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Das Marxsche Menschenbild und der historische Materialismus. Der Begriff der

3. VOM BEITRAG DES MATRIARCHATS ZUM MARXISMUS UND VOM

3.2. Das Marxsche Menschenbild und der historische Materialismus. Der Begriff der

Wie in Teil 1 angedeutet, strebte Fromm eine Integration von Marx in die Psychoanalyse, die Soziologie und die Politik an. Dazu vertiefte er sich in die Schriften von Marx und trug wesentlich dazu bei, daß dieser große Denker in den USA überhaupt bekannt wurde. Als sich Fromm 1958 für die dortige Sozialistische Partei engagierte, flossen seine Überlegungen zu Marx in den Vorschlag für das Programm ein, das er der Partei vorlegte (und das letztlich abgelehnt wurde).

Bis 1959 gab es in den USA keine englische Übersetzung der Schriften von Marx. Deshalb war Fromms Buch Das Menschenbild bei Marx126 aus dem Jahre 1960 mit seinen zahlreichen Zitaten aus den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten (1844) und der Deutschen Ideologie (1845-46) eine Pionierleistung auf diesem Gebiet.127 Fromm wurde damals zu den Neo-Marxisten und den „Neuen Linken“ gezählt, die auch bei einigen Ost-Marxisten (vor allem jugoslawischen) Anklang fanden. Er setzte sich jahrelang für die Kooperation zwischen Ost- und West-Humanisten ein.

In den folgenden Aufsätzen dokumentiert Fromm seine Verehrung für Marx, den er einen radikalen Humanisten nennt, der wie die existentialistischen Denker gegen die Entfremdung des Menschen, gegen Selbstverlust und seine Verwandlung in ein Ding protestierte. Marx steht in der Tradition der großen Humanisten, die hofften, daß sich der Mensch aus seiner Entfremdung via Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse retten könnte.

Nach dem Ersten Weltkrieg und vor allem auch nach der Erfahrung mit dem Nationalsozialismus und dem Kommunismus flüchtete sich der moderne Mensch in die Abhängigkeit entweder von Staatsdiktaturen oder — häufig damit kombiniert — des Konsums. Fromm nahm noch an, daß die Chancen für die unterentwickelten Länder nicht in der Wahl zwischen Kapitalismus und Sozialismus, sondern in derjenigen zwischen totalitärem und marxistischem (humanistischem) Sozialismus bestehe.128

Fromm möchte in dieser und den folgenden Schriften zeigen, daß Marx den Menschen nicht nur von der Abhängigkeit des Marktes befreien, sondern zur Freiheit hinführen wollte, damit er seine eigenen Fähigkeiten, „die Tradition der menschlichen Würde und Brüderlichkeit“ (ebd. S.339) verwirklichen könnte.

„Die Verfälschung des Marxschen Denkens“ bestand hauptsächlich darin, daß Marx vorgeworfen wurde, den Menschen für ein besitzgieriges Wesen zu halten, das man durch gesellschaftliche Veränderungen befriedigen müsse.129 Aber Marx war im Gegenteil ein Idealist, der den Menschen vom Joch des Besitzstrebens und der entfremdeten Arbeit befreien wollte, damit er seine menschliche Ganzheit, „die Einheit und Harmonie mit seinen Mitmenschen und der Natur“ (ebd. S.342) finden könnte.

Fromm vergleicht den Sozialismus in Marxscher Form mit dem „prophetischen Messianismus in der Sprache des 19. Jahrhunderts“ (ebd. S.343).

Marx vertrat zwar eine materialistische Ontologie, bekämpfte aber den philosophischen Materialismus, der alle Erscheinungen aus materiellen Substraten erklären möchte. Man nennt seine Version „historischen Materialismus“, da er die den Menschen prägenden Einflüsse geschichtlich deutete, welche allerdings auf konkreten, gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen beruhen. Fromm läßt Marx ausführlich in mehreren Zitaten aus Zur Kritik der Politischen Ökonomie130 zu Worte kommen, worin

126 EF: Das Menschenbild bei Marx (1961). In: GA, Bd.5, S.335

127 Übersetzt wurden die Zitate von T.B. Bottomore, mit dem Fromm jahrelang befreundet war.

