• Keine Ergebnisse gefunden

Selbst und Fremdeinschätzung – Zur Perspektive des Wirtes bezüglich sich selbst und seiner Gäste

4. Die Praxis – Menschen und Hütten / Hütten und Menschen

4.3. Menschen und Hütten

4.3.5. Der Hüttenwirt

4.3.5.3. Selbst und Fremdeinschätzung – Zur Perspektive des Wirtes bezüglich sich selbst und seiner Gäste

Wenn man nun weiter versucht den Standpunkt des Wirtes bezüglich seiner selbst und seiner Gäste zu rekonstruieren, dann fallen wieder zwei Richtungen auf, welche die Sichtweise eines Wirtes charakterisieren können. Nennen wir sie hier den „alten“

und den „jungen“ Wirt, was aber nicht unbedingt etwas mit dem Alter des jeweiligen Wirtes zu tun haben muss, sondern vielmehr damit zusammenhängt, wie ein Wirt die Gäste und die Hütte betrachtet und damit auch seine eigene Aufgabe in diesem sozialen Raum definiert.

Der „junge“ Wirt hat die Arbeitsweise des Managers verinnerlicht. Sein Hauptaugenmerk liegt auf der Bewirtung der Gäste mit der Intention daraus ein gutes Geschäft zu machen. Die Umgebung ist ihm dabei relativ unwichtig. Er plant und organisiert die Verpflegung seiner Gäste als ob es sich nicht um eine Berghütte, sondern um ein Hotel handeln würde. Der Gast ist, wie auch bei der Managerstrategie bereits erwähnt, nur Objekt - ein Objekt, das Geld bringt. Das heißt, dass der Hüttenwirt in diesem Fall auch kein Mensch ist, der, wie beim „alten“

Wirt zu zeigen sein wird, mit den Bergen verbunden ist. Er ist zum Beispiel von Beruf Koch, oder eben Hotelfachmann, oder ähnliches. Seine Intentionen und Wünsche haben demnach nichts mehr mit der Welt der Berge zu tun, dennoch gehört er dieser Welt an. Die Existenz dieses, nennen wir es wiederum, Teil-Typus scheint gesichert, wenn auch über das hier festgehaltene hinaus nicht viel mehr bekannt ist. Dennoch

scheint die Existenz und das Auftreten dieses Typs darauf hinzuweisen, dass sich dieser soziale Raum verändert. Es gibt auf jeden Fall Anzeichen dafür, und der

„junge“ Wirt ist ein solches, dass die Zivilisation und die moderne Gesellschaft, metaphorisch gesprochen, den Berg hinaufmarschiert.

Der „alte“ Wirt, als Idee oder gar Ideal, ist noch in jedem Wirt ein Stück weit vorhanden. Im Bewusstsein, dass die Menschen in die Berge kommen um sich entweder zu erholen oder sich durch Gipfelbesteigungen anzustrengen, sieht sich dieser Wirt zunächst als derjenige, der dies den Menschen durch seine eigene Person und vor allem durch seine Hütte ermöglicht. Er befindet sich zwischen dem Tal und der Bergwelt, sozusagen als „zivilisierte Insel“. Er versteht sich als der Mittler zwischen den Bergen und dem Tal, zwischen den Schönheiten der Berge und den Menschen, die diese Schönheiten sehen wollen. Demnach sieht er seine Aufgabe auch darin, den Menschen diese Schönheit nahe zu bringen. Dieses „Nahebringen“

kann man in verschiedenen Varianten oder Mustern finden, zum Beispiel im Verkauf von materiellen Erinnerungen (T-Shirts, Anstecknadeln, Aufklebern, Mützen, usw.), deren Einnahmen zur Investition in die Renovierung oder Instandhaltung von Hütten und deren Umgebung verwendet werden. Es ist aber auch in den Auslagen verschiedener Bücher, Zeitschriften und Kartenmaterialien auf den Hütten zu erkennen. Sehr eindeutig wird diese (Ver)Mittler-Stellung dann, wenn im persönlichen Kontakt zu den Wanderern, Berggehern oder Touristen der Wirt auf Schönheiten oder auch Gefahren dieser, seiner Welt hinweist. Dieses „Hinweisen“

auf Schönheit und Gefahr der Berge sieht er als seine Pflicht an, wodurch er in gewissem Maße auch Verantwortung für seine Gäste übernimmt, wenn er Wege empfiehlt oder von ihnen abrät.

