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Die Makroperspektive

Im Dokument Zwischen Interaktion und Narration: (Seite 147-150)

‚narrativen Begriffsfeld‘

2.5 Profilierung des Kontinuumsmodells

2.5.1 Die Attributebene

2.5.1.1. Die Makroperspektive

In der Makroperspektive lassen sich Phänomene237 und Medien auf dem Kontinuum verorten (siehe Abbildung 5). An den beiden Polen als Punkte, die sich der Interaktivität-Narrativität entziehen, findet man auf der interaktiven Seite Gesellschafts- oder Sportspiele und auf der narrativen Seite genuin narrative Medien wie den Roman oder den (Spiel-)Film.

Als interaktive Phänomene/Medien stechen bspw. Hypertext und Pen-&-Paper-Rollenspiel hervor, wobei die Interaktivität von Hypertexten stärker ausgeprägt ist als die der Pen-&-Paper-Rollenspiele. Dies liegt letztlich daran, dass sich letztere kaum ohne narrative Elemente realisieren lassen, wohingegen erstere nicht zwangsläufig medial narrativ sein müssen. Man denke an diverse Hypertextsysteme im Internet, deren Knoten keine narrativen Funktionen erfüllen oder narrative Charakteristika aufweisen. Zudem ist auch die Verknüpfung der Knoten via Kanten nicht narrativ motiviert.

Abb. 5: Makroperspektive

237Im Folgenden werden hierunter Erscheinungen verstanden, bei denen das Erleben der Entität gar nicht oder kaum an ein physisches Artefakt gebunden ist. Im Gegensatz dazu ist das Erleben eines Mediums weitaus stärker vom Medium oder dessen Medienträger abhängig. Von analytischem Belang ist diese Differenz deshalb, weil gerade im Zuge von Hybridisierungen beide zuweilen miteinander verschmelzen können und sie andernfalls weder in ihrer Reinform noch als Hybride untersuchbar wären. Dies verdeutlicht das digitale Spiel als Medium, das u.a. aus dem Phänomen Spiel entsteht. Zudem lassen sich somit zusätzliche Perspektiven und Erklärungsansätze für die Rolle des performativen Erlebens während der Rezeption digitaler Medien gewinnen und hierdurch der Wandel der Medienkultur besser verstehen, den digitale Medien induzieren.

148 Anders sieht dies beim Enhanced E-Book aus, welches zwar auch zur deskriptiven Informationsvermittlung eingesetzt werden kann, somit eher didaktisch-kommunikative238 Interessen verfolgt, in den meisten Fällen aber als fiktionales Medium auftritt, das transmediale Erzählverfahren durch seine mediale Hybridisierung einsetzt, indem es mehrere Medien remedialisiert. Die Form der Interaktivität-Narrativität ist in diesem Fall narrativ.

Digitale Spiele sind unter den gegenwärtigen populären digitalen Medien (avantgardistische Spielarten interaktiver Medienkunst ausgenommen) diejenigen mit der stärksten interaktiv-narrativen Ausprägung, weshalb sie als interaktiv-narrativ zu bezeichnen sind. Durch diese intensive Ausprägung der Interaktivität-Narrativität eignen sich digitale Spiele besonders als Untersuchungsgegenstand für die geplante Analyse.

