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4. Bildungsbiographien: Erwartungen, Entfremdung und Erfolg

5.3. Mittler – Für Schule werben und die Eltern erziehen

AEEPCT hat in der Region von Tchatchou Strukturen etabliert, die Schulpflicht institutionali-sieren sollen. Die Organisation versucht den Schulbesuch seiner Mitglieder zu kontrollieren, indem von Schuldirektoren und Lehrern Zahlen und Hinweise über längere Abwesenheiten so-wie Schulabbrüche eingeholt werden. In einem solchen Fall wird zuerst der_die Schüler_In kontaktiert und versucht die Gründe für das Fehlen im Unterricht auf der niedrigsten Ebene zu lösen. Falls das nicht gelingt, wird das Gespräch mit den Eltern gesucht. AEEPCT vermittelt auch bei Konflikten zwischen Schüler_Innen, Eltern und Lehrern, etwa wenn Mädchen verfrüht den Schulbesuch abbrechen sollen um verheiratet zu werden. In solchen Fällen versuchen die Studierenden im Gespräch mit den Eltern, diese zu überzeugen, mit der Hochzeit bis nach dem Schulabschluss zu warten. Dabei wird stets nach diplomatischen Lösungen gesucht, so auch wenn Lehrer Bestechungsleistungen für adäquate Benotung verlangen. Wenn finanzielle Eng-pässe gegeben sind, bezahlt AEEPCT mitunter Schulbeiträge und -materialen oder mietet Zimmer für Schüler_Innen in der Stadt an, wenn der Wohnort zu weit von der Schule entfernt ist. Da sich AEEPCT allein über Mitgliederbeiträge und Spenden von Eltern finanziert, sind die Handlungsmöglichkeiten der Studierenden hier eingeschränkt. Sie verstehen sich primär als moralische und kollektive Unterstützung der Schüler_Innen. In den Kampagnen, mit denen für

den Schulbesuch geworben wird, sucht AEECPT stärker als FREPEN den Dialog mit der Be-völkerung und geht auf konkret lokale oder individuelle Problematiken ein.

In ihrem Bestreben, die Schulpflicht unter der Fulbe-Bevölkerung durchzusetzen, wird Bildung gegenüber der Elterngeneration aus einer utilitaristischen Perspektive, also aufgrund ihrer Nützlichkeit und ihres messbaren Gewinnpotentials beworben. Auf der Kampagne von AEEPCT richten sich die Studierenden an das Publikum und fragen, warum die Kinder nicht eingeschult sind. Daraufhin entwickelt sich folgendes Gespräch der Studierenden Manassé, Bana und Séko mit den Dorfbewohnern:

„Ein älterer Mann antwortet: Die Kinder sagen, sie brauchen Geld. Dann gibt man es ihnen – sie kommen wieder und wollen mehr. Ein Vater hat kein Geld – er geht aufs Feld, auf dem Feld findet man kein Geld [das Publikum lacht].

Manassé: Ihr müsst aber auch sehen, wie das Kind das Geld verwendet. Wenn es in die Schule geht und ein bestimmtes Niveau erreicht hat; wenn das Kind es schafft etwas Großes zu werden – in einem einzigen Tag kann es alles verdienen, was der Vater über zwanzig Jahre für die Aus-bildung ausgegeben hat.

Ein Anderer ruft: Aber das tun sie nicht, die Kinder geben es nicht!

Manassé: Irgendwann wird das Kind auch älter und wird kleine Jobs annehmen um sich im Klei-nen selbst zu finanzieren. Die fehlende Bildung führt zu einem Problem für denjenigen – immer.

Du musst ins Krankenhaus, in ein großes Krankenhaus in der Stadt – wer soll das bezahlen?

Der erste Alte: Man gibt Geld aus, immer mehr, irgendwann fragt man die Mutter: Hilf mir, die Schule für das Kind zu bezahlen! Und die Mutter weigert sich.

Manassé: Man muss das Geld eben auch suchen – nicht nur für das Haus, nicht nur den Markt, sondern auch für die Schule.

