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Die Bodenreform als Gebot der Stunde

Die Aufgabe

1.1 Die Bodenreform als Gebot der Stunde

Die Bodenreform hatte von Anlage und Absicht her eine originäre politische Bestimmung1. Sie galt als Beitrag zur Überwindung des Nationalsozialismus, als Vollendung der bäuerlichen Freiheitsbewegungen, auch als Kompensation des Bauernlegens vergangener Jahrhunderte.

Sie war vor allem Antwort auf die Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhält-nisse im Anschluss an die Bauernbefreiung, in deren Folge Gutsbesitzer bäuerliches Land buchstäblich „aufgesogen“ hatten. Sie nahm den Tenor des Reichssiedlungsgesetzes von 1919 auf. Dieses hatte gefordert, gelegte Bauernstellen möglichst wieder herzustellen. Sie war auch die Fortsetzung der seit dem 19. Jahrhundert vermehrt geführten Diskussionen um die Reform des platten Landes, die mit der Auflösung der Gutsbezirke zu ihrem einzigen, aber weitreichenden Ergebnis gelangt war. Die Bodenreform transportierte mit einem einmaligen Kraftakt alles bis dahin vergebens Angestrebte in die gesellschaftliche Realität. Es war der

„Schlussstrich unter das Kapitel Großgrundbesitz“. Bodenreform sei in Jahrzehnten „fast zur Wissenschaft“ geworden. Ihre Wurzeln sind also in der deutschen Geschichte zu suchen. Sie war somit eine originär deutsche Entscheidung. Die Anweisung der Besatzungsmacht als al-leiniger Träger staatlicher Souveränität setzte diese um. Das entsprach der völkerrechtlichen Situation nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches. Millers2 Statement

1 Rep. 350 Nr. 921.

DK 1 Nr. 8319, Bl. 2.

AdK Baukunstarchiv, Nachlass Scharoun Nr. 3184

„Das Volk“ Nr. 48 vom 29.8.1945; „Der Morgen“ Nr. 23 vom 29.8.1945; „Neue Zeit“ Nr. 35 vom 31.8.1945;

„Berliner Zeitung“ Nr. 97 vom 5.9.1945; „Der Märker“ Nr. 1 vom 20.10.1945; Europa-Archiv 2 (1947), S. 671.

Dokumente und Materialien III, Bd. 1, S. 14–20, 157–158; Walther, Leo Baeck, S. 192; von der Goltz, Groß-besitz, S. 93; Maxion, Die Wirkungen, S. 18; Sombart, Über Rentengüter, bes. S. 349–355; Ders., Die Fehler, S. 10–11; Klimpel. Die ländlichen Gemeinden; Lemmer, Vollzug, S. 96, 100; Erbs, Anregungen, S. 5; Frie-densburg, Die Verelendung, S. 4; Boyens, Die Geschichte II, S. 19–21, 142–143, 146; André Francois-Pon-cet, Als Botschafter in Berlin 1931–1938, Mainz 1949, S. 38; Merkel/Schuhans, Die Agrarwirtschaft, S. 38;

Suckut, Blockpolitik, S. 88–89,103; Gerschenkron, Bread and Democracy, S. 172; Bauerkämper, Neubau-ernbauprogramm, S. 182; Ders., Problemdruck, S. 296; Runnwerth, Entwicklung, S. 14.

Becker, Reichssiedlungsgesetz, der S. 25–28, die Bodenreform in den drei westlichen Besatzungszonen be-handelt, erwähnt den Beschluss der Moskauer Außenministerkonferenz nicht.

Das Gut Ostrau war am 13.10.1945 im Beisein von Präsident Dr. Hübener, Vizepräsident Siewert und Gene-ral Kotikow im Rahmen einer Feierstunde aufgeteilt worden. Vgl. dazu Siewert, Für ein besseres Leben, S. 80.

Als Beispiel für Initiativen zur freiwilligen Abgabe von Gutsland zu Siedlungszwecken steht der Aufruf von Gutsbesitzern des Kreises Königsberg/NM vom 7.11.1919, abgedr. in: „Kreuzzeitung“ Nr. 580 vom 13.11.1919.

