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Litauens Handel, Gewerbe und Landwirtschaft im Jahre 1932

Im Dokument MARKT OST-EUROPA­ (Seite 88-92)

Von Dr. Adolf Schönemann, Königsberg Pr.

I.

Wenn auch Litauen erst spät von der Wirtschaftskrise befallen wurde, so führte diese jedoch in kurzer Zeit zu einem Absinken der Kaufkraft auf ein Minimum, wovon besonders das flache Land be­

troffen wurde. Eine starke Behinderung der Distribution brachte gegen Ende des Jahres 1932 das Gesetz gegen Zinswucher. Da nicht mehr als 12 % Zinsen genommen werden durften, diskontierten die Banken nur Wechsel über 1000 Lit, wodurch die Mehrzahl der Wech­

sel, die gerade über kleine Beträge lauten, ausgeschlossen wurden.

Dadurch entstanden schwere Absatzstockungen und Zahlungsschwie­

rigkeiten. Allgemein kann gesagt werden, daß die Krise ihren Aus­

gang bei den für den Export arbeitenden Gewerbezweigen nahm und sich auf die übrigen Betriebe des Binnenmarktes verbreitete. Die schwierige Lage der Lederindustrie wird am besten beleuchtet durch den großen Konkurs der Fabrik und Bank der Brüder Nurock, bei der ein großer Teil der Sparer in Schaulen ihr Vermögen verlor.

Die Schuhindustrie beklagt sich darüber, daß die Saisonbele­

bung im Herbst ausblieb und nur noch billige Sorten gefragt werden.

Normal ist die Lage im Mühlengewerbe, Teilweise sind ört­

liche Genossenschaften dazu übergegangen, selbst Mühlen zu betrei­

ben, um so die hohen Mahlpreise der Syndikate zu drücken. Normal ist ferner die Lage der T extilindustrie, die mehr Absatz im Inlande findet. Hingegen hat die Memeler Textilindustrie recht zu l e i d e n . S e h r s c h l e c h t s t e h t e s m i t d e r B e s c h ä f t i g u n g d e r S ä g e ­ w e r k e , i m M e t a l l g e w e r b e d e r l a n d w i r t s c h a f t -l i c h e n M a s c h i n e n i n d u s t r i e u n d d e r P h o s p h a t f a b r i k

in Memel. Man plant Arbeitszeitverringerung und zeitweilige Stil­

legung als Mittel gegen die Krise. Ein gutes statistisches Bild von dem Sinken der Kaufkraft gibt der Rückgang des Verbrauchs an akzisepflichtigen Waren. Eine Steigerung wies nur der Verbrauch von Obstwein als Ersatz für auswärtige Weine auf, der Streichholzverbrauch behauptete sich knapp, während der Verbrauch von Bier, Tabak und Branntwein zwischen 20 bis 45 % sank. Am meisten hat der Bierabsatz gelitten.

Interessant ist die Entwicklung der litauischen Industrie, die gerade durch die Krise und das dadurch beförderte Autarkiestreben einen Auftrieb erhielt. Allein im letzten Halbjahre 1932 wurden 14 neue Unternehmungen mit 7 000 000 Lit Kapital gegründet. Dar­

unter waren:

3 Mühlen mit 110 000 Lit

2 Seifenfabriken mit 170 000 „

1 Isolierrohrfabrik mit 170 000 „

1 Meierei mit 110 000 ,,

1 Glasfabrik mit 60 000 „

1 Wollkämmerei und Spinnerei mit 60 000 „

1 Kammfabrik mit 40 000 „

1 Elektrizitätsstation mit 15 000 ,,

3 Schindelpressen- und Sägefabriken mit ... 32 000 „

Im ganzen wurden 1932 116 neue Unternehmungen mit 11,2 Mill.