Bana: Wenn ein Pullo sein Kind wirklich in die Schule schicken will, dann wird das Geld ihn nicht daran hindern.

Séko: Wir haben Rinder, Schafe, Ziegen. Die anderen Gruppen, die haben nichts – und trotzdem schicken sie ihre Kinder zur Schule! Das Problem ist nicht das Geld. Die Fulbe sind reich, aber sie wissen nicht, wie sie mit ihrem Reichtum umgehen sollen“ (Kampagne in Goumara, 29.8.2014).

Die Studierenden argumentierten häufig, dass die aktuellen Investitionen in die Schulbildung der Kinder als Altersvorsorge zu den Eltern zurückkommen und die getätigten Ausgaben um ein Vielfaches übersteigen würden. Auch wären die Verluste, die man als Analphabet aufgrund von Diskriminierung und Betrug hätte, bei Weitem größer als die für die Ausbildung eines Kindes. So verwendet der Vorsitzende von AEEPCT, Manassé Y. bei der genannten Kampagne das Gesetz für Brandrodung als Beispiel um zu demonstrieren, wie die Unwissenheit über die

rechtliche Lage und Machtlosigkeit gegenüber den falschen Forderungen der Administration in einem einzigen Fall die jährlichen Ausgaben für die Schulbildung eines Kindes bei Weitem übersteigen.54

Ähnliche monetäre Anreize betont auch Soumanou K., der Vorsitzende von FREPEN gegenüber seinem Publikum. Schon bei der Vorstellung streicht er die materiellen Unterschiede und daraus resultierenden Handlungsmöglichkeiten heraus, die mich und ihn aufgrund Schul-bildung von den anderen Anwesenden unterscheiden würden:

„Wir sind hierhergekommen, sie ist sogar aus Deutschland angereist. Wir haben hier die Bevöl-kerung versammelt. Wir sind gut angezogen, haben Handys – etwa weil wir auf dem Feld waren?

Das war allein die Schule, die das gemacht hat“

(Soumanou K., Vorsitzender von FREPEN, 23.9.2014 in Nassy).

Schulbildung lohne sich demnach für die Eltern aus Geld- und Prestigegründen. Sie verspreche später eine lukrative Tätigkeit der Kinder, deren Gewinne zu den Eltern zurückkommen. Dabei sei sie schlichtweg günstiger, als mit den ständigen Verlusten zu leben, die Analphabeten durch Schikanen und Benachteiligung erleiden. Auch den Einwand der Eltern, es würde der Familie durch den Schulbesuch der Kinder an benötigter Arbeitskraft fehlen, entkräften die Studieren-den mit Verweisen auf die materiellen Ressourcen, über die Schulabsolventen verfügen würden. Die bessere Qualität der Ernte, „die großen Yamsknollen werden verkauft. Es sind die, die in der Schule waren, die das essen! Und für das Vieh, das sind die Europäer, die die in der Schule waren, sie schicken manchmal Fleisch oder Milch zu uns“ (Sabi G., Schriftführer von AEEPCT, 21.9.2014). Gleichermaßen wäre es mit den Grundstücken – „Die gehören denen, die zur Schule gegangen sind“ (Elcana D., 17.9.2014).

Damit (re-)produzieren die Studierenden die Gewinnerwartung der Eltern. Erwartun-gen, mit denen sie sich selbst konfrontiert fühlen, die sie kritisieren und denen sie nur schwer gerecht werden können. Die biographischen Interviews haben gezeigt, dass die Aussicht auf Wohlstand und Prestige keine ausschlaggebenden Kriterien für die Bildungsentscheidungen der Studierenden darstellen. Sie wehren sich gegen den Druck, möglichst zeitnah sichtbaren und messbaren Erfolg ihrer Ausbildung vorweisen zu können sowie einschlägige Symbole von Sta-tus und einem Leben in der Stadt zu bestätigen. In den Kampagnen verändern die Studierenden

54 Siehe Aussage auf S. 62f

jedoch ihr Sprechen über Bildung. Vom Mittel zur Selbstverwirklichung avanciert sie zum In-strument für sozio-ökonomischen Aufstieg, Schutz gegen Diskriminierung und Investition in Statusgewinn und Prestige.

