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Besonderheit: die Umsiedler

1.3.3 „Tasten und wildes Pläneschmieden“

1.5 Besonderheit: die Umsiedler

Die Neusiedler waren nicht nur die ansässigen ehemaligen Landarbeiter und landarmen Bauern aus den jeweiligen Gemeinden, sondern häufig Umsiedler31. Viele hatten sich in der Nähe der von den Siegermächten dekretierten Ostgrenze niedergelassen. Sie hofften, da-mit eine gute Ausgangsposition für die angestrebte baldige Rückkehr in ihre alte Heimat zu haben. 1949 standen in Brandenburg 27 716 einheimischen Neubauern 25 043 Umsiedler-Neubauern (= 47,5 %) gegenüber. Der Befehl Nr. 127 der SMA vom 30. Januar 1946 hatte die Ansiedlung von 10 608 Umsiedlerfamilien auf 107 255 ha gefordert. Die Abteilung III Ernährung und Landwirtschaft der Provinzialverwaltung hatte diese Zahlen im April 1946 auf die Hälfte korrigiert und in den Kreisen Angermünde, Beeskow-Storkow, Lebus, Luckau, Lübben, Oberbarnim, Osthavelland, Prenzlau und Templin das Ansetzen von 5 639 Familien auf 40 072 ha Land vorgesehen, das noch nicht aufgeteilt worden war. Allein im Kreis Lebus war ein erster Transport mit 1 080 Menschen angekommen. Es waren in der Mehrzahl Frauen und kleine Kinder sowie 100 alte Männer. Wie bei den Siedlern in den 20er Jahren des 20.

Jahrhunderts, die „baldmöglichst in die neuen örtlichen Verhältnisse hineinwachsen“ sollten, ging es jetzt – allerdings in kaum vergleichbar größerem Ausmaß – darum, die Umsiedler in ihr Zufluchtsterritorium zu integrieren. Die raum- und siedlungsplanerische Seite war an-scheinend übersehen worden. Erbs allerdings, der sich als Voraussetzung für seine Tätigkeit früh einen Überblick über das Leben vor Ort verschafft hatte, kam in seiner Antrittsvorlesung an der TH Berlin zu Ergebnissen, die sofortiges Handeln einforderten: „Während früher die Städte in der Hauptsache der Schauplatz sozialer Kämpfe waren, ist heute auf dem Lande, im Dorf, die Zuspitzung der Gegensätze unverkennbar. Besitzende und Verarmte, Flüchtlinge, Alt- und Neubauern, Gesättigte und Notleidende wohnen Haus an Haus oder auch Zimmer an Zimmer … Heimatverbundene Menschen werden wie lästige Ausländer behandelt, größ-te Bitgröß-ternis ist im Entsgröß-tehen, Dauerunfrieden die Folge.“

31 Rep. 206 Nr. 2691; Rep. 208 Nr. 219, Bl. 3–4, 8.

DK 1 Nr. 7548, Bl. 27–28.

Weil/Weigelt/Karutz, Siedler-Wirtschaftsberatung, S. 175; Erbs, Neubauernsiedlung, S. 2; Schwartz, Ver-triebene, S. 106, 637–638, 652; Watzek, Streit, S. 21; Ein leidgeprüftes Land, S. 67; Vorgetäuschte Integrati-on, S. 200–203.

Ther, Vertriebenenpolitik, S. 148,158. Wie der Autor, S. 150, feststellt, hatten Umsiedler in der gesamten SBZ im Zuge der Bodenreform 43,3 % aller Neubauernstellen und 34,9 % des verteilten Bodens erhalten;

ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung dagegen betrug nur 24,2 %. Seine Behauptung, Calau, S. 165, die Bo-denreform sei, besonders was die Vertriebenen betrifft, gescheitert, bleibt in diesem Zusammenhang unver-ständlich. Nach Meinicke, Zur Integration, S. 874, lebten 47 % der Umsiedler in Dörfern bis 2 000 und 22 % in Gemeinden und Kleinstädten mit bis zu 10 000 Einwohnern.