Bereits diese exemplarische Darstellung aus der Makroperspektive lässt einige Schlüsse in Bezug auf die Interaktivität-Narrativität zu. So kann man tendenziell sagen, dass sich eine interaktive Interaktivität-Narrativität eher bei Phänomenen finden lässt als bei Medien, wohingegen narrative Interaktivität-Narrativität anscheinend eher bei Medien nachweisbar ist.239 Freilich müsste man derartige Thesen mit konkreten empirischen Untersuchungen belegen, jedoch können sie schon in dieser Form einige interessante Ansätze bieten. Wenn man die angestellte Überlegung als stichhaltig erachtet, so ergibt sich hieraus im interaktiv-narrativen Hybridraum eine interessante Schlussfolgerung. Wenn Phänomene primär im Bereich interaktiver und Medien hauptsächlich im Bereich narrativer Interaktivität-Narrativität zu finden sind, dann liegt die Vermutung nahe, dass im interaktiv-narrativen Hybridbereich eine Vermengung von Medium und Phänomen vorherrscht, d.h. beide im digitalen Spiel zunehmend verschwimmen. Und tatsächlich gibt es hierfür einige plausible Gründe, da ein Spiel an sich zwar meistens ein Phänomen in dem oben skizzierten Sinne ist,240 welches aber als digitales Spiel zum Medium wird, das an einen elektronischen Medienträger gebunden ist. Die technologischen Rahmenbedingungen dieses Medienträgers

238Nicht zuletzt aus diesem Grund finden Enhanced E-Books zunehmend Verwendung in der Schule, wobei Fragen der ‚digitalen Literarizität‘ ebenso im Fokus stehen wie der Vergleich mit dem printbezogenen Lesen.

Vgl. dazu die von Stefanie LANGE (voraussichtlich 2018) am GRK 1787 „Literatur und Literaturvermittlung im Zeitalter der Digitalisierung“ an der Georg-Universität-Göttingen verfasste Dissertation Enhanced E-Books. Eine Untersuchung zum Leseprozess einer neuen Literaturform sowie MÜLLER (2017).

239Darüber kann auch nicht die Tatsache hinwegtäuschen, dass interaktiven Phänomenen ebenso Narrativität zugeschrieben wie genuin narrativen Medien Interaktivität vom Rezipienten unterstellt werden kann. Man denke einerseits an personale Narrationen und andererseits an konstruktivistisch-rezeptionsästhetische Ansätze in den Medienwissenschaften. In beiden Fällen handelt es sich aber um subjektive Interpretationsleistungen, die nur in sehr eingeschränktem Maße Rückschlüsse auf die konkrete Beschaffenheit der jeweiligen Entität zulassen.

240 Dies betrifft vornehmlich Spiele, die ganz ohne physisch fassbare Objekte auskommen wie bspw. der Wettlauf. So gefasst sind Spiele Phänomene, die interaktiv ausagiert und gemeinsam von allen Beteiligten erlebt werden, wobei (Regel-)Festsetzungen, Ergebnisevaluation und Ergebnisverkündung intersubjektiv psychisch wahrgenommen und verarbeitet werden.

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bieten dem digitalen Spiel einerseits eine definitive Form, wie sie für Medien kennzeichnend ist, zugleich ermöglichen sie aber vielgestaltige und vielfältige Operationen, die eigentlich für die Ambivalenz von Phänomenen charakteristisch sind.

Solche Hybridisierungen werden noch durch zwei weitere Faktoren unterstützt – interaktiv-narrative Polyvalenzen und strukturelle Äquivalenzen. Ersteres wurde bereits angesprochen und wird im Abschnitt zum Interaktiv-Narrativ detaillierter ausgeführt werden, sodass es an dieser Stelle ausgeklammert wird. Auf letzteres wird hingegen eingegangen.

Besonders deutlich zeigen sich die strukturellen Äquivalenzen in den beiden Übergangsbereichen, wenn die interaktive bzw. narrative Interaktivität-Narrativität an den Bereich der größten Hybridität stoßen. Phänomene und Medien, die in diesem Bereich zu verorten sind, weisen eine große Offenheit für den entgegengesetzten Pol auf, woraus sich eine Dreiteilung der Bereiche ergibt. So kann man bei der narrativen Interaktivität-Narrativität zwischen interaktionsoffenen, -neutralen und -abgewandten Formen narrativer Interaktivität-Narrativität sprechen. Die Affinität für die Gegenseite steigt mit zunehmender Nähe zum interaktiv-narrativen Bereich und nimmt mit geringer werdender Distanz zu den Polen ab.