Einen Schwerpunkt ihrer Arbeit legen die Studierenden weiterhin darauf zu verhindern, dass Schüler_Innen von ihren Eltern wieder aus der Schule genommen werden oder die Schule aus anderen Gründen abbrechen. Nach ihrer Einschätzung ist es eine der größten Herausforde-rungen ihrer Arbeit, Schüler _Innen bis zu einem Abschluss in der Schule zu halten. Nicht zuletzt erscheinen Schulabbrecher_Innen als eines der wichtigsten Argumente gegen ihre Rhe-torik von Schulbildung als gewinnbringender Investition:

„Sie sind ungeduldig zu sehen, dass die Schüler_Innen etwas mitbringen. Wenn es jemand gibt, den man eingeschult hat und aus dem nichts wird, sagen sie: Und was haben die Ersten erreicht, was ist dabei rumgekommen?

Das ist schlimm, wirklich schlimm, wenn man jemand schickt und er bricht ab. Er kommt zurück ins Dorf, um nichts zu tun. Das ist der schlechteste Fall, da er nicht mehr auf dem Feld arbeiten kann, wie die, die nicht zur Schule gegangen sind. Und auch mit den Rindern kommt er nicht mehr klar – er ist einfach da, braucht selbst Unterstützung.55 Das schreckt die Bevölkerung ab“

(Sabi G., Schriftführer von AEEPCT, 21.9. 2014).

Um den Eltern aufzuzeigen, wie Schüler_Innen erfolgreich unterstützt werden können und dass Misserfolge nicht zwangsläufig zum Abbruch führen, bedienen sich die Studierenden plakati-ver Metaphern von Viehzucht und Landwirtschaft. Um beispielweise einen Vater zu überzeugen, seinen Sohn, nachdem er mehrmals durch die Abiturprüfungen gefallen ist, wei-terhin finanziell zu unterstützen wurde, diesem entgegnet: „Auch du erntest nicht jedes Jahr wie du es dir wünscht – Und trotzdem sät man im nächsten Jahr wieder“ (Sabi G., Schriftführer von AEEPCT, 21.9. 2014). Oder die Unterstützung der Kinder wurde mit der Pflege der Rinder verglichen: „Wenn man Rinder hat, dann ist es auch nicht damit getan, sie zu besitzen und zu melken – man muss sie auf Weide führen, sie impfen usw. So ist es auch mit den Schülern - wenn sie in der Stadt sind, müsst ihr wissen, wo sie sind, was sie essen und wie sie sich in der Schule machen“ (Séko O., Vize-Vorsitzender von AEEPCT, Kampagne in Passatonà, 14.9.2014).

Die Studierenden sprechen über die parents als „villageoises“ (Dorfbewohner), be-schreiben sie als „pas trop civilisé“ (nicht wirklich zivilisiert) oder „ignorant“ (unwissend). Sie

55 Schulabbrecher_Innen haben dann wertvolle Zeit verloren um sich die jeweiligen Fähigkeiten und eine ent-sprechende physische Konstitution anzueignen, welche die Substistenzwirtschaft erfordert.

bedienen die Gewinnerwartung an Schulbildung sowie eurozentrische und kolonial konnotierte Dualismen zwischen Dorf/Stadt, reich/arm und gebildet/ungebildet. Nicht zuletzt instrumenta-lisierte schließlich Soumanou in diesem Zusammenhang meine Herkunft und Hautfarbe.