Kluge, Sozialistische Landwirtschaft, S. 24. Seiner Schlussfolgerung, aus der allgemeinen Mangelsituation, in der sich die meisten Bauern befanden, sei allgemein Entsolidarisierung erwachsen, kann in dieser Abso-lutheit nicht gefolgt werden. Schwabe, Arroganz der Macht, S. 53, spricht von einem permanenten Konflikt zwischen Alt- und Neubauern. Für Mecklenburg vgl. Bentzien/Neumann, Mecklenburgische Volkskunde, S. 100. Vgl. auch Ediger, Das Umsiedlerproblem, S. 5.

Die von Holz, Insulaner, S. 221, festgestellten, über das Kriegsende fortbestehenden Dorf- und Fluchtge-meinschaften verdienten im Hinblick auf das Zusammenleben in ihrem Zufluchtsort und in ihrem Verhältnis zu den Alteingesessenen zum Gegenstand einer eigenen Untersuchung gemacht zu werden.

Die Zufluchtsstätte war in der Regel die kleine Gemeinde. Schwartz hat festgestellt, dass die kleinste Gemeindegrößenklasse mit 27,2 % den stärksten Bevölkerungszuwachs aufzuneh-men hatte. In diesen Orten konnten die aus Zuwanderung und Bodenverteilung entstande-nen massiven gesellschaftlichen Konflikte erst in einem häufig zermürbenden und opferrei-chen Assimilierungsprozess bewältigt werden. Gerade dort, in einer geschlossenen dörfliopferrei-chen Gesellschaft, war der Gegensatz zwischen Einheimischen und Neuankömmlingen besonders ausgeprägt. Starke Spannungsverhältnisse zwischen Alt- und Neubauern resultierten daraus.

Letztere blieben lange eine nach Herkunft, Sprache und Kultur klar definier- und diskrimi-nierbare Unterschicht mit Auswirkungen auf ihre Vorstellungen von Organisation und Selb-storganisation. Konflikte über die zweckmäßige Siedlungsform und den kommunalen Status neuer Siedlungen fanden darin ihren Nährboden.

Die Umsiedler waren bereits bei der Vergabe des Bodens ungenügend berücksichtigt wor-den, da sie naturgemäß keine Kenntnis hatten über die qualitative Zusammensetzung des zur Verteilung stehenden Landes; viele waren erst nach der Aufsiedlung des größten Teils der besten Flächen in ihrer neuen Heimat angelangt. „Wer zuerst kam, mahlte zuerst, nahm das nächste Land“. So kennzeichnete Wilhelm Kupsch aus Neu Manschnow (Kr. Lebus) tref-fend die Lage. Eine Sonderkommission, die im Sommer 1949 den Kreis Lebus untersuchte, bestätigte diese Aussage im Nachhinein. Die Bodenreform sei ohne den nötigen Weitblick und ohne nötige Kontrolle durchgeführt, die guten Bodenqualitäten aufgeteilt und die später kommenden Siedler nur mit schlechtem Boden bedacht, dadurch nicht existenzfähige Wirt-schaften geschaffen worden. Die Umsiedler verfügten zudem kaum über Zugkraft, besaßen keine landwirtschaftlichen Maschinen, kein Gerät, kein Saatgut; häufig fehlten ihnen sogar die Mittel zur Ernährung der eigenen Familie. Die von den Ausschüssen für gegenseitige Bau-ernhilfe organisierte Gespannhilfe, erste Bestell- und Erntegemeinschaften und auch die seit November 1946 bestehenden Maschinenhöfe32 der Ausschüsse waren nicht in der Lage, ihre Benachteiligung in kurzer Zeit aufzuheben. So gerieten sie wie auch häufig die einheimischen Neusiedler schnell in neue Abhängigkeit.

An die Stelle der alten, spätfeudalen Bindung an den Gutsherrn trat nun die Abhängigkeit von den alteingesessenen Bauern und deren Entourage, die auch die Kommandohöhen in der Ge-meinde (Bürgermeister, GeGe-meinderat, VdgB) besetzt hielten und „sehr oft im Dorf die erste Geige“ spielten. Zusammen mit Vertretern der bürgerlichen Parteien gelang es ihnen dadurch gelegentlich auch, „den Transformationsprozess in gewissem Umfang zu blockieren“. Eine

„neue Form der Hörigkeit“ bildete sich heraus. Grotewohl verband auf dem II. Parteitag der SED den beobachteten großen Zuzug von Groß- und Mittelbauern in die VdgB mit der Ge-fahr eines Zurückgleitens in alte Auffassungen des nationalsozialistischen Reichsnährstandes.

