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4. Bildungsbiographien: Erwartungen, Entfremdung und Erfolg

5.2. Marginal sein und modern werden - Kultur verteufeln, Kultur inszenieren

„Die Fulbe stellen in Benin eine Minderheit dar und verzeichnen eine sehr hohe Analphabeten-rate. Von außen betrachtet sind sie der Teil der Bevölkerung, der mit den erbärmlichsten Lebensumständen zu kämpfen hat. In den Universitäten findet man sie nur vereinzelt, in den gro-ßen Institutionen und Instanzen dieses Landes sind sie praktisch nicht vertreten. Das macht aus den Fulbe den vulnerabelsten Teil der Gesellschaft von Benin: ils constituent le réfectoire de toute la nation - Die ganze Nation kann sich an ihnen bedienen“

(Auszug aus dem Dokument „La scolarisation en milieu Peulh - Etat des lieux » der Organisation AEEPCT anlässlich der Feier zum zwanzigjährigen Bestehen).

Die studentischen Organisationen stimmen in ihren Kampagnen in ein Narrativ der kollektiven Erfahrung ethnischer Diskriminierung ein. Es werden scheinbar jedem Einzelnen bekannte Bei-spiele der alltäglichen Diskriminierung und Ausbeutung der Fulbe vorgeführt. Dabei wird argumentiert, dass dies allein dadurch ermöglicht werde, dass Analphabeten ihre Rechte nicht kennen würden:

„Beginnen wir mit dem Beispiel Krankenhaus: Wenn von euch hier niemand in der Schule war, woher wisst ihr wie viele der Tabletten ihr nehmen müsst? Eigentlich sind es zwei und du nimmst vier. Und dann? Wenn du Glück hast, kippst du um; wenn nicht, stirbst du. Weil du nicht in der Schule warst! Man sagt dir, die Medikamente kosten 5.000 CFA – aber in Wirklichkeit sind es 500 CFA, weil man weiß, du kannst den Preis nicht lesen.

Dann hast du Rinder – dein Hirte führt sie auf die Weide. Die Tiere laufen in die Felder der Bauern und richten Schaden an. Man bringt dich zur Polizei. Dort musst du einen Übersetzer finden. Dem sagst du deine Tiere sind nicht in die Felder gelaufen, er sagt zum Polizisten, ja, du stimmst den Anschuldigungen zu. Versteht ihr? Wenn man dir sagt, du musst 5.000 CFA zahlen, weil deine Tiere die Felder zerstört haben, bist du verpflichtet zu zahlen, oder? Weil du keinen Sohn hast, der studiert hat, keinen der bei der Polizei ist. Niemand wird dich dort verteidigen können. Oder du legst Feuer in den Feldern – ein bisschen nur! Dann sagt man dir, das Feuer hätte schon diese oder jene Grenze überschritten und du musst 10.000 CFA zahlen. Aber Brand-rodung in bestimmten Fällen ist nicht strafbar! Trotzdem sagt man dir das kostet, 10.000, 15.000 oder 20.000 CFA. Und du wirst zahlen. Wer hat jetzt verloren? Und dann hast du nicht mal 5.000 CFA um dein Kind in die Schule zu schicken?“

(Manasse Y. Vorsitzdender von AEEPCT, Kampagne in Goumara, 29.8.2014).

Dieser Diskurs über Ausbeutung und Ungleichbehandlung der Fulbe durch Staat und andere ethnische Gruppen, den die Studierenden hier evozieren, hat sowohl das Selbstverständnis der Beniner Fulbe (Boesen 1999: 145 ff), als auch der internationalen Fulbe-Gemeinschaft geprägt (Carayol 2013).49 Andere Fulbe-Intellektuelle haben ihn auf vergleichbare Weise für ihre Zweck der Politisierung von Ethnizität fruchtbar gemacht: Die nationale Organisation von Viehzüchtern ANOPER (Ciavollela 2012), das comité fulfulde (Bierschenk 1989: 12ff) und schließlich Einzelpersonen politischen Engagements wie Agath Ammo oder Moumouni Donon bedienen sich einer ähnlichen Rhetorik. Neben Repressalien durch staatliche Repräsentanten und die Haabe, ist die Problematik zunehmender Landknappheit und -konflikte ein zentrales Thema:

„Es gibt keinen Boden mehr, überall sind Grundstücke, alles ist verkauft. Also, was können wir dagegen tun? Es werden Zeiten kommen, in denen man kein Land mehr für die Weide der Tiere finden wird. Deswegen legen wir jedem von euch nahe – schickt eure Kinder in die Schule! Wenn die Kinder nicht zur Schule gehen, wird der Moment kommen, an dem es keinen Ausweg mehr gibt und wir für immer von den anderen dominiert werden, für immer ihre Sklaven bleiben!“

(Séko O., Vize-Vorsitzender von AEEPCT, Kampagne in Passatonà, 13.9.2014).