128 Heute, im Jahre 2000, sieht es so aus, als sei der Kapitalismus überall, auch im Staatskapitalismus Chinas, am siegreichsten. Nur Kuba hat noch am ehesten eine marxistisch sozialistische Orientierung, die aber gewaltig wankt und sich fast ausschließlich auf die Diktatur Fidel Castros als

„Übervater der Nation“ stützt.

129 Nicht an der Verfälschung haben sich unter anderem Iring Fetscher mit den Marxismus-Studien, Herbert Marcuse mit Reason and Revolution (1941) sowie Sartre, Lefèbvre und Kojève beteiligt.

130 Marx, Karl und Engels, Friedrich: Zur Kritik der Politischen Ökonomie. Marx-Engels-Werke, Bd.13,

dieser betont, daß nicht das Bewußtsein der Menschen ihr Sein, sondern umgekehrt das

„gesellschaftliche Sein ihr Bewußtsein bestimmt“. Im Kapitalismus haben diese Zustände einen entfremdeten, versklavten, nach Besitz gierenden und konsumierenden Menschen geschaffen.

Marx ging vom tätigen Menschen aus, seinem „wirklichen Lebensprozeß“, welcher „auch die Entwicklung der ideologischen Reflexe und Echos dieses Lebensprozesses“ darstellt: Wie die Individuen ihr Leben „äußern“, d.h. was und wie sie etwas produzieren, so sind sie. Sein Grundgedanke lautet, daß der Mensch, indem er Lebensmittel produziert, indirekt auch „sein materielles Leben selbst“ produziert:

Der Mensch macht seine eigene Geschichte, er ist sein eigener Schöpfer ...

Der Mensch gebiert sich selbst im Prozeß der Geschichte (ebd. S.350).

Die Arbeit ist der Faktor, der wie in einem Metabolismus zwischen Mensch und Natur vermittelt:

Die Arbeit ist der Ausdruck des menschlichen Lebens, und durch Arbeit wird die Beziehung des Menschen zur Natur verwandelt, daher verwandelt sich der Mensch selbst durch Arbeit (ebd. S.351).

Marx stützte sich unter anderem auf die Erkenntnis Montesquieus, daß die „Institutionen Menschen formen“ (ebd. S.348). Ihm ging es darum, diese Institutionen zu analysieren, um aufzudecken, wie sie im Menschen Gier, Neid und andere Leidenschaften bewirken.

Er unterschied beim Menschen konstante (feststehende) und relative (von den Verhältnissen geformte und manipulierte) Bedürfnisse.

Ursprünglich war der Mensch von der Natur abhängig: Wenn er ein Tier erlegen konnte oder eßbare Pflanzen fand, war er gerettet, sonst verhungerte er. Diese Abhängigkeit machte ihm Angst. Er versuchte sich davor zu schützen, indem er z.B. um Milde und Gaben bei Naturgöttern betete. Mit zunehmenden Fähigkeiten zur Eigenproduktion verlagerte sich das Anbeten und Bitten auf universale Götter bis zur außerirdischen, unvorstellbaren Macht. Die religiösen Institutionen machten sich diese Abhängigkeiten zunutze und stellten sich als deren Vertreter dar, so daß sie dementsprechende Herrschaft ausüben konnten.

Freud war der Ansicht, daß die wirklichen Triebfedern des menschlichen Handelns im Unbewußten liegen; Marx erblickt das „Unbewußte“ in der gesellschaftlichen Organisation. Diese bewirkt, daß die wahren Bedürfnisse des Menschen nicht bewußt werden. Nur eine revolutionäre Praxis könnte hier Abhilfe schaffen, wobei Gewalt, wie die bisherige Geschichte der Revolutionen gezeigt hat, nicht ganz zu vermeiden ist.

