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Das interaktiv-narrative Strukturdesign

Im Dokument Zwischen Interaktion und Narration: (Seite 173-177)

‚narrativen Begriffsfeld‘

2.5 Profilierung des Kontinuumsmodells

2.5.2 Die Strukturebene

2.5.2.5 Das interaktiv-narrative Strukturdesign

Am aktuellen Exempel kann man auch die narrative Struktur von interaktiv-narrativen digitalen Spielen aufzeigen.275 Die ‚interaktiv-narrative Spielstruktur‘ eines interaktiv-narrativen digitalen Spiels besteht aus der Erzählstruktur auf der einen sowie der

274 Dialoge sind, und Methusas Beispiel zeigt dies, für interaktiv-narrative Spielwelten, besonders bei entsprechender räumlicher Ausdehnung, wichtig, um einerseits Informationen zu übermitteln und andererseits Orientierung und Navigation für Spieler zu bieten.

275 Zu narrativen Strukturen in digitalen Spielen vgl. IP (2011a sowie 2011b).

174 Quest-/Missionsstruktur auf der anderen Seite. Die Erzählstruktur ist dabei strukturell im Wesentlichen identisch mit dem grundlegenden Muster eines Narrativs in Form der Verkettung von Kardinalfunktionen, das dem betreffenden digitalen Spiel zugrunde liegt (freilich abgesehen von Modifikationen des Narrativs).276 Ocarina of Time beruht auf dem mythologischen Narrativ, das am Beispiel Christopher Voglers aufgezeigt werden soll.

Bekanntlich stellt dieses eine Abwandlung von Joseph Campbells Modell dar. Beschränken wir uns, um Kapitel 4 nicht zu weit vorzugreifen, lediglich auf die ersten fünf Stationen des Modells der Heldenreise bzw. die Kardinalfunktionen des mythologischen Narrativs:

Gewohnte Welt, Ruf des Abenteuers, Weigerung, Begegnung mit dem Mentor und Überschreiten der ersten Schwelle. (vgl. VOGLER 2010, 74) Was in Filmen wie George Lucasʼ Star Wars: Krieg der Sterne (1977), der selbst ein großer Anhänger von Joseph Campbell ist, gut ein Drittel der Handlung des Filmes ausmacht, wird in Ocarina of Time vergleichsweise schnell besorgt.

Link wird in seiner gewohnten Welt, Kokiri, eingeführt, wo ihn der Ruf des Abenteuers ereilt, als ihm (hier noch indirekt) die Aufgabe übertragen wird, gegen Ganondorf und dessen (finstere) Absichten zu kämpfen. Was fast gänzlich ausbleibt, ist die Weigerung Links, da er überraschenderweise sofort dazu bereit ist, Kokiri zu verlassen, um Hyrule (und damit auch Kokiri) vor dem Bösen, verkörpert durch Ganondorf, zu retten. Das Treffen mit Methusa stellt zugleich die erste Begegnung mit dem Mentor wie auch das Überschreiten der ersten Schwelle dar, indem die gewohnte Welt in Form des Mikrokosmos Kokiri als idealisierte Kindergesellschaft hinter Link liegt.

Die Queststruktur ist parallel zur Erzählstruktur des mythologischen Narrativs aufgebaut.

Nimmt man als erste narrative Funktion das Leben des Protagonisten in der gewohnten Welt und untersucht, was Spieler in diesem Spielabschnitt interaktiv machen können, so fällt auf, dass die narrative Darstellung der gewohnten Welt mit dem Tutorial einhergeht, dass narrative Exposition und Tutorial eng miteinander verbunden sind. Dies setzt sich auch im Spielverlauf fort, denn der Ruf des Abenteuers erreicht Link mit dem ersten Dungeon, dem Deku-Baum, und stellt somit auch die erste spielerische Prüfung dar. Und auch beim Überschreiten der ersten Schwelle findet ein Wechsel auf spielerischer Ebene statt, da der Spieler nicht nur

276 Im Unterschied zum Narrativ bezeichnet die Erzählstruktur aber lediglich die strukturell-snytagmatische Verkettung von narrativen Funktionen, umfasst also nicht wie das Narrativ auch bestimmte standardisierte Figuren oder eine bestimme Diegese.