Dramatik und Endzeitprognosen50 tragen hier zu einem hohen Potential politischer Mobilisie-rung bei: Die Rhetorik der Studierenden konstruiert gegenüber dem Publikum die

‚Gemeinschaft der Fulbe’ als homogenes Kollektiv, das sich durch geteilte Erfahrung und In-teressen auszeichnet. Unterstrichen wird dies durch symbolische Inszenierungen, die spezifische Handlungen und Artefakte beinhalten: Auf Kampagnen und Schülerversammlun-gen werden Tänze ‚der Fulbe‘ zu Trommelmusik aufgeführt. Dabei wird darauf geachtet, dass ausschließlich auf Fulfulde gesungen und auf Kalebassen, nicht industriell gefertigten Trom-meln musiziert wird. Die Kundgebungen werden durch gemeinsames Essen abgerundet, das von der Dorfgemeinschaft bereitgestellt wird. Dazu wird Milch aus Kalebassen gereicht und T-Shirts der jeweiligen Organisation in den Fulbe-Farben weiß-blau oder mit eindrücklichen Slo-gans verteilt: Auf einer Version des T-Shirts von FREPEN steht der Aufruf „Fulbe unissons-nous!“ (Fulbe, vereinigen wir uns!), auf einer anderen „Je suis Peulh - je suis fier du sang qui

49 Somit findet sich beispielsweise in Guinea, wo Fulbe die größte ethnische Gruppe darstellen und sich nicht zuletzt über das bedeutende historische Erbe des Staates von Futa Jallon definieren (ca. 1700–1934), ein ähnli-cher Diskurs von ethnisähnli-cher Marginalisierung bei gleichzeitiger Angst vor einer Fulbe-Verschwörung auf der

‚Gegenseite’ (Philipps 2013: 139ff).

50 „Wenn sie ihre Lage im Borgu beschreiben, malen die Fulbe in starken Farben: Sie werden ausgebeutet, unter-drückt, von allen Seiten schikaniert. Im Land der Haabe (leydi haa6e) seien sie lediglich geduldet, ihnen drohe jederzeit Vertreibung und noch Schlimmeres“ (Boesen 1999: 145).

coule dans mes veines“ (Ich bin Pullo - Ich bin stolz auf das Blut, das in meinen Adern fließt).

Die Plakativität dieser Symboliken kulminiert in dem Vereinslogo von AEEPCT, das eine Milchkalebasse und ein Buch mit Stift zeigt. Die Studierenden agieren hier als „symbolische Entrepreneure“ (Bierschenk 1992: 515, Übers. d. Verf.), die es verstehen durch bewusstes Ar-rangieren von Bedeutungen komplexe Realitäten zu einer Interpretationslinie zu vereinen: Ihre Marginalität eint die Fulbe.

Damit reihen sich die Organisationen der Studierenden in eine Konjunktur von Zuge-hörigkeitspolitiken im Rahmen von Home Town oder Ethnic Associations in Afrika ein (Hickey 2011; Hagberg 2004; Lentz 1999; Nyamnjoh & Rowlands 1998). Demokratisierung und koloniales Erbe der Politisierung von Ethnizität haben zu einer paradoxen Entwicklung geführt (Geschiere 2009: 14ff; Geschiere & Gugler 1998: 313): Ein großer Teil westafrikani-scher Staaten befindet sich seit den 1990er Jahren in Liberalisierungs- und Demokratisierungsprozessen, während die Tradition der ‚politique des races’ der französischen Kolonialpolitik auf diese einwirkt. Aktuelle Diskurse um ethnische, lokale und nationale Zuge-hörigkeit werden somit befeuert. Organisationen treten häufig mit Rhetoriken einer Veränderung der ‚Mentalität’ der Zivilbevölkerung für Entwicklung durch Aufklärung bei gleichzeitiger Bewahrung und Förderung von ‚Kultur und Tradition’ auf (Behrends & Lentz 2012; Lentz 1999).

