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Inhaltsverzeichnis

5.6 Auswertung

Welche Kernaussagen liefert der Hypothesentest am Beispiel des WSSD?

Zu H 1: Multinationale Unternehmen agieren im Rahmen ihrer Corporate Citizenship-Strategie verstärkt in globalen Politiknetzwerken.

Gemessen an der Unternehmenspräsenz auf dem WSSD und den allein von der BASD lancier-ten 230 Partnerschaflancier-ten, ist von einem quantitativen Sprung unternehmerischer Strukturpolitik in globalen Netzwerken in den letzten zehn Jahren und im Laufe des WSSD-Prozesses auszu-gehen. Diese Einschätzung basiert allerdings nicht auf Vergleichsdaten, sondern auf den Aussa-gen wissenschaftlicher und politischer Beobachter. Das dominante normative Modell struktur-politischen Handelns ist Corporate Social Responsibility, wobei dies als freiwilliger Ansatz interpretiert wird. Es steht das Recht, die Pflichten selbst zu bestimmen, im Vordergrund.

Zu H 2: Das internationale System bildet durch die Zunahme von Netzwerken als Governance-mechanismen zunehmend strukturpolitische Arenen für Unternehmen aus.

Für das UN-System kann seit der UNCED eine kontinuierliche Öffnung der zwischenstaatlichen Organisation für transnationale Akteure nachvollzogen werden. Das Major Group-Modell und MSHDs sind die bedeutendsten Mechanismen, die Konsultation und ansatzweise Dialog er-möglichen. Freiwillige Initiativen wie die Global Reporting Initiative sind Verhandlungsnetz-werke, die über Konsultation hinaus Unternehmen an der Standardsetzung beteiligen. Mit der Lancierung von Implementierungsnetzwerken während des WSSD wurde nicht nur die Politik-findung, sondern auch der Politikvollzug im UN-System programmatisch geöffnet. Die Fortset-zung des Trends deutet sich im Prozess des Weltinformationsgipfels und der 11. CSD-SitFortset-zung an.145 Fraglich ist, inwiefern die politisch-institutionellen Innovationen des Rio- und WSSD-Prozesses in andere Politikfelder diffundieren.

Zu H 3: Netzwerke können durch eine kommunikative Logik kollektives Handeln und neue soziale Praktiken generieren.

Die Leistungsdimension wird besonders von Unternehmensseite gesehen. Ressourcen- und Kompetenzenpooling auf Basis sektoraler Kernkompetenzen und Lernchancen stehen im Vor-dergrund. Die Regierungsposition hebt recht eingeschränkt die Mobilisierung finanzieller Res-sourcen hervor. Während Lernprozesse oben als theoretisch wahrscheinliche Chance von Netz-werken ermittelt wurde, erwähnen alle drei gesellschaftlichen Gruppen dieses Potential so gut wie gar nicht. Aus NGO-Sicht scheinen die Legitimitätsdefizite alle Leistungspotentiale von Netzwerken aufzuheben.

145 Hiermit sind zunächst nur die formalen Beteiligungsmöglichkeiten benannt. Wie weit der tatsächliche Einfluss von Unternehmen reicht und ob dieser nicht eher durch Lobbying ausgeübt wird, bleibt unge-klärt.

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Zu H 4: Netzwerke können funktionale Defizite aufweisen, die kollektives Handeln und Lern-prozesse verhindern.

Die Aussagen zu Effektivitätsproblemen bilden keine politische „Lagerbildung“ ab. Als spezi-fisch netzwerkstrukturelle Defizite werden Transaktionskostenintensität, das Verhandlungsdi-lemma (wenn keine Win-win-Situation gegeben), das Problem der großen Zahl, fehlendes So-zialkapital (Mißtrauen) und Kooptation bzw. Abfluss von Kernkompetenzen (Spannungsver-hältnis von Kooperation und Konflikt) angeführt. Allgemein wird ein Kohärenzproblem des Netzwerkhandelns mit (zwischen)staatlichen Abkommen wahrgenommen. Es geht also um die strukturelle Vermittlung von Netzwerk und Umwelt.

Zu H 5: Netzwerke können die Legitimität globaler Politik durch die starke Beteiligung Betrof-fener und transparente Verfahren erhöhen.

Vor allem Unternehmen und deren organisierte Interessenvertretung erkennen in Netzwerken Potentiale zur Steigerung der Legitimität globaler Politik durch „bottom-up“-Prozesse – also durch einen hohen Partizipationsgrad aller drei Sektoren – und durch transparente Verfahrens-gestaltung. Regierungen und deren inter- und transstaatlichen Organisationen betonen Multi-Stakeholder-Prozesse als Mechanismen partizipativer Demokratie. NGOs hingegen sehen Parti-zipation und Transparenz als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen für legitime globale Politik. Im WSSD-Kontext wurden die Legitimitätsdefizite von Netzwerken stark the-matisiert.

Zu H 6: Netzwerke können Legitimitätsdefizite aufweisen, wenn sie intransparent sind, starke Machtasymmetrien aufweisen und kein demokratisches Mandat sowie keine Kontroll- und Sanktionsmechanismen besitzen.