Bauerkämper kennzeichnet dieses Geschehen als tendenzielle Marginalisierung der

Neubau-32 Ulbricht beklagte bereits auf der kommunalpolitischen Tagung des LV Brandenburg der SED am 18.10.1947 in Schmerwitz, dass die Maschinen- und Geräteverleihstationen, die vor allem zur Unterstützung der Neu-siedler und Kleinbauern gedacht waren, nicht so entwickelt worden seien, wie es erforderlich gewesen sei.

(Rep. 333 Nr. 67, Bl. 164–165). Vgl. für Thüringen Schier, Die Ablieferungsgemeinschaft, S. 214–216.

ern. Hinzu kam häufig eine die Grenzen überschreitende persönliche Diskriminierung. Diese erwies sich zuweilen als kaum tragbar. Einheimische verfügten über genügend Wohnraum, die Zugezogenen mussten häufig in erbärmlichen Unterkünften zusammengepfercht vegetie-ren33. In Jänschwalde (Kr. Cottbus) waren sie sogar der Demütigung ausgesetzt, ihren verstor-benen Angehörigen umbetten zu lassen, weil er in einer Grabreihe bestattet worden war, die nur Einheimischen vorbehalten bleiben sollte; in Saspow (Kr. Cottbus) war für sie eine be-sondere Abteilung des Friedhofes, in Dennewitz (Kr. Luckenwalde) vorsorglich ein eigener Friedhof außerhalb des Dorfes angelegt worden. Wenn schon den Toten ein angemessener Platz nicht gegönnt wurde, um wie viel mühseliger und belastender war es für die Lebenden, sich auf dem neuen Lande zu behaupten und sich inmitten einer ablehnenden Mehrheitsge-sellschaft in des Wortes wahrster Bedeutung „anzubauen“?

Die Unterstützung durch Politik und Verwaltung war zwar vorhanden, die Umsetzung des politischen Willens jedoch immer abhängig von den Verhältnissen in der jeweiligen Gemein-de. Insofern ergaben sich in beiden Teilen Deutschlands allein aus der Notwendigkeit des Umgangs mit den Massen von Flüchtlingen ähnliche Problemlagen bei unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen: Für Bayern beispielsweise hat Erker bis Ende 1948 „die Be-gegnung zwischen Dorfbewohnern und Flüchtlingen vor allem als Konfliktgeschichte“ ge-kennzeichnet. Ein besonderes Vorgehen gegen „Überfremdung“ durch die Zuweisung von Flüchtlingen ließen der Landrat, zehn Bürgermeister und alle Kreistagsabgeordneten des Kreises Wesermarsch erkennen: Am 21. April 1947, einen Tag nach der ersten Landtagswahl in Niedersachsen, legten sie geschlossen ihre Mandate nieder. In den sorbischen Gebieten der Lausitz sperrten sich die Bewohner gegen die Aufnahme von Umsiedlern deutscher Na-tionalität: Sie fürchteten mit deren Einbürgerung ihre Chancen auf einen Anschluss an die Tschechoslowakei zu beschädigen34.

Politik und Verwaltung standen vor Entscheidungen von erheblicher politischer Bedeutung.

Die Grundsatzfragen waren schnell geklärt, die politische Linie vorgegeben. Diese hieß:

„Rückhaltlose Assimilation“ der Umsiedler. Nur so konnte ihnen der Charakter einer Son-dergruppe genommen35 und den außerordentlich starken Bestrebungen zur Rückkehr in die

33 Rep. 202G Nr. 54, Bl. 50; Rep. 250 Cottbus Nr. 5, Bl. 25, 30; Nr. 57, Bl. 19; Rep. 334 Luckenwalde Nr. 200.

DY 30/IV 2/13 Nr. 42, Bl. 142.