Um die Menschen grundlegend zu verändern, genügt es nicht, die sozialen und politischen Rahmenbedingungen zu verändern; die Marxsche Revolution intendiert deshalb auf die Veränderung der Umstände als auch des Menschen selbst.

Marx unterscheidet am Menschen zwei Arten Triebe, die konstanten (Hunger und Sexualität) und die relativen. Relativ ist z.B. das Bedürfnis nach Geld, das von der kapitalistischen Gesellschaft hervorgebracht wird. Mit anderen Worten ist die

„menschliche Natur“ an dieser Stelle veränderlich, da es der Mensch ist, der die Produktionsverhältnisse in der Hand hält; allerdings nur, wenn er durch die Aufhebung der Entfremdung diesen Prozeß der „Geburt durch sich selbst“ einleitet.

Hegels Dialektik ist Ausgangspunkt für die Überlegungen von Marx zur Tätigkeit des Menschen (die Arbeit). Hegel wies darauf hin, daß Wesen (Essenz) und Erscheinung (Existenz) nicht deckungsgleich sind. Beim Existieren verwirklicht sich das Wesen; es wird objektiv faßbar.

Jedoch schafft der Mensch sich so lange eine entfremdete und unwahre Welt, bis er diese „tote Objektivität zerstört“ hat und über das Selbstbewußtsein sein eigenes Wesen „hinter“ den starren Formen von Dingen und Gesetzen wieder erkennt. Damit geht Wahrheit über sich und die Welt einher. Erst dann kann er sein Tun verändern und

„die Welt zu dem machen, was sie wesentlich ist, nämlich zur Erfüllung des menschlichen

Berlin 1961

Selbstbewußtseins“ (ebd. S.358).

Um die Welt zu begreifen, muß der Mensch sich die Welt aneignen (ebd.

S.358).

Tatsachen sind erst dann „wirklich“, wenn die in ihnen liegenden Möglichkeiten erfüllt sind: Ein Tisch kann z.B. erst dann vom Wesen her Tisch genannt werden, wenn wir seine möglichen Funktionen des Aufbewahrens und Bearbeitens von Dingen erkennen.

Diese einem Gegenstand innewohnenden Möglichkeiten gehen über das Tatsächliche hinaus.

Bereits Spinoza erkannte diesen dialektischen Prozeß. Er unterschied passive von aktiven Affekten. Passive Leidenschaften wie Neid, Haß, Trauer und Eifersucht machen leiden; durch sie erkennt der Mensch die Wirklichkeit nicht adäquat. Erst durch aktive Affekte, die sich in Handlungen mit den Gefühlen von Edelmut und Seelenstärke verbinden, wird der Mensch frei und produktiv.131

Goethe nahm diesen Gedankengang auf und erblickte in der menschlichen Produktivität das Agens, das echte Selbsterkenntnis und Weltkenntnis hervorbringt.

Subjektivität allein ist noch kein Fortschritt: Ein echter Poet z.B. eignet sich die Welt an und weiß sie dann zu schildern, sagt er zu Eckermann am 29.1.1826:

Der Mensch kennt nur sich selbst insofern er die Welt kennt, die er nur in sich und sich nur in ihr gewahr wird. Jeder neue Gegenstand, wohl beschaut, schließt ein neues Organ in uns auf (Goethe, ebd. S.359).

Auch im Faust verdeutlicht Goethe diese Gedankengänge, indem er darlegt, daß weder Besitz, Macht noch sinnliche Befriedigung den Menschen seelisch-geistig sättigen. Darin bleibt er vom Ganzen der Welt getrennt und daher unglücklich.

