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5. Welche Belastungen führen dazu, dass die Ziele bisher nicht erreicht

5.1.5 Morphologische Veränderungen

Die morphologischen Veränderungen in einem Gewässer lassen sich durch die Ergebnisse der Struk-turkartierung beschreiben. Sie ist ein Maß für die ökologische Funktionsfähigkeit und die Naturnähe eines Gewässers. Bei der Kartierung der Gewässerstruktur werden ökologisch bedeutsame Teilsys-teme zuerst einzeln bewertet und anschließend zur einer Gesamtbewertung zusammengefasst. Für große Gewässer wird das Überblicksverfahren angewendet, für kleinere Gewässer die Detailkartie-rung. Bei beiden Verfahren wird ein siebenstufiges Bewertungssystem zugrunde gelegt. Abb. 27 zeigt die prozentuale Verteilung der Ergebnisse der Gesamtbewertung für die Gewässer im Land Bremen (Einzugsgebiet > 10 km²). Dabei wurden die natürlichen und die als erheblich verändert eingestuften Gewässer mittels einer Detailkartierung bewertet. Für die Weser und die künstlichen Gewässer wurde das Übersichtsverfahren angewendet. Da die Übersichtskartierung Abschnitte von 1 km Länge be-trachtet und die Detailkartierung 100 m-Abschnitte, wurden die Abschnitte der Übersichtskartierung mit 10 multipliziert. Eine Karte mit den Gesamtergebnissen der Strukturkartierung findet sich in An-lage 5.1.

Im Land Bremen ist eine deutliche anthropogene Veränderung der Gewässer zu verzeichnen. 54,7 % aller Gewässerabschnitte sind sehr stark oder vollständig verändert (Strukturklasse 6 oder 7). 22 % der Abschnitte sind stark verändert und 13,9 % deutlich verändert. Nur 7,2 % gelten als mäßig verändert; 1,2 % als gering verändert. Kein einziger Abschnitt kann als unverändert eingeschätzt werden. Im Vergleich zur Darstellung im zweiten Bewirtschaftungsplan ergibt sich eine deutliche

Verschlechterung. Dieses ist nicht auf eine reale Verschlechterung am Gewässer zurückzuführen, sondern darauf, dass aufgrund von Experteneinschätzungen zahlreiche Abschnitte, insbesondere in der Wümme, der Varreler Bäke und der Schönebecker Aue, im Nachhinein schlechter bewertet wur-den, als die Kartierer*innen dieses vor Ort vorgenommen haben. Die Tendenz ist aber nach wie vor gleich: es liegen intensive Veränderungen der Morphologie vor. Sie sind bei der Weser auf den Fahr-rinnenausbau zurückzuführen, der intensive Uferbefestigungs- und Deichbaumaßnahmen erforder-lich macht. Auch an vielen Nebengewässern liegen die Deiche nahe am Gewässer, um das Hinterland vor Hochwasser von der Küste oder vom Binnenland zu schützen. Insbesondere die Marschengewäs-ser liegen in der Regel mit dem kompletten Einzugsgebiet hinter der Hauptdeichlinie und entwäsMarschengewäs-sern nur über Sielbau- und Schöpfwerke in die Hauptgewässer.

Abb. 27: Anteile an den einzelnen Strukturklassen bezogen auf die Gewässer im Land Bremen.

Die morphologischen Veränderungen der meisten Gewässer haben ihre Ursache in einem zuneh-menden Bedarf an Fläche für landwirtschaftliche Nutzung und Siedlungsraum. Die Begradigung der Gewässer führt zu einem schnellen Abfluss von Niederschlagswasser, zusätzlich wurden häufig Ver-wallungen zum Schutz der landwirtschaftlichen Flächen und Siedlungsflächen vor Hochwasser ange-legt. Nicht selten ist damit eine Trennung des Gewässers von seiner Aue erfolgt.

Die morphologischen Veränderungen der Weser sind auf die intensive Nutzung als Binnen- bzw.