In diesem Fall zeichnen sich die Organisationen weiter durch den zentralen Diskurs von Marginalität, Diskriminierung und Opferschaft aus. Sie reihen sich nicht nur in ein historisches Narrativ und eine politische Praxis ein, sondern verfestigen diese durch „victimhood work“

(Jeffery & Candea 2006: 288). Opferschaft stellt demnach keine unmittelbare Tatsache dar, sondern muss narrativ vermittelt und diskursiv ausgehandelt werden. Die Inszenierung, diskur-sive Verteidigung und Ästhetisierung kollektiver Identitäten im Öffentlichen Raum gewinnt im Kontext von Migration und Globalisierung zunehmend an Bedeutung. ‚Kultur’ ist unter Bedin-gungen translokaler Kommunikationsflüsse nicht schlicht die unbewusste Reproduktion von Dispositionen und Handlungen im Bourdieuschen Sinne. Schaffung und Reproduktion kollek-tiver Identitäten (als die Bezugnahme auf gemeinsame Tradition, Kultur und Ethnizität) ist zunehmend bedroht durch alternative Narrative und gesteigerte Möglichkeiten der Individuen zwischen differenten Zuschreibungen und Identitäten zu wählen (Appadurai 1996: 44). Aus praxeologisch-konstruktivistischer Perspektive findet in den Kundgebungen der studentischen Organisationen eben jener Prozess des „Doing Identity“ (vgl. z.B. Hörning & Reuter 2004: 10) respektive „Doing Differences“ (Hirschauer 2014) statt. Dies impliziert aber auch immer den analytisch gegenteiligen Mechanismus eines „Undoing of differences“ (ebd.: 183):

„Undoing ethnicity (z.B.) bezeichnet insofern nur einen schmalen Zwischenbereich, ein Stillstellen der Unterscheidung, das noch in ihrem Horizont bleibt, an den Rändern aber bereits im ‚not doing ethnicity at all‘ verschwindet (so wie ein Schweigen im Nicht-Sprechen), also in das Tun von etwas ganz anderem übergeht (z. B. von Professionalität). Das undoing ist empirisch nur so konstruiert wie dieses Schweigen, eine im Erwartungshorizont signifikante Inaktivität, die nahtlos in etwas ganz anderes übergehen kann“ (ebd.).

Die Erfahrungen von Entfremdung und Abgrenzung aus den Biographien des vorherigen Ka-pitels geben einen empirischen Hinweis darauf, wie die Studierenden und ihr soziales Umfeld in den Heimatorten Differenzen zueinander schaffen. Im folgenden Kapitel werde ich einge-hender diskutieren, welche Rolle die Studierenden gegenüber den ‚parents’ einnehmen. An dieser Stelle ist jedoch ausschlaggebend, dass diese Differenzen im Geschehen der Inszenie-rung von kollektiver Identität nicht relevant sind. Unabhängig von ihrem Inhalt und ihrer Konstitution „ruh[en] sie in einer Art Stand-by-Modus“ (ebd.). Hagberg (2004: 211) stellt für eine Organisation der Fulbe in Burkina Faso die These auf, dass divergierende Interessen zwi-schen den Mitgliedern bzw. hier den Studiereden und der Zielbevölkerung übergangen werden können, indem eine gemeinsame Identität konstruiert und in den Vordergrund gestellt wird:

Während die Studierenden ganz andere Vorstellungen von und Erwartungen an formelle Bil-dung haben, können sich alle auf Milchkalebassen, die Farben rot – weiß – blau und die typischen Beispiele über die Ausbeutung durch Staat und Bürokratie einigen. Ungefährliche Symboliken tragen zur Konstruktion eines homogenen Kollektivs und dessen gemeinsamer In-teressen und Ziele bei, so dass innere Differenzen negiert werden.