Protokoll der Verhandlungen des II. Parteitages der SED, S. 276; Hoernle, Probleme, S. 1038. Beispiele bei Bauerkämper, Auf dem Wege, S. 251–254; Ders., Vorgetäuschte Integration, S. 200–203; Ders., Die Neu-bauern, S. 110, 117, 126; Ders., Ländliche Gesellschaft, S. 304, 308; Plato/Meinicke, Alte Heimat, S. 61;

Schwartz, Vertriebene, bes. S. 625–840, 918–973; Marquardt, Die Entdifferenzierung, S. 38. Zur Lage in einem Dorf: Ihlo/Scholz, Weißagk, S. 108. Vgl. auch Sattler, Wirtschaftsordnung, S. 168–169; Oehlsen, Ver-triebenenlager, S. 71–79; Dölling, Wende, S. 114–115; Das Dorf, S. 127. Vgl. auch Ther, Vertriebene, S. 291, der die Umbettung allerdings nicht erwähnt.

34 Erker. Revolution, S. 386; Schneider, Niedersachsen, S. 104; Damm, „Unser Zeichen …“, S. 24.

35 Rep. 206 Nr. 2243, Bl. 5, 52, 87; Rep. 208 Nr. 195, Bl. 23.

Stenographische Berichte, 1. Wahlperiode, Drucks. Nr. 304; Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. 1, S. 75.

„Tägliche Rundschau“ Nr. 38 vom 15.2.1946; „Märkische Volksstimme“ Nr. 9 vom 30.4.1946.

alte Heimat der Boden entzogen werden. Nur wenn die neuen Bürger auf ihrem neuen Bo-den Fuß fassten und damit auch ihren Anteil am gesellschaftlichen Ausgleich im Dorf und zur Herstellung eines fruchtbringenden Klimas im Sinne des allmählichen Übergangs von der Konflikt- zur Arbeitsgemeinschaft leisteten, konnten sie zum Aufbrechen der vielfach entstandenen „Verhärtungen“ beitragen. Die daraus resultierenden Kräfte wurden zudem gebraucht, um die Ernährungslage zu stabilisieren. Die kommunal- und siedlungspolitische Konsequenz erschien als zwangsläufig. Der für Landwirtschaft und Umsiedler im ZS der SED zuständige Merker formulierte sie. Er wandte sich gegen die räumliche Isolierung der Umsiedler-Neubauern auf eigenen Gebieten, favorisierte die Unterbringung in bestehenden Dörfern als die beste Voraussetzung für Assimilation und zur Vermeidung eines gefährlichen Nährbodens für revisionistische Umtriebe; er sprach in diesem Zusammenhang ausdrücklich von der „Eingemeindung der Umsiedler“. Die Kommunalpolitischen Richtlinien vom 17. Juli 1946 verlangten: „Sesshaftmachung der Umsiedler, keinerlei Benachteiligung gegenüber den Ortsansässigen. Vollste Eingliederung der Umsiedler in das gesamte Leben der neuen Hei-matgemeinde“. Andere politische Situation, andere politische Entscheidung. Als es um die Ansiedlung deutscher Kolonisten im von der Pest entvölkerten Ostpreußen ging, entschied Friedrich Wilhelm I.: „Wo ganze Dörfer in Litthauen sind, in selbigen sollen nicht die Natio-nes untereinander confundiret, sondern in einem Dorf nur eine Nation angesetzt werden“.

Sein Sohn tat es ihm gleich nach bei der Besiedlung des Oderbruchs. In einer K. O. vom 7.

Juni 1776 wies er Domhardt an: „Wenn fremde Familien etabliert werden, so muss das nicht einzeln mit den Hiesigen durcheinander geschehen, sondern es müssen gleich ganze Dörfer und Kolonien mitten unter dem groben und butten Zeuge angelegt werden, die ganz allein wohnen und ihre Nahrung und Gewerbe vor sich treiben, damit das hiesige Volk um so besser siehet und gewahr wird, wie jene sich einrichten und wirtschaften.“

Für Brandenburg gab Vizepräsident Bechler auf dem 1. Provinz-Kongress der Gegenseitigen Bauernhilfe der Mark Brandenburg am 16. und 17. März 1946 die Losung aus. Er appellier-te an die Entscheidungsträger und die Bauern selbst: „Und nun noch eins: Zeigen Sie alle

Bechler, Zur Durchführung, S. 31; Merker, Die nächsten Schritte, S. 11; Schneider, Erfahrungen, S. 16;

Hansch, 37000 Neubauernhöfe, S. 182; Meinicke, Zur Integration, S. 870; Ther, Vertriebene, S. 262–264;

Kuhn, Kleinsiedlungen (1918), S. 8; Helmigk, Die Baugeschichte, S. 61; Miller, Dorf Seega, S. 51; Hamann, Zur Planung, S. 4; Blöß, Grenzen und Reformen, S. 65–71; Ders., Kommunale Strukturen, S. 79–98.

