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Der interaktiv-narrative Spielertyp

Im Dokument Zwischen Interaktion und Narration: (Seite 186-190)

‚narrativen Begriffsfeld‘

2.5 Profilierung des Kontinuumsmodells

2.5.3 Die Realisierungsebene

2.5.3.3 Der interaktiv-narrative Spielertyp

Dieser Spielertyp ist am schwierigsten zu identifizieren, da er Eigenschaften der beiden anderen Spielertypen aufgrund der Tatsache in sich vereint, dass er nach einem Maximum an Interaktivität-Narrativität sucht und auch bestrebt ist, diese interaktiv-narrativ zu realisieren.

Im Hinblick auf Figuren, Spielwelt und Strukturen interessieren ihn gerade deren Polyvalenz und die sich hieraus ergebende Hybridität. Am einfachsten kann man ihn diskursiv bestimmen, indem man seine Spielbiografie aus der Mesoperspektive der Attributebene betrachtet. Hierbei ist entscheidend, zu ermitteln, welche interaktiv-narrativen digitalen

295Wie gut diese Emotionalisierung gelingen kann, lässt sich an einem Beispiel aus Final Fantasy VII (1997) bzw. den Reaktionen der Fans hierauf illustrieren. In einer Sequenz tötet der Antagonist Sephiroth nämlich den NPC Aeris. Auf diversen Plattformen im Internet wird rasch ersichtlich, dass dieses Ereignis einer der emotionalsten Momente, zumindest für die vielen affizierten Fans der Reihe, der gesamten digitalen Spielgeschichte war. Vgl. dazu CHANDLER (2009), 14. Die Äußerungen über die ‚Tat‘ Sephiroths sind sehr stark emotional bestimmt, was sich sprachlich und textuell niederschlägt. Ein wesentlicher Grund dafür, dass diese Sequenz bis heute so emotional von Fanseite aus bewertet wird, liegt in den Figurenkonzeptionen der beiden beteiligten NPCs und deren Position im konstellativen Gesamtbild. Aeris wird, gemäß dem mythologischen Narrativ, als unzweifelhaft ‚gute‘ Figur dargestellt, die sich um andere sorgt und auch unter Gefährdung ihres eigenen Lebens nicht davon abbringen lässt, sich Sephiroths Plänen entgegenzustellen. Sephiroth hingegen erscheint als das personifizierte Böse, das das Schicksal der gesamten Welt Gaia aufs Spiel setzt, um seine egoistischen Plänen skrupellos umzusetzen. Zusätzlich wird dieses Szenario noch dadurch emotional aufgeladen, dass Sephiroth die wehrlose Aeris hinterrücks ersticht, als diese betet bzw. einen Zauber bewirkt. In den letzten Jahren und mit zunehmendem Abstand zum Veröffentlichungsjahr des Spieles gestalten sich die Diskussionen über die Sequenz aber differenzierter, sodass sich Sephiroths ‚Handlung‘ und der Fandiskurs hierüber mittlerweile neutraler und objektiver gestalten. Vgl. hierzu exemplarisch http://forums.qhimm.com/index.php?topic=10706.0 (30.06.2018). Andere Strömungen der Fankultur des Spiels invertieren das Verhältnis zwischen Aeris und Sephiroth und kreieren Fanfiction, in welcher es um Liebesbeziehungen zwischen Aeris und Sephiroth geht. Vgl. dazu exemplarisch https://www.fanfiction.net/community/Aeris-x-Sephiroth-Love/5966/ (30.06.2018).

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Spielgenres er bevorzugt. Häufig neigen Spieler dieses Typus bspw. dazu, Genres wie Action-Adventure oder RPG zu spielen, die per se stark interaktiv-narrativ ausgeprägt sind. Diese Spiele werden für ihn zunehmend interessanter, wenn sie auch noch einem interaktiv-narrativen Designparadigma folgen.296

Ein Negativbeispiel, das die Präferenzen dieses Spielertyps gut verdeutlicht, ist Beyond:

Two Souls, das – ebenso wie andere digitale Spiele von David Cage – von Spielern (ob professionelle Spielekritiker oder nicht) häufig als zu ‚filmisch‘ eingestuft wird. (vgl.

