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Kritik des Überkommenen

Einigung auf Gestaltungsgrundsätze

2.1 Kritik des Überkommenen

Die Kritik am vorgefundenen Zustand machte sich an den Folgen der Großraumwirtschaft fest. Das durch die Bildung von Gütern veränderte Landschaftsbild wurde unisono als

Ergeb-41 ThHStAW Land Thüringen 1945–1952, Ministerium des Innern Nr. 402, Bl. 15. Schlange-Schöningen, Bau-er, S. 75; Der Neubauernhof, S. 7.

42 Schwartz, Vertriebene, S. 766–892, behandelt das Neubauern-Bauprogramm, lässt dabei aber sowohl die Siedlungsplanung als auch die sich aus beiden Gebieten ergebenden Einflussfaktoren auf die Integration von Neu- und Umsiedlern außer Acht. Die gleiche Feststellung gilt für Ther, Vertriebene, S. 179–188. Auch Neh-rig, Uckermärker Bauern, S. 26–35, untersucht für das Gebiet der Uckermark das Neubauern-Bauprogramm und geht dabei auf die Gehöftplanung, die Finanzierung, das Problem des Baumaterials, die Bauausführung und die gegenseitige Hilfe ein, äußert sich jedoch zur Siedlungs- und Ortslagenplanung nicht. Thüsing, Lan-desverwaltung, S. 77–82, gibt einen Überblick über die Bodenreform in Sachsen, verzichtet aber auf die Darstellung des Bodenreform-Bauprogramms und der sich daraus ableitenden Folgen für Organisation und Zuständigkeit der damit befassten Verwaltungsstellen.

nis einer Fehlentwicklung mit Zügen eines „unfertigen kolonialen Charakters“ bezeichnet43. Der großlandwirtschaftliche Betrieb habe die Entstehung von unwirtlichen Kultursteppen mit einem aus dem Gleichgewicht gebrachten Naturhaushalt gefördert. Im Vergleich mit den gesunden Bauernlandschaften Deutschlands machten die ostelbischen Gebiete einen

„zurückgebliebenen und vielfach kulturlosen Eindruck“. Sinnbild der vergangenen Großwirt-schaft sei der steppenartige und heimatlose Charakter des ländlichen Raumes, hob Erbs her-vor. Das drückte sich in der gesamten Landschaft und ihrer Besiedlung aus. Weite Teile des Landes waren von Bäumen und Sträuchern beraubt; die Gutsparks bildeten oft die einzigen freundlichen Oasen in den kahlen Flächen. In der Besiedlung herrschten die innerlich und äußerlich oft verwahrlosten Landarbeiterquartiere und Bauernhöfe vor, „die in Aufbau und Einrichtung meist das verfehlte Vorbild des Gutsbetriebes, aber keine bäuerliche Eigenstän-digkeit erkennen ließen“.

Andere Sichtweise, andere Urteile. Ein Geograph sah „das Bild der in ihrem wogenden Goldgelb kaum überschaubaren Flächen ausgedehnter Weizen- und Roggenschläge“ und eine vorherrschende „Geometrie der Fläche“. Das Gesicht der Siedlungen jedoch habe der Großgrundbesitz nicht in demselben Maße dominiert. Herrenhäuser und Schlösser mit ih-ren Parks, Gutshöfe, Vorwerke, Feldscheunen und die Häuser der Landarbeiter seien zwar wesentliche „physiognomische Elemente“, das Gesamtbild jedoch sei durch das in Form von Straßen- und Angerdörfern bestimmte, streng geschlossene bäuerliche Siedlungsgefüge be-stimmt gewesen.

Auf eine solche Gelegenheit, die vom Großgrundbesitz verursachten Missbildungen des ländlichen Raumes zu heilen, die Verwerfungen in der Siedlungs- und Landschaftsgestal-tung, den „mehr oder weniger aus dem Mittelalter übernommenen Zustand“ der Dörfer und Flure einer grundsätzlichen Revision zu unterziehen und Zukunftsträchtiges zu schaffen, hatten fortschrittliche Landesplaner, Landschaftsgestalter und Architekten lange gewartet.