Schwartz, Vertriebene, S. 613–614; S. 419, 625–892, handelt ausführlich über die Integration der Umsiedler durch die Bodenreform; S. 412–543, werden die aus „katastrophalen materiellen Notlagen und … deprimie-renden Erfahrungen von Ausgrenzung und Benachteiligung“ geborenen Bemühungen um „Selbstorganisa-tion“, beschrieben. In beiden Komplexen jedoch werden die kommunalpolitischen Weiterungen und Folgen nicht berührt. Wie Ther, Vertriebene, S. 173, und von Murken, Bodenreform, S. 54, festgestellt haben, war auch die karge Bemessung der Grundstücksgrößen der Neubauern vor allem darauf zurückzuführen, den Bedarf der Umsiedler befriedigen zu können. Marquardt, Die Entdifferenzierung, S. 47, bezeichnet die Be-mühungen um die Integration der Neubauern als weiteren Teilschritt auf dem Wege, „die Spuren der Junker-herrschaft auszulöschen“.

Friedrich-Wilhelm I. zitiert nach Schmoller, Die preußische Kolonisation, S. 36; Friedrich II. zitiert nach Max Bär, Westpreußen unter Friedrich d. Großen, Bd.2 (Publikationen aus den preußischen Staatsarchiven;

84), Leipzig 1909, S. 310.

noch mehr Verständnis für die Umsiedler, die aus dem Osten gekommen sind. Ihnen gilt es in erster Linie zu helfen. Sie müssen eingegliedert werden in unsere neue demokratische Gemeinschaft. Sie müssen gleichberechtigt in unser gesellschaftliches Leben eingebaut wer-den, sie müssen gleichberechtigt auch in den Vereinigungen der Gegenseitigen Bauernhilfe vertreten sein. Es muss alles getan werden, bei ihnen das Gefühl zu stärken, dass sie endlich eine neue Heimat gefunden haben. Hier gibt es noch viel zu tun, viele Hemmungen und viel Misstrauen müssen beseitigt werden“. Die parteiamtliche Presse nahm den Tenor auf: „Es kommt alles darauf an, dass wir den Neubauern und Umsiedlern, die durch das große Werk der Bodenreform endlich zu eigenem Land gekommen sind, eine Heimat schaffen, die ih-nen das Bewusstsein gibt, dass sie zu uns als vollberechtigte Mitbürger gehören. Wir wollen sie nicht irgendwo, an einem entlegenen Ende des Dorfes, in einem Kietz, vielleicht noch in den trostlosen Baracken der Nachkriegszeit unterbringen.“ Das Ministerium für Arbeit und Sozialwesen abstrahierte daraus im Sommer 1947 die politische Leitlinie für das Leben in einer gemeinsamen Gemeinde: „Die hohe bevölkerungspolitische Aufgabe besteht darin, den an sich organischen Prozess der Verschmelzung zwischen Alteingesessenen und ehema-ligen Umsiedlern zu fördern und zu beschleunigen. Es gilt, den ehemaehema-ligen Umsiedlern statt Unterkunft Wohnungen, statt Beschäftigung Lebensexistenz zu schaffen; es gilt, ihnen das Gefühl der Gleichberechtigung zu geben, Vertrauen zur neuen Umgebung, Heimatgefühl“.

