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Kommunikation, Interaktion und Wissen – Sprache und Gespräche auf Berghütten

4. Die Praxis – Menschen und Hütten / Hütten und Menschen

4.4. Kommunikation, Interaktion und Wissen – Sprache und Gespräche auf Berghütten

Gemeinsames Handeln, oder soziales Handeln, geschieht auf der Grundlage von Bedeutungen. Bedeutungen, aber auch Positionen und Stellungen, werden durch Interaktionen zwischen Menschen durch das Medium der Sprache oder einer anderen Form der Verständigung, durch Gesten oder Symbole gesetzt oder ausgehandelt. Sprache, oder allgemeiner gesagt Verständigung und Kommunikation, ist demnach für jeden sozialen Raum essentiell, um mit anderen Teilhabern dieses

196 Die Bediensteten der Hochtal-Hütte, die für diesen Abschnitt Pate standen können natürlich nicht für die Bediensteten anderer Hütten als typisch angesehen werden. Dafür ist die Lage der Hütte zu speziell, da es den Bediensteten möglich ist die Hütte an freien Tagen in Richtung Tal mit dem Auto zu verlassen. Es mag Hütten geben, wo dies nicht der Fall ist und die Bediensteten somit auch eine andere Position innerhalb der Berghütte einnehmen.

197 Erkennbar daran, dass zwei der Bediensteten bei Fragen direkt an den Wirt verwiesen oder nur mit den Achseln zucken und als einzigen Weg, den Schotterweg ins Tal kennen.

Raumes zu interagieren198. Gleiches gilt also auch für den sozialen Raum oder die Welt der Berghütte. Das zentrale Thema auf einer Hütte sind die Berge, die Hütte, oder bestimme Routen, das heißt Gespräche, die sich hauptsächlich auf den Raum in dem sie geführt werden beziehen.199

Zunächst ist hier jedoch zu erwähnen, dass es nicht nur Unterschiede in dem gibt über was man spricht oder wie man darüber spricht, sondern auch wo darüber gesprochen wird. Es scheint zwei Teil-Räume zu geben, in denen man sich aufhält, wenn man die Welt der Berghütte betritt. Die Grenzen der Berghütte hören ja nicht an der Hüttentüre auf. Diese zwei Teil-Welten der Berghüttenwelt unterscheiden sich dadurch, dass es in der einen, dem Inneren der Hütte (beschränkt auf die Gaststube und die Flure), als unfreundlich und nicht gesellig gilt, oder gar als arrogant, wenn nicht mit anderen kommuniziert wird. Menschen die sich am Abend nicht an der Kommunikation beteiligt haben, werden am Morgen auch nicht mehr einbezogen. Sie haben sich dem Brauch widersetzt zu kommunizieren und erfahren durch diesen Ausschluss aus der Gemeinschaft eine Art Sanktion. Reden und Geselligkeit sind somit Pflicht im Innern einer Hütte.

Draußen, in der „Bergwelt“ verhält es sich gerade andersherum. Wer hier spricht, vor allem in einer übertriebenen Lautstärke, oder gar ruft, ohne einen ernsthaften Grund dafür zu haben, verhält sich auch nicht gemäß der Regel und wird mit der Sanktion belegt, dass ihm aus dem Weg gegangen wird, oder dass er zumindest nicht mit gleicher Freundlichkeit begrüßt oder behandelt wird, wie einer, der dies nicht getan hat. Der freundliche Gruß kann dann schon einmal zu einem eisigen Nicken werden. Daraus kann geschlossen werden, dass Reden und Schweigen auch als Kriterium gelten, ein Mitglied von einem Nichtmitglied abzugrenzen. Reden und Schweigen sind ebenso reglementiert wie das Abstellen des Rucksacks oder der Schuhe. Bestärkt wird diese Lesart noch davon, dass auch derjenige, der, auch wenn es erst 20 Uhr ist, lauter als im Flüsterton in den Zimmern redet, entweder mit bösen Blicken oder auch mit Ermahnungen oder gar Beschimpfungen an die Pflicht zur Ruhe in den Zimmern erinnert wird.