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Links vertrauten Abschnitt der Diegese verlässt, sondern erstmals auch den paidianischen Spielraum be- und hierdurch vollends in den liminalen Zustand des Spielens eintritt.

Die Prozeduralität digitaler Spiele als prozessbestimmter Systeme verbindet Erzähl- und Queststruktur zur interaktiv-narrativen Spielstruktur. Am deutlichsten wird diese Strukturäquivalenz in der Parallelisierung von narrativen Funktionen und Einzelmissionen der Hauptmission. So ist es auch zu erklären, warum Storyline und mainquest in interaktiv-narrativen digitalen Spielen kaum voneinander zu trennen sind. Als verbindendes Element muss als Interaktiv-Narrativ stets ein Narrativ wie das mythologische wirken, das sich mit dem Interaktiv synchronisieren lässt. Insofern fungiert der Mythos (und seine modernen Abwandlungen) in vielen interaktiv-narrativen digitalen Spielen als verbindendes Element, das das Spiel auf der Strukturebene in vielerlei Hinsicht strukturiert. Die Symbiose kann man sich in Bezug auf die Spielstruktur im besten vorstellen, wenn man sie als ‚Doppelhelix‘

begreift. Legt man die Erzähl- und die Queststruktur (bildlich gesprochen) nebeneinander bzw. die strukturell äquivalenten narrativen Funktionen und Einzelmissionen, so lässt sich die Verwobenheit beider zur interaktiv-narrativen Spielstruktur metaphorisch ausdrücken, indem man sie wie eine Doppelhelix ineinander dreht.

Die Punkte, an denen sich die beiden Helices überschneiden, stellen dabei die Verbindung zwischen Erzähl- und Queststruktur dar und die Zwischenräume jenen Bereich, der die sich hieraus ergebenden (Handlungs-)Möglichkeiten umfasst. So kann man den Raum zwischen den Helices als Frei-, als Spielraum auffassen. Die Form der interaktiv-narrativen Spielstruktur als Doppelhelix lässt sich neben der Makro- auch auf der Mikroebene interaktiv-narrativer digitaler Spiele nachweisen. Denn das Spiel ist spielstrukturell im Großen wie im Kleinen als Doppelhelix aufgebaut. Die Einzelmissionen sind bspw. oft auf dieselbe Art verkettet wie die Spielstruktur (als Hauptmission) in Gänze.277 Bricht man Einzelmissionen, narratologisch betrachtet, auf ihre basalen narrativen Elemente herunter, so umfassen diese – strukturell betrachtet – wenigstens Anfang, Mitte und Ende, was den Basiselementen einer Erzählung im Sinne Aristotelesʼ entspricht. Die Queststruktur der Einzelmissionen ist ebenso aufgebaut. Am Anfang erteilt ein Questgeber die Aufgabe und die Einzelmission beginnt. Der mittlere Teil der Einzelmission nimmt die meiste Zeit in Anspruch, da er das Spielen an sich

277Anstelle von Spiel-, Queststruktur oder Hauptmission werden gelegentlich auch Begriffe wie ‚quest chain‘

verwendet, die auf die Verkettung der Einzelmissionen im Rahmen der Queststruktur hinweisen. Sebastian Domsch bemerkt dazu: „Quest chains are usually tied together by an overarching objective or narrative.“

DOMSCH (2013), 83. Durch den Verweis auf das (Spiel-)Ziel und auf das Narrativ macht Domsch deutlich, dass die Spielstruktur eines interaktiv-narrativen digitalen Spiels immer sowohl aufgrund ludischer als auch narrativer Kausalitäten verkettet wird.

176 umfasst und in kleine Zwischenmissionsziele untergliedert sein kann, die sich mit Katalysen vergleichen lassen. Die Einzelmission endet, wenn das Questziel erreicht wurde, die Mission dementsprechend vom Spielsystem als erfolgreich evaluiert und der Spieler sanktioniert278 wurde. Somit ergibt sich, dass die Doppelhelix-Struktur interaktiv-narrativer digitaler Spiele, die sich als Korrespondenz der Handlungsmuster zwischen Quest- und Erzählstruktur darstellt, durch das Verbundensein zwischen Einzelmission und narrativer Funktion entsteht, die sich auf der Makro- wie auch der Mikroebene der Spielstruktur nachweisen lässt.