Kapital errichtet, wovon allein 7 Mill. Lit auf die Papierfabrik Petra-s c h u n a i e n t f i e l e n . D a r ü b e r h i n a u Petra-s w e r d e n i n n ä c h Petra-s t e r Z e i t 1 K a r ­ t o f f e l f l o c k e n f a b r i k m i t 5 5 0 0 0 0 L i t K a p i t a l , 2 F l a c h s ­ spinnereien und 1 Exportschlachthaus in Schaulen er­

öffnet werden, und eine Leinenweberei in Mazeikiai, die drei Jahre geschlossen war, wird ihren Betrieb wieder aufnehmen. Fer­

ner wurde 1932 noch bedeutendes Kapital in der Strumpffabrikation, Textilindustrie, Gummischuhherstellung, Bierbrauerei und im Meierei­

wesen investiert. Die Summe des investierten Kapitals war 1931 um 6 Mill. größer, nämlich 17 Mill., jedoch entfielen damals allein 7 Mill. auf die Zuckerfabrik und 5V2 Mill, auf die neuen Schlacht­

häuser in Tauroggen und Panevezys, Nach Abzug der 7 Mill. für die 1932 eröffnete Papierfabrik ergibt sich, daß die private Gründungs­

tätigkeit in beiden Jahren unverändert blieb.

Die Bautätigkeit (ohne Memelland) sank auf den Stand vor 1930. Die Bauinvestitionen betrugen in den Jahren 1929 28 Mill.

Lit, 1930 50 Mill. Lit, 1931 63 Mill. Lit und gingen 1932 zurück auf 33 Mill. Lit, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß die Bau­

kosten sich um 20 % verbilligten.

Die Zahl der erbauten Häuser ging von 2105 1931 auf 1909 1932 zurück.

Die Bankrotte und Fälle von Zahlungsschwierig­

keiten betrugen 1932 64 Firmen mit 13 Mill. Lit Schulden (davon entfiel auf das Ausland 0,9 Mill.), 1931 200 Firmen mit 27 Mill. Lit Schulden (10,5 Mill.), 1930 52 Firmen mit 7,7 Mill. Lit Schulden (3,5 Mill.) Vor allem ist zu bemerken, daß die ausländischen Kapitalver­

luste stark zurückgegangen sind und auch die Zahl der Konkurs­

firmen. Von den 13 Mill. Lit Konkursverlust des Jahres 1932 kommen

allein 7 Mill. auf die Bank und Lederfabrik der Gebrüder Nurock in Schaulen.

Wegen des schlechten Geschäftsganges haben aber außerdem eine ganze Reihe von Geschäften Anfang dieses Jahres ihren Betrieb freiwillig eingestellt. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, daß sich die Zahl der Zwangsversteigerungen 1932 gegen 1931 um 75 % steigerte und die Summe der Zwangsversteigerungs­

masse um 39 %.

Die Zahl der Wechselproteste ist seit 1930, 127 000 Stück laufend auf 203 000 1931 und 251 000 1932 gestiegen. Die Protest­

wechselsumme betrug in der gleichen Zeit 40,68 und 71 Mill. Lit, sie stieg also langsamer an. Allerdings ist insofern eine gewisse Er­

leichterung zu bemerken, als der Wert der protestierten Wechsel im letzten Quartal 1932 gegen 1931 auf etwa die Hälfte zurückgegan­

gen ist.

II.

Die litauische Landwirtschaft hatte außer unter der A g r a r k r i s e n o c h u n t e r d e n s c h l e c h t e n W e t t e r v e r h ä l t ­ nissen zu leiden. Besonders litten unter den spätsommerlichen Regengüssen der Sommerroggen und der Weizen, die erheblich aus­

keimten, aber auch der Hafer, der vielfach von Rost befallen wurde.

Roggen und Weizen mußten teilweise als Viehfutter verwertet wer­

den. An Export von Brotgetreide konnte wegen mangelnder Menge und Güte infolgedessen nicht gedacht werden. Trotzdem ist aber für die Deckung des eigenen Bedarfs vollauf gesorgt. Die Klee- und Heuernte hingegen fiel gut aus, ganz besonders gut war die Ernte von Rüben, auch Zuckerrüben, von denen 500 bis 800 Ztr. pro ha ge­

erntet wurden, so daß die Zuckerfabrik von Mariampole reichlich mit Rohstoff versorgt war.