LETOURNEUR 2016) In diesem Fall bewerten Spieler die narrative Ausgestaltung des Spiels als zu hoch und damit negativ, da sie es für ein (interaktiv-narratives) Spiel für unangemessen halten. Interessant ist dies unter dem Aspekt, dass Beyond: Two Souls auch als Action-Adventure anzusehen ist, somit einem Genre zugerechnet werden kann, dessen Interaktivität-Narrativität eigentlich sehr stark hybrid ist. Jedoch, und das macht Beyond: Two Souls auch zu einem Interaktiven Film, folgt dieses Spiel einem (für ein Action-Adventure ungewöhnlich) narrativen Designparadigma. Jenes Designparadigma wird tendenziell von Spielern kritisch betrachtet, die dem interaktiven oder dem interaktiv-narrativen Spielertyp zu zuordnen sind. Für die Einordnung in den letzteren Typus spricht die Tatsache, dass interaktive Spielertypen eher seltener Action-Adventure spielen und wenn, dann in der Regel nur solche, die einem interaktivem Designparadigma folgen und sich hierdurch ihren ludischen Präferenzen annähern.

Was dieses Beispiel nochmals unterstreicht, ist, dass eine Einteilung in die drei Spielertypen mediensoziologisch nicht nur mit Einbezug konkreter Interaktion-Narrationen möglich wird, sondern dass darüber hinaus auch Spielertypenbestimmungen anhand des transmedialen Mediennutzungsverhaltens und von Fanaktivitäten im Internet und an vergleichbaren Orten, an denen sich die Community zeigt wie konstituiert, möglich sind.

Konkret lassen sich die Spielertypen, abgesehen von einigen generelleren Merkmalen, aber nur in Analysen konkreter Interaktion-Narrationen (oder Äußerungen) bestimmen. Dennoch sollte man sich davor hüten, (wie oben bereits betont) die dargebotenen Spielertypen als absolut zu betrachten. Stattdessen scheint es ratsam, sie als Tendenz zu verstehen, d.h. dass ein Spieler primär einem Typ zugeordnet werden kann, was aber nicht bedeutet, dass sein

296 Stichprobenartige Tests legen die Vermutung nahe, dass die Akkumulationen von Genrepräferenzen bei diesem Spielertyp nicht so stark bzw. eindeutig ausfallen wie bei den digitalen Spielbiografien der Spieler der beiden anderen Typen, auch wenn breit angelegte empirisch-quantitative Studien hierzu freilich noch ausstehen.

So spielen Spieler des interaktiv-narrativen Typs tendenziell einerseits digitale Spiele vieler verschiedener Genres, wobei diese Genres andererseits aus allen drei Bereichen des interaktiv-narrativen Kontinuums stammen können.

188 Mediennutzungsverhalten in Bezug auf digitale Spiele vollkommen homogen im Sinne der Spielertypologie sein muss.

Im Rahmen der stichprobenartigen Erhebungen ist bspw. ein Fall aufgetreten, der zur Vorsicht anhält.297 Besagter Proband ließ sich (anhand seiner Spielbiografie) primär dem narrativen Spielertyp zurechnen, da sich seine Mediennutzung digitaler Spiele hauptsächlich auf das Genre des Interaktiven Films bzw. von digitalen Spielen bezieht, die Elemente dieses Genres im Rahmen einer Genrehybridisierung stark integrieren. Interessanterweise ergab sich aber eine zweite Akkumulation im Bereich nicht-narrativer Mobile Games, welche für den narrativen Spielertyp eher untypisch ist. Diese Akkumulation lässt sich zwar teilweise dadurch erklären, dass die gespielten Mobile Games-Titel zu einer narrativen transmedialen Welt gehören, die das Mediennutzungsverhalten des Probanden bestimmt und seinen narrativen Präferenzen entspricht. Dies gilt aber nicht für alle digitalen Spiele dieser Akkumulation. Einerseits untermauert dieses Beispiel, dass die Spielertypen definitiv tendenziell verstanden werden sollten, andererseits eröffnet es aber zugleich den Weg für mediensoziologische Studien, die versuchen, die angedeuteten Unstimmigkeiten zu erklären, um möglicherweise Verbindungen aufzudecken, die bisher nicht offensichtlich sind.298

In diesem Zusammenhang kann es dann auch lohnenswert sein, Sandbox-Games299 wie GTA V (2013) zu analysieren. Wie viele Sandbox-Games folgt GTA V einem interaktiven Designparadigma, das sich im Figuren-, Welt- und Strukturdesign niederschlägt. Die mediale Narrativität von GTA V ist eher schwach ausgeprägt, da narrative Cutscenes verhältnismäßig

