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„Ein Kind der Fulbe, das in die Schule geschickt wird, ist ein verlorenes, ein geopfertes Kind.“

(Issoufou Y., 22.8.14)20

Die erste Schule Benins wurde 1887 von portugiesischen Missionaren gegründet. Nach der französischen Eroberung wurden jedoch 1903 alle kirchlich geführten Schulen in Französisch-Westafrika an die Kolonialmacht übergeben und säkularisiert (Fichtner 2012: 40). Einflussreich waren besonders die Assimilationspolitik des kolonialen Bildungssystems und die ungleiche Entwicklung zwischen den südlichen und nördlichen Gebieten des Landes (Asiwaju 1975): Un-ter dem Ziel der Angleichung fungierten Lehrmethoden, -medien und -inhalte als „Apologie zu französischer Kolonisation und Zivilisation“ (ebd.: 344, Übers. d. Verf.), so dass der französi-sche Beobachter Vassery 1931 kritisch feststellte, ein Außenstehender würde keinen Unterschied mehr zwischen einer Schule in Dahomey und dem ländlichen Frankreich wahrneh-men können.21 Zudem zielte das französische Bildungssystem auf die Schaffung von Eliten ab und verband schulische Ausbildung mit der Aussicht auf eine Anstellung in der Kolonialver-waltung. Unter der Prämisse, dass den Kolonisierten ein utilitaristischer Anreiz für den Schulbesuch gegeben werden müsse, etablierte sich ein gewisser „fétichisme de diplôme“ (ebd.:

345). Ein schulischer Abschluss konnte zu einer begehrten Anstellung als Funktionär oder Leh-rer führen, was ein stabiles Einkommen und Prestige mit sich brachte (ebd.). Gleichzeitig galt es aber, dass diese neuen Intellektuellen weiterhin von den Europäern abgegrenzt blieben: Es sollte eine untergeordnete afrikanische Elite ausgebildet werden, welche die niederen Positio-nen des kolonialen Verwaltungssystems besetzte und damit verankerte, während es zu verhindern galt, dass bei diesem Unterfangen „aus Afrikanern Franzosen werden“ (Mumford

& Orde 1935, zit. n. Bierschenk 2007: 5, Über. d. Verf.). Bis heute entspricht die staatlich

20 Ein ehemaliger Student, der selbst Pullo ist, nimmt hier Bezug auf das Argument, dass Fulbe aus einer kultu-rellen Handlungslogik heraus ihre Kinder nicht einschulen.

21 „L’observateur impartial... qui visiterait nos écoles au Dahomey ne trouverait point, la couleur locale mise à part, différences essentielles entre une école d’un gros village de France et l’école régionale d’une ville de la côté. Dans l’une de l’autre, les instituteurs enseignent les mêmes matières à quelque intensité près avec les mêmes méthodes, les mêmes buts immédiats“ (Vassery zit. n. Asiwaju 1975: 344).

standardisierte Schullaufbahn in Benin dem französischen Modell.22 Formelle Bildung als In-stitution ist in Benin damit im Rahmen der kolonialen Umstrukturierung entstanden und verfestigte durch Assimilations- und Elitenpolitik Segregationsstrukturen, die kolonialen Dis-kurs und Herrschaft stützten: Bildung war jenen vorbehalten, die sich den Franzosen in Sprache, Wissensinhalten und Verhalten möglichst anglichen. Belohnt wurde dies mit einer Aufwertung desjenigen als Verwaltungsangestellter, wobei eine Gleichstellung mit jenen unerreichbar und durch die Kolonialpolitik zu verhindern war.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verzeichnete Dahomey die höchsten Einschulungsraten der gesamten französischen Kolonie, weshalb es auch „Quatier Latin de l’Afrique Noire“ (Asi-waju 1975: 341) genannt wurde. Das betraf allerdings primär die südlichen Gebiete. Wie in anderen westafrikanischen Küstenstaaten etablierte sich durch die ungleiche geographische Verteilung von Bildungsinstitutionen das bis heute bestehende Gefälle zwischen dem Norden und dem Süden Benins (Bierschenk 2007; Fichtner 2012: 165). Das Department Borgou, in welchem ein Großteil der Forschungsdaten erhoben wurde, war zu jener Zeit die Region mit den niedrigsten Einschulungsraten (Alber 2012: 180). Nach der Unabhängigkeit durchlief das beninische Bildungssystem – parallel zum Wechsel von Regimen und Staatsideologie – meh-rere Reformen (Fichtner 2012: 40ff): Unter Kérékou, der auf das Konzept Bildung zur Klassen- und Elitenbildung durch Schule für die Massen setzte, stiegen die Einschulungsraten vorerst enorm an. Die Krise der 1980er Jahre kulminierte in massiven Lehrerstreiks und der nationalen Annullierung des Schuljahres von 1989. Die Einschulungsraten sanken von 60% im Jahr 1985 auf 45% im Jahr 1990.

Im Kontext der Demokratisierung und dem 1990 begründeten UNESCO-Projekt Edu-cation for All wurde zwischen 1990 und 1999 die Reform Nouveaux Programmes d’Etudes realisiert. Diese strukturelle Reformierung verfolgte das Ziel der politischen Umerziehung und Schaffung eines neuen politischen Subjekts in der neuen Demokratie:

„The New Study Programmes were a systemic reform introduced from above as a means of de-mocratisation into a context of dede-mocratisation. The aim of the reform was nothing less than the development of an education system that was able to produce a new type of citizen: autonomous, self-dependent and reflective“ (Fichtner 2009: 29).