Nur wenn er produktiv tätig ist, kann der Mensch sein Leben sinnvoll machen und sich daran freuen, ohne sich doch gierig daran zu klammern. Er hat die Begierde des Habenwollens aufgegeben und ist vom Sein erfüllt; er ist erfüllt, weil er leer ist, er ist viel, weil er wenig hat (ebd. S.359).132

In Hegels Philosophie findet man hierzu folgende Überlegungen: Der Mensch ist erst dann ganz er selbst, wenn er sich nicht passiv-rezeptiv verhält, sondern aktiv zur Welt in Beziehung tritt, sie produktiv ergreift und sich, als Individuum, aneignet. Erstaunlich poetisch schrieb Hegel, daß das sich verwirklichende Subjekt „sich aus der Nacht der Möglichkeit ins Tageslicht der Wirklichkeit übersetzt“ (ebd. S.359). Durch den produktiven Prozeß der Selbstverwirklichung kehrt der Mensch zu sich selbst zurück.133

Fromm erläutert den Begriff der Produktivität unter anderem am Beispiel der Liebe. Marx betonte, daß Liebe nur gegen Liebe „ausgetauscht“ werden kann, wenn man also sich selbst liebend äußert und liebenswert macht. Er verweist in Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844134 auf das „natürlichste Verhältnis“

zwischen Mann und Frau, aus dem sich ergibt, ob jemand die „menschliche Natur“

tatsächlich zu seiner Natur gemacht hat und ob „er in seinem individuellsten Dasein zugleich Gemeinwesen ist“ (ebd. S.360).135

Die Subjekt-Objekt-Beziehung in der „Tätigkeit“ wird auch am Beispiel der „Sinne“

verdeutlicht. Ein Sinnesorgan, wie z.B. das Auge, kann in seinem Wesen erst erfaßt werden, wenn wir es tätig, d.h. Funktion ausübend erleben. Es wird „sehend“ im Kontakt mit dem Objekt, wobei von Natur aus dieses Wesen des „Sehens“ recht einfach

131 Zu Spinozas Gefühlstheorie siehe auch: Fuchs, Irmgard: Eros und Gefühl. Würzburg 1998

132 Die Theorie des „produktiven Charakter“ — der in etwa dem Freudschen „genitalen Charakter“

entspricht — hatte Fromm bereits in „Psychoanalyse und Ethik“ (1947) entwickelt. „Haben“ oder

„Sein“ steht im Zentrum des gleichnamigen Buches von 1976.

133 In theologischer Ausdrucksweise hieße dies, daß er zu Gott zurückkehre, fügt Fromm an.

134 Marx, Karl: Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844. Marx-Engels-Werke, Ergänzungsbd. I, Berlin 1968

135 Die wohl prägnanteste und verständlichste Formulierung der sozialen Natur des Menschen in einer gelungenen Partnerschaft hat Alfred Adler in seiner Individualpsychologie geschaffen: Wer echt liebt, verwirklicht Gemeinschaftsgefühl (bzw. Sozialgefühl), welches sich auch auf alle Menschen erstreckt.

strukturiert ist. Die natürlichen Sinne werden „von der äußeren Welt der Gegenstände geformt“, wobei jeder Gegenstand die eigenen Fähigkeiten bekräftigt.

Denn nicht nur die fünf Sinne, sondern auch die sogenannten geistigen Sinne, die praktischen Sinne (Wille, Liebe etc.), mit einem Wort der menschliche Sinn, die Menschlichkeit der Sinne wird erst durch das Dasein seines Gegenstandes, durch die vermenschlichte Natur (Marx, ebd. S.360).

Der entfremdete Mensch ist von seinen basaleren Sinnen (Suche nach Nahrung und Sicherheit) gefangen: „Der sorgenvolle bedürftige Mensch hat keinen Sinn für das schönste Schauspiel“, schreibt Marx.

„Entmenschlichte“ Produktionsweise entsteht, wenn sich der Arbeiter zum ausgebeuteten Objekt machen läßt, weil er selbst entfremdet tätig ist. Das Produkt, das er mit allen seinen Sinnen (Tasten, Sehen, Hören, Schmecken, Verstehen, Fühlen, Lieben) herstellen könnte, gehört ihm nicht; er ist völlig von ihm abgetrennt. Da er diese

„gegenständliche Welt“ nicht mit Liebe (als dem wichtigsten Beziehungs-Sinn) erlebt, wird diese Außenwelt für ihn nicht wirklich — sie bleibt ihm fremd. Das heißt auch, daß seine Bedürfnisse und der Genuß nur in „egoistischem“ Sinne auftreten; die Objekte werden nur in ihrer egozentrischen Nützlichkeit gesehen, während ein weniger entfremdeter Mensch den „menschlichen Nutzen“ in den Objekten erkennt.