Der Landschaftsplaner und Architekt Miller fasste die gewaltige Aufgabe in die einfachen Worte: „In politischer Hinsicht gilt es, die Flüchtlinge als vollwertige Dorfinsassen an der Verwaltung des Gemeinwesens in vollem Umfange mit teilhaben zu lassen, um ihnen Gele-genheit zu geben, auch von dieser Stelle aus alles zu veranlassen, was zu ihrer vollständigen Eingliederung und zur Linderung ihrer Not erforderlich und möglich ist“. Weitere Verelen-dung sollte durch den „rationellen Einbau der neuen Bürger“ in den agrarwirtschaftlichen Produktionsprozess vermieden werden. „Die Sesshaftmachung der Neubauern als Vollen-dung der Bodenreform ist die Voraussetzung für die Steigerung der landwirtschaftlichen Er-zeugung und für die Verbesserung der Ernährung“. Mit dieser Erklärung fügte die Resolution der 39. Sitzung des Brandenburgischen Landtags zum Bericht der Landesregierung über die Durchführung des Befehls 209 im Juni 1948 eine wichtige Komponente hinzu. Integration musste darüber hinaus mit der kommunalpolitischen Aufgabe in Übereinstimmung gebracht werden, ein modernes, stabiles und leistungsfähiges Gemeindenetz zu spannen. Schwartz glaubt aus diesem Geschehen die These ableiten zu können: „Mit der sicherheitspolitischen Überformung der SED-Assimilationspolitik ab 1948 wurden solche Siedlungsschwerpunk-te … zum assimilationspolitischen und staatspolitischen Problem“.

Die allgemeine Politik gegenüber den Neusiedlern war am Anfang nahezu ausschließlich auf die Konsolidierung ihrer wirtschaftlichen Situation gerichtet. Eine stabile wirtschaftliche Lage wurde als der entscheidende Hebel angesehen, mit dem alle anderen – mehr als sekun-där eingestuften – Probleme beiseite geräumt werden könnten. Neubauern-Bauprogramm, Kreditprogramme und zahlreiche andere Hilfen, wie bevorzugte Bereitstellung von Saatgut, Betriebsmitteln und Zugkräften, sollten ebenso dazu dienen, wie die Einbeziehung der Neu-ankömmlinge und der vormals landlosen Arbeiter in das politische Leben und in die Arbeit

der bäuerlichen Genossenschaften. Integration sollte, wie von Merker vorgegeben, vor allem über Zusammenleben und Zusammenarbeiten in einer einheitlichen kommunalen Körper-schaft, in der Regel in der bereits bestehenden Gemeinde, gefördert und schließlich erreicht werden. Die Gefahr von Spannungen, die aus unterschiedlicher sozialer Stellung und ande-rer Herkunft in den engen dörflichen Verhältnissen beinahe notwendigerweise erwachsen musste, wurde entweder übersehen oder als überwindbar erachtet. Die Politik sollte vielmehr dafür Sorge tragen, dass in einer ungeteilten Gemeinde weiterhin die landwirtschaftliche Pro-duktion sichergestellt war und eine solche Körperschaft auch den Rahmen für die Integration der Flüchtlinge abzugeben hatte. Dem stand Vieles entgegen36.

In der ungeteilten Gemeinde nämlich tat sich eine Anzahl von Konfliktfeldern auf. Eines da-von war das Ausfechten unterschiedlicher Interessen zwischen den beiden Hauptgruppen, den Alt- und den Neueingesessenen. Dieses äußerte sich in besonderer Weise in der Hal-tung zur gegenseitigen Hilfe. Bechler wies öffentlich früh auf das Problem hin: „An vielen Stellen stehen die Altbauern noch im schroffen Gegensatz zu den Neubauern und bemühen sich in keiner Weise, ihnen behilflich zu sein.“ Im November 1946 machte Hilscher darauf aufmerksam: „Gerade diese kleinen Bauernwirtschaften haben eine recht enge Anlehnung an das bestehende Dorf notwendig. Sie sind erst recht in der heutigen Zeit auf die gegenseitige Hilfe angewiesen. Das ist alles aber nur möglich, wenn der enge Zusammenschluss innerhalb des Dorfes ermöglicht wird oder wenn bei der Anlage eines Weiler-Dorfes die Entfernung bis zum Stammdorf tragbare Grenzen nicht überschreitet“. Die Betriebswirtschaftliche Abtei-lung der DVLF hob in ihrer StelAbtei-lungnahme vom 4. Dezember 1946 zum Gesetzentwurf des Arbeitsausschusses Ländliches Bauwesen für die bauliche Durchführung der Bodenreform ausdrücklich die dort vorgesehene Förderung der Selbsthilfe hervor.

