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Grenzkonstitution

Im Dokument Jonas Meckling NETZWERKGOVERNANCE (Seite 119-122)

Inhaltsverzeichnis

6.7 Grenzkonstitution

Netzwerke überbrücken Unternehmens-, Organisations- und sektorale Grenzen, Grenzen zwi-schen privat und öffentlich – die Netzwerkknoten sind offene Systeme. Überbrückt werden kann aber nur, was sich als distinkte Entitäten voneinander abhebt. Die Grenzziehung in der Entgren-zung wird daher zur Aufgabe einer reflexiven Governance von Netzwerken. Die Notwendigkeit dazu

„ergibt sich aus dem Grenzproblem sozialer Systeme, genauer aus der Dialektik von Zeit-Raum-Ausdehnung und Zeit-Raum-Einklammerung, aus dem Erfordernis der Aufnahme systemübergreifen-der Zusammenhänge im Handeln und systemübergreifen-der systembezogenen Koordination systemübergreifen-der Aktivitäten mit gewisser Kontinuität in Zeit und Raum“ (Windeler 2001, 262).

Gegenstand dieser Regulierungsaufgabe sind die Grenzen zwischen den Netzwerkakteuren, zwischen dem Netzwerk und einzelnen Netzwerkakteuren wie auch zwischen dem Netz-werk und Dritten. Die Grenzziehung zwischen den NetzNetz-werkakteuren bezieht sich auf den Umgang mit Erwartungshaltungen. „Managing expectations“ ist eine elementare Gestaltungs-aufgabe, um die Funktionsprinzipien der jeweiligen Organisationen produktiv in das Netzwerk einbinden zu können (vgl. Nelson 2001, 151). Indem die Akteure Rollenverständnisse formulie-ren, auf deren Basis sie z.B. Allokationsregeln vereinbaformulie-ren, können Grenzen gezogen werden.

Unternehmen können und sollen öffentliche Aufgaben nicht vollständig übernehmen. Umge-kehrt dürfen Regierungen öffentliche Aufgaben unter dem Deckmantel des Corporate

Citizens-Quelle 33 Kell/Levin 2003 (verändert).

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hip in die Verantwortung von Unternehmen stellen.184 Wo die Grenzen im Einzelfall liegen, ist kontingent, aber auch das Rollenverständnis von Unternehmen im Allgemeinen befindet sich im Umbruch.

Angesichts der oben erkannten Kohärenzproblematik und des Problems der politischen Verant-wortlichkeit, interessiert im weiteren der dritte Aspekt der Grenzkonstitution. Er bezieht sich vor allem auf das regulierende Handeln netzwerkexterner Akteure.

Politischer Rahmen: Kohärenz und Accountability

Um Netzwerke als effektive Regulierungs- und Implementierungsinstrumente einzusetzen, be-darf es der Abstimmung mit zwischenstaatlichen Regelungen und Programmen qua Grenzver-kehr: „In order for partnerships directed at implementation to play a valuable, complementary role, they must be linked to meaningful global goals agreed by governments“ (Eco-equity 2002, 2) – soweit der funktionale Aspekt. Aus Gründen der Legitimität muß aber auch die Grenzzie-hung zwischen privat und öffentlich reproduziert werden, scheinen Netzwerke diese doch auf-zulösen. Für beide Dimensionen schlägt der kleine Diskurs zur „Netzwerkreform“ im Anschluß an die „Guiding Principles“ einen „politischen Rahmen“ vor, der Handlungsfelder priorisiert und grundlegende Spielregeln (prozedurale Vorgaben) nennt. Dieser Rahmen könnte daraus bestehen, Netzwerke auf bestimmte in Vertragstexten festgehaltene Ziele zu verpflichten, ein legitimiertes internationales Forum einzusetzen, das darüber entscheidet, welche Partnerschaften von den UN anerkannt werden, Regeln zur Beteiligung und Repräsentation innerhalb von Netzwerken zu bestimmen und externe Berichts- und Kontrollsysteme sowie -plattformen ein-zurichten (vgl. Eco-equity 2002, 5).185 Während langfristig Governanceregeln für Netzwerke ebenso wie Corporate Accountability in einer internationalen Konvention kodifiziert werden könnten, schlagen Witte et al. für die kurz- bis mittelfristige Perspektive ein multisektoral zu-sammengesetztes Netzwerk vor, das entsprechende Regeln ausarbeitet (vgl. 2003, 72). Die Be-schlüsse der 11. CSD-Sitzung, die den Follow-up des WSSD einleitete, erweitern die Rolle der CSD auf das Monitoring von Partnerschaften, deren Initiierung und Entwicklung und die Orga-nisation des Austausches über Partnerschaften. Die Berichterstattung der Netzwerke bleibt eine freiwillige Maßnahme, wobei das Sekretariat der CSD allerdings den Auftrag erhalten hat, einen konzeptionellen Rahmen für die Berichterstattung vorzulegen (vgl. UN/ECOSOC 2003, 7).

