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Einordnung des ländlichen Bauens

1.3.3 „Tasten und wildes Pläneschmieden“

1.4 Einordnung des ländlichen Bauens

Erstaunlicherweise hatten sich öffentliches Interesse und öffentliche Meinung nahezu voll-ständig auf die Behebung der Wohnungsnot in den zerstörten Städten fokussiert, in Anbe-tracht der von Bombenangriffen und Kampfhandlungen in der Endphase des Krieges ver-ursachten Schäden sogar verständlich. Von Wohnungs- oder Unterbringungsnot auf dem Lande war kaum die Rede, obwohl die baulichen Notstände auf dem Lande größer als in den Städten bewertet wurden. Nur Thüringen behauptete eine Sonderstellung. Dort war der Zerstörungsgrad der Städte wesentlich geringer als in den anderen Gliedern der SBZ. Da-durch eröffnete sich ein größerer Spielraum für die ländliche Planung. In der Öffentlichkeit war jedoch insgesamt der fatale Eindruck entstanden, das Bauen auf dem Lande sei von zweit-rangiger Bedeutung. Das Wohnungsbauprogramm der KPD war allein auf den Wiederaufbau der Städte und den Neubau städtischer Wohnungen gerichtet. Dementsprechend sah Stoph den Schwerpunkt von Bau und Wiederaufbau in den Städten bei Wohnungen, Schulen, Kran-kenhäusern und öffentlichen Gebäuden. Hamann bedauerte: „Schwere Bauschäden lassen leider die Bauaufgaben der Stadt als erstrangig erscheinen“. Er konstatierte wie Bergmann einen Mangel an Fachkräften. Dieser werde noch dadurch verstärkt, dass es an Wertschätzung des ländlichen Bauens weitgehend fehle30. Noch im Herbst 1946 musste die SMAD nach dem Motto „Mehr Aufmerksamkeit dem ländlichen Bauwesen“ kritisch vermerken, die Initiative der Bauleute werde von den großen Bauaufgaben auf dem Lande abgelenkt durch dauernde Hinweise auf den Aufbau der Städte. Begünstigt wurde diese Fehlentwicklung durch die bis zum Kriegsbeginn vorherrschende, nahezu einseitige Orientierung von Architekten, Bau-meistern, Handwerkern und des gesamten Baunebengewerbes auf das städtische Bauen. Auf der zitierten Beratung am 7. Februar sprach Henselmann zum Thema „Bauen für hundert Jahre“. Unter Baumeistern und Architekten herrsche gewisse Ratlosigkeit hinsichtlich der Bewältigung der neuen Probleme. Bisher hätten sich Baumeister und Architekten nie beson-ders für das ländliche Bauen interessiert. Bergmann beließ es nicht bei der Feststellung, die Bauaufgaben auf dem Lande seien wichtig und mit dem städtischen Bauen gleichlaufend zu bewältigen, er befand, ihnen müsse jedenfalls Vorrang eingeräumt werden. Hamann urteilte schärfer. Auf einer Besprechung bei der DVLF konstatierte er, es mangele an Wertschätzung des ländlichen Bauwesens. Auch in den zuständigen Behörden seien bisher keine Erfolge zu verzeichnen gewesen.

30 Rep. 250 Beeskow-Storkow Nr. 1642; Rep. 274 Nr. 70; Nr. 82.

DK 1 Nr. 8419, Bl. 73; Nr. 8889, Bl. 1, 21–22.

Aus Land- und Forstwirtschaft. Presse-Informationsdienst der DVLF 48 (1947), S, 7; „Deutsche Volkszei-tung“ Nr. 6 vom 9.1.1946; „Der Morgen“ Nr. 103 vom 4.5.1946; „Tägliche Rundschau“ Nr. 34 vom 10.2., Nr. 220 vom 21.9.1946, Nr. 209 vom 7.9.1947; „Vorwärts“ Nr. 51 vom 15.6.1946; „Märkische Volksstimme“

Nr. 138 vom 15.6.1948.