Diese Art der Positionierung gegenüber den Eltern gleicht der Selbstidentifikation von Mitarbeiter_Innen aus der Entwicklungszusammenarbeit, die in explizit partnerschaftlich aus-gerichteten Projekten tätig sind und von Baaz in ihrer Studie über Tansania untersucht wurden (2005: 166ff.): Die Mitarbeiter_Innen verorten sich in Abgrenzung zur Zielbevölkerung als überlegen, entwickelt und aufgeklärt, während Letztere als rückständig, unterlegen, passiv und irrational dargestellt werden. Angelehnt an die metaphorische Gleichsetzung von Kolonialisier-ten und Kindern, werden Bilder evoziert, die ein passives Gegenüber zeigen, dessen Handlungsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein erst aktiviert werden müssten. Baaz argu-mentiert, dass dieser Diskurs über die Passivität des Partners dessen ungleiche Position innerhalb ökonomischer Strukturen übergeht und in neoliberaler Argumentation die Gründe für Armut und fehlender Entwicklung bei den Betroffenen selbst verortet. Schließlich verdeckt hier das Bild des passiven Anderen die Mechanismen des Stereotyps, nämlich die Wechselwirkung mit der Selbstidentifikation als wissend, handlungsanweisend und verantwortungsbewusst. Die Positionierung der Studierenden in einem positivistischen Diskurs über Bildung und Entwick-lung deckt sich in diesen Teilen mit westlichen EntwickEntwick-lungsarbeitern: Die Studierenden nehmen eine aufklärerische und paternalistische Rolle ein. Sie verorten die Eltern in den Aus-sagen über sie und im Dialog mit ihnen als ‚die, die noch nicht verstanden haben’ und mit Anreizen überzeugt und angeleitet werden müssen, da sie rational nicht für Argumente über die Sinnhaftigkeit von Bildung zugänglich wären. Koloniale Beobachter hatten auf ähnliche Weise in den 1930er in Dahomey den ‚Schwarzen’ das Vermögen Bildung als Selbstwert zu begreifen abgesprochen und daraufhin die Anreizkette von schulischem Erfolg, der zu einem Diplom, welches zu einer ‚weißen’ Position im kolonialen Verwaltungsapparat führte, etabliert. Schließ-lich verweisen die Metapher von Viehzucht und Landwirtschaft, denen sich die Studierenden bedienen, ebenso wie die abwertende Bezeichnung der „villageoises“, auf eine Übernahme ei-nes eurozentrischen Bildes des rückständigen, afrikanischen Dorfes, dessen Bewohner nicht über dessen begrenzte Kategorien hinausdenken können.

Die Versuche der Studierenden, Schulbildung als gewinnbringende Investition zu be-werben sowie die Schulpflicht durch Strukturen der Unterstützung und Kontrolle durchzusetzen, stoßen auch an ihre Grenzen. Erstens basiert die Intervention auf einem grund-legenden Interesse der Bevölkerung. So gibt es auch Dörfer, die Anfragen für Kundgebungen

von vornherein ablehnen. Zweitens ist der Wille des_der Schüler_In eine Grundvorausset-zung.56 Drittens sind die Möglichkeiten der Einflussnahme gegenüber Eltern, die Kinder aus der Schule nehmen, für die Studierenden beschränkt. Besonders in Fällen von arrangierten Ehen, die oft bereits im Alter von 15 bis 18 Jahren geschlossen werden und besonders die Schulkarriere der betroffenen Mädchen gefährden sind den Studierenden die Hände gebunden.

Diese werden als private Familienangelegenheiten erachtet, über die Jüngere weder zu urteilen noch zu entscheiden haben. Hier besteht nur die Möglichkeit, die Eltern durch Argumente zu überzeugen. Da sie keine sozialen Konsequenzen zu befürchten haben, bleibt es in ihrer Ent-scheidungsmacht. Die studentischen Organisationen argumentieren dann paradoxerweise mit den rechtlichen Konsequenzen einer staatlich institutionalisierten Schulpflicht, welche sie selbst versuchen auf einer nicht-staatlichen Ebene zu implementieren:

„Kann man jemanden zwingen, sein Kind in die Schule zu schicken? Nein, kann man nicht.

Manchmal geht das so weit, dass wir sagen: Wisst ihr was das Gesetz sagt? Wenn ein Kind im Schulalter nicht eingeschrieben ist – da Schulbildung kostenlos ist - wird man den Vater verhaf-ten. Er kommt ins Gefängnis. Manchmal sagen wir, was wir hier machen, ist sie davor zu beschützen. [...] Dann aber greifen uns die Eltern von der anderen Seite an, indem sie sagen: Aber der Staat hat uns keine Lehrer geschickt! Wie kann man sagen, Bildung wäre kostenlos, wenn wir keine Lehrer haben? Das heißt, eigentlich ist es nicht kostenlos. Sie haben Recht. Also muss erst-mal der Staat seinen Pflichten nachkommen pour que nous, nous puissions bien faire notre travail.

