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Interaktivität und Interaktion – eine erste Annäherung

Im Dokument Zwischen Interaktion und Narration: (Seite 94-97)

‚interaktiven‘ Begriffsfeld

2.3.1 Interaktivität und Interaktion – eine erste Annäherung

Wenn es um die Definition der Interaktivität geht, dann hat es ein Zitat Sheizaf Rafa elis zu immenser Popularität gebracht.162

Interactivity is a widely used term with an intuitive appeal, but it is an underdefined concept. As a way of thinking about communication, it has high face validity, but only narrowly based explication, little consensus on meaning, and only recently emerging empirical verification of actual role. (RAFAELI 1988, 110)

Rafaeli konstatiert bereits Ende der 1980er Jahre die Diskrepanz zwischen der ubiquitären Verwendung des Begriffs aufgrund seiner (vermeintlichen) intuitiven und daher intersubjektiven Nachvollziehbarkeit und seiner gering ausgeprägten Fundierung als theoretisches Konzept. Dass Rafaeli zu einem Klassiker der Interaktivitätsforschung wurde, hat aber nicht nur mit seiner Feststellung zu tun, sondern auch mit einer Festsetzung. Nach Rafaeli gibt es nämlich drei Level der Interaktivität: Die Zwei-Weg-Kommunikation (1), die

„reactive“ also quasi-interaktive Kommunikation (2) und die „full interactivity“ oder

„responsiveness“ (3). (ebd., 119) Er unterscheidet also die bidirektionale Kommunikation zwischen gleichberechtigten Interaktionspartnern von der reaktiven Interaktivität, bei der ein

162 Zur Problematik der Definition von Interaktivität bzw. Interaktion vgl. auch DOWNES/MCMILLAN (2000) sowie MAGENHEIM (2008).

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gewisses Gefälle zwischen den Interagierenden vorherrscht. Zudem gibt es mit der

„responsiveness“ ein Konzept vollkommenerer Interaktivität. Jedoch muss man zwei Dinge einwenden, trotz des Mehrwertes der dargebotenen Unterscheidungen. Denn erstens sind die drei Level der Interaktivität nicht detailliert ausgearbeitet, sondern eher angedeutet und zweitens verschwimmen bei Rafaeli die Grenzen zwischen Interaktivität und Interaktion, wenn er Interaktivität als Kommunikation betrachtet.

Christoph Neuberger führt hierzu an: „Ausgeblendet wird dabei die Unterscheidung zwischen dem technischen Potenzial eines Mediums und seinem tatsächlichen Gebrauch, d.h.

zwischen Interaktivität (=Potenzial) und Interaktion (=Prozess).“ (NEUBERGER 2007, 35 f.) Noch klarer wird dies im Fortgang seiner Ausführungen: „»Interaktivität« ist das Potenzial eines technischen Einzelmediums oder einer Kommunikationssituation, das interaktive Kommunikation begünstigt, also den Prozess der Interaktion“. (ebd., 43 f.) Jene Unterscheidung zwischen Interaktivität und Interaktion findet sich auch bei Lori Landay wieder: „Interactivity is the potential for, or phenomenon of, interaction; interactivity can be a property of an artifact, a perception, or an experience. Interaction is an action that occurs as two or more participants exchange information (people, artifacts, materials, or ma chines) that has a reciprocal effect on each other.“ (LANDAY 2014, 173; Herv.i.O.) Es bietet sich also mit Bezug auf Neuberger und Landay an, zwischen der Eigenschaft von Medien und Phänomenen interaktiv zu sein (Interaktivität) und der konkreten Nutzung dieser potenziellen Eigenschaft (Interaktion) zu differenzieren.163 Dies bedeutet aber auch, dass der Interaktivitätsbegriff über den Interaktionsbegriff bestimmt wird und es somit von signifikanter Bedeutung ist, diesen zu klären.

In diesem Kontext haben es v.a. zwei Aufsätze zu erheblichem Einfluss gebracht, sind sogar international rezipiert worden – die Rede ist von Lutz Goertz und Michael Jäckels Aufsätzen in Rundfunk und Fernsehen von 1995. Beiden geht es darum, Interaktion und Interaktivität als Konzepte, die in der Kommunikationswissenschaft applizierbar sind, zu konkretisieren, wobei sich beide auf das soziologische Verständnis des ‚interaktiven‘

Begriffsfeldes stützen. So hebt Goertz hervor, dass es sich bei einer Interaktion um eine

„Wechselbeziehung“ bzw. um „Beziehungen zwischen zwei oder mehreren Menschen“

163 Einen Vorschlag, der diese Unterscheidung bewusst unterlässt, unterbreiten QUIRING/SCHWEIGER (2006), wenn sie, um sich deutlich vom soziologischen Interaktionsbegriff abzugrenzen, den Interaktivitätsbegriff dazu verwenden, um interaktive Beziehungen zwischen Nutzern und System bzw. zwischen Nutzern mit Unterstützung elektronischer Systeme zu bezeichnen. Somit betrachten sie Interaktivität nicht als Eigenschaft, sondern als den Austauschprozess an sich. Vgl. dazu auch BRAUN-THÜRMANN (2002), 117.

