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Erste Siedlungskonzeptionen aus Thüringen

Einigung auf Gestaltungsgrundsätze

2.2 Handlungsrahmen .1 Modell der neuen Dörfer.1 Modell der neuen Dörfer

2.2.4 Erste Siedlungskonzeptionen aus Thüringen

Thüringen nahm eine Vorreiterrolle ein. Hier hatte die Siedlungsplanung ein günstiges Um-feld gefunden: Geringe Kriegsschäden in den Städten ließen es zu, das Augenmerk verstärkt auf das ländliche Bauen zu richten, obwohl wiederum der Planungs- und Baubedarf im Ver-hältnis zu den anderen Gliedern der SBZ am geringsten war. Im Lande hatte sich zudem früh unter dem maßgeblichen Wirken von Henselmann eine leistungsfähige Planungsorganisation

gebildet. Nachdem dieser am 18. August 1945 einen Organisationsplan vorgelegt hatte, nahm das „Planungskollektiv Bauhaus“ am 23. Oktober 1945, einen guten Monat, nachdem die Bo-denreform-Verordnungen erlassen worden waren, die Arbeit auf. Es war doppelt unterstellt:

der Hochschule für Baukunst und bildende Künste und dem Bereich Inneres der Landesver-waltung. Von seinen fünf Projektgruppen hatte die Arbeitsgruppe Ländliches Bau- und Sied-lungswesen unter Miller die meisten Mitarbeiter und ein großes Arbeitsvolumen. Von dieser kamen die ersten geschlossenen Konzeptionen für die Gestaltung der neuen Siedlungen51. Sie wurden im Wesentlichen von Miller formuliert und vertreten. Danach seien die neuen Dörfer wirtschaftlich „vernünftig“ anzulegen, zugleich „zweckmäßig und schön“, vor allem aber lebensfähig zu gestalten. Dazu habe der Siedlungsplaner mit dem Siedler selbst, mit dem Bodensachverständigen, dem Landschaftsgestalter, dem Vermesser, dem Straßenbauer, dem Wasserwirtschaftler und dem Betriebswirtschaftler zusammenzuarbeiten. Den strukturellen Ansatz dafür allerdings sah er wie seine Thüringer Kollegen darin, im Zusammenhang mit der Neubesiedlung, also als Voraussetzung für die Siedlungsplanung, die Bodenordnung „total durchzuführen“.

Damit gelangte zugleich ein völlig neuer Ansatz in die Diskussion: der betriebswirtschaftliche Aspekt. Hatte er seine Vorstellung zunächst allgemein in die Öffentlichkeit gebracht und auf der angezogenen Beratung am 2. Februar vertreten, nahm er die in Thüringen erfolgte Land-aufteilung, die nach seiner Ansicht konzeptionslos und nach von Kreis zu Kreis unterschied-lichen Vorstellungen geleitet worden sei, zum Anlass, um seine Gedanken zusammenzufassen und in einer Denkschrift vom 1. April 1946 dieses Vorgehen zu kritisieren und eine eigene Konzeption dagegen zu stellen. Er wies dabei der Bodenordnung die ausschlaggebende Be-deutung zu; diese müsse zu einer völligen Neuordnung des Landes führen. Nur eine richti-ge Aufteilung und Größenbestimmung der Felder der Neubauern garantiere auf Dauer eine wirtschafts- und lebensfähige Neusiedlerstelle. Er wandte sich gegen das Vorbild der Auftei-lungsmethode der preußischen Separation, die eine geschlossene Landfläche favorisiert hatte, und setzte seine Auffassung von der Gemengeteilung dagegen. Mit der These, betriebswirt-schaftliche Belange seien primär für die ländliche Siedlungsplanung, diese könne nur aus den Aufgaben des Dorfes heraus erwachsen, erhob er unter Vernachlässigung kommunal- und siedlungspolitischer Kriterien betriebswirtschaftliche und landschaftliche Bedingungen zu den die Lage und Anordnung einer Siedlung allein bestimmenden Faktoren. Es waren sechs:

Wasserversorgung, Entwässerung, Flurentfernung, Wind- und Wetterschutz, ländliche Wege, Überwindung von Höhenunterschieden. Das hieße auch, Verlauf und eventuelle Steigung der Dorfstraße, die Hofeinfahrten, die Strecke vom Hof zu den Feldern als die die Planung bestimmenden Größen zu beachten.

51 DK 1 Nr. 8319, Bl. 1–5.

„Märkische Volksstimme“ Nr. 18 vom 11.5.1946; „Vorwärts“ Nr. 51 vom 15.6.1946.

Miller, Grundlagen, S. 10, 13–14; Ders., Dorf Seega, S. 52, 87; Vom Baukünstler, S. 11; Vogel, Landespla-nung, S. 458. Vgl. auch Eigmüller, Neubauernhöfe, S. 37–38.

