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Corporate Citizenship: normativ

Im Dokument Jonas Meckling NETZWERKGOVERNANCE (Seite 25-29)

Inhaltsverzeichnis

3.2 Corporate Citizenship

3.2.1 Corporate Citizenship: normativ

Eine der ersten umfangreicheren empirischen Studien zu Corporate Citizenship (CC) – durchge-führt vom Zentrum für Wirtschaftsethik und The Conference Board – kommt zu dem Ergebnis, dass 83 % der national und 95 % der international befragten Führungskräfte24 Corporate Citi-zenship als Teil ihrer Unternehmenswerte und -richtlinien betrachten (vgl. Seitz 2002, 105).

Darüber hinaus stellt eine Umfrage des Weltwirtschaftsforums zu Global Corporate Citizenship fest,

„that the concept of corporate citizenship is moving beyond compliance and philanthropy to become a more strategic issue of relevance to CEOs and boards of directors. At the same time, it is clear that most companies are in the early stages of defining what global corporate citizenship means for their company and industry, and integrating it into their corporate strategies and management processes“

(WEF 2003, 2).

Erste empirische Erkenntnisse signalisieren folglich, dass Corporate Citizenship zunehmende Relevanz für das normative und strategische Management erhält, gleichzeitig aber eine große Unklarheit über die Bedeutung des Konzeptes herrscht. In Praxis und Theorie werden zunächst eine Reihe von Bezeichnungen synonym zu Corporate Citizenship verwandt oder damit assozi-iert: Corporate Social Responsibility, Corporate Sustainability, Corporate Governance und ge-sellschaftliches Engagement (vgl. Habisch 2003, vgl. Weiß 2002, 125-146).25 Die größte Nähe weist Corporate Social Responsibility auf, wobei weder in Theorie noch Praxis eindeutige Ab-grenzungen nachzuvollziehen sind. Insgesamt geht es derzeit noch darum, Begriffe zu besetzen,

24 National/Deutschland: n=60; International: n=700.

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so dass eine definitorische Pluralität herrscht. Tendenziell wird Corporate Citizenship als Fort-entwicklung von Corporate Social Responsibility gesehen (McIntosh et al. 2003, 16), welches aus mehreren Gründen als defizitär betrachtet wird: (1) CSR sei eine aktive Gesellschaftsstrate-gie im Sinne von „social responsibility“, aber keine proaktive im Sinne von „social responsive-ness“ (CC), (2) CSR betone einseitig die Pflichten des Unternehmens (vgl. Seitz 2002b, 41-42) und (3) CSR liege in Abgrenzung zum normativ-ethischen Konzept des Corporate Citizenship ein zweckrationales Verständnis zugrunde (vgl. Ulrich in: Weiß 2002, 141)26. Zumindest das letzte Argument überzeugt nicht, da auch Corporate Citizenship-Konzepte zweckrational be-gründet sein können. Von CSR positiv abgegrenzt, liegt der Minimalkonsens von Corporate Citizenship in der Anerkennung von sowohl Rechten als auch Pflichten des Unternehmens, wie es der Begriff des Bürgers transportiert (vgl. Weiß 2002, 113). Die theoretische Integration von Rechten und Pflichten kann sehr unterschiedlich aussehen. Die ökonomistische Position Milton Friedmans „The Social Responsiblity of Business Is to Increase Its Profits“ einmal ausgenom-men, spannt sich der konzeptionelle Möglichkeitenraum für Corporate Citizenship zwischen einem ökonomisch-individualistischen Konzept der Bürgerschaft – exemplarisch von Seitz auf der Grundlage der Homannschen Wirtschaftsethik vorgelegt, und einem normativ-ethischen Entwurf (vgl. Maak 1999, 266; vgl. Weiß 2002) auf27 - Bourgeois versus Citoyen (vgl Tab. 3).