Alle Konzeptionen gingen davon aus, die Nachkriegssituation zwinge zu einer „völligen Um-formung unseres Lebens“. Emotionen schlugen hoch; erste Vorstellungen wurden geboren und diskutiert. Teilweise gerieten sie in die Nähe des Illusionären. Küttner, der die Abteilung Städtebau I an der Weimarer Hochschule leitete, trat für eine enge Verbindung von städti-scher Wirtschaft mit der Landwirtschaft ein. Er knüpfte daran die These: „Je mehr das städ-tische und das ländliche Wohnen und Arbeiten aufeinander abgestimmt und ineinander ver-woben wird, desto harmonischer wird die zukünftige Siedlungslandschaft sein“. Erbs dagegen definierte das Vernünftige und Machbare: „Eine Neubauernstelle ist weder eine vorstädtische Mustervilla noch das Museumsstück des vergangenen Großgrundbesitzes“. Er stimmte auch gegen Überhöhung und von der Praxis losgelöste Wunschvorstellungen ein: „Man kann nicht zwei Kriege verlieren und danach so bauen wollen, als ob man sie gewonnen hätte … Für

43 Rep. 274 Nr. 78.

DK 1 Nr. 7584, Bl. 333–334; Nr. 8889, Bl. 21, 122.

Acta Borussica VII, S. 565; Erbs, Der Wiederaufbau, S. 6–7; Hamann, Das Land ruft, S. 12; Küttner, Vor einer neuen Baukunst, S. 782; Jensch, Der physiognomische Wandel, S. 410.

verliebte und rückschauende Baugestaltung wird nur in Ausnahmefällen Raum sein können“.

Friedrich II. hatte das, wie oben angemerkt, – der Zeit entsprechend – ähnlich formuliert.

Alle Beteiligten stellten Planen und Handeln mit dem überwölbenden Ziel einer sinnvollen Ordnung des Raumes insgesamt und des dörflichen im Besonderen unter das Gebot der Zeit, aus dem vorhandenen Boden das Höchstmaß an landwirtschaftlichen Produkten zu erzielen.

Die große Chance war erkannt worden, über die Gestaltung des gesamten ländlichen Raumes die Landwirtschaft mit allen Nebenzweigen zu dem modernsten Wirtschaftszweig in ganz Deutschland zu entwickeln. Es galt das Motto von Hamann: „Die Belange der Landwirtschaft können gar nicht ernst genug genommen werden“. Niemand allerdings war auf diese in der deutschen Siedlungsgeschichte einmalige Aufgabe vorbereitet.

Aber auch die Dorfgemeinden selbst waren eines Umbaus, viele eines Wiederaufbaus bedürf-tig. Die Analyse ihres Zustands war ebenso schonungslos wie das Urteil über die Hinterlassen-schaft des Großgrundbesitzes44: „Schändlich entstellte“, betriebswirtschaftlich veraltete Dör-fer mit oft schon unerträglicher Dichte und unzeitgemäße Gehöfte wurden festgestellt, ein wirtschaftlich und kulturell „noch in einem gewissen Urzustand“ verharrendes plattes Land beklagt, bisher unternommene Gegenmaßnahmen als „splitterhaftes Stückwerk“ bezeichnet, bei den verbliebenen Bauern das gesunde bäuerliche Selbstbewusstsein vermisst. Der Land-schaft sein „Maßstab und Gliederung“ genommen worden. Das traurige Fazit: „Eine in weiten Gebieten ausgeräumte, ungepflegte und in ihren natürlichen Fruchtbarkeitsfaktoren bereits stark gefährdete Landschaft, Dörfer, die aufs Unwirtschaftlichste verbaut sind und in ihrer Hässlichkeit die Seele des Landvolks nicht mehr als Heimat ansprechen“. Die zügellose ka-pitalistische Landausbeutung, die Hand in Hand mit dem allgemeinen Niedergang der Bau-kultur auf dem Lande gegangen sei, habe die Landschaft restlos ausgeräumt, befand Miller.

