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Die Mikroperspektive

Im Dokument Zwischen Interaktion und Narration: (Seite 153-156)

‚narrativen Begriffsfeld‘

2.5 Profilierung des Kontinuumsmodells

2.5.1 Die Attributebene

2.5.1.3 Die Mikroperspektive

In der Mikroperspektive kann man verschiedene Vertreter eines Genres auf dem Kontinuum verorten. Wie beim Wechsel von der Makro- zur Mesoperspektive wird im Folgenden jenes Genre betrachtet, dessen Interaktivität-Narrativität am signifikantesten ausgeprägt ist – das Action-Adventure. Im Unterschied zum Hack & Slay, welches stärker interaktive Aspekte fokussiert, und dem RPG, das sich eher an narrativen Aspekten orientiert, ist die Balance zwischen Interaktivität und Narrativität in interaktiv-narrativen digitalen Spielen beim Action-Adventure am größten.243 Als Beispiel dienen im Folgenden Action-Adventures die bereits mehrfach exemplarisch hinzugezogen wurden (siehe Abbildung 7).

The Legend of Zelda ist das interaktivste dieser interaktiv-narrativen Action-Adventures, was nicht zuletzt daran liegt, dass es, im Vergleich zu den anderen, konsequent auf das Open-World-Prinzip setzt, wohingegen die anderen auf eine mehr oder weniger strikt lineare Levelstruktur vertrauen, die dem Spieler räumlich Grenzen setzt, die sich auf das Gameplay auswirken. Hierdurch lässt sich auch die hohe Interaktivität (mit Blick auf die Frequenz, Signifikanz und Bandbreite der Interaktionen) von The Legend of Zelda erklären, da es wesentlich mehr Paidia-Spiele gestattet, als die anderen Genrevertreter, welche keine so große Ausgewogenheit zwischen Ludus und Paidia anstreben. Was bei allen diesen Spielen aber auffällt, sind die Ähnlichkeiten zwischen den Narrativen. The Legend of Zelda verwendet ein mythologisches Narrativ, die Batman: Arkham-Reihe (2009 ff.) ein Detektivnarrativ244 und Uncharted sowie Tomb Raider ein Abenteuernarrativ. Beyond: Two Souls als Hybrid aus Action-Adventure und Interaktivem Film legt ein Narrativ zugrunde, das sehr nah beim mythologischen Narrativ bleibt (v.a. unter religiösen Gesichtspunkten), dieses aber aus dem Kontext der Weltenrettung löst und – gemäßer für die Postmoderne – den Aspekt der Selbstfindung der Protagonistin hervorhebt (auch wenn die Welt natürlich immer noch gerettet werden muss). Diese Aufzählung könnte man noch um ein Spiel wie The Last of Us (2013) erweitern, welches auf das in den letzten Jahren sehr populäre Narrativ der

243 So bemerkt etwa Julian Kücklich: „Auf der Mittelposition zwischen Narrativität und Interaktivität wäre dann

das Hybridgenre der Action-Adventures anzusiedeln, das sich durch die Gleichwertigkeit von momentanem Geschehen und Gesamthandlung auszeichnet.“ KÜCKLICH (2001), 31.

244 Ein anderes Beispiel hierfür ist L.A. Noire.

154 Zombieapokalypse245 rekurriert. Betrachtet man die Struktur des Narrativs sowie die Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen näher, so wird deutlich, dass all diese Narrative (Detektivnarrativ, Abenteuernarrativ, Zombieapokalypse, Selbstfindungsnarrativ246) Abwandlungen des mythologischen Narrativs sind. Auf je spezifische Weise übertragen sie Aspekte des mythologischen Narrativs in die Moderne.