Einmal ist der Bürger ein eigeninteressierter Akteur, der dank Weitsicht die Notwendigkeit er-kennt, in soziale Ordnung zu investieren, um Dilemmasituationen überwinden zu können (vgl.

Tab. 3):

„Ein Bürger soll die eigenen Interessen immer besser verstehen lernen, er soll die förderlichen Bedingungen für ihre bestmögliche Verwirklichung bestimmen und diesen Bedingungswunsch in geeigneter Form in den interaktiven Prozeß der Bestimmung sozialer Regeln einbringen. Es ist das Bürgerrecht, eigene Interessen zu verfolgen. Es ist die Bürgerpflicht, diese Interessen kalkulierend und damit längerfristig maximierend zu verfolgen. Systematisch folgt hieraus das Erfordernis von Vorleistungen und Investitionen, sowie die Einsicht in die Vorteilhaftigkeit sozialer Steuerung [sozialer Ordnung, d.V.] ...“ (Seitz 2002b, 62).

Andermal wird sich – so die Sicht des republikanischen Liberalismus (vgl. Tab. 3) – der

„Wirtschaftsbürger selbstbestimmt an [vernunftethisch begründete, d.V.] normative Grundsätze binden“ (Maak 1999, 252).

25 Die Verbindungen der ersten drei Konzepte zu Corporate Citizenship analysiert Weiß ausführlich (vgl.

2002, 125-146).

26 Ulrichs Begriffsdefinition besetzt den Begriff des Corporate Citizenship im Sinne des Wirtschaftsbür-gers des republikanischen Liberalismus und ordnet Corporate Social Responsibility zweckrationalem Denken zu. De facto existieren aber normativ-ethische und zweckrationale Modelle unter beiden Be-zeichnungen.

27 Es ist bemerkenswert, dass sich die Polarisierung der deutschsprachigen Wirtschaftsethik (Ulrich-Homann-Steinmann-Wieland) nun in der praxisorientierteren Debatte zu Corporate Citizenship reprodu-ziert anstatt neue gedankliche Wege – wie sie z.B. von Beschorner (vgl. 2002) skizreprodu-ziert werden – einzu-schlagen. Der Graben wird beibehalten.

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Während im ersten Fall Corporate Citizenship zur Investition in Sozialkapital und damit soziale Ordnung, zur Sozialinvestition wird, die der Maxime „Handle so, daß die Regel deines Han-delns über die vorhersehbare Sequenz gleicher Situationen für dich am vorteilhaftesten ist“

(Seitz 2002b, 62) folgt, bedeutet Corporate Citizenship in der zweiten Interpretation die Wahr-nehmung der „ordnungspolitische[n] Mitverantwortung für die Ausgestaltung vernünftiger Rahmenbedingungen“ (Maak 1999, 270-271) – Schaffung sozialer Ordnung aus individuellem Interesse versus Mitverantwortung aus vernunftethisch begründeter Motivation.28

Tabelle 3 Corporate Citizenship: normativ.

Damit sind die theoretischen Pole der Corporate Citizenship-Debatte bestimmt, die jeweils nur ein geteiltes Verständnis von Bürgerschaft vorlegen: Entweder wird der Bourgeois durch den Citoyen vereinnahmt oder vice versa. Der Großteil des anglo-amerikanischen Diskurses und die praktische Umsetzung verlaufen im Zwischenraum, sind allerdings theoretisch inkonsistent – ganz nach dem Motto: Es muß sich schon rechnen, soll aber auch echte Verantwortung sein.

Trotz der unbefriedigenden theoretischen Angebote, wird im Folgenden pragmatisch dem öko-nomisch-individualistischen Ansatz gefolgt, da sich ein rein normativ-ethisches Unternehmens-verständnis zu sehr von der Entscheidungslogik der Unternehmen entfernt.29 Im Weiteren wer-den die genannten konzeptionellen Bausteine eines ökonomisch-individualistischen Corporate Citizenship-Verständnisses expliziert: Sozialinvestition, Sozialkapital und soziale Ordnung.