Ich kann mich praktisch nur menschlich zu der Sache verhalten, wenn die Sache sich zum Menschen menschlich verhält (Marx, ebd. S.361).

Privateigentum bedeutet egoistische Anhäufung von Güterwerten, welche als Objekte noch mehr ihre menschliche Funktion einbüßen, je fremder sie sind. Das Geld ist hier Symbol für eine solche Unnatur. Wer diese Objekte — wie der Kapitalist — leidenschaftlich sammelt, kann sich das eigene menschliche Wesen noch weniger aneignen, da dieses entfremdete Objekt, für das er seine Kraft der Sinne einsetzt, ihn niemals zufrieden und glücklich machen kann.

Mit anderen Worten ist der „menschliche Mensch“ für Marx der gesellschaftliche Mensch.136 Und im Zentrum der Sozietät steht die Arbeit. Die tätige Beziehung zur gegenständlichen Welt heißt bei Marx „produktives Leben“; „es ist das Leben erzeugende Leben.“ Wer nicht entfremdet tätig ist, wird ein reicher Mensch im Sinne der Beziehungsfähigkeit und Menschlichkeit:

Der reiche Mensch ist zugleich der einer Totalität der menschlichen Lebensäußerung bedürftige Mensch. Der Mensch, in dem seine eigne Verwirklichung als innere Notwendigkeit, als Not existiert. Nicht nur der Reichtum, auch die Armut des Menschen erhält gleichmäßig — unter Voraussetzung des Sozialismus — eine menschliche und daher gesellschaftliche Bedeutung. Sie ist das passive Band, welches dem Menschen den größten Reichtum, den andren Menschen, als Bedürfnis empfinden läßt (Marx, ebd. S.362).

Daraus leitet sich der Teufelskreis der Entfremdung ab, wenn der Mensch nur auf das „Haben“ von Privateigentum ausgerichtet ist: Der Mensch arbeitet, um seinen Besitz zu vergrößern, obwohl dieser eigentlich ein Lebens-Mittel sein sollte. Weiter heißt es in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten:

Die Selbstentsagung, die Entsagung des Lebens und aller menschlichen Bedürfnisse, ist ihr Hauptlehrsatz. Je weniger du ißt, trinkst, Bücher kaufst, in das Theater, auf den Ball, zum Wirtshaus gehst, denkst, liebst, theoretisierst, singst, malst, fichtst etc., um so mehr sparst du, um so größer wird dein Schatz ... Je weniger du bist, je weniger du dein Leben äußerst, um so mehr hast du, um so größer ist dein entäußertes Leben, um so mehr

136 Diese basale Erkenntnis wird von Fromm nicht besonders hervorgehoben, da ihn die Überwindung der Subjekt-Objekt-Spaltung und Entfremdung mehr beschäftigt. Unseres Erachtens hat der tiefenpsychologische Ansatz hier jedoch ihren wichtigsten Ansatzpunkt.

speicherst du auf von deinem entfremdeten Wesen (Marx, ebd. S.363).

Das Geld übernimmt alle Lebensfunktionen, alles Können, es wird zum Vermögen. „Alle Leidenschaften und alle Tätigkeit muß also untergehen in der Habsucht“ (ebd. S.363).

Der Kapitalismus macht die Menschen zu Sklaven des Gelderwerbs und des Geldes. Als höchste Werte dieser Gesellschaft zählen maximale Produktion und maximaler Konsum.