198 Vgl. hierzu Strauss (1974), S. 161. Vgl. hierzu auch Habermas (1988), der in seiner „Theorie des kommunikativen Handelns“ die Kommunikation selbst als den zentralen Aspekt des Zusammenlebens in Gesellschaften und somit als die Grundstruktur des menschlichen Zusammenlebens darstellte.

199 In der gesamten Feldphase konnte nur zweimal beobachtet werden, dass das Gesprächsthema die Welt der Berge verlies. Das eine Mal unterhielten sich einige Männer über juristische Sachverhalte, das andere Mal unterhielten sich zwei Männer über ihre Frauen und ihr Familienleben.

Anhand von Gesprächen, deren hauptsächlicher Austragungsort also die unmittelbare Umgebung der Hütte oder die Innenräume der Hütte selbst sind, lässt sich nun aber nicht nur die strukturelle Komponente des „Innen“ und „Außen“ – also der Teilhabe oder der Ausgeschlossenheit – erkennen, sondern Gespräche dienen den Sprechenden ja in erster Linie zur einfachen Unterhaltung, zum Austausch von Wissen, zum Lernen und zur wechselseitigen Zuordnung zu einer bestimmten Gruppe, oder zu einem bestimmten Typus der in der Hütte verkehrenden Menschen.

Das bedeutet also, dass es sich bei Gesprächen um veräußertes, mitgeteiltes oder laut gemachtes Wissen handelt, welches Teil eines gesellschaftlichen, also auf die Berghütte begrenzten, Wissensbestandes ist. Dieser Wissensbestand hat seinen Ursprung auf der Berghütte und wird hauptsächlich dort gepflegt und weitergegeben.

Theoretisch formuliert heißt das, dass das Erkennen eines Teils des gesellschaftlichen Wissensvorrats im subjektiven Wissensvorrat eines Einzelnen ihn als Mitglied dieser Welt typologisiert. Dieses Erkennen ist dann nicht nur auf den Raum der Berghütte begrenzt, sondern muss dann auch außerhalb der Welt der Berghütte möglich sein. So zum Beispiel in Gesprächen über Freizeitaktivitäten oder Hobbys außerhalb der Welt der Berghütte, in denen einem Gegenüber aufgrund einer bestimmten Wortwahl klar werden kann, welche Typus des Berghüttenbesuchers er vor sich hat.200 In der Berghütte geschieht dies in Gesprächen vor allem dadurch, dass zum Beispiel auf die Tour des vergangenen Tages verwiesen wird und die Reaktion des Gegenübers abgewartet wird. Oder dadurch, dass auf eine bevorzugte Region verwiesen wird oder auf eine bevorzugte Steinart beim Klettern oder auf die bevorzugte Ausrüstung. Ebenso wird nach Touren gefragt, die vom Gegenüber ausgeführt wurden oder die noch begangen werden wollen. Es werden die Schwierigkeiten besprochen, die dort anzutreffen sind und welche Ausrüstung am besten dafür geeignet ist diese Tour zu begehen.

Beispielsweise zeigt vor allem die Aussage, dass ein bestimmter Weg, den man gekommen ist, als sehr schwer oder sehr leicht empfunden wurde, dem Gegenüber an, in welcher Verfassung sich der andere befindet und wie er sich wohl selbst einschätzt. Meines Erachtens ist dies sowohl beim Berggeher als auch beim Wanderer oder beim Touristen zutreffend. Der Berggeher zum Beispiel schätzt eine Tour als einfach ein, sein Gegenüber jedoch als schwer. Beiden wird dadurch klar, dass sie unterschiedlichen Gruppen angehören. Die Schwierigkeit einer Tour ist nun

200 Diese Überlegung zeigt eine gewisse Nähe zu Lebensstil- oder Milieuanalysen, die jedoch hier nicht weiterverfolgt werden können.

das einfachste Erkennungs- und Zuschreibungskriterium. Weit schwerer ist das gegenseitige Erkennen, wenn beide eine gewisse Tour als einfach einschätzen.