2 Biographische Angaben bei Barth u. a., Vom Baukünstler, S. 160–161.

steht für den Aufbruch der Zeit und für den Anspruch an seine Gestalter: „Die Bodenreform ist eine große revolutionäre und einmalige Aufgabe. Sie kann und wird auch in der dritten Phase, der baulichen Durchführung, nur von Männern mit Initiative, Wagemut und Tatkraft durchgeführt werden können, von Männern, die die ganze politische (siedlungspolitische) Tragweite der Bodenreform überschauen, also von jenen, die durch ihre vorausschauende Planung die Zukunft der Neubauern gegen alle politischen und wirtschaftlichen Krisen si-chern.“

Den betroffenen Grundeigentümern und deren Vertretern stand eine Phalanx von links bis rechts gegenüber. Von allen Seiten des politischen Spektrums war Zustimmung zu vernehmen gewesen. Die KPD als die treibende Kraft der Umwälzung konnte sich wichtiger und zahlrei-cher Unterstützung sizahlrei-cher sein. Ihrem Aufruf vom 11. Mai 1945 folgten Bekundungen von SPD, LDP und CDU. Die Erklärung der Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien vom 13. September 1945 sah in ihr eine alte Bauernforderung endlich Wirklichkeit werden. Der nachfolgende Aufruf vom 22. November 1945 „Helft den Neubauern“ begann mit dem Satz: „Die Durchführung der Bodenreform hat den Traum vieler landhungriger Bauern Wirklichkeit werden lassen“! „Nur freie Bauern auf freier Scholle werden in einem neuen demokratischen Deutschland unserem Volke sein tägliches Brot verschaffen“, betonte das Organ der brandenburgischen SPD. Klimpel, Vorsitzender des Agrarpolitischen Beirats im Zentralausschuss der SPD, lenkte den Blick auf die Gemeinden als „Grundzelle des demo-kratischen Staates“. Sie könnten ihrer Aufgabe nur gerecht werden, wenn die wirtschaftliche und politische Vormachtstellung des Großgrundbesitzes durch den Entzug des Grund und Bodens als der Basis seiner Herrschaftsausübung gebrochen werde.

Lemmer äußerte sich zweimal in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Erlass der Boden-reformverordnungen. Er verwies auf die historische Dimension des Vorgangs: „Der Prozess der Demokratisierung des Bodens ist unausweichlich.“ Bei genauerer Prüfung ergebe sich,

„dass dieses elementare Ereignis in all seiner epischen Wucht, der Drang der Vertriebenen nach neuer Erde mitten im Kampf eines geschlagenen Volkes gegen die Drohung des Hun-gers, nicht Ursache einer politischen Entwicklung, sondern konzentrische Wirkung in einem schon überfälligen geschichtlichen Prozeß ist: in der sich seit der fast zwei Jahrhunderten vollziehenden Liquidierung des Feudalismus als ein ungeheuerlicher Anachronismus un-serer Zeit“. Eine Veröffentlichung zum Thema stellte er unter den proklamatorischen Titel

„Vollzug eines historischen Gesetzes“. Für ihn entsprach es der „historischen Logik, die Bo-denreform an den Anfang eines deutschen Wiederaufbaus zu stellen“. Friedensburg meinte, für die Aufteilung des Großgrundbesitzes könnten „nach der geschichtlichen Entwicklung Ostdeutschlands immerhin manche ernste Argumente angeführt werden“. Noch 1947 fasste die in Moskau tagende Außenministerkonferenz der vier Besatzungsmächte den Beschluss, bis Ende 1947 in ganz Deutschland eine Bodenreform durchzuführen.

Aus Fachkreisen war überwiegend Zustimmung zur Reform zu vernehmen gewesen. Vor al-lem viele Landes- und Landschaftsplaner und Architekten hatten lange auf diesen Moment gewartet. Tessenow schlug einen weiten Bogen. Am 10. November 1945 sprach er an der

Berliner Hochschule für bildende Künste zum Thema „Fragen des Bauens und der Gestaltung von Stadt und Land als Erfahrung und Erkenntnis einer reichen Lebensarbeit“: „Alle groß-weltlich umfassenden Kulturwandlungen sind mit in erster Linie immer Siedlungsbewegun-gen … Und so ist nun auch die Kulturwandlung, die wir heute erleben, viel mehr oder viel umfassender noch als das heute obenhin erkennbar ist, eine Siedlungsbewegung, die nicht nur unsere Großstädte und unsere Kleinstädte und Dörfer, sondern weitgehend unsere gan-zen Landschaften in verhältnismäßig kurzer Zeit völlig … verändern wird.“