Marx ist ein Apologet von Unabhängigkeit und Freiheit, indem er betont, daß der Mensch sich erst dann frei fühlen kann, wenn er auf eigenen Füßen steht und seine Individualität als ein „totaler Mensch“ bestätigt. Er emanzipiert sich in jedem

seiner menschlichen Verhältnisse zur Welt, Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen, Denken, Anschauen, Empfinden, Wollen, Tätigsein, Lieben, kurz, alle Organe seiner Individualität (Marx, ebd. S.364).

Fromm übernahm diese Gesichtspunkte und unterschied zwischen der Freiheit von etwas (wenn man z.B. Geld besitzt) und der Freiheit zu etwas (als produktiver Mensch).

Das Ziel des Sozialismus war für Marx die Emanzipation des Menschen, und die Emanzipation des Menschen war dasselbe wie seine Selbstverwirklichung innerhalb des Prozesses eines produktiven Bezogenseins und Einssein von Mensch und Natur (ebd. S.364).137

Marx entlarvte bereits zu seiner Zeit den „rohen Kommunismus“ — den Fromm mit dem Sowjetkommunismus vergleicht — als eine Spielart des Kapitalismus, wobei er z.B. den gemeinsamen Besitz der Frauen, wie er von einigen Theoretikern damals propagiert wurde, als typisch kapitalistisches Symptom der Prostitution anprangerte. Der einzige Unterschied bestehe darin, daß die Frau dann Besitz der Gemeinschaft und nicht des Einzelnen werde.

Ein solcher Kommunismus negiert die Persönlichkeit des Menschen, indem er (Staats-)Eigentum als „Negation“ des Menschen anvisiert. Daraus leitet sich auch das Phänomen des weit verbreiteten Neides ab, der als Negation der Habsucht „nur die versteckte Form“ ist, die „auf eine andere Weise sich befriedigt“. Wer nach Privateigentum strebt, stellt sich immerhin in Konkurrenz zu den Besitzenden. Wer diesen persönlichen Neid dann noch an den Staat abgibt,

beweist eben die abstrakte Negation der ganzen Welt der Bildung und der Zivilisation, die Rückkehr zur unnatürlichen Einfachheit des armen, rohen und bedürfnislosen Menschen, der nicht über das Privateigentum hinaus, sondern noch nicht einmal bei demselben angelangt ist. Die Gemeinschaft ist nur eine Gemeinschaft der Arbeit und die Gleichheit des Salairs, den das gemeinschaftliche Kapital, die Gemeinschaft als der allgemeine Kapitalist, auszahlt (Marx, ebd. S.365).138

Dabei ist die körperliche Arbeit nur eine primitive Form des ganzen Prozesses. Der Mensch zeichnet sich dadurch aus, daß er sich seine Arbeit in Gedanken vorstellen und in Ideen vorformen kann. Die „Formveränderung“ betrifft deshalb nicht nur das Natürliche, sondern auch das „Geistige“.

In der Arbeit drückt der Mensch sich selbst aus, sie ist der Ausdruck seiner individuellen physischen und geistigen Kräfte. In diesem Prozeß echter Tätigkeit entwickelt sich der Mensch, er wird er selbst ... Sie ist der sinnvolle Ausdruck der menschlichen Energie. Daher macht Arbeit Freude (ebd.

S.366).

Mit anderen Worten protestiert Marx nicht so sehr gegen die ungerechte Verteilung des Geldes, sondern hauptsächlich gegen die Verwandlung des Menschen in eine

„verkrüppelte Monstrosität“. Diese ändert sich auch nicht mit der „besseren Salairierung

137 Die Begrifflichkeit des „Bezogenseins“, der „Produktivität“ und des „Einsseins von Mensch und Natur“

taucht bei Fromm in zahlreichen Schriften regelmäßig auf.

138 Das Phänomen des Neides beim Einzelnen und bei der „Abgabe an den Staat“ zu erkennen, ist aufgrund der mangelnden Selbsterkenntnis und Menschenkenntnis ein schwieriges Unterfangen.

(Bezahlung) der Sklaven“. Das Ziel ist „die Verwandlung der entfremdeten, sinnlosen Arbeit in produktive, freie Arbeit“ (ebd. S.367).

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