Ein Jahr später, als die Befehle 209 der SMAD und 163 der SMA mit der Anweisung, bis zum Ende des Jahres 1948 in Brandenburg 10 000 Neubauernstellen zu schaffen, eine Aufgabe von kaum beherrschbaren Ausmaßen gestellt hatten, wurden die Forderungen an die Dorfge-meinschaft deutlicher37. Die Bauabteilung des Zentralen Bauernsekretariats formulierte am 4. Dezember 1947 den Standpunkt der VdgB: die Neubauern seien allein zur Bewältigung der Aufgabe nicht im Stande und Alt- und Neubauern dabei für die Zukunft „auf Gedeih und Ver-derb“ miteinander verbunden. Selbsthilfeaktionen größeren Umfangs seien erforderlich, um den Befehl 209 erfüllen zu können. Die Altbauern hätten nicht nur eine moralische Verpflich-tung zum Helfen, sie könnten auch auf Grund des Befehls nachdrücklichst dazu verpflichtet werden. Dazu aber sollte es nur im äußersten Falle kommen. Kein Altbauer dürfe jedoch in Zukunft mehr zusehen, „wie sich unsere Neubauern unter Einsatz ihrer äußersten Kräfte am Bau der Gehöftanlagen abquälen“. Deshalb müsse „unbedingt ernstens angestrebt werden,

36 Die Feststellung von Butter, Das funktionalistische Fachwerkhaus, S. 254, und Neues Leben, S. 116, eine Verdichtung der alten Orte sei selten möglich bzw. unerwünscht gewesen, muss daher – zumindest für ihren zweiten Teil – relativiert werden.

37 Rep. 274 Nr. 44; Rep. 350 Nr. 911; Nr. 903.

„Märkische Volksstimme“ Nr. 13 vom 4.5.1946.

Vgl. auch Schwartz, Vertriebene, S. 808; Reinert, Der Kampf, S. 137; Schlenker, Die Abbrüche, S. 96.

dass jedes Aufbaudorf im Laufe der Zeit zu einer in sich geschlossenen Baugemeinschaft oder Genossenschaft von Alt- und Neubauern umgeformt wird“.

Mehr war nicht zu fordern. In der SED-Spitze war zwar 1947 angesichts des gewaltigen Um-fangs der Aufgabe und der dagegen äußerst beschränkten Kapazitäten die Variante diskutiert worden, den Altbauern die Hilfeleistung beim Bauen förmlich aufzuerlegen, wie die VdgB angeregt hatte. Hoernle hatte das jedoch als politisch untragbar abgelehnt. Brandenburg entschloss sich daraufhin, den Spieß umzudrehen: Mit Ausführungsverordnung Nr. 12 zur Durchführung der Bodenreform vom 21. August 1948 (GVBl. II S. 389) verpflichtete es die Bauern, denen im Zuge der Bodenreform Gebäude unentgeltlich zugeteilt worden waren – also die Neubauern -, dazu, Bauern ohne Wohn- und Wirtschaftsgebäude beim Bauen „ihre persönliche Arbeitskraft und Gespannhilfe als Bauhilfe zur Verfügung zu stellen“. Man hoffte wohl auch, damit gleichzeitig dazu beitragen zu können, die Solidarität unter den Neubauern

Mehr war nicht zu fordern. In der SED-Spitze war zwar 1947 angesichts des gewaltigen Um-fangs der Aufgabe und der dagegen äußerst beschränkten Kapazitäten die Variante diskutiert worden, den Altbauern die Hilfeleistung beim Bauen förmlich aufzuerlegen, wie die VdgB angeregt hatte. Hoernle hatte das jedoch als politisch untragbar abgelehnt. Brandenburg entschloss sich daraufhin, den Spieß umzudrehen: Mit Ausführungsverordnung Nr. 12 zur Durchführung der Bodenreform vom 21. August 1948 (GVBl. II S. 389) verpflichtete es die Bauern, denen im Zuge der Bodenreform Gebäude unentgeltlich zugeteilt worden waren – also die Neubauern -, dazu, Bauern ohne Wohn- und Wirtschaftsgebäude beim Bauen „ihre persönliche Arbeitskraft und Gespannhilfe als Bauhilfe zur Verfügung zu stellen“. Man hoffte wohl auch, damit gleichzeitig dazu beitragen zu können, die Solidarität unter den Neubauern