Somit ergeben sich für den interaktiven Bereich des Kontinuums narrationsoffene, -neutrale und -abgewandte Formen interaktiver Interaktivität-Narrativität.

Zwei Beispiele sollen dies illustrieren. Nimmt man ein narrationsoffenes interaktives Phänomen wie das Pen-&-Paper-Rollenspiel, so stellt sich die Frage, worin sich die Narrationsoffenheit manifestiert bzw. welche strukturellen Äquivalenzen vorherrschen, damit eine Narrationsoffenheit gegeben ist. Selbstverständlich können nicht sämtliche Äquivalenzen angeführt werden, vielmehr soll ein Aspekt herausgegriffen werden, der für diese Spiele typisch ist – der Game Master. Dieser erfüllt nur auf den ersten Blick die Aufgaben eines gewöhnlichen Spielleiters. Es trifft zwar zu, dass eine wichtige Aufgabe des Game Master s darin besteht, Verstöße aller Art zu sanktionieren, entscheidender ist aber sein Wirken als koordinierende Instanz der Narration. Pen-&-Paper-Rollenspiele wie Dungeons & Dragons stellen eine bemerkenswerte Hybridisierung medialer und personaler Narrationen dar, da sie zum einen auf bestimmten Narrativen beruhen, deren konkrete Umsetzungen im Spielverlauf aber zum anderen von den Aktionen der Spieler abhängen.241 Es ist die Aufgabe des Game Masters, spielerische Handlungen und deren Folgen für die Spielwelt, den Plot und die

241 Eine konzise aber sehr informative Erklärung von Dungeons & Dragons im Besonderen sowie

Pen-&-Paper-Rollenspielen im Allgemeinen bietet das folgende Video von ORKENSPALTER TV https://www.youtube.com/watch?v=H_zLvsvghXc (30.06.2018).

150 Figuren in Einklang zu bringen. Dementsprechend wird er – neben seiner Funktion als Spielleiter – zur maßgeblichen Instanz, die die narrative Ordnung erhält, indem er die Kohärenz des Plots bewahrt. Anders gesagt: Der Game Master übernimmt partiell und temporär Funktionen, die in narrativen Medien mit dem Erzähler (sofern vorhanden) bzw. der narrativen Instanz verbunden werden. Durch diese strukturelle Äquivalenz ‚öffnen‘ sich Spiele wie Dungeons & Dragons für den narrativen Bereich des Kontinuums.

Betrachtet man mit dem Enhanced E-Book ein interaktionsoffenes narratives Medium, so offenbaren sich auch hier strukturelle Äquivalenzen. Exemplarisch sei auf die Multioptionalität des Rezipienten verwiesen. Liest man einen Roman (als Kodex) oder sieht einen Spielfilm, so hat man stets nur zwei Optionen – man kann rezipieren oder man kann die Rezeption abbrechen, indem man das Buch beiseitelegt oder den Film abschaltet bzw. den Kinosaal verlässt. Man kann aber nicht bestimmen, was, wann, wie erzählt wird. Beim Enhanced E-Book jedoch hat der Rezipient diese Optionen, wenn er sich bspw. entscheidet, ob er sich ein integriertes Video ansieht oder nicht oder es nur teilweise rezipiert. Es besteht also eine Vielzahl an Handlungsmöglichkeiten, die eigentlich kennzeichnend für die Multioptionalität von Spielen ist. Mit Brenda LAUREL (1993) gesprochen kann man auch sagen, dass die Interaktivität des Enhanced E-Books eine höhere Frequenz, Reichweite und Signifikanz aufweist als die anderen beiden medialen (narrativen) Rezeptionssituationen.

Hierdurch erhalten Enhanced E-Books eine Interaktionsoffenheit, die für die Interaktivität-Narrativität förderlich ist.

Im Dokument Zwischen Interaktion und Narration: (Seite 147-150)