Abb. 7: Mikroperspektive

245 Bemerkenswert ist hierbei, dass der Zombie als Aspekt des Voodoo eigentlich unmittelbar einem religiösen

Kontext entstammt und durch sein fortwährendes Umherirren in der immanenten Welt nach seinem Ableben zudem Thematiken berührt, die in sehr vielen Religionen nachweisbar sind. Dennoch, trotz seines religiösen Ursprungs, tritt eine zunehmende Säkularisation des Zombies bzw. seiner Entstehung durch naturwissenschaftliche Paradigmen ein. Ursprünglich Resultat eines Fluches geschieht die Zombiewerdung in gegenwärtigen populärkulturellen Adaptionen meistens, nicht nur im digitalen Spiel, durch eine virale Infektion und steht somit stellvertretend für die Säkularisierung von Inhalten historischer Religionen in großen Teilen der populären Medienkultur. Vgl. dazu Filme wie I Am Legend (2007). Was für den Zombie gilt, betrifft auch die Apokalypse. Einst waren Endzeitszenarien fester Bestandteil von mythologischen oder religiösen Eschatologien, sind aber spätestens seit Hiroshima und Nagasaki aus mythologisch-religiösen Sphären heraus- und in die naturwissenschaftlichen eingerückt worden. Wie der Zombie wurde auch die Apokalypse unter naturwissenschaftlichen Paradigmen säkularisiert. Vgl. dazu Filme wie 2012 – Das Ende der Welt (2009).

246Populäre Beispiele für dieses Narrativ sind in den letzten Jahren Filme wie Eine Nacht in Rom (2010) oder die Romanverfilmung Eat, Pray, Love (2010). Charakteristisch für dieses Narrativ sind Protagonisten, die von Krisen gebeutelt sind oder vor einer schwierigen Entscheidung stehen, diese aber nicht in ihrer Heimat lösen können, sondern dafür in die Welt ausziehen müssen. Die Reise ins Innere der Figur, die nach ihrer Identität, ihrem Platz in der Welt sucht, verknüpft sich hierbei mit einer Reise in ferne Länder, um in der Ferne sich selbst zu finden. Dabei offenbart dieses Narrativ zwar Ähnlichkeiten zum mythologischen Narrativ, diese verweisen aber eher auf eine ‚entfernte Verwandtschaft‘ zwischen beiden. So findet zu Handlungsbeginn meistens eine Störung des Gleichgewichts statt, diese hat aber keine kosmische Tragweite, sondern betrifft lediglich das innere Gleichgewicht der Figur und auch das Verlassen der gewohnten Welt geschieht nicht, um die Welt insgesamt zu retten, sondern dient der Suche nach dem eigenen Sein. Vor diesem Hintergrund sind die Orte der Reise auch keine gefahrvollen Schauplätze, sie sind Sehnsuchtsräume wie Italien.

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Das Detektivnarrativ urbanisiert den mythologischen Helden und versetzt ihn in die moderne Großstadt, für deren Hybris und Verkommenheit z.B. Gotham247 als Metapher steht.

Das Abenteuernarrativ profaniert die Reise des Helden, indem sowohl die Figuren als auch die gesamte Diegese ‚entzaubert‘ werden. Kaum ein Spiel macht dies so deutlich wie Uncharted, das in den ersten drei Teilen der Reihe stets mythologisch-religiöse Erwartungen weckt, Übernatürlichkeit als evident und unwiderlegbar erscheinen lässt, um es dann nur umso wirkungsvoller zu demaskieren, auf simple physikalische Tatsachen zurückzuführen und somit die Konventionen des mythologischen Narrativs stets aufs Neue zu unterlaufen, den Mythos zu dekonstruieren.248 Das Resultat einer Profanierung ist auch die Zombieapokalypse, die Zombies nicht länger als Opfer religiöser Repräsentanten, sondern als viral Erkrankte oder parasitär Befallene darstellt. Auch die Figurenkonstellation, die schier unüberschaubare Masse an Zombies, die meist wenigen Überlebenden gegenüberstehen, ist ein Reflex auf das Leben des Individuums in der Postmoderne, das im Zuge der Digitalisierung mehr und mehr zum Knoten in einem Netzwerk wird, auf das es immer weniger Einfluss ausüben kann, sodass die Frontstellung zwischen Individuum und gesichtslosem Kollektiv unausweichlich scheint. Und auch Narrative, wie man sie in Beyond: Two Souls findet, handeln hiervon. Jodie sucht nach sich selbst und nach ihrem Platz in der Welt, nach einem Ort, an den sie gehört.