Auch persönlich Betroffene und dem Ganzen ablehnend Gegenüberstehende konnten sich der historischen Dimension des Geschehens nicht völlig entziehen. Hans Hasso von Velt-heim, dessen Gut Ostrau (Kr. Bitterfeld) aufgesiedelt worden war, schrieb am 12. September 1945 an Leo Baeck: „ So finde ich es doch sogar irgendwie richtig, dass auch ich nun un-ter den Vergeltungen weiun-ter zu leiden habe“. Und besser als der Amerikaner Gerschenkron konnte kein kommunistischer Funktionär die Notwendigkeit der Bodenreform begründen:

„The first and foremost necessity for agricultural reconstruction in postwar Germany is the elemination of the Junkers, who have been the authors or coauthors of all the acts of aggressi-on perpetuated by Germany in the last seventy or eighty years“. Vaggressi-on einer anderen Seite wa-ren die Nationalsozialisten gekommen, als ihre Bodenpolitik von der Theorie in praktisches Handeln umschlug. Von der Goltz hatte gefordert, der Großbesitz müsse durch Aufteilung lebensunfähiger Güter in Bauernhöfe rückverwandelt werden. Bauerkämper kommt in der Nachbetrachtung zu dem Urteil, die Bodenreform gehörte zur Gründungsideologie in der SBZ, diente zur Legitimierung der SED-Herrschaft und bildete eine wichtige Grundlage des Selbstverständnisses der DDR.

Was Hindenburg als „bolschewistische Siedlungspläne“ bereits durch die Aufsiedlung weni-ger – zumeist bankrotter oder leistungsschwacher – Güter hatte heraufziehen sehen, war als vollzogene Tatsache in die Wirklichkeit getreten. Nicht nur das Wenige, das Großagrarier im Zuge der preußischen Siedlungspolitik hatten freiwillig abtreten wollen – als Ergebnis einer Initiative des Großgrundbesitzes waren in ganz Preußen lediglich 7 090 ha zur Aufsiedlung angeboten worden -, war ihnen nun genommen worden. Prophezeiungen weitblickender Männer hatten sich in furchtbarer Weise erfüllt. Sombart hatte schon 1876 am Beispiel des vom Großgrundbesitz völlig beherrschten Neuvorpommerns beschworen: „Die Schuld der Väter rächt sich an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied“, und gefordert, die „urwüch-sigen wirtschaftlichen Verhältnisse“ wieder herzustellen. Boyens war in einem Brief an den Reichspräsidenten vom 27. Mai 1932 noch deutlicher geworden: „Wenn Teile des Groß-grundbesitzes … wiederum die Zeichen der Zeit nicht begreifen wollen, so fürchte ich, sie graben sich selbst ihr Grab, und eine stürmische Entwicklung wird eines Tages über sie hin-weggehen“. Auch deren Wirtschaftskraft erwies sich zu Anfang der 30er Jahre des 20. Jahr-hunderts als immer fragiler. Güter auf einer Million ha waren nicht mehr lebensfähig, solche auf ebenfalls einer Million ha konnten aus eigener Kraft nicht weiter existieren, ein Drittel der Bodenfläche war mit fast vier Milliarden RM verschuldet. „Es hagelte Zwangsversteigerun-gen“. Diejenigen, deren Liegenschaften mehr als 100 ha umfassten, hatten alles verloren. Wie bereits durch das am gleichen Tage wie die Reichsverfassung beschlossene

„Reichssiedlungs-gesetz“ vom 11. August 1919 (RGBl. S. 1429) bestimmt, fiel auch jetzt Grundbesitz unter 100 ha nicht unter die Enteignung. Eine Hürde für die Liquidierung des Großgrundbesitzes hatte Preußen in einer seiner letzten reformatorischen Anstrengungen beiseite geräumt. Die durch das „Gesetz über die Regelung verschiedener Punkte des Gemeindeverfassungsrechts“

vom 27. Dezember 1927 (GS. S. 211) bestimmte Auflösung der Gutsbezirke nahm der Guts-wirtschaft ihre rechtlichen Stützen3.