Wie diese Integration von Einzelmissionen in die Hauptmission aussehen kann, demonstriert u.a. L.A. Noire. Jeder Kriminalfall (so nebensächlich er anfangs auch erscheinen mag), den der Avatar Cole Phelps in den verschiedenen Dezernaten des Los Angeles Police Department lösen muss, ist als eine Einzelmission Teil der Hauptmission. Jeder Spielabschnitt (Jagd auf den ‚Schwarze Dahlie‘-Serienmörder,279 Diebstahl von Morphium von einem Schiff der US-Armee, Brandstiftungsserie etc.) gehört, und spätestens in der Retrospektive wird dem Spieler dies bewusst, zu dem Muster, das Erzähl- und Queststruktur leitet – Phelps verzweifelter (und letztlich wohl erfolgloser) Kampf gegen die Korruption. Diese hat die Wirtschaft und alle öffentlichen Stellen bis in die höchsten Führungsebenen hinein durchdrungen, Los Angeles fungiert somit, gemäß den Konventionen des Detektivnarrativs, als Metapher der (moralisch) verkommenen Metropole.280 Die doppelte Verbindung zwischen Quest- und Erzählstruktur in L.A. Noire wird auf der Makro- wie auch auf der Mikroebene durch die Korrespondenz der Handlungsmuster gewährleistet, die zwischen Detektivnarrativ und dem Action-Adventure bzw. den für dieses Genre typischen Interaktiven besteht und sich, grob gesagt, in dem Erkunden un d Lösen von Enigmatischem manifestiert. In Kapitel 4 wird genauer darauf eingegangen, wie korrespondierende Handlungsmuster im Rahmen eines interaktiv-narrativen Strukturdesigns digitaler Spiele eingesetzt werden können.

Damit eine interaktiv-narrative Spielstruktur entstehen kann, bedarf es polyvalenter Avatare, die sowohl Teil der Erzähl- als auch der Queststruktur sein können sowie sie auch

278 ‚Sanktion‘ wird im Folgenden nicht als Synonym zu Bestrafung etc. und damit negativ verstanden, sondern

prinzipiell neutral. Im Anschluss an die Evaluation des Spielergebnisses sanktioniert das Spielsystem entweder positiv oder negativ, d.h. es kann sowohl ‚bestrafen‘ als auch ‚belohnen‘. In diesem Kontext meint Sanktion dann den abschließenden bestätigenden Akt, der vom Spielsystem als Autorität ausgeht.

279 Vgl. dazu exemplarisch ein Let’s Play von OFFENSIVE JAKE https://www.youtube.com/watch?v=WUh-5-JSZDA (30.06.2018). Als ‚Schwarze Dahlie‘ ging die US-Amerikanerin Elizabeth Short in die Geschichte ein, welche im Januar 1947 in Los Angeles brutal verstümmelt und ermordet wurde. Der bis heute ungelöste Mordfall inspirierte neben L.A. Noire auch weitere Medien der Populärkultur, was sich bspw. in dem Film The Black Dahlia (2006) niederschlägt.

280 Diese Lesart wird durch die Machart des Spiels unterstrichen, das von seiner Motivik und seinen filmsprachlichen Erzählverfahren her eine Hommage an den ‚Film Noir‘ darstellt.

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imstande sein müssen, in Fällen starker hybrider Ausprägung interaktiv-narrativ verwendet werden zu können. Zudem ist dazu eine polyvalente Spielwelt notwendig, da ohne diese weder ein interaktiv-narratives Spielstruktur- noch Figurendesign möglich ist. Man kann festhalten, dass die interaktiv-narrativen Polyvalenzen die Interaktivität-Narrativität designerisch erst ermöglichen, dabei darf aber nicht vergessen werden, dass sie sich zudem gegenseitig bedingen, nicht unabhängig voneinander wirken, sondern nur zusammen.

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