Dabei ist die ‚Kultur der Fulbe’ als solche ein umkämpftes Terrain. Die landläufige Er-klärung für das Fernbleiben der Fulbe von der Schule ist deren Unwissen, ‚Ignoranz’ oder ihr angebliches Nomadendasein. Auch wenn sich die Studierenden nicht auf das Narrativ der Un-vereinbarkeit von Entwicklung und kulturell bedingten Handlungslogiken einlassen, existiert ein allgemeiner Diskurs über die ‚notwendige Modernisierung‘ diverser sozialer Praktiken:

„Man sagte damals, die Fulbe sind ausschließlich da, um Rinder zu züchten und Felder zu bestel-len. Aber heute gehen wir in die Schule, in die Uni, wir können jede Menge andere Dinge machen!

Oder etwa nicht? Wir wollen die Entwicklung. Aber wir werden uns nicht entwickeln, wenn alles so beibehalten wird wie vorher - das ist unmöglich! La, si on dit que le pulaaku est en train de partir,

moi je dirais qu’il ira loin [lacht]!51 Pulaaku ist nicht dabei zu verschwinden - aber wir sind dabei die Dinge zu modernisieren. Jeder trifft seinen Freund oder seine Freundin – am helllichten Tag!

Trotzdem behält er ein bestimmtes Verhalten bei – jeder wird sehen, dass es ein Pullo ist“

(Gani S., Vize-Schriftführer von AEEPCT, 21.9.2014).

Sabi G., der Schriftführer von AEEPCT bezieht sich im Folgenden konkret auf klassische Bei-spiele der Unterdrückung eigener physischer und psychischer Bedürfnisse, die auf die Scham zurückzuführen sind und als „das Wahrzeichen des Fulbetums“ (Boesen 1999: 70) gelten. Dazu gehört nicht nur das Gebot nicht in der Öffentlichkeit zu essen, sondern auch die eigene Person und Meinung nicht in Mittelpunkt zu stellen:

„In der heutigen Zeit ist es nicht mehr selbstverständlich, dass wir unsere ganze Kultur behalten, nein. In der Globalisierung wollen wir alle zusammen in Gemeinschaft leben und es ist nicht mög-lich alles beizubehalten, was wir als Kultur haben. Es gibt darin viel, das mit dem Ziel der Emanzipation, das wir verfolgen, nicht zu vereinbaren ist. Wenn man sagt, man will einen Pullo, der nicht in der Öffentlichkeit spricht... - man kann niemanden in die Schule schicken und ihn daran hindern in der Öffentlichkeit zu sprechen, das ist widersprüchlich. Il va falloir qu’il s’ex-prime en quelque part. Also es gibt wirklich Merkmale in unserer Kultur, die es zu unterdrücken gilt, es gibt andere, die es zu stärken gilt um weiterkommen zu können, um in der Gemeinschaft leben zu können, um sich auszeichnen zu können, um sich zu ähneln - um nicht das ertragen zu müssen, was der Pullo ertragen musste. Er wusste nicht, wo die Entscheidungen getroffen werden.

Die Fulbe werden als niedere Menschen angesehen. Das heißt, jeder der einen Pullo sieht, denkt, bei ihm kann ich mir holen, was ich will, ich kann ihn festhalten und mit ihm machen, was ich will. Man muss da rauskommen, muss sich bilden! Das heißt nicht, dass die Kultur der Fulbe verloren geht. Es ist schwierig für einen Pullo aufzustehen, in der Öffentlichkeit seine Stimme zu erheben, bestimmte Themen anzusprechen... Aber heute können wir nicht zur Schule gehen und gleichzeitig damit ein Problem haben, bestimmte Dinge anzusprechen! Darauf kommt es in der Schule an. Deshalb ist es wirklich nötig, diesen Teil in uns zu unterdrücken, um in der Schule weiterzukommen, das ist einfach so. Aber wenn man sich bilden möchte, gibt es wirklich Dinge, die es auszuschalten gilt – sprechen in der Öffentlichkeit, essen in der Öffentlichkeit, die Fulbe, nein, das war ein Tabu, das konnte man nicht machen! Aber heute, wenn man zur Schule gehen will, muss man all das tun! Ich kann nicht zur Uni gehen und sagen, gut, dann verstecke ich mich eben zum Essen, das ist nicht möglich“ (Sabi G., Schriftführer von AEEPCT, 21.9.2014).