28 Beide Positionen sind theoretisch unbefriedigend. Erstere ignoriert die Bedeutung normativ-ethisch begründeter regulativer Ideen, während zweitere die funktionale Ausdifferenzierung moderner Gesell-schaften und damit die funktionale Notwendigkeit des Gewinnprinzips vernachlässigt. Integrative Versu-che wie der von Weiß, Corporate Citizenship als umfassende Mitgliedschaft zu konzeptionalisieren, sind noch mehr Programm als Theorie – die systematische Vermittlung fehlt.

29 In diesem Punkt folge ich der Kritik Müller-Christ‘s an Ansätzen des nachhaltigen Managements in Bezug auf Theorielosigkeit und Ideologieverdacht (vgl. 2001, 87). Er kritisiert, dass Konzepte nachhalti-gen Managements häufig nicht in Theorien des strategischen Managements verankert sind und das Schnittmengenmodell eine Vergrößerung der Schnittmenge nicht theoretisch fundiert als Nachhaltigkeits-fortschritt begründet. Einen Ideologieverdacht äußert er gegenüber normativen Konzepten, die als überle-bensrelevant für das Unternehmen dargestellt werden. Die Orientierung an einer ökonomischen Rationa-lität – sei diese nun die Gewinnmaximierungs- oder NachhaltigkeitsrationaRationa-lität – ermöglicht hingegen eine Verankerung des Aufbaus von bzw. der Beteiligung an Netzwerken im strategischen Management und macht die normative Annahmen explizit. Mit der Wahl dieses Argumentationsganges wird die Be-deutung normativ-ethischer Prinzipien in keinster Weise geleugnet, sondern auf diese wird im Zusam-menhang mit der netzwerkinternen Logik ebenfalls Bezug genommen.

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Das Konzept der Sozialinvestition verallgemeinert „das im engeren Sinne wirtschaftliche Inve-stitionskonzept auf die soziale, gesellschaftliche Ebene“ (Seitz, 2002, 88). „Vereinfacht formu-liert geht es bei sozialen Investitionen um den geplanten Einsatz unternehmerischen Vermögens außerhalb des unmittelbar wirtschaftlichen Bereichs zum Zweck der Wertsteigerung des Unter-nehmens“ (vgl. ebd.).

Dabei richtet sich die Investition auf den Aufbau von Sozialkapital, worunter in diesem Kon-text

„jenes durch formelle und informelle Institutionen konstituierte Beziehungsgefüge, das einer Gesellschaft die dauerhafte Überwindung sozialer Interaktionsprobleme erlaubt und somit Erträge sozialer Kooperation dauerhaft zu stabilisieren verhilft“ (Habisch 1999, 473)30

zu verstehen ist. Die hier gewählte Definition von Sozialkapital verortet das Konzept im An-schluß an Ostrom in Fragen kollektiven Handelns (vgl. Ostrom/Ahn 2001, 4).

Das Sozialkapitalkonzept erweitert quasi die Kapitaltheorie, die klassischerweise Sach-, Finanz-und Humankapital kennt, um eine weitere Kapitalform (vgl. Habisch/Schmidpeter 2001, 12).

Damit steht es – so Habisch – als Bindeglied zwischen „Corporate“ (Eigen-nutz/Wettbewerbsfähigkeit als funktionale Notwendigkeit) und „Citizenship“ (Gemein-wohl/integrer Bürger) (vgl. 1999, 493), da es Beziehungen und Regeln als Kapital konzi-piert.31,32 In dieser Perspektive kommen Unternehmen auch vermehrt als Produzenten globaler öffentlicher Güter in den analytischen Fokus (vgl. Kaul/Mendoza 2003, vgl. Sagasti/Bezanson 2001, 43).33

Ist die Sozialinvestition in Sozialkapital, sprich informelle und formelle Institutionen erfolg-reich, entsteht soziale Ordnung. Diese „ist gekennzeichnet durch Erwartungssicherheit bezüg-lich des Verhaltens anderer – also Stabilität – aber auch durch geregelte Formen sozialen

30 Sozialkapital ist, um mit Panther zu sprechen, ein „wesentlich umstrittene[s] Konzept“ (2002, 167). Es ist interdisziplinär (Soziologie, Politologie und Ökonomik) und wird sehr unterschiedlich verstanden.