Accountability der Netzwerkakteure

Die Organisation des Grenzverkehrs zwischen privatem bzw. privat-öffentlichem Netzwerkhan-deln und öffentlicher Verantwortung kann auch indirekt über die Netzwerkakteure selbst ge-schehen, indem diese durch Mechanismen politischer Verantwortlichkeit die privat-öffentliche

184 Kell, Leiter des UN Global Compact Office, weist explizit auf diese Problematik der Grenzziehung hin.185

Einige dieser Vorschläge wurden von Eco-equity, der größten NGO-Koalition im WSSD-Prozess, eingebracht. Mitglieder sind Consumers International, The Danish 92 Group, Greenpeace International, The Northern Alliance for Sustainability (ANPED), Oxfam International und WWF International.

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Grenze überbrücken und durch die Rückbindung an ihren Prinzipal (Unternehmen: Sharehol-der/Stakeholder) Grenzen gegenüber den anderen Netzwerkakteuren ziehen. Abgesehen von einer internationalen Konvention zu Corporate Accountability, können hier im Zusammenhang mit Corporate Governance weitere Mechanismen der Grenzkonstitution und -vermittlung grei-fen. „The Accountability Report 2003“ nennt eine Reihe von Kriterien, anhand derer die politi-sche Verantwortlichkeit von Organisationen gegenüber ihren Mitgliedern186 gemessen werden kann: gleichmäßige Repräsentation im Exekutivorgan, Mitglieder können Themen auf die Agenda des Exekutivorgans setzen, Kandidaten für das Exekutivorgan werden von einer Mehr-heit der Mitglieder nominiert, Mitglieder können einzelne Angehörige des Exekutivorgans ent-lassen (vgl. Kovach et al. 2003, 42).187 Ein solches enges Verständnis von Accountability allein den Shareholdern gegenüber, kann über entsprechende Modelle der Corporate Governance auf Accountability gegenüber einem weiteren Stakeholderkreis ausgeweitet werden. Seitz entwirft z.B. eine Governance-Struktur für multinationale Unternehmen, die u.a. Aufsichtsratssitze für Vertreter des politischen Systems, globaler Akteure (IW, Weltbank, UN etc.), globaler NGOs und aus Entwicklungsländern vorsieht (2002b, 170).188 Des Weiteren können externe indirekte Instrumente der Sicherung von Verantwortlichkeit wirksam werden. Über „professional codes of conduct“ können Akteure eines Sektors aufeinander „professional/peer pressure“ ausüben – Unternehmen haben ein Auge auf die politische Praxis anderer Unternehmen. Auf dem Wege von „naming and shaming“ würde die kritische Öffentlichkeit als Garant der politischen Ver-antwortlichkeit eingesetzt. Das Problem dabei: eine Weltöffentlichkeit bildet sich nur sehr parti-ell heraus. „Market/consumer accountability“ ist aufgrund zunehmend an Nachhaltigkeitskrite-rien oNachhaltigkeitskrite-rientierter Investmentstrategien und eines z.T. kritischen Konsumenten (Produktboykotte) ein effektiverer Mechanismus politischer Verantwortlichkeit, entspricht jedoch nicht dem de-mokratischen Verantwortlichkeitsgedanken, da nur dem Wirtschaftsbürger Kontrollrechte ein-geräumt werden. Schließlich üben auch Staaten über „fiscal accountability“ eine gewisse Kon-trollmacht aus, da auch Netzwerke internationalen Bilanzierungsstandards genügen müssen (vgl. Witte et al. 2003, 75). Kurzum, die Organisation des Grenzverkehrs unter dem Gesichts-punkt der politischen Verantwortlichkeit kann auf fragmentarische Mechanismen zurückgreifen, bleibt aber letztendlich defizitär und entsprechende demokratietheoretisch fundierte Konzepte fehlen.

186 Für multinationale Unternehmen orientiert sich der Bericht nur an Shareholder- und nicht an Stakehol-der-Accountability.

187 Von insgesamt 18 international vertretenen Organisationen (IOs, NGOs, Unternehmen) rangiert ge-messen an diesen Kriterien Amnesty International auf erster Stelle, Nestlé aber beispielsweise vor dem WWF und die ICC an 17. Stelle.

188 Zu den internationalen Akteuren in der Entwicklung von Corporate Governance-Standards vgl. Deto-masi 2002.

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Im Dokument Jonas Meckling NETZWERKGOVERNANCE (Seite 119-122)