96 handele. (GOERTZ 1995, 477 sowie 478; Herv.i.O.) Demzufolge ist Face-to-Face- oder Anwesenheitskommunikation das „Ideal der interaktiven Medien“. Das „interaktivste“

Medium ist demnach das, welches die „natürlichste Kommunikation“ ermöglicht. (ebd., 479) Das heutige Verständnis der »interaktiven Medien« enthält demnach sowohl das Interaktionskonzept der Soziologie (wechselseitig aufeinander bezogene menschliche Handlungen) als auch das der Informatik (Handlungen zwischen Mensch und Computer, die Handlungen zwischen Menschen ähneln). (ebd.)

Damit präzisiert Goertz die Interaktion auf zweierlei Weise: einerseits, indem er mit der Interaktion als Handlung eine zweite Kernkomponente der Interaktion im soziologischen Sinne anführt und indem er zweitens (wie fast alle kommunikationswissenschaftlichen Arbeiten der jüngeren Vergangenheit), die Interaktion aus informatischer Sicht mit in den Blick nimmt. Der Übertrag des soziologischen Terminus in den Bereich der Informatik beruht auf der beschriebenen Ähnlichkeitsbeziehung zwischen der Interaktion zwischen Menschen zum einen sowie zwischen Mensch und Maschine zum anderen. Die Maschine ist hierbei zugleich Interaktionspartner und die Interaktion ermöglichendes Medium. (vgl. ebd.) Goertz plädiert dafür, dass man zur Beurteilung der Interaktivität, welche er als graduelle164 Eigenschaft betrachtet, eines Mediums nicht die „tatsächliche[] Nutzung“ ansehen sollte, sondern die „technischen Gegebenheiten“. (ebd., 485) Hiermit rekurriert er avant la lettre auf Neubergers Unterscheidung zwischen Interaktion als konkreter Nutzung und der Interaktivität als potenzieller Möglichkeit.

Das Grundmodell, an dem sich der soziologische Interaktionsbegriff orientiert, ist die Beziehung zwischen zwei oder mehr Personen, die sich in ihrem Verhalten aneinander orientieren und sich gegenseitig wahrnehmen können.

Erst der Symbolische Interaktionismus […] legte Wert auf die Feststellung, daß Interaktionen aus den wechselseitigen Orientierungen der Interaktionspartner resultieren.

Wenn Interaktion stattfindet, findet immer auch Kommunikation statt. Kommunikation kann auch ohne Interaktion stattfinden. (JÄCKEL 1995, 463; 464 sowie 467)

Michael Jäckel betont damit, dass Interaktionen Beziehungen zwischen mehreren Akteuren sind, die sich gegenseitig wahrnehmen können, d.h., die sich gleichzeitig an einem Ort befinden, die sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, also Anwesenheitskommunikation im engsten Sinne des Wortes betreiben. Dies erinnert unmittelbar an Max Webers Definition des ‚sozialen Handelns‘. „»Soziales« Handeln aber

164Man kann, nach Goertz, den Interaktivitätsgrad von Medien demnach auf einer Skala (kaum interaktiv bis sehr interaktiv) verorten. Gering interaktive Medien sind Bücher oder Filme, sehr interaktive Medien sind digitale Spiele oder Neue Medien im Allgemeinen. Vgl. dazu GOERTZ (1995), 481 sowie QUIRING/SCHWEIGER

(2006), 21.

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soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.“

(WEBER 1984, 19; Herv.i.O.) Dementsprechend klärt sich die Art der Beziehungen zwischen Akteuren, die Interaktionen erzeugen; es sind wechselseitige Handlungen, die sich mit Blick auf die Gemeinschaft, in deren Kontext interagiert wird, konstituieren. Erweitert man dies um Jürgen Habermas Konzept des ‚kommunikativen Handelns‘, dann gelangt man zu einer abschließenden Profilierung der Interaktion in der Soziologie. „Der Begriff des kommunikativen Handelns schließlich bezieht sich auf die Interaktion von mindestens zwei sprach- und handlungsfähigen Subjekten, die (sei es mit verbalen oder extraverbalen Mitteln) eine interpersonale Beziehung eingehen.“ (HABERMAS 1981, 128) Damit kommt der Sprache eine fundamentale Bedeutung für Interaktionen zu. „Der Begriff des kommunikativen Handelns setzt Sprache als Medium einer Art von Verständigungsprozessen voraus“. (ebd., 148) Dabei darf man das Sprechen aber nicht als die Handlung selbst betrachten, denn

„kommunikatives Handeln bezeichnet einen Typus von Interaktionen, die durch Sprechhandlungen koordiniert werden, nicht mit ihnen zusammenfallen.“ (ebd., 151) Somit bildet die Sprache auch im Fall der Anwesenheitskommunikation das Medium, über das Interaktionen erst ablaufen können. Vor dem Hintergrund eines derart offenen Medienverständnisses ist also letztlich jede Interaktion medial vermittelt.

Zusammenfassend lassen sich Interaktion und Interaktivität wie folgt definieren:

Interaktionen sind wechselseitige, kommunikative (via Medien vermittelte) Handlungen zwischen ‚anwesenden‘ Akteuren. Entscheidend ist hierbei die kognitive wie handlungsautonome Gleichberechtigung zwischen den Interaktionspartnern. Die Interaktivität bezeichnet das (graduationsfähige) Potenzial von Medien und Phänomenen, diese Interaktionen zu gewährleisten.

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