297 An dieser Stelle sollte kurz ausgeführt werden, warum die stichprobenartigen Erhebungen nicht als konkrete

Belege angeführt werden. Ursächlich sind hierfür zwei Faktoren, die ich kurz darlegen möchte. Erstens entstanden diese Erhebungen als Testmethode, um zu eruieren, ob die aus allgemeinen Beobachtungen abgeleiteten typologischen Einordnungen stichhaltig sind. Dies bedeutet aber, dass sie nicht von Beginn an als empirischer Teil dieser Studie konzipiert wurden, sodass ihnen keine einheitliche Systematik der Erhebung zugrundeliegt. Die Auswahl der Erhehungsorte sowie der Probanden sind dementsprechend ebenso wenig einheitlich wie die gestellten Fragen und eingesetzten Erhebungsverfahren. Darüber hinaus gelten dieselben Probleme für die Dokumentation der so erhobenen Daten. Zweitens bedingt die Tatsache, dass eine derartige Erhebung nicht von Beginn an geplant war, auch forschungsethische Bedenken. Es lässt sich nicht in jedem Fall zweifelsfrei klären, gerade bei den Interviews, ob sich die Probanden darüber im Klaren waren, dass das Gesagte in meine Arbeit einfließen könnte. Diese beiden Gründe haben letztlich – trotz interessanter Einblicke – dazu geführt, dass die Ergebnisse dieser Erhebungen nicht unmittelbar in diese Arbeit eingeflossen sind.

298Darüber hinaus ist die Frage interessant, wie konstant Spielertypenzugehörigkeiten sind und unter welchen Bedingungen sie sich wandeln können. Einige Befragungen lassen nämlich den Schluss zu, dass sich der Spielertyp (aus einer historischen Perspektivierung heraus betrachtet) im Laufe der Zeit ändern kann. Sollten repräsentative Mediennutzungsstudien derartige Vermutungen untermauern können, so wäre es bspw. überaus interessant, zu ermitteln, welchen Einfluss soziale, kulturelle oder wirtschaftliche Faktoren in bestimmten Lebensabschnitten auf Spieler ausüben und sich in den angedeuteten Effekten niederschlagen.

299 Unter Sandbox-Games versteht man digitale Spiele, die dem Spieler eine hohe individuelle Agency zuweisen

und die von der Frequenz, Signifikanz und Bandbreite der Interaktionen her eine hohe Interaktivität aufweisen, wodurch sie gewissermaßen einen sehr großen Möglichkeitsraum kreieren.

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wenig Spielzeit einnehmen, der narrative Modus allgemein wenig profiliert ist und Figuren wie Welt kaum (außer in den Cutscenes) narrativ aufgeladen sind. Zudem ist die Erzählstruktur im Vergleich zur Quest- wie zur gesamten Spielstruktur deutlich schwächer angelegt. Gemäß den Konventionen des Sandbox-Games können Spieler die Spielwelt bzw.

den Spielraum mithilfe diverser Fortbewegungsvehikel (Autos, Boote, Flugzeuge, Motorräder etc.) oder zu Fuß erkunden, mit Waffen nahezu jeden NPC töten, Unternehmen erwerben und aufbauen, die drei Spielfiguren profilieren oder diverse Minigames spielen (Yoga, Tennis etc.). GTA V bietet hierdurch eine extreme Akkumulation von Genres, die Sandbox-Games ausmacht und sich mit Blick auf dieses konkrete Beispiel in einer Amalgamierung von Rennspiel, Shooter, Adventure, Aufbausimulation sowie Geschicklichkeitsspiel ausdrückt.

(vgl. dazu BEIL 2015, 52 ff.) Da GTA V aber auch viele narrative Rezeptionsangebote macht, lädt es, trotz schwächerer medialer Narrativität, zu personalen Narrationen ein. Insofern ist dieses Spiel, wie prinzipiell alle interaktiv-narrativen Sandbox-Games, potenziell für alle drei Spielertypen von Interesse. Dies offeriert mediensoziologischen Studien z.B. die Möglichkeit, Spieler beim Spielen dieser digitalen Spiele zu beobachten, um anhand ihres Spiel- bzw.

Nutzungsverhaltens Spielertypeneinordnungen vornehmen zu können.

Die Ausführungen zum Kontinuumsmodell werden v.a. in Kapitel 4 klarer werden, wenn es um die tatsächliche Applikation des Modells am Beispiel von Ocarina of Time geht.

Kapitel 3 leistet insofern einen Übergang zwischen den Kapiteln 2 und 4, als es einerseits das bereits Dargelegte am Mythos als Interaktiv-Narrativ in digitalen Spielen weiter expliziert, dies aber unter ausführlicher Bezugnahme und mit Hinblick auf Ocarina of Time tut, um die Funktionen des Interaktiv-Narrativs exemplifizieren zu können.

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