51 ‚Le pulaaku est en train de partir‘ (pulaaku ist dabei zu verschwinden/zu gehen) ist eine häufige Wendung der älteren Generation um den vermeintlichen Werteverlust in der ‚Gesellschaft der Fulbe‘ zu beschreiben. Die For-mulierung des Informanten (Wenn pulaaku dabei ist, zu gehen, dann sage ich, es wird weit kommen!) ist demnach nur bedingt in Deutsche zu übersetzen.

Die konkreten Elemente der Kultur der Fulbe, die es nach den studentischen Organisationen zu ändern gilt um die Bildungsrate zu erhöhen, gleichen entwicklungspolitischen Maßnahmenka-talogen: Die größten Hindernisse seien Hochzeiten im Jugendalter, frühe Schwangerschaften, der Unmut, das älteste Kind einzuschulen52, die aktuelle Praxis der Viehzucht, die sich moder-nisieren müsse, um ohne Transhumanz und tägliche Weidewanderung auszukommen sowie die Praxis der Flagellation. Im Diskurs um die Schlagwörter von Modernisierung und Entwicklung wird die Kultur der Fulbe zu einem fassbaren Objekt, das sich in einzelne, voneinander unab-hängige Elemente aufteilt, von denen manche im Prozess der Angleichung beizubehalten sind, während andere ausradiert werden müssen. Comaroff & Comaroff erklären einen solchen Pro-zess als Folge der Mission zur Christianisierung, der den kolonialen Subjekten auferlegte, die eigene Kultur in Abgrenzung zur europäischen zu definieren und zu objektifizieren:

„Ethnic consciousness, we would argue, has its origins in encounters between peoples who signify their differences and inequalities – in power, economic position, political ambitions, and historical imaginings – by cultural means. Typically, it is the subordinate, not the dominant, who are first marked and named. [...] As this suggests, collective identity is everywhere a relation, nowhere a thing (Comaroff and Comaroff 1992: 51). Viewed thus, the construction of ’the Bechuana’ as ’a people’, the genesis of their own ethnicity in its modernist sense, occurred in response to the (in-creasingly unequal) terms in which they were engaged by significant others along the colonial frontier. [...] The teleological cast of the civilizing mission, did not welcome the possibility that two systems of knowledge, each with its own ontology, might coexist or be spliced together. Conse-quently, Southern Tswana found themselves being asked, in various ways, to objectify their own culture, setswana, by contrast to ’European ways’” (Comaroff & Comaroff 1997: 388).

Die studentischen Akteure objektifizieren die Kultur der Fulbe in Relation zum geflügelten Begriff der ‚Entwicklung’. Indem der Diskurs von Entwicklung das europäisch-westliche Mo-dell als Norm und alleinigen Referenzpunkt der Bewertung Anderer setzt, werden alternative Wissenssysteme und Deutungen ausgeschlossen. Diese Totalität setzt die Akteure in einem dis-kursiven Rahmen fest, der dazu führt, dass Fulbe-Kultur hier in seiner Relation zu

‚Entwicklung’ gefasst wird. Da unter dem Dispositiv von Entwicklung eine ganze Reihe kultu-reller Praktiken nicht angemessen oder förderlich erscheinen, bezieht man sich bei der Beschwörung von Kultur und Gemeinschaft auf simple, unpolitische Symboliken.

52 Dies hat zwei Gründe: Erstens ist das erste Kind eine sehr bedeutende Arbeitskraft. Zweitens ist es, als ‚Zei-chen’ des ersten Geschlechtsakts eines Ehepaares, mit besonderen Geboten der Meidung besetzt. Besonders der Vater nimmt eine distanzierte Position zum ersten Kind ein.

Dennoch bleibt die Frage, was ‚Entwicklung der Fulbe’ für die studentischen Initiativen, als erklärtes Ziel und gebetsmühlenartig wiederholtes Programm, denn eigentlich bedeutet. Auf meine Nachfrage, wurde mir u. a. im Gruppeninterview mit FREPEN in einschlägigen Phrasen im NGO-Jargon geantwortet:

„Die Entwicklung umfasst drei Faktoren: Die ökonomische Entwicklung meint den Reichtum der Fulbe zu verwalten: Die Viehzucht beinhaltet große Möglichkeiten; ohne Bildung können diese nicht ergriffen werden. Dann der kulturelle Aspekt, damit meinen wir, wie man die Tradition und Kultur der Fulbe entwickeln kann. Und schließlich die Politik: Ohne Schulbildung wird es schwie-rig einen politischen Posten zu bekommen“ (18.8. 2014, Farouk O., FREPEN).