Hilscher, Die landwirtschaftlichen Bauaufgaben, S. 10; Ders., Die Baudurchführung, S. 14; Bergmann, Länd-liches Bauwesen, S. 406–407; Hamann, Das Land ruft, S. 12; Ders., Grundlagen, S. 4; Ders., Bauen auf dem Lande, S. 76; Vogel, Landesplanung, S. 457; Stoph, Die Aufgaben, S. 113; Felfe, 40 Jahre, S. 14; Boyens, Die Geschichte I, S. 209, 235; Wieler, Was vom „Planungskollektiv Bauhaus“ übrig blieb, S. 71.

Im Bauen hatte sich nämlich im Laufe der Jahrhunderte ein Wandel vollzogen. Nachdem der erste Bauer auch zugleich der erste Bauherr gewesen war, hatte sich das Bauen mit der He-rausbildung der Städte auf diese konzentriert. Stadtorientierung beherrschte von da an das Baugeschehen und die dieses begleitende und fördernde Literatur. Einer großen Zahl von Titeln zu diesem Zweig des Bauens standen nur wenige und zumeist unvollkommene Ver-öffentlichungen zum Bereich des Landbaus gegenüber. Das mangelnde Interesse am ländli-chen Bauen bei Architekten und Baumeistern führt Henselmann auf dessen finanzielle Un-attraktivität zurück. Es sind wohl auch noch Echos aus der Weimarer Zeit zu vernehmen.

Eine im Wesentlichen von linken Kräften getragene Stadtorientierung, die in der Rückschau als „bedingungslos“ charakterisiert wurde, hatte daran mitgewirkt, die damals angestrebte Ausweitung der ländlichen Siedlung zu verhindern und damit eine geschlossene Bodenpo-litik auf lange Zeit zu verbauen. Diese eingeengte Sichtweise äußerte sich schon früh in für das ländliche Bauwesen ungeeigneten Planungen. In Todendorf (Kr. Malchin, Mecklenburg-Vorpommern) sollten beispielsweise aus einem ehemaligen Gutsstall nach dem Vorbild der Stadtrandsiedlungen fünf Bauernhäuser als zusammenhängende Reihensiedlung entstehen.

Das bewegte Hoernle zu dem beschwörenden Ausruf: „5 Bauernwirtschaften unter einem Dach, in einer Reihe, ist faktisch unmöglich!“ Auf der Tagung der Landesplaner im Mai 1946 in Weimar wurde deshalb die Forderung erhoben, der ländlichen Bauplanung den Vorrang vor dem Wiederaufbau der Städte einzuräumen.

Wie oft in Notzeiten zu beobachten, verstanden es zunächst die Stärksten, ihre Interessen durchzusetzen. Dem standen die kapitalschwachen Neubauern nach. Bei einer im Grunde schon unzureichenden Baustoffproduktion versickerten die geringen Kontingente der Krei-se und wanderten größtenteils in die Hände kapitalkräftiger Bauherren in Stadt und Land.

Von „BMW-Bauten“ war die Rede, Bauten für Bäcker, Metzger und Wirte, auch von „Kalo-rienbauten“. Altbauern nutzten die Gelegenheit und ihre alten Beziehungen zu ansässigen Handwerkern, um ihre Höfe auf den neuesten Stand zu bringen. Sie verfügten über die er-forderlichen Geldmittel und waren so auch in der Lage, diese vor drohender Entwertung zu bewahren. „Man sieht in fast unversehrten Dörfern neue Ställe, neue Umfassungsmauern, neue Scheunen. Es sind dies die sogenannten Speckbauten.“ So mancher Bauunternehmer erblickte im ländlichen Bauen die Chance, seine wirtschaftliche Position zu festigen und zu verbessern. Felfe spitzte das zu der Aussage zu: „Profitgierige Unternehmer versuchten, sich am Neubauernprogramm (!) zu bereichern“. Diese Störungen begleiteten Planen und Bauen über die Jahre. Der Aufruf „Neubauern!“ vom 8. Dezember 1947 forderte: „Unterbindet die Speck- und Butterbauten!“ Noch im Sommer 1948 wurde gefragt: „Wie lange werden diese Butter- und Speckbauten noch geduldet?“. Hilscher verengte das zu der agitatorischen, aber wirkungsvollen These, Baustoffe flössen in die Großstädte für den Bau von Bars, Restaurants, Theatern, Kinos und ähnlichen Vergnügungsstätten. Unter dem Kampfruf, mit der unverzüg-lichen Lösung der Bauwirtschaftsfrage stehe und falle die Bodenreform, verlangte er, dem Bauen auf dem Lande den ersten Platz einzuräumen. Auch ungeordnet und spontan entste-hende Neubauernstellen und Neubauernsiedlungen vergrößerten das ohnehin