Das habe zu Boden-, Wasser-, Klima-, Substanz- und Gestaltschäden geführt. Henselmann brachte es auf den Punkt: „Wenn wir uns zum Beispiel unsere Dörfer ansehen, so sind sie im

44 Rep. 250 Templin Nr. 719; Rep. 274 Nr. 78; Rep. 350 Nr. 921.

ThHStA Weimar Land Thüringen 1945–1952, Ministerpräsident HA Wirtschaftsplanung, Landesplanung 71, Bl. 16.

DK 1 Nr. 8739, Bl. 120; Nr. 8889, Bl. 2.

GStAPK Rep. 92 Nachlass Effenberger Nr. 92.

Landtag Sachsen-Anhalt, 1. Wahlperiode, Stenographische Berichte, 1283 B.

Kuhn, Kleinsiedlungen (1918), S. VIII, Marder, Verwaltungsprobleme, S. 198–199; Kulke, Zur Baupla-nung, S. 37; Miller, Grundlagen, S. 29–31; Ders., Dorf Seega, S. IX, 1; Interview, S. 4; Erbs, Geleitwort, S. 5;

Ders., Anregungen, S. 5; Ders., Neubauernsiedlung, S. 2; Hamann, Der Wettbewerb, S. 3; Ders., Probleme, S. 63–64; Ders., Ländliches Bauen, S. 393; Ders., Bauen auf dem Lande, S. 74–76; Ders., Grundlagen, S. 4;

Ders., Bauaufgaben, S. 4; Ders., Das Land ruft, S. 12–13; Ders. (Bearb.), Die 2. Tagung, S. 8; Striemer, Struk-turuntersuchung, S. 8; Ders., Memorandum; Bergmann, Ländliches Bauwesen, S. 407; Vogel, Die bauliche Bereinigung, S. 124; Ders., Dorfplanung, S. 390; Ders., Landesplanung, S. 457–458, 460; Quast/Brender, Raumordnung, S. 384; Küttner, Vor einer neuen Baukunst, S. 783; Henselmann, Planung, S. 269–270, 277;

Freese, Gestalterische Grundfragen, S. 10.

Die Kritik am überkommenen Zustand erstreckte sich auch auf die Gehöftanlagen. 75 % der Stallungen entsprachen nicht den Anforderungen der Tierzüchter und der Betriebswirtschaftler. Es mangelte an Gär-futterbehältern; unzureichende Düngerstätten und Jauchegruben ließen hohe Düngerwerte verlorengehen;

fehlende Keller und Vorratsräume führten zu hohen Verlusten an Kartoffeln, Obst und Gemüse.

baulichen Ausdruck kaum verändert. Sie sind höchstens formal hässlicher geworden … Mit andern Worten: diese Bauernhöfe sind vollkommen veraltet und entsprechen in keiner Weise mehr den Anforderungen, die an eine moderne landwirtschaftliche Produktionsstätte gestellt werden müssen“. Wenige Jahre zuvor hatte es ähnlich geklungen. Der Einfluss ländlicher Pla-ner, denen häufig jedes Können abgehe, sei sehr oft „geradezu verheerend“ gewesen. Das habe in Brandenburg zu einem besonders krassen Verfall der Dörfer geführt.