Gemeinsam ist allen Ansätzen die Erkenntnis, dass das politische und wirtschaftliche System von gesell-schaftlichen Vorleistungen abhängig ist. In diesem Sinne kann Sozialkapital als Gegenkonzept zum Ge-danken funktionaler Ausdifferenzierung verstanden werden (vgl. Panther 2002, 166). Im gegebenen Kontext wird auf Sozialkapitalkonzeptionen zurückgegriffen, die in der Theorie kollektiven Handelns verankert sind und sich mit der Weiterentwicklung des Rational Choice-Modells befassen. Die Namen Ostrom und Putnam, beides Politologen, stehen repräsentativ für diese Bemühungen.

31 Habisch geht so weit, die Sozialkapitaltheorie als verbindendes Element zwischen „Republikanismus“

(Citoyen) und „Liberalismus“ (Bourgeois) zu verstehen. Die optimistische Konsequenz: Demokratie und ökonomischer Erfolg bedingen einander (vgl. 1999, 493). Somit wäre sie ein bedeutender Baustein für ein ausgereiftes Verständnis von Corporate Citizenship. Ulrich, der einen republikanischen Liberalismus vertritt, würde vermutlich die Instrumentalisierung von Normen im Sozialkapitalkonzept kritisieren.

32 Wie weit werden Global Players in das Sozialkapital ihrer Gastländer investieren? Für Sach- und Hu-mankapital ist dies ja weit verbreitet (Universitäten, Infrastruktur etc.).

33 Die herkömmliche Unterscheidung in private und öffentliche Güter entlang der Kriterien „Rivalität“

und „Ausschließbarkeit“ wird in der Diskussion um globale öffentliche Güter herausgefordert. „Privat“

und „öffentlich“ werden auch hier neu definiert.

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dels – also Entwicklungsfähigkeit“ (Habisch 2003, 20). Mit einem solchen weit gefaßten Be-griff sozialer Ordnung wird nicht einem etatistischen Modell gefolgt, das soziale Ordnung allein durch den Staat garantiert sieht, sondern der Vorstellung einer Bürgergesellschaft. Soziale Ord-nung wird über die Interaktion von Bürgern einer aktiven Bürgergesellschaft – Unternehmen inbegriffen – hergestellt (vgl. Habisch 2003, 20-23).34,35 Die Strukturationstheorie präzisiert das Ordnungsproblem und dessen doppeltes Gesicht von Stabilität und Entwicklungsfähigkeit wei-ter als Art und Weise „how social systems bracket time and space – how they stretch across greater or lesser spans of time-space“ (Giddens 1987, in: Windeler 2001, 275). Ein derartiger strukturationstheoretischer Blick versteht soziale Ordnung als „rekursive Praktiken der Konsti-tution von ‚Bindungen‘ von Zeit und Raum im Angesicht permanenter Produktion von Diskon-tinuitäten, zeitlicher, struktureller und räumlicher Differenzen und immer nur partieller Kon-trolle der Prozesse. Gelingt diese Bindung nicht, lösen Ordnungen ... sich auf“ (Windeler 2001, 276).

Auf der Grundlage eines ökonomisch-individualistischen Corporate Citizenship-Konzeptes wurden soeben die logischen Bausteine vorgestellt: Unternehmen tätigen Sozialinvestitionen in Sozialkapital, um soziale Ordnung zu erzielen. Es stellt sich die Frage des Wie auf der Ebene des strategischen Managements.36

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