unübersichtli-che Gesunübersichtli-chehen. Schnell war ein Zustand eingetreten, der Hamann zu dem Stoßseufzer getrie-ben hatte: „Allmählich wachsen die wohnlichen und baulichen Notstände ins Chaotische“.

Früh schon hatte sich darüber hinaus abgezeichnet, dass neben dem Bauen die kommunal-rechtliche Stellung neuer Gemeinwesen zu bestimmen war. Endlich bot sich auch die Mög-lichkeit, die von Architekten, Siedlungsplanern und Landbaumeistern schon lange beklagte, nicht mehr zeitgemäße Struktur der bestehenden Dörfer zu modernisieren. Aber schon in der Anfangsphase der Umgestaltung auf dem Lande standen sich Notwendigkeiten gegen-über, die sich gegenseitig ausschlossen. Sie überlagerten das dringende Erfordernis, den Neu-siedlern Haus und Hof zu errichten, bäuerliche Gemeinwesen zu begründen, die den neuen Bedingungen von landwirtschaftlicher Organisation und Produktion entsprachen, die Sta-bilisierung der Neubauernwirtschaften selbst zu erreichen, damit auch das neue politische System zu legitimieren, letztlich also dem auf dem Lande neu entstandenen Leben die ad-äquate Form zu verschaffen. Großflächige Kriegszerstörungen, vor allem im Osten der Pro-vinz, verschärft durch Baustoffmangel und völlig unzureichende Transportkapazitäten, waren zu beheben. Aber auch ausreichend Nahrungsmittel für eine bedürftige Bevölkerung muss-ten zur Verfügung gestellt, die Rohstoffbelieferung der Wirtschaft gesichert und Massen von Umsiedlern untergebracht werden. Der daraus erwachsene Widerspruch war für gewisse Zeit nicht aufzulösen.

Die politische und administrative Einflussnahme richtete sich deshalb vor allem auf Versor-gung der Bevölkerung und UnterbrinVersor-gung der Umsiedler. Die Legion von Rechtsvorschrif-ten und Verwaltungsanweisungen, die in dem kurzen Zeitraum des Bestehens der Länder und Provinzen zur Regelung dieser Gebiete erlassen worden war, spricht für sich. Die zitier-te, für die Bodenreform grundlegende und grundsätzliche Rede Piecks von 1945 ging auf bäuerliche Gemeindestrukturen, auf Siedlungs- und Dorfplanung überhaupt nicht ein. In dem Rechenschaftsbericht, den der in der Provinz Sachsen für den Bereich Landwirtschaft zuständige Präsidialdirektor Diettrich unter dem Titel „Arbeit und Planung für Land- und Forstwirtschaft“ auf der Provinzialtagung der land- und forstwirtschaftlichen Verwaltung im März 1946 (VOBl. S.-A. 1947 S. 125–130) abstattete, standen Ergebnisse der Bodenreform sowie rein land- und betriebswirtschaftliche Fragestellungen im Mittelpunkt. Ausführungen zur Siedlungsplanung oder zu Siedlungsbauten sucht man auch dort vergeblich.