Wenn es komplett kostenlos wäre, gäbe es viele Fulbe in den Schulen. Aber da es oft die Eltern sind, die die Lehrer bezahlen, gibt es große Probleme“

(Manassé Y., Vorsitzender von AEEPCT, 9.9.2014).

Manassé betont schließlich die Vermittlerrolle der Studierenden, die es verlangt pragmatisch in ihren Forderungen gegenüber den Eltern zu sein.57 Ansagen und Verhandlungen folgen jedoch keinem festen Schema, sondern sind „lange Debatten, um sie wenigstens ein bisschen zu über-zeugen. Da es unsere Kultur ist, kennen wir die Leute da – wir wissen wie wir mit ihnen reden müssen, um sie zurechtzuweisen“ (Manassé Y., Vorsitzender von AEEPCT, 18.9.2014).

56 Wie erläutert sucht AEECPT zuerst das Gespräch mit dem Schulabbrecher selbst und versucht auf dieser Ebene das Problem zu lösen. Grundsätzlich können sie aber niemanden zum Schulbesuch zwingen, denn „[d]er Wille muss da sein. Wenn der Wille da ist und es Probleme gibt, kann man versuchen Lösungen für diese zu fin-den. Aber für jemanden, der nicht will, gibt es keine Lösung“ (Manassé Y., Vorsitzender von AEEPCT, 21.9.2014).

57 Die Aufforderung alle Kinder einzuschulen sei unrealistisch und führe dazu, dass die Eltern sich ganz gegen Schulbildung ihrer Kinder entscheiden würden: Die Studierenden ermutigen sie also beispielweise die Ältesten als Arbeitskräfte zu Hause zu behalten und die Jüngeren einzuschulen.

Die Studierenden wissen auch, wie sie das Misstrauen der Eltern strategisch und argu-mentativ abbauen. Die Eltern befürchten zum Beispiel, ihre Kinder würden sie im Rahmen ihres städtischen Lebens und Schulbesuch vergessen. Die Studierenden wählen damit bewusst Spre-cher für die Kampagnen unter sich aus, die aus den jeweiligen Dörfern kommen und regelmäßig zurückkommen um zu Hause mitzuhelfen. Manassé selbst wurde von den Alten aus einem Dorf, in dem AEEPCT kürzlich eine Kampagne abgehalten habe, zufällig bei der Feldarbeit gesehen:

Sie wären erstaunt gewesen und haben eingeräumt, dass sie vorher den Studierenden „nicht geglaubt“ hätten. Aber jetzt können „diese villageoises kommen und sich hier in ihrem Dorf vergewissern – stimmt es was er uns da erzählt hat? Wenn es wirklich stimmt, werde ich mein Kind einschulen, es wird mir genauso helfen wie er“ (Manassé Y., Vorsitzender von AEEPCT, 18.9.2014).

Die Studierenden nehmen hier eine Rolle ein, die in den Sozialwissenschaften mit dem Konzept des ‚Brokers’ oder des ‚Entwicklungsmaklers’ beschrieben wird. Benin ist als Ren-tenstaat in essentieller Weise von Entwicklungsgeldern abhängig, die in einem verzahnten Feld sogenannter Nichtregierungsorganisationen und staatlicher Politik mobilisiert werden. Für das frankophone Afrika beschreibt der Begriff des ‚Brokers’ soziale Akteure, die auf die Akquirie-rung, Kontrolle und Wiederverteilung von Entwicklungsressourcen spezialisiert und somit an der Schnittstelle von Gebern und Empfängern verortet sind (Bierschenk et. al. 2002; Mosse &