Als kleines Mädchen wird Jodie nicht bloß wie der mythologische Held genötigt, die heile Welt und deren Ordnung zu verlassen, sie wird regelrecht deportiert, die Bindung zwischen Figur und Welt aufgelöst. Der mythologische Held weiß immer, dass er die Welt retten muss, hat somit ein Ziel, einen Orientierungspunkt, Jodie aber hat all dies nicht. Sie wird von einem Ort an den anderen gehetzt, die größeren schicksalhaften Zusammenhänge werden Figur und Spieler erst gänzlich durch eine auflösende Analepse am Handlungsende klar.

247Ursprünglich ein Spitzname für New York City erlangte Gotham City v.a. als fiktive US-Metropole durch DCs Batman-Comics ab den 1940er Jahren weltweite Bekanntheit. An den negativen Seiten seines realen Vorbildes orientiert kaprizierten sich die DC-Autoren zumeist auf die bedrohlichen und kriminellen Aspekte der Großstadt, die Batman und seine Mitstreiter fortan bekämpften.

248In Uncharted: Drakes Schicksal (2007) sucht Nathan Drake gemeinsam mit seinen Mitstreitern nach dem sagenhaften El Dorado, das aber keine Stadt aus Gold, sondern eine goldene Statue zu sein scheint. Umso näher sie ihrem Ziel kommen, umso gefährlicher werden die Hindernisse, auf die sie stoßen. So begegnen sie unter anderem ‚Gollum-artigen‘ Kreaturen, die ursprünglich Menschen waren. Gerade aber, als man ernsthaft zu glauben beginnen kann, dass von der Statue magische Kräfte ausgehen, erfährt man, dass die Goldstatue ein Sarkophag ist, in dem sich ein infizierter Leichnam befindet, der andere Menschen bei Kontakt mutieren lässt. In Uncharted 2: Among Thieves versuchen Drake und seine Verbündeten des magischen Cintamani-Steins habhaft zu werden, der sich in der legendären Stadt Shambala befinden soll. Auch hier steigern sich die Gefahren, umso näher sie ihrem Ziel kommen. So treffen sie auch hier auf eigenartige Wesen, die wie Yetis aussehen. Ebenso wie im ersten Teil, als der Spieler beginnt, Magie in Betracht zu ziehen, wird entdeckt, dass es sich auch hierbei um mutierte Menschen handelt. Diese haben vom Harz es Baumes des Lebens in Shambala gegessen, der ihre Körper dementsprechend veränderte. Uncharted 3: Drake’s Deception (2011) funktioniert nach demselben Prinzip, nur dass das Ziel dieses Mal die verschollen Stadt Iram ist.

156 Auch wenn all diese Narrative auf den ersten Blick sehr verschieden sein mögen, so sind sie doch Varianten des mythologischen Narrativs. (vgl. 3.2) Hierdurch lässt sich zum einen erahnen, welchen nachhaltigen Einfluss das mythologische Narrativ auf die gegenwärtige populäre Medienkultur immer noch hat und zum anderen wird deutlich, wie wandelbar und somit adaptierbar dieses Narrativ ist.249 Aus diesem Grund wird ihm auch derart viel Beachtung in dieser Arbeit geschenkt und aus diesem Grund wird auch The Legend of Zelda zum Untersuchungsgegenstand erhoben, da es im Kontext des Action-Adventures dem am nächsten kommt, was man vielleicht so etwas wie den Archetypus des mythologischen Narrativs nennen kann, wie ihn Joseph CAMPBELL in seinem Der Heros in tausend Gestalten (2011) herausstellen wollte.

Zieht man alle drei Perspektiven zusammen, die sich für die Analyse des Interaktivität-Narrativitätskontinuums ergeben, so wird zudem deutlich, wie unterschiedlich sich Interaktivität-Narrativität manifestieren kann. Hieraus kann man dann auch die Minimaldefinition der Interaktivität-Narrativität profilieren. Interaktivität-Narrativität liegt demnach vor, wenn Interaktivität und Narrativität in die Ontologie und Ästhetik eines Phänomens oder Mediums integriert werden und dies unabhängig davon, wie sich dies konkret ausgestaltet.

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