‚Entwicklung’ fungiert hier als inflationärer und ausgehöhlter Begriff. Indem die Kultur der Fulbe als in Relation zu diesem universell anerkannten und normativ positiven Begriffskon-strukt definiert wird, werden historische Genese und sozio-politischer Einbettung unsichtbar.

Die Fulbe Nordbenins pflegen keinen historischen Diskurs über Ursprung und Herkunft. Sie zeichnen sich vielmehr dadurch aus, dass sie „darauf best[ehen], keine Geschichte zu haben“

(Boesen 1999: 5). Die Praktiken und Symboliken, die als repräsentativ für die Tradition oder Kultur der Fulbe gelten sollen, werden als zeit- und geschichtslos dargestellt. Die Kultur der Fulbe wird damit zur Wurzel ihrer Marginalität erklärt. Sie erscheint als das, was es zu verän-dern, aufzuklären und zu bekämpfen gilt. Gleichzeitig ist sie Legitimationsbasis der studentischen Gruppen und ihrer interventionistischen Maßnahmen; sie ist Basis kollektiver Handlung und gemeinsamer Zielsetzung. Kultur wird im selben Moment inszeniert und verteu-felt, als zu bewahrendes Erbe gefeiert und als Grundlage allen Übels identifiziert.

Dieses Paradox gleicht der Wirkungsweise (kolonialer) Stereotype und damit der Schi-zophrenie, welche die Repräsentation des Anderen im kolonialen Diskurs auszeichnete. Das koloniale Stereotyp ist einerseits eine „fixierte Form der Repräsentation, [...] die das Spiel der Differenz verbietet“ (Bhabha 2000: 111). In der kolonialen Diskursordnung wird der Koloni-sierte als minderwertige und defizitäre Entsprechung des Eigenen konstruiert, womit eine grundlegende Differenz geleugnet wird. Gleichzeitig kann der Kolonisierte trotz aller Aufklä-rung, Erziehung und Assimiliation nie gänzlich werden wie sein Kolonialherr, er verbleibt unweigerlich auf einer niederen Stufe, womit Differenz nicht nur anerkannt, sondern auch ver-absolutiert wird.53 Der ‚erfolgreich’ Kolonisierte ist das „Subjekt einer Differenz, das fast, aber doch nicht ganz dasselbe ist“ (ebd.: 126).

53 Bhabha bezieht sich hier auf Fanons Formulierung: „Ganz gleich, wo er hingeht, der Neger bleibt ein Neger“

(Fanon 1985: 121).

Die Repräsentation des Fulbe-Seins durch die Studierenden zeigt diese Widersprüchlichkeit.

Entwicklung ist – auch wenn inhaltsleer oder diffus definiert – das Ziel, das nicht in Frage gestellt wird. Unter diesem Dispositiv wird FulSein zu einer Andersartigkeit, die es zu be-kämpfen gilt. Gleichzeitig bedeutet diese Andersartigkeit auch Zugehörigkeit. Sie ist hier die Basis kollektiver Handlungen und paradoxerweise auch des Strebens nach ‚Entwicklung’.

Diese Zugehörigkeit wird symbolisch inszeniert und hervorgehoben, wird als Wert an sich ge-priesen und gefeiert. Diese Widersprüchlichkeit einer Identität, die es grundlegend zu modifizieren gilt und gleichzeitig Gegenstand von Inszenierung und Eigenzuschreibung ist, zeigt die Wirkung des diskursiven Dispositivs der ‚Entwicklung’. Das bedeutet nicht, dass der koloniale oder der Entwicklungsdiskurs hier totale Wirkung hätten und den Studierenden als einzige Möglichkeit dient sich zu positionieren oder zu definieren – wie wir im vorherigen Kapitel gesehen haben, konfrontieren sich dieselben Akteure innerhalb desselben Diskurses auf kritische Weise mit jenen stereotypen Zuschreibungen. Im Rahmen der Kundgebungen wird jedoch die ‚Kultur der Fulbe’ durch die Studierenden wie durch den kolonialen Blick auf ‚den Anderen’ repräsentiert und verhandelt.