Der „fortschreitenden Verunstaltung“ der Dörfer sei nicht Einhalt geboten worden; ländliche Siedlungen hätten in technischer, wirtschaftlicher und ästhetischer Sicht den von den frideri-zianischen Gründungen verkörperten Stand nicht erreicht. Hamann stellte Schäden aus jah-relanger Nichtachtung des ländlichen Bauwesens und eine völlig vernachlässigte Baupflege in wirtschaftlicher und ästhetischer Hinsicht fest und verlangte die daraus folgende notwen-dige Sanierung der bestehenden Dorfanlagen. In diesen wiesen die vorhandenen und nicht zerstörten Wirtschaften baulich und betriebswirtschaftlich große Mängel auf. Er verdichtete seine Analyse zu dem Urteil: „Auf dem Lande wurde und wird ohne Sinn und Verstand ge-baut“. Daher müsse „ die Art, wie man in den letzten Jahrzehnten auf dem Lande baute – (man überließ vieles dem Zufall) -, überwunden werden“. In der Bodenreform erblickte er die beste Gelegenheit, „die mannigfaltigen Schäden im Organismus unserer Dörfer“ zu beheben.

Dazu zählte Bergmann ebenso die bauliche und betriebswirtschaftliche Modernisierung der bestehenden Bauernhöfe. Auch die Landwirtschaftswissenschaft äußerte sich in diesem Sin-ne: Stubbe bedauerte die in früheren Zeiten auf diesem Gebiet begangenen „Sünden“ und bezeichnete die Leistungen der preußischen Hochbauämter für das ländliche Bauwesen als an Geschmack- und Phantasielosigkeit kaum noch zu überbieten. Er forderte deshalb von den Landes- und Kreisbauämtern eine der Landschaft angepasste, ästhetisch einwandfreie und betriebswirtschaftlich zweckmäßige Bauplanung auf dem Lande45. In der Debatte des Landtages von Sachsen-Anhalt über den Haushalt 1948/49 im April 1948 konstatierte der Abgeordnete Reuter (CDU), das Gesicht des deutschen Dorfes sei namentlich in den letzten 50 Jahren erheblich verunstaltet worden. Als sie daran gingen, erobertes polnisches Gebiet zu kolonisieren und zu germanisieren, hatten die Planer das Vorgefundene gleichermaßen schonungslos bewertet. Fünf Jahre waren gerade vergangen. Die bauliche Anlage von Städten und Dörfern sei armselig und planlos, in den Dörfern dominierten hundehüttenartige Bau-lichkeiten. Sie nahmen damit Kritiken wieder auf, die in ähnlich drastischer Weise zu Beginn des Jahrhunderts geäußert worden waren.

Striemer hatte bereits vor dem Kriegsende 300 Gemeinden in allen Teilen Deutschlands un-tersucht und war zu dem Ergebnis gelangt, „dass wir bisher nicht nur in Deutschland, sondern auch in der ganzen Welt noch keine Gemeinde haben, von der wir sagen konnten, sie wäre wirtschaftlich, technisch, sozial und kulturell in Ordnung. Sie sind genauso krank wie die Menschen“. „Alle Gemeinden sind strukturell krank“, verallgemeinerte er. Die Zeit sei gekenn-zeichnet durch eine Gemeindefremdheit; kaum jemand habe erkannt, dass die Gemeinde der

45 Stubbe, Die Bodenreform, S. 167. Als Vorsitzender der Kreisbodenkommission des Landkreises Quedlin-burg (Prov. Sachsen) hatte er die Anforderungen an die Siedlungspolitik in praxi kennengelernt.

Lebensraum der Menschen sei. Zu ähnlichen Ergebnissen hatten ihn seine Nachkriegsunter-suchungen geführt, auf die unten im Einzelnen eingegangen werden wird: „Alle Gemeinden sind krank, wirtschaftlich, sozial, baulich, kulturell, keine ist so, wie sie sein könnte und sein müsste.“ Der Siedlungsplanung müsse deshalb eine Untersuchung der dörflichen Strukturen vorangehen, in die möglichst alle Gemeindemitglieder einzubeziehen seien. Miller assistierte ihm mit der Feststellung, dass die Entwicklung der Dörfer und Höfe mit den seit Jahrzehnten erreichten großen Fortschritten bei der Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge und der Intensivierung der Tierhaltung nicht Schritt gehalten habe; die alten Dörfer könnten für die notwendige Neugestaltung deshalb lediglich als Ausgang, nicht aber als Vorbild dienen.

2.2 Handlungsrahmen