22 Eine tabellarische Darstellung des beninischen Schulsystems findet sich im Anhang.

Die Bildungsreformen wurden finanziell wie technisch primär von USAID (United States Agency for International Development) realisiert. Finanzierungs- und Implementierungspro-zesse ähneln den Strukturanpassungsprogrammen der Weltbank. Damit handelt es um eine top-down-Reform, welche durch technisch-strukturelle Intervention das Ziel grundlegenden gesell-schaftlichen Wandels verfolgt und deren Inhalte im Kontext globaler Demokratisierungspolitiken der 1990er gesehen werden müssen (Fichtner 2009: 5f). Das 1999 eingeführte partizipative, schülerorientierte Lernkonzept, ist bei Lehrkräften, Eltern und Schü-ler_Innen umstritten und gilt daher als ein Grund für die starke Privatisierung von Bildungsinfrastrukturen (Fichtner 2009). Zudem ist der Bildungssektor jüngst von einer zuneh-menden ‚NGOisierung‘ geprägt (ebd.: 2012): Internationale NGOs agieren hier nicht jenseits des Staates, sondern sind zentraler Bestandteil seiner täglichen Funktion. Formelle Bildungsin-stitutionen sind keine wertneutralen Orte, sondern bezwecken die Generierung normativer Dispositionen und die Subjektivierung des Einzelnen in nationalstaatliche Strukturen und Dis-kurse. Seit 1990 ist staatliche Bildung in Benin als von außen finanziertes und implementiertes Projekt materiell, ideell und strukturell eingebettet in Forderungen und Orientierungen der transnationalen Förderinstitutionen und -länder. Weiterhin findet eine zunehmende Verlage-rung von formellen Bildungsstrukturen in den Bereich von NGOs statt.

Die Fulbe nehmen in dieser Entwicklung eine besondere Position ein. Sowohl in Lite-ratur (Fichtner 2012: 166; Boesen 1999: 137; Bierschenk 1997: 100) als auch in der beninischen Öffentlichkeit herrscht die Annahme vor, dass sie ihre Kinder nicht zur Schule schicken oder es zumindest in viel geringerem Maße tun, als andere ethnische Gruppen. Da die wenig reprä-sentativen Statistiken nur nach Sprachgruppen unterteilen und meist nur Alphabetisierungs- aber nicht Einschulungsraten erfassen, gibt es hierfür keine quantitativen Belege.23 Die ethni-sche Heterogenität Benins wird im beniniethni-schen Bildungssystem (bewusst) negiert und endete historisch bei der politischen Unmöglichkeit auf die Unterrichtssprache Französisch zugunsten lokaler Sprachen zu verzichten (Fichtner 2012: 41). Die statistische Evidenz bleibt aber für diese Arbeit nebensächlich, da der Bezugsrahmen die Politisierung und Ethnifizierung der Schulproblematik ist.

23 Mir liegen einzig die Zensusdaten von 2003 vor, aus welchen hervorgeht, dass die Analphabetenrate unter der fulfuldesprachigen Bevölkerung Benins bei ca. 90 % lag, während der nationale Durchschnitt bei 59% auszu-machen war (eigene Berechnungen basierend auf Tableau G09-1 in Direction des Etudes Démographiques 2003). In Hinblick auf ein Bevölkerungswachstum von 5,3 Mio. im Jahr 2003 auf 9,9 Mio. 2013 (Direction des Etudes Démographiques 2013) können diese Daten nicht mehr als repräsentativ gelten. Während meines Aufent-haltes 2014 waren die Ergebnisse des Zensus von 2013 nur unter Vorbehalt veröffentlicht und nicht in Hinblick auf Schulbildung und Alphabetisierungsraten ausgewertet.

Vor der Demokratisierung 1990 kamen die Fulbe, die zur Schule gingen aus drei Kontexten:

Sie stammten aus Häuptlingsfamilien24, aus der protestantischen Enklave der Fulbe in Tcha-ourou oder sie waren ‚eigentlich’ Gando (Bierschenk 1997: 55). Die Commune TchaTcha-ourou und im Besonderen das dazugehörige Arrondissement Tchatchou ist das Zentrum der christlichen Minderheit der Fulbe in Benin und damit auch ein Sonderfall bezüglich Schulbildung. Generell sind Fulbe zum großen Teil Muslime und sehen die christliche Minderheit oft kritisch, wenn nicht gar als eine Art Unmöglichkeit an. Gleichzeitig stammt jedoch ein Großteil heutiger Ful-beeliten im privaten und staatlichen Bereich, d.h. die wenigen Repräsentanten der Fulbe in Politik und Bürokratie, aus diesem christlichen Kontext. Die dritte Gruppe von Schulgängern, die Gando, sind die Nachfahren der ehemaligen Sklaven der Fulbe. Sie sprechen Fulfulde und werden von Außenstehenden sowie von staatlicher Seite – welche ethnische Gruppen mit Sprachgemeinschaften gleichsetzt – zu den Fulbe gezählt, auch wenn Gruppenzugehörigkeiten hier sehr viel komplexer sind (Hardung 2006). Fulbehäuptlinge umgingen den kolonialen Schulzwang systematisch damit, Sklaven anstatt ihrer eigenen Kinder einzuschulen. Ironischer-weise sind Gando damit heute weitaus mehr in die wirtschaftlichen und staatlichen Strukturen Benins eingebettet als die ‚eigentlichen Fulbe‘ (Bierschenk 1997: 101).

2.4. Zwischenfazit und theoretischer Ausblick: Stereotype, Subjektivität und