Dann wird das Thema der begangenen Tour verlassen und befasst sich z.B. mit Touren, die der eine oder andere gerne einmal machen würde oder die er an einem anderen Ort gemacht hat. Dabei stehen als Erkennungs- und Zuschreibungskriterium bestimmte Schlüsselwörter im Mittelpunkt, die wiederum eine genauere Zuordnung ermöglichen. Hierbei sind dann vor allem die Höhe der bestiegenen Berge, die Länge einer Tour, die überwundenen Höhenmeter, die Schwierigkeitsgrade verschiedener Stellen, bekannte Gipfelnamen oder die benötigte Ausrüstung Thema des Gesprächs. Zwei miteinander kommunizierende Berggeher zum Beispiel erkennen sich dann zunächst durch den Verweis auf eine „Gletschertour“ oder eine Tour „im 5.Schwierigkeitsgrad“ oder an einer Aussage gemäß der Art, dass der Bianco-Grat am Piz Bernina schon eine schöne Tour sei.201 Ein Ausloten der Fähigkeiten des Gegenübers wird dann bewerkstelligt indem das Thema differenziert wird, das heißt genauere Angaben zu bereits begangenen Touren oder zu denjenigen, die man sicher nie machen wird, gemacht werden. Da hierbei beide Berggeher aus einem gemeinsamen Wissensvorrat schöpfen und aufgrund ihrer Teil-Sozialisation in dieser Teil-Welt auch gemeinsame Deutungs- und Handlungsmuster aufweisen, können sie recht schnell unter Rückgriff auf dieses Wissen ihre Positionen innerhalb des gemeinsamen Interaktionskontextes gegenseitig aushandeln.202

Diese Erkenntnis zeigt aber nun nicht nur, dass die Hütte der Ort in den Bergen ist, wo Wissen ausgetauscht wird und dass durch dieses veräußerte Wissen die Positionen und Stellungen der Mitglieder in diesem Raum deutlich und erkennbar werden. In diesen Gesprächen zeigt sich auch, wie Mitglieder über andere Mitglieder denken, was sie von ihnen halten und wie sie sich gegenüber anderen abgrenzen.

Es zeigt sich also die subjektive Perspektive der einzelnen Hüttenbesucher. So werden, wie weiter oben bei der Vorstellung der Typen bereits verdeutlicht wurde, die Touristen von den Berggehern als diejenigen angesehen, die zwar die Berge und die Hütten gerne besuchen, aber nicht den Sinn des Wanderns und Bergsteigens erkennen, der für sie darin liegt, sich von der zivilisierten Welt „da unten“ abzusetzen, Ursprünglichkeit und Einsamkeit zu erleben und dies mit anderen Gleichgesinnten zu teilen. Wanderer urteilen über den Touristen in ähnlichem Maße. Der Berggeher ist

201 Der Bianco-Grat ist ein das ganze Jahr über mit Schnee und Eis bedeckter Grat, der über einige hundert Höhenmeter bis auf den Gipfel des knapp über 4000m hohen Piz Bernina führt.

202 Vgl. hierzu Soeffner (1989), S. 18.

für den Wanderer derjenige, der zwar prinzipiell die gleichen Interessen verfolgt wie er, allerdings in seinen Augen teilweise zu viele Risiken eingeht, die von ihm selbst nicht eingegangen werden würden. Der Tourist dagegen hat meines Erachtens zwar ein Auge für die Schönheit der Berge, bleibt aber in der Nähe der zivilisierten Stationen, also den Hütten.

Gespräche und Sprache werden nun also zum einen dafür verwendet sich selbst und andere einer Gruppe zuzuordnen. Durch die Sprache oder, besser gesagt, durch verschiedene Gesprächsthemen kommt aber zum anderen auch das zum Ausdruck, was als subjektive Perspektive zu bezeichnen ist. Die Berghütte, als der Ort, an dem diese Gespräche geführt werden und Wissen ausgetauscht wird, ist aber nicht nur Versammlungsort von Menschen gleicher Interessen, sondern gleichzeitig auch ein Ort, der als Archiv für ein bestimmtes Wissen203 gelten kann.