Seine Erörterung von Varianten für die Formung der künftigen Siedlung ging deshalb von der Fragestellung aus, ob es nicht zweckdienlicher sein werde, „statt der krampfhaften Su-che nach der passenden Form erst einmal die Bedingungen, die für die Neugründung einer Siedlung von Bedeutung sind, auszuarbeiten“. Eine solche neue „passende Form“ jedoch fand auch er nicht. Er bewertete deshalb die überkommene dörfliche Struktur und gab zusammen mit deren hauptsächlichen Vertretern die Richtung für die folgende Diskussion vor: Einzel-hof, Straßendorf, Weiler. Die Einzelhofsiedlung genüge zwar der Forderung nach möglichst kurzer Feldentfernung am besten, sie verhindere jedoch das gewünschte und erforderliche Zusammenleben und Zusammenarbeiten der Neusiedler; sie sei überdies unwirtschaftlich und infolge der Kleinheit der Höfe nur unter großen Schwierigkeiten in die Landschaft ein-zuordnen. Ein Straßendorf wiederum dürfe nicht mehr als 20 bis 25 Stellen umfassen, ande-renfalls werde die Feldentfernung zu groß. Die Höfe sollten beiderseits einer Längsstraße auf-gereiht, diese aber so kurz wie möglich gehalten und an beiden Enden deutlich und endgültig abgeschlossen werden. Erfordere die Größe der aufgeteilten Gemarkung mehr als 25 Stellen, komme die Anlage von Weilern mit jeweils sechs bis acht Höfen in Betracht. Diese könnten durch kurze Wege an bestehende Dörfer angehängt werden.

Miller exemplifizierte seine theoretischen Konzeptionen an den Planungen für die Dörfer Großfurra und Seega (beide Kr. Sondershausen)52. Für die Neubauernsiedlung Großfurra-Heidehaus (Neuheide) entschied er sich unter fünf diskutierten Varianten für die einfachste, die Anlage eines Straßendorfes nördlich des Gutshofes. Mit dieser Siedlungsform war seiner Grundforderung, durch Gemengeteilung jeden Siedler mit Boden guter und mittlerer Qua-lität auszustatten, am besten zu entsprechen. Großfurra hatte als erstes Dorf in Thüringen am 9. Oktober 1945 die Aufteilung von ca. 1 600 ha Bodenreformfläche beendet. Dort wurde am 23. März 1946 bei strahlendem Sonnenschein in einem feierlichen Akt, dem Hoernle und Vizepräsident Busse beiwohnten, der Gründungsakt für die erste Siedlung Thüringens mit 22 Stellen vollzogen. Gebaut wurde der von Henselmann entworfene Haustyp „Thüringen“, ein in Fachwerk-Lehmbauweise errichtetes Eindachgebäude. Der Architekt konnte zufrieden konstatieren: „Mit dem ersten Spatenstich beginnt die Verwirklichung unserer monatelangen Planung.“ An der Ausarbeitung des Siedlungsplanes hatten sich Studenten der Hochschule beteiligt. Der Architekt Wimmer, einer von ihnen, erinnert sich: „Das war schon ein

internati-52 ThHStAW Land Thüringen 1945–1952, Ministerpräsident HA Wirtschaftsplanung, Landesplanung Nr. 177;

Ministerium des Innern Nr. 401, Bl. 25; Nr. 402, Bl. 15–16.

DK 1 Nr. 8319, Bl. 2–4.

„Der freie Bauer“ Nr. 21 (März 1946); „Tägliche Rundschau“ Nr. 190 vom 22.12.1945; Nr. 90 vom 17.4., Nr. 235 vom 9.10., Nr. 248 vom 23.10.1946; „Märkische Volksstimme“ Nr. 5 vom 25.4.1946.

Miller, Grundlagen, S. 17, 22–29 (mit Siedlungsplänen); Ders., Dorf Seega; Durth/Düwel/Gutschow, Archi-tektur, S. 80–81; Kossel, Hermann Henselmann, S. 109; Wieler, Was vom „Planungskollektiv Bauhaus“ üb-rig blieb, S. 67–70; Wimmer, Damals in Weimar, S. 123; Preiß/Winkler, Weimarer Konzepte, S. 46; Franke, Querschnitt, S. 4–5; Kurandt, Bodenpolitische Maßnahmen, S. 136–137. Vgl. auch Küttner, Dörfer, S. 119;

Müller, Grundlagen. Gramlich, Freileben, S. 129, Anm. 1, verlegt den Ort in das Land Sachsen-Anhalt und identifiziert als Urheber des Dorfbebauungsplanes Studenten der Hochschule für Baukunst und Bildende Künste Weimar. Hamann, Zur Planung, S. 6, nennt Millers Arbeit über Großfurra eine „etwas verunglückte Schrift“.