Lewis 2006: 12).58 Die soziale Schnittstelle, die der Broker besetzt und managt, wird oft als zwischen zwei Weltsichten oder Wissenssystemen (Bierschenk et. al. 2002: 17) beschrieben, woraus sich seine Rolle als Intermediär oder Übersetzer ergibt. Der Broker ist mit beiden Spra-chen oder Realitäten vertraut und mobilisiert erfolgreich Mittel und MensSpra-chen, indem er die die Erwartungen beider Seiten sowohl formt, als auch befriedigt. Dabei bedient er sich rhetori-scher wie dramatirhetori-scher Inszenierung und beherrscht „de ‚fabriquer une réalité’ avec ‚l’art de faire croire’“ (Blundo 2000: 3) beziehungsweise „the management of meaning“ (Cohen & Co-maroff 1976). Die studentischen Organisationen sind nicht in die Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit eingebettet und können somit auch keine dementsprechenden Ressourcen mobilisieren. Sie agieren jedoch an der Schnittstelle zweier sozialer Referenzsys-teme, zwischen denen sie vermitteln und übersetzen. Das bedeutet nicht, dass diese als solche existieren, indem sich hier zwei komplementäre und unverbundene Welten gegenüberstehen

58 „Local development brokers are the social actors implanted in a local arena (in whose politics they are directly or indirectly involved) and who serve as intermediaries who drain off (in the direction of the social space corre-sponding to this arena) external resources in the form of development aid. […] They are supposed to represent the local populations, express its «needs» to the structures in charge of aid and to external financiers. In fact, far from being passive operators of logic of dependence, development brokers are the key actors in the irresistible hunt for projects carried out in and around African villages” (Bierschenk et. al. 2002: 4).

würden. Vielmehr wird diese Zweiteilung durch die paternalistische Rolle der Studierenden gegenüber den Eltern und die Reproduktion klassischer eurozentristischer Dualismen des Ent-wicklungsdiskurses erst erschaffen: Das Dorf, in dem ungebildete Viehzüchter von der Hand in den Mund und in vermeintlich materieller Armut leben, steht einem Leben in der Stadt, das die Schulbildung ermöglicht und das Prestige und Reichtum, Aufstieg und Wohlstand ver-spricht, diametral gegenüber.

Ein weiteres Merkmal des Brokers nach der Definition von Bierschenk et. al. (2002: 4) ist dessen direkte oder indirekte Einbindung in lokale Politik. Dies trifft auch auf die Studie-renden zu, die sich einer solchen Verflechtung nur bedingt entziehen können oder sich bewusst darin verorten. Wie schon zu Beginn des Kapitels gezeigt, beansprucht AEECPT eine nach eigenen Worten ausdrücklich „apolitische Haltung“ (Manassé Y., 18.9.14), während FREPEN vorgeworfen wird, Patronagebeziehungen zu einschlägigen Eliten zu unterhalten. Der Vorsit-zende von AEEPCT distanziert sich im Interview entschieden von dieser Strategie, die zu „einer Klassengesellschaft von Intellektuelle und Analphabeten“ (ebd.) führen würde. Das Ziel ist, durch Bildung dem Einzelnen eine grundlegende politische Handlungsmacht zu ermöglichen, so dass dieser nicht mehr Opfer von Wahlprogrammen und anderen Versprechen im Rahmen von Patronagebeziehungen werden. Die Verzahnung von Tätigkeiten und Zielsetzungen im NGO-Bereich und politischen Interessen wäre äußerst gefährlich und würde in nicht mehr kon-trollierbare Abhängigkeiten enden:

„Die Politiker sehen, du bist der Vorsitzende einer Organisation von Studenten an der Uni, da steht eine Bewegung dahinter, du hast Einfluss – Ils vont t’utiliser, t’utiliser – et ils font tout pour tu ailles rien à faire, parce que si tu trouves de travail tu vas les oublier. Und so wird es kommen, dass du – selbst wenn du eine neue Zahnbürste brauchst – zuerst sie anrufen wirst, um zu sagen, ich hab in diesem oder jenem Dorf eine politische Versammlung organisiert, kommt her – und sie geben dir 5.000 CFA. Und dann kannst du losgehen und dir deine Zahnbürste kaufen.

Seit Yayi59 wird es keinen Staatschef mehr geben, der nicht promoviert hat. Die Zeiten sind vorbei.

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