Medium) kann mehr oder weniger narrativ sein.206 (vgl. dazu auch WOLF 2002 sowie RYAN 2001a) Wenn Narrativität aber eine

„graduationsfähige Eigenschaft“ von Objekten ist, dann stellt sich die Frage, was die Narrativität ausmacht. (MÜLLER 2014, 26)

Eine entscheidende Begriffsschärfung hat diesbezüglich Gerald Prince geleistet, indem er die Narrativität in zwei Bereiche aufteilt: „narrativehood“ und „narrativeness“. (PRINCE

2008, 20; Herv.i.O.) Unter narrativehood versteht er alle Entitäten, „which […] constitute narratives“, wohingegen narrativeness keine Objekte bezeichnet, sondern qualitative Eigenschaften von Narrativen. (ebd.) Prince spaltet damit die Narrativität extensional (narrativehood) und intensional (narrativeness) auf. Dies geschieht vor dem Hintergrund der Modifikation seiner eingangs zitierten Narrativdefinition: „[A]n object is a narrative if it is taken to be the logically consistent representation of at least two asynchronous events that do not presuppose or imply each other“. (ebd., 19) Die zeitliche Sequenzialität ist einer (erzähl-)logischen Konsistenz der Darstellung gewichen. Hierdurch hebt Prince das dominante Paradigma der syntagmatischen Gestaltung von Narrativen hervor – die Erzähllogik. Nicht anhand einer zeitlichen Abfolge werden Narrative konstruiert, sondern anhand einer erzähllogischen Aneinanderreihung. Die Narrativbestimmung, als eine Art Minimaldefinition, dient dabei der graduellen Bestimmung von Narrativität (narrativeness). Je nachdem wie viele Kriterien der gegebenen Narrativdefinition bei einem Objekt erfüllt werden und je nachdem wie diese gewichtet sind, unterscheidet sich der Grad an Narrativität zwischen diesen

205 Anders wird die Narrativität u.a. bei Shlomith Rimmon-Kenan definiert, die hiermit „an immanent story structure“ meint. RIMMON-KENAN (1983), 7.

206Diese graduellen Abweichungen der Narrativität lassen sich an verschiedenen Faktoren festmachen, die die Figuren, die Welt und die Struktur betreffen. Bei einer geringen narrativen Ausprägung eines Mediums kann bspw. eine dominante erzählende Instanz fehlen, die Figuren sowie die Welt sind kaum oder gar nicht narrativ aufgeladen bzw. funktionalisiert und es existiert auch kein Narrativ, zumindest kein umfassendes, das die Grundstruktur des Mediums (mit-)organisiert. Unter Berücksichtigung der genannten Faktoren ist Pokémon (1996 ff.) ein digitales Spiel mit sehr schwacher narrativer Ausprägung, da narrative Elemente hier lediglich eine Art Rahmung bieten, wohingegen ein digitales Spiel wie The Walking Dead weder ästhetisch noch ontologisch ohne Narrativität denkbar ist.

126 Objekten. In diesem Sinne ist es möglich, zwischen Narrativen, Fast-Narrativen oder Nicht-Narrativen zu unterscheiden und auch innerhalb dieser zwischen Objekten unterschiedliche Grade an Narrativität bestimmen zu können.207 (vgl. ebd., 21 f.)

Die vorliegende Arbeit verwendet den Narrativitätsbegriff im Folgenden (vornehmlich) als narrativeness nach Gerald Prince, auch wenn sich – wie weiter unten ersichtlich wird – die Narrativdefinitionen unterscheiden sowie sich die extensionalen Aspekte der Narrativität nicht immer ausblenden lassen. Von zentraler Wichtigkeit für die Bestimmung der Narrativität eines Objektes ist allerdings nicht nur das Narrativ, sondern, und hierin gleichen sich das

‚interaktive‘ und das ‚narrative‘ Begriffsfeld, auch die Narration. Versteht man die Narrativität (wie die Interaktivität) als Eigenschaft, Qualität oder Potenzial, dann kann man die Narration (analog zur Interaktion) als einen Prozess bezeichnen. So versteht Gerald Prince unter der Narration den „act of […] narrating“, Shlomith Rimmon-Kenan den „act or process of production“ und Gérard Genette den „produzierenden narrativen Akt“. (PRINCE 1982, 7;

RIMMON-KENAN 1983, 3 sowie GENETTE 1994, 16) Die Narration ist dementsprechend gefasst der Prozess der Hervorbringung, oder genauer, der Realisierung eines Narrativs als Plot oder Story. Im Akt der Narration wird also eine Vermittlungsleistung erbracht, bei welcher die angelegte Struktur des Narrativs spezifisch konkretisiert wird. Dies kann nur gelingen, weil auch die Narration ein kommunikativer Akt ist, der die Kommunikation zwischen Sender und Empfänger ermöglicht. (vgl. dazu BARTHES 1988, 125 ff.) Allerdings ist die Wechselseitigkeit dieser Kommunikation deutlich schwächer als bei der Interaktion und auch der Handlungscharakter, in einem performativen Sinne, ist qualitativ nicht vergleichbar.

Fassen wir die bisherigen Ausführungen kurz zusammen: Narrativität ist eine intensionale Eigenschaft, die sich einerseits auf Objekte oder Phänomene im Allgemeinen und andererseits im Besonderen beziehen kann. Im letzteren Fall sind graduelle Einordnungen der Narrativität (durch vergleichende Betrachtungen) möglich. Bestimmt werden kann der Grad der Narrativität einer betreffenden Entität durch das ihr zugrundeliegende Narrativ und die Narrationen, die es erzeugen kann. Die Narration ist der Prozess der Realisierung eines Narrativs als potenziellem Objekt in einer konkreten Gestalt als Plot oder Story.208

207 So unterscheidet z.B. Werner Wolf zwischen ‚genuin narrativ verwendbaren‘, ‚narrationsinduzierenden‘ und

‚quasi-narrativ verwendbaren Medien‘. Vgl. WOLF (2002), 96 sowie WOLF (2003f).

208 Wenn man Story und Plot als Realisierung eines Narrativs durch eine Narration betrachtet, dann ist es möglich, zu erklären, warum ein Narrativ wie die Detektivgeschichte auf unzählige verschiedene Weisen realisiert werden kann. Man denke bspw. an die diversen Sherlock Holmes-Fernsehadaptionen in den letzten Jahren wie Sherlock (2010 ff.), Elementary (2012 ff.), Dr. House (2004–2012) oder Forever (2014–2015), die

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