In eine recht schwierige Lage geriet die litauische Landwirt­

s c h a f t d u r c h d e n Z u s a m m e n b r u c h d e r P r e i s e f ü r l a n d ­ wirtschaftliche Produkte unter dem Einfluß der Welt­

agrarkrise. Wenn der Preis der wichtigsten Produkte 1913 mit 100 angenommen wird, so betrug dieser Index

für Getreide, Futtermittel und Mehl . . 1931 76,8 und Nov. 1932 58,3

für Vieh, Geflügel 1931 53,7 1932 39,1

für Eier, Milchprodukte 1931 105,0 ,, ,, 1932 81,6 für Fleisch, Fische 1931 82,6 ,, ,, 1932 67,1

Da der litauische Bauer sein Einkommen aus dem Export gerade dieser Erzeugnisse bezog, ist er und seine Konsumkraft naturgemäß aufs schwerste durch das Fallen der Preise auf einen nie geahnten Tiefstand betroffen. Viele Landwirte, besonders solche, die noch alte Abzahlungsverbindlichkeiten zu erfüllen hatten, gerieten in Schwie­

rigkeiten und konnten ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, wo­

durch auch der Provinzhandel und das Gewerbe laufend schwere Verluste erlitten, die sich — wie vorher ausgeführt wurde — in Kon­

kursziffern und Wechselprotesten widerspiegeln. Besonders mußte unter dieser Erscheinung der größere Bauer leiden, der zum Teil mit fremden Geldern und fremden Arbeitskräften arbeitete. Weder die

Zinsen, noch die Lohn- und Sozialausgaben waren in gleichem Maß­

stabe gesunken- Die Folge dieser Diskrepanz war dann häufig der Bankrott. Als ein Glück muß es hierbei angesehen werden, daß die Mehrzahl der litauischen Wirtschaften kleine oder mittlere Fa­

milienbetriebe sind. Sie arbeiten ausschließlich mit eigenen Arbeits­

kräften und sind zu 40 bis 45 % schuldenfrei.

Diese Betriebe können wohl mit gewissen Einschränkungen in einer primitiven Naturaleigenwirtschaft die Krise überdauern, wer­

den aber zunächst als Konsumenten von Industrieerzeugnissen zurücktreten müssen, insbesondere, wo deren Preise nicht im glei­

chen Maße gefallen sind. Der Bauer wird im wesentlichen nur noch als Käufer für Streichhölzer, Petroleum, Heringe und billige Massen­

erzeugnisse der Konfektions- und Kleineisenindustrie in Frage kommen.

Wenn man einmal von den stark gesunkenen Preisen und davon absieht, daß der Pferdeexport und der von lebendem Schlachtvieh gegen 1930 60 bis 80 % gesunken ist, so ist es doch andererseits an­

zuerkennen, daß es im letzten Jahre trotz aller auswärtigen Im­

p o r t e i n s c h r ä n k u n g e n g e l u n g e n i s t , d e n E x p o r t f o l g e n d e r L a n d ­ w i r t s c h a f t s e r z e u g n i s s e m e n g e n m ä ß i g z u s t e i g e r n :

1931 1932

Bacon 18 160 To, 24 950 To.

Butter 8,7 Mill- To. 9,9 Mill. To.

Leinen, Flachs 7 700 To. 9 000 To.

Trotz dieser Steigerung der Exportmenge der landwirtschaft­

lichen Hauptprodukte betrug nach der Statistik der Lietuvos Bankas der Wertrückgang dieser Ausfuhr in Mill. Lit:

Export 1931 1932 + oder —

Fleisch und Bacon .... 81,66 56,84 — 24,82

Butter, Milchprodukte . . . 52,— 44,— — 8,—

Flachs, Leinen 9,09 9,13 + 70000 Lit

Einen gewissen, wenn auch nur kleinen Ausgleich brachte der i n f o l g e d e r ä u ß e r s t n i e d r i g e n P r e i s e v e r m e h r t e I n l a n d s k o n ­ sum vonFleisch, Butter, Eiern und Fetten, Die Land­

butter steht mit 1 Lit pro Pfund so niedrig, daß es den ausländischen Kunstfetten und der Margarine unmöglich ist, zu konkurrieren. Der oben vermerkte kleine Gewinn im Flachsexport ist auf die Erholung1 der Weltmarktpreise für Flachs z. T, zurückzuführen, die einen gewissen Anreiz zur Wiedereinführung des Flachsbaus gibt, der bei den bisherigen niedrigen Preisen unrentabel für die Landwirt­

schaft war.

Im großen und ganzen kann nach diesem Querschnitt durch die Lage der litauischen Landwirtschaft gesagt werden, daß ihre ein­

fache Struktur und geringe Verschuldung ihr eine gewisse Krisen­

festigkeit gibt. Jedoch wird der ausländische, insbesondere der deutsche Kaufmann aus der augenblicklichen Lage ersehen, daß in naher Zukunft nur mit einem Bedarf von billigen Massen- und lebens­

wichtigen Konsumgütern zu rechnen ist.

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