Seeschifffahrtsstraße zurückzuführen, die einen wiederholten Fahrrinnenausbau und in dessen Folge zunehmend intensive Uferbefestigungs- und Deichbaumaßnahmen erforderlich macht. Diese histo-risch gewachsene Nutzung hat insbesondere seit Ende des 19. Jahrhunderts zu deutlichen Verände-rungen des Weserästuars geführt. Ehemals vorhandene Sande und Inseln wurden weitgehend be-seitigt (Abb. 28). Begradigung und fortschreitende Vertiefung der Fahrrinne zur Anpassung an die Großschifffahrt hatten einen deutlichen Anstieg der Fließgeschwindigkeiten und eine Erhöhung des Tidenhubs von ursprünglich wenigen Zentimetern auf über 4 m in der Stadt Bremen zur Folge (Abb.

29). Hochwasserschutzdeiche und intensive Uferbefestigung, die zur Aufrechterhaltung der Nutzung erforderlich sind, erlauben keine Eigendynamik. Die Wechselwasserzonen, d.h. die bei jeder Tide

trockenfallenden Bereiche des Gewässers, sind für Flora und Fauna extreme Lebensräume, an die nur wenige Organismen angepasst sind.

Abb. 28: Änderung von Habitaten in der Unterweser bei Harriersand (aus Hamer et al. 2013).

Weiße Flächen entsprechen eingedeichten Gebieten, die auf Kosten anderer Habitattypen in der Fläche stark zunah-men.

Abb. 29: Entwicklung des Tidenhubs im Unterweserverlauf (aus Hamer et al. 2013).

Weitere wirtschaftlich begründete Ausbaumaßnahmen der Weser verstärken diesen Trend. Im Jahr 2011 wurde ein weiterer Ausbau der Unterweser planfestgestellt, allerdings wurde die Umsetzung aufgrund einer Klage nicht begonnen. Schlussendlich urteilte das Bundesverwaltungsgericht am 11.

August 2016, dass der Planfeststellungsbeschluss rechtswidrig sei und nicht vollzogen werden dürfe.

Allerdings könnten die Fehler durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden. Die bremische Landesregierung hat sich in ihren Koalitionsvereinbarungen im Jahr 2019 darauf verständigt, dass eine Vertiefung der Unterweser von Brake bis Bremen (Unterweser Süd) aus ökologischen Gründen abgelehnt nicht mehr weiterverfolgen wird.

Der Bund hatte begonnen, die Verfahrensunterlagen für die Unterweservertiefung von Brake bis Bremerhaven (Unterweser Nord) und für die Außenweservertiefung nach den Vorgaben des Bundes-verwaltungsgerichts zu ergänzen und zu überarbeiten. Am 22. März 2020 wurde das Maßnahmen-gesetzvorbereitungsgesetz (MgvG) von der Bundesregierung verabschiedet. Durch diese Gesetzge-bung werden Neu- oder Ausbau sowie Änderung von Verkehrsinfrastruktur durch Gesetze anstelle eines Verwaltungsakts zugelassen. Die Fahrrinnenanpassung der Außenweser und der Unterweser (Nord) sind als eine der Infrastrukturprojekte im MgvG benannt. Erste Vorbereitungen für das Ge-setzesverfahren haben begonnen.

Der ausbaubedingte Tidenhub der Weser und die erhöhten Strömungsgeschwindigkeiten wirken sich bis weit in die Nebenflüsse Lesum, Wümme und Ochtum aus und erschweren die Besiedlung der Flusslebensräume. Auch an vielen Nebengewässern liegen die Deiche nahe am Gewässer, um das Hinterland vor Hochwasser von der Küste oder vom Binnenland zu schützen. Insbesondere die Mar-schengewässer liegen in der Regel mit dem kompletten Einzugsgebiet hinter der Hauptdeichlinie und entwässern nur über Sielbau- und Schöpfwerke in die Hauptgewässer.

Generell stellen morphologische Veränderungen in Bremer Gewässern neben Stoffeinträgen nach wie vor die am weitesten verbreitete signifikante Belastung dar.