Darüber hinaus existiert eine eigene Sprache, deren Beherrschung auch über die Mitgliedschaft und Nicht-Mitgliedschaft in einer bestimmten Gruppe oder gar der ganzen sozialen Welt entscheiden kann. Diese Sprache ist charakterisiert durch viele Fachausdrücke, die nur in den Bergen oder den Hütten relevant sind und die den Sprechenden die eben erwähnte Möglichkeit an die Hand geben sich gegenseitig zu erkennen.

Die Sprache, die in den Hütten gesprochen wird, und das durch sie zum Ausdruck gebrachte Wissen, haben meines Erachtens für die Hüttenbesucher zwei Bedeutungen. Zum einen wird dem Hüttenbesucher durch die Sprache und das Wissen klar, dass er sich als Mitglied in einem bestimmten sozialen Raum befindet, in welchem die meisten Menschen aus ähnlichen Gründen wie er selbst verweilen:

Aus Liebe zur Natur und zu den Bergen, weil die Herausforderung lockt, weil man dort Gemeinschaft und/oder Einsamkeit erleben kann oder weil man gerne Gleichgesinnte treffen möchte. Zum anderen wird durch das Wissen und die Sprache jedoch auch erkennbar, dass es trotz der Regeln, die für alle gelten, und dem „Du“

oder dem freundschaftlichen Gruß, der alle als zur sozialen Teil-Welt gehörig ausweist, hierarchische Strukturen auf der Hütte gibt, die von beiden Seiten, also den

„Machthabern“ und den „Machtlosen“ (oder den „Herrschenden“ und den

„Beherrschten“), reproduziert werden.204 Hierbei hat der Hüttenwirt eine sehr hohe

203 Vor allem bezogen auf die weiter oben beschriebenen Regeln und Strukturen (4.2.2.2.).

204 Hierbei handelt es sich nicht um Macht im Sinne von Gewaltausübung. Es handelt sich hierbei um eine vielfach subtilere Macht, die keinesfalls im Sinne von reinen Befehlsstrukturen zu verstehen ist.

Diese Macht kann eher verstanden werden als Macht (oder auch Herrschaft) aufgrund von Wissen.

Position (wenn nicht gar die höchste) inne, was sich auf sein meist enormes regionales Wissen gründet. Dieses Wissen ist, so scheint es, auch die relevanteste Wissensart in der Umgebung der Hütte. Der Bergführer hat ein sehr spezifisches Wissen über die Berge im Allgemeinen und ein theoretisches Wissen über die Möglichkeiten, die Gefahren der Berge zu umgehen oder sie zu meistern. Meist hat er aber auch ein gutes regionales Wissen, was ihn meiner Ansicht nach auf eine ähnliche Position wie den Hüttenwirt stellt. Einziger Unterschied zwischen beiden scheint zu sein, dass sich selbst der Bergführer meist dem regionalen Wissen des Hüttenwirtes unterordnet. Der Berggeher unterscheidet sich, sein Wissen über die Berge betreffend, wohl nur graduell vom Bergführer, erkennt diesen graduellen Unterschied aber als Grund an einen Bergführer für eine ihm unbekannte Tour mitzunehmen. Der weiter oben entwickelte Typus des „Sorglosen“ fällt hier etwas aus dem Rahmen. Jedoch erkennt man auch bei ihm eindeutige Tendenzen sich zumindest des Wissens des Wirtes zu bedienen und somit die Hierarchien, wenn auch unbewusst oder ungewollt, anzuerkennen und zu legitimieren, auch wenn die eigene Überzeugung dann meist schwerer wiegt als die möglichen Warnungen eines Wirtes. Der Wanderer besucht die Hütten um ihrer selbst willen und auch wenn er die Routen kennt und weiß, wo er mit Schwierigkeiten zu rechnen hat, lässt sein Fragen und Diskutieren mit dem Wirt doch erkennen, dass er sich der Hierarchie in gewissem Sinne bewusst oder aber zumindest aus Freundlichkeit oder Freundschaftlichkeit den Rat des Wirtes einholt. Der Tourist hingegen steht auch hier wieder am Rande der auf den Raum der Berghütte begrenzten hierarchischen Strukturen. Ihm scheint nicht bewusst zu sein, dass der Wirt mehr ist als nur derjenige, der ihm Essen und Getränke in einer sonst doch eher unbewohnbaren Gegend serviert.