onal beachtetes Vorhaben, wie es damals keine andere deutsche Architekturfakultät in dieser Verbindung von Theorie und Praxis, von Gegenwartsbewältigung und Zukunftsglauben auch nur annähernd aufweisen konnte. Wir alle, die Professoren und Studenten, die Umsiedler und Politiker, waren mächtig stolz. Und sehr hungrig. Das Neubauerndorf war ein gravieren-des Beispiel der Bodenreform und wurde gravieren-deshalb später unter Denkmalschutz gestellt.“

Millers Projekt Seega lag das Urteil zugrunde, dessen Struktur sei überholt und den neuen An-forderungen nicht gewachsen. Es ging daher davon aus, dass das gesamte Dorf und alle Bau-ern ihre Betriebs- und Lebensfähigkeit wiedererlangen müssten. Sein darauf gerichteter zu-sätzlicher Vorschlag zur Dorfbereinigung, der zur Aussiedlung von elf Gehöften führen sollte, konterkarierte geradezu die herrschenden Vorstellungen von Siedlungs- und Baupolitik. Die thüringische Landesplanung übernahm seine Einschätzung. Sie beklagte die unwirtschaftli-che Aufteilung der Fläunwirtschaftli-chen – ca. 80 % des Bodens fielen nach ihren Berechnungen darunter – und verlangte eine neue Planung der Bodenreform, die vor allem in einem Flächenaustausch zu bestehen habe. Die auf der im Mai 1946 im Schloss zu Weimar eröffneten Ausstellung „Die Bodenreform“ vorgestellten Modelle der dortigen Neubauernhöfe wurden in der Presse als

„sehr eindrucksvoll“ gewürdigt. Auf der Interzonentagung deutscher Landesplaner, zu der sich im Mai 1946 Landesplaner aus allen vier Zonen in Weimar und Eisenach getroffen hat-ten, bestimmte diese thüringische Konzeption die Diskussion über die Bodenreform. Unzu-reichende Bodenbesitz- und Bodenreform müsse durch eine neue Bodenordnung korrigiert werden, war das unwidersprochene Übereinkommen der Tagungsteilnehmer.

Mit der Betonung der Bodenordnung allerdings manövrierte sich der thüringische Ansatz mehr und mehr ins Abseits, obwohl von der SMAD öffentliches Lob für die Anstrengungen der Planungsgemeinschaft und deren Publikationen gekommen war. Millers Gedanken müs-sen wohl im Kontext von überwiegend politisch motivierten und forcierten Kriterien auf weit-gehendes Unverständnis gestoßen sein. Ablauf der Landverteilung, Handlungsdruck und die unten vorgestellte letztlich endgültige Entscheidung über Umlegungen machten sie schließ-lich obsolet. In den Auseinandersetzungen über Dorfplanung und Dorfgestaltung jedenfalls wurden sie zwar andauernd diskutiert, bis auf das Argument der Feldentfernung jedoch nicht aufgegriffen. Vogel attestiert dem Thüringer Vorgehen den Versuch einer planmäßigen Sied-lungsarbeit. Dieser sei in seiner Wirkung jedoch über theoretische Arbeiten nicht hinausge-langt. Denkbar ist auch ein anderer Zusammenhang, der allerdings in den Diskussionen der Zeit nicht thematisiert worden ist. Bodenordnung als unverzichtbare Voraussetzung war das tragende Element der nationalsozialistischen Siedlungsplanung. Die angestrebte Neuord-nung des Raumes konnte nur über die Änderung der Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden sowohl im Altreich als auch in den eroberten Ostgebieten herbeigeführt werden. Bo-denordnung hatte sich demgemäß und auch angesichts einer Vielzahl zersplitterter und in Gemengelage befindlicher Grundstücke an der Aufgabe zu orientieren, die Grundeigentums-verhältnisse im Rahmen einer stringenten Bodenpolitik neu zu bestimmen und damit die Perspektive für den von den Nationalsozialisten verfochtenen Lebensraum zu eröffnen. Die unten im Einzelnen zu behandelnden „Grundsätze und Richtlinien für den ländlichen Auf-bau in den neuen Ostgebieten“ eröffneten deshalb mit dem Kapitel „Bodenordnung“ dieses

Regelungswerk. Es erhob die „Mehrung und Festigung deutschen Volkstums“ zur übergeord-neten Leitidee. Einer „gesunden Bodenordnung“ wurde entscheidende Bedeutung für deren Durchsetzung beigemessen. Siedlungsplanerische Konzeptionen sollten darauf gründen.