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Multi-Stakeholder-Dialoge

Im Dokument Jonas Meckling NETZWERKGOVERNANCE (Seite 82-85)

Inhaltsverzeichnis

5.4 Multi-Stakeholder-Dialoge

MSHDs waren ein bedeutendes Element des WSSD-Prozesses. Im weiteren sollen die im Pro-zess erkannten Chancen, Defizite und Gegenmaßnahmen herausgefiltert werden (vgl. Tab. 15).

Standen in PrepCom I und II entweder MSHDs oder zwischenstaatliche Verhandlungen auf der Tagesordnung, liefen ab PrepCom IV beide Stränge zeitlich parallel. Umso kritischer die mul-tilateralen Verhandlungen wurden, desto mehr wurde die Aufmerksamkeit den MSHDs entzo-gen – mit der Konsequenz, dass vor allem die Präsenz von Regierungsvertretern abnahm. Zu-dem gestalteten sie sich in erster Linie aufgrund der starken Formalisierung und Zeitknappheit als Konsultationen und nur in Ausnahmefällen kamen Dialoge zustande.

MSHDs schaffen keine großen Legitimitätsprobleme, solange sie im Bereich der Beratung blei-ben; im Gegenteil wird vielfach ihre Stärke in der Anhörung Betroffener betont: „[They] help to improve the correspondence between the ‚rulers‘ and the ‚ruled‘“ (Risse/Börzel 2002, 16). Kri-tische Stimmen richten sich jedoch gegen die partielle Exklusivität der Dialoge. Dies betrifft vor allem NGOs aus Entwicklungsländern, so dass MSHDs Gefahr laufen, „Western global hege-mony in the international system“ (ebd., 18) zu reproduzieren. Ebenso wird die Zulassung wei-terer Major Groups, wie die der „educators“, gefordert. Wesentlich breiter werden Zweifel an der Effektivität von MSHDs geäußert. Auf der Basis einer Umfrage unter MSHD-Teilnehmern kommt die Studie „Multi-Stakeholder Dialogues: Learning from the UNCSD Experience“ zu der Feststellung, dass 58 % der Beteiligten nach den Dialogen die Positionen anderer Major Groups besser verstehen konnten. 45 % der Teilnehmer konnten Informationen, die sie durch die Dialoge erhalten hatten, in ihrer weiteren Arbeit einsetzen (vgl. UN/DESA 2002, 27). Damit

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sind schwache Anzeichen für Lernprozesse gegeben. Spezifisches Netzwerkwissen wurde nicht abgefragt. Die Studie ermittelte jedoch ein Defizit hinsichtlich des argumentativen Prozesses.

Dieser scheitert häufig schon an der Erarbeitung gemeinsamer Definitionen (Interpretations-schemata; fehlende gemeinsame Lebenswelt) – es könne nicht auf konsensualem Wissen aufge-baut, sondern dieses müsse gezielt erarbeitet werden (ebd., 62). Die Verständigungsprobleme verschärfen sich, wenn Sozialkapital – vor allem Vertrauen – nicht aufgebaut oder durch rheto-risches Handeln zerstört wurde. Ein Auszug aus dem ersten MSHD während der sechsten CSD-Sitzung legt Zeugnis ab:

Björn Stigson (WBCSD): „I find to my enormous surprise that over lunch there was an article in The Guardian today by one of the participants here from Friends of the Earth, and it says that, ‘It seems that the transnational corporations regard regulation as fine to protect business, but if it protects the planet it is unnecessary and bureaucratic.’ Now, if the NGO community really believes this is why we are here, I think we can stop this discussion right here and now. This is ridiculous. I think all of us have to approach this in a spirit of trust and in a right way to find solutions. I must say that I feel somewhat outraged by this”.

Daraufhin Kevin Dunion (Friends of the Earth International): „Addressing Mr. Stigson directly, who I always thought had much thicker skin than he’s had here today. I think in light of the article he’s talking about, he should reflect upon the fact that it’s speaking specifically about the MAI[125].... I think trust is not the essence of this discussion. The whole point of this discussion is about how we can monitor, how we can track, how we can insure compliance. If it was based on trust, we wouldn’t even be discussing these things“ (in: ebd., 30).