Aus NGO-Perspektive dominiert die Legitimitätsproblematik von Netzwerken. Intransparenz, Machtasymmetrien – zumeist zwischen NGOs und wirtschaftlichen Akteuren, fehlende Kon-troll- und Sanktionsmechanismen werden angeführt. Allesamt strukturelle Defizite von Netz-werken. Zu mindestens ebenso starker Kritik an der Legitimität von Netzwerken führten Zwei-fel an der Interaktionsorientierung wirtschaftlicher Akteure. Rhetorisches Handeln (Green- und Bluewash) und strategisches Handeln (Abwendung staatlicher Regulierung) werden als primäre Interaktionsorientierung angenommen. Indem sie demokratische Bürger- und Gemeinschafts-rechte und eine internationale Konvention zu Corporate Accountability favorisieren, forcieren NGOs in erster Linie ein kosmopolitisches Legitimitätsverständnis, das sich am Kriterium de-mokratischer Autonomie orientiert. An fehlenden demokratischen Mandaten wurde keine Kritik geübt, träfe diese doch häufig NGOs im gleichen Maße wie Unternehmen.

Die politische Position der Unternehmen hingegen reflektiert ein eingeschränktes Verständnis der Legitimitätskonzeption des liberalen Internationalismus, da sie fast ausschließlich auf die prozeduralen Elemente der Transparenz und Partizipation abhebt, die politische Verantwortlich-keit, sprich Accountability, wird vernachlässigt. In der Konsequenz wird der demokratische

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• Unternehmen als Problemlöser

• Dialog

• Responsibility

• Effektivitätspotentiale

• Unternehmen/Regierungen

• Unternehmen als Problemverursacher

• Konfrontation

• Accountability

• Legitimitätsdefizite

• NGOs vs.

Synthese?

Status von Netzwerken sehr positiv beurteilt. Diese Position ist die logische Konsequenz des Unternehmensverständnisses von Corporate Social Responsibility.

Die Regierungen orientieren sich ebenfalls weitestgehend am Legitimitätsverständnis des libe-ralen Internationalismus, wobei im Vergleich zur Unternehmensposition die Accountability-Dimension mehr gestützt wird, was sich in den Guiding Principles und dem entsprechenden Paragraphen im Abschlusstext ausdrückt. Besonders Unternehmen und Regierungen pflegen quasi additiv durch die Unterstützung von Multi-Stakeholder-Dialogen ein deliberatives Legiti-mitätskonzept.

Conclusio: Die gegenwärtige Form vernetzter Strukturpolitik von Unternehmen in der globalen Nachhaltigkeitspolitik, wie sie der Fall des WSSD exemplifiziert, polarisiert die politische Landschaft146 entlang:

Mit Synthese kann nicht die Aufhebung jeglicher Konflikte zwischen Unternehmen und NGOs gemeint sein, sondern die Überwindung der Blockadesituation, in der NGOs Partnerschaften ablehnen und Unternehmen diese nur nach ihren Vorgaben gestalten wollen. Die neue Logik kann darin liegen, dass Unternehmen die Vorteilhaftigkeit von Netzwerken als Sozialkapital erkennen und NGOs sich auf geregelte Netzwerke einlassen. In dieser Perspektive geht es um die Überwindung der identifizierten Risiken durch die institutionelle Ausgestaltung von Netz-werken.

146 „One general pattern of intersectoral relations that may emerge from disputes over interests and values is a kind of intersectoral polarization that is characterized by value-laden stereotypes, struggles over po-wer and resources, and resistance to joint action even when some interests are clearly shared. In this pat-tern, each sector emphasizes its own interests and perspectives, sees little legitimacy or relevance in others‘ values, aspirations, or resources, and seeks to achieve its goals in spite of or at the expense of the others even when there might be significant gains available from cooperative action“ (Brown et al. 2000, 289).

Abbildung 14 Gegenpositionen bzgl. globaler unternehmerischer Strukturpolitik.

Quelle 30 Eigene.

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Dabei stehen summarisch eine Reihe von Effektivitäts- und Legitimitätsdefiziten besonders im Vordergrund:

Sowohl die genannten Effektiviäts- als auch Legitimitätsdefizite sind theoretisch nachvollzieh-bar. Es macht also Sinn, nach „Gegentherapien“ Ausschau zu halten, um die Netzwerkpotentiale auszuschöpfen und die Risiken zu reduzieren.

• Kohärenzproblem

• Kooptation

• Intransparenz

• Fehlende politische Verantwortlichkeit

• Machtasymmetrien

• Rhetorisches Handeln

Effektive und legitime Governance von Netzwerken

Wie die Analyse des WSSD offengelegt hat, zeigen trisektorale Politiknetzwerke in der globalen Nachhaltigkeitspolitik aus Sicht ihrer Akteure einige Risikodi-mensionen in Bezug auf Effektivität und Legitimität. Um globale Politiknetz-werke im Sinne ihrer Sozialkapitalintensität und damit ihrer Fähigkeit zu kollek-tivem Handeln effektiver zu machen und ihre Legitimität zu erhöhen, werden im Folgenden einige Vorschläge unterbreitet. Auf der Basis des Verständnisses von Netzwerkregulation, wie es der strukturationstheoretische Netzwerkansatz vor-legt, wird eine „Governance von Netzwerken“ formuliert, die sich in besonderem Maße auf die im empirischen Teil benannten Probleme bezieht. Gegenstände einer Governance von Netzwerken sind Selektion, Allokation, Evaluation, Sy-stemintegration, Positionskonfiguration und Grenzkonstitution.

Eine solche institutionelle Ausgestaltung von Politiknetzwerken ist zum einen funktionale Notwendigkeit, um Netzwerke als Sozialkapital wirksam werden zu lassen, zum anderen kann sie potentiell ein Kompromißmodell darstellen, das aus der politischen Sackgasse zwischen unregulierten Partnerschaften und der Ab-lehnung von Kooperation führen könnte.

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6 Effektive und legitime Governance von Netzwerken

Im Dokument Jonas Meckling NETZWERKGOVERNANCE (Seite 98-103)