Neben der Dialogbereitschaft der Teilnehmer kommen die Autoren zu weiteren Variablen der diskursiven Effektivität: die Sitzordnung, die zeitliche Parallelität mit den zwischenstaatlichen Verhandlungen – dies gilt besonders für den WSSD, die Prozessgestaltung durch die CSD und die Vorsitzenden der Dialoge und die generelle Ungerichtetheit einer zunehmend größer wer-denden Anzahl von Stakeholdern (Problem der großen Zahl) (vgl. ebd., 61). Als Gegenmaß-nahmen werden genannt: klare Zielbestimmungen, thematische Fokussierung, Vorbereitung des Dialoges durch eine Situationsevaluation (Welche Stakeholder? Relevantes Wissen? Aufbau konsensualen Wissens), grundlegende Spielregeln, intensive Prozessbegleitung und -moderation durch die CSD (vgl. ebd., 85-89). Neben der Frage nach MSHD-interner Effektivität, stellt sich auch die Frage, wie der MSHD-Output mit den intergouvernementalen Verhandlungen gekop-pelt ist, d.h. die Frage nach der Netzwerk-Umwelt-Beziehung. Dazu ein Industrievertreter: „The Red Cross and the ICC have the same standing as the blueberry farmers from Maine. Everyone gets to talk and no one gets to be heard“ (in: ebd., 77), denn – so das Earth Negotiations Bulletin – „the centers of gravity lie elsewhere“ (in: ebd., 64). Auch hier: doppelte Bühnen von Stake-holder-Deliberation einerseits und staatlicher Verhandlung andererseits. Diese Kohärenzfrage

125 Multilateral Agreement on Investment.

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ist weitgehend ungeklärt und stellt sich ebenso bei den Implementierungsnetzwerken.126 Sie berührt die grundsätzliche Frage, wie weit Nichtregierungs-Akteure über Konsultation und Dialog in Verhandlungen und Implementierung einbezogen werden sollen. Hier deuten die 11.

Sitzung der CSD im April/Mai 2003 und die PrepComs des für Dezember 2003 vorgesehenen Weltinformationsgipfels neuere Entwicklungen an. Der Bericht des Generalsekretärs zum Fol-low-up des WSSD sieht eine stärkere Integration der Major Group-Aktivitäten in das zwischen-staatliche Geschehen innerhalb der Kommission sowie in noch sehr allgemeiner Form Maß-nahmen zur Verbesserung der Repräsentation der Stakeholder und der Effektivität von Multi-Stakeholder-Prozessen vor (vgl. UN-Secretary General 2003, 22-24, 42). Auf der PrepCom II des Weltinformationsgipfels im Februar 2003 wehte von Seiten der NGOs und des Privatsektors ein schärferer Wind: Sie organisierten sich in der „Civil Society Coordinating Group“ und dem von der ICC koordinierten „Business Contact Committee“ und forderten die Beteiligung an den Verhandlungen. Ein „Sechs-Stufen-Plan“ gibt die Entwicklungsrichtung vor:

„Stufe 1: Kein Zugang zu den Verhandlungen; Stufe 2: Zugang zu den Verhandlungen, aber kein Rederecht; Stufe 3: Zugangs- und Rederecht, aber kein Verhandlungsrecht; Stufe 4: Zugangs-, Rede und Verhandlungsrecht, aber kein Stimmrecht; Stufe 5: Zugangs-, Rede-, Verhandlungs- und Minoritätsstimmrecht; Stufe 6: gleiche Stimmrechte wie Regierungen“ (Kleinwächter 2003, 4).

Während sich die gegenwärtige Praxis auf den Stufen eins und zwei befindet127, würden Stufen fünf und sechs horizontale Netzwerkregulation bedeuten und die Interaktion von Unternehmen, NGOs und Regierungen weiter verdichten. Bisher separate MSHDs würden durch das zwi-schenstaatliche Verhandlungsnetzwerk inkorporiert. Folglich würde sich die Legitimitätspro-blematik erheblich verschärfen.

126 Hinsichtlich MSHDs ist zu beachten, dass sich mittelfristig gerade über die Herausbildung konsen-sualer Sprache (analog zur „agreed language“ der staatlichen Verhandlungspartner) Wirkungen auf die Umwelt entfalten. Gibt es unter den nichtstaatlichen Akteuren ein gemeinsames Verständnis in einer Frage, kann dies schwerlich von den Regierungen ignoriert werden.

127 Eine Ausnahme ist z.B. die asiatische Regionalkonferenz des Weltinformationsgipfels, bei der NGOs ein Verhandlungsrecht (Stufe 4) wahrnahmen.

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Die Ergebnisse zu Effektivität und Legitimität von MSHDs im Überblick:

Tabelle 15 MSHDs: Chancen, Risiken, Maßnahmen.

Effektivität Legitimität

Chancen • Deliberation

• Personales und Netzwerklernen (Aufbau konsensualen Wissens)

• Beteiligung Betroffener

Risiken • Fehlendes konsensuales Wissen als Voraussetzung für Dialog

• Mißtrauen

• Problem der großen Zahl

• Kohärenzproblem

• Partielle Exklusivität

MSHDs

Maßnahmen • Klare Zielbestimmungen

• Thematische Fokussierung

• Situationsevaluation

• Grundlegende Spielregeln

• Prozessbegleitung und -moderation durch die CSD

Quelle 27 Eigene.

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