Bei dieser Pflicht des Wirtes ist auch zu erkennen, dass er durch seine meist große, umfassende Erfahrung in dem Gebiet der Hütte über eine Art Expertenwissen verfügt, welches ihm eine Position oder einen sozialen Status innerhalb dieses Raumes zuspricht, der über allen anderen liegt. Hierarchisch betrachtet steht er somit sogar über dem Berggeher, der nur hin und wieder in dieser Region verweilt und sich an ihn wendet, wenn er Informationen benötigt. Auch bezüglich des Bergführers konnte beobachtet werden, dass selbst dieser relevante Informationen vom Wirt einholt, der Wirt somit also über dem Bergführer steht. Diese Konstellation lässt es dann auch nicht verwunderlich erscheinen, dass der Hüttenwirt es sich als sein Recht herausnimmt, jemanden sogar an der Ausführung einer Tour zu hindern,

wenn er die gegebenen Umstände für ungeeignet hält. Auch dies sieht er als seine Pflicht an, denn in diesem Fall weiß er mehr als der Andere, der eine bestimmte Tour gehen will. Der Wirt sieht sich demnach selbst als eine Art Schutzinstanz, ganz so als sei er der lebende Teil dieser, seiner „Schutzhütte“.

Bei manchen Hütten und Regionen kann man bei dieser Interpretation noch weiter gehen. Der Wirt ist dann nicht mehr nur Mittler zwischen Berg und Tal oder der Experte bezüglich des regional relevanten Wissens, sondern auch ein Bewahrer, Wächter oder Hüter von Etwas, was ihm als bewahrenswert erscheint und wovon er überzeugt ist, dass auch andere es für bewahrenswert halten. Dieses Bewahrenswerte liegt für ihn in der Ursprünglichkeit des Lebens auf einer Hütte, die durch einen Verzicht auf Komfort geprägt ist und so den wahren Wert von Schlafen, Essen und Geselligkeit wieder in die Köpfe der „Stadtmenschen“ bringen soll.192 Das Bewahrenswerte ist demnach die Tradition, also die Werte und Normen, die auf der Hütte historisch gewachsen sind und eben die Berghütte von einem anderen Ort, einem anderen sozialen Raum unterscheiden.

Wenn hier der Wunsch nach Bewahrung der Ursprünglichkeit des Hüttenlebens als ein zentrales Merkmal oder auch Eigenschaft des Wirtes verstanden wird, dann ist dieser Wunsch hier in drei Ausprägungen vorgefunden worden, die jeweils einen der drei Hüttenwirte charakterisieren. Diese Ausprägungen lassen einen gewissen Wandel in der sozialen Welt der Berghütte vermuten. Bei einem Wirt äußert sich dieser Wunsch in einem Erkennen der jetzigen Lage der eigenen Person als Wirt eines großen Betriebes mit Hotelcharakter und der Erwähnung, dass man dies eben macht um Geld zu verdienen, aber nicht um den Lebensstil in den Bergen und die Ursprünglichkeit zu erhalten. Der Wunsch die Ursprünglichkeit des Hüttenlebens zu bewahren schlägt hier um in Resignation. Bei einem anderen zeigt sich der Wunsch durch ein trauriges Gesicht, wenn über die großen hotelähnlichen Hütten gesprochen wird und leuchtenden Augen, wenn von einer kleinen Hütte mit „altem Flair“ gesprochen wird193. Hier lebt der Wunsch in der

192 So der Wirt der See-Hütte: „…die meisten (der Hütten, O.F.) werden heute modernisiert und große Sachen gemacht und der alte Begriff einer Berghütte, der geht verloren. Und der, der wird in der See-Hütte (anonymisiert) beibehalten.“ Interviewer:„Was meinst du mit altem Begriff der Berghütte?“ Wirt:

„Das waren doch einfache Hütten, ein Holzherd ein Raum, einfache Gegenstände, Wolldecken und so, äh, das ist das was viele Bergsteiger suchen und viele finden es gar nicht mehr. Es gibt noch ein paar so kleine Hütten, viele finden das gar nicht mehr.“

193 Ein „trauriges Gesicht“ und „leuchtende Augen“ sind natürlich keine Kriterien für eine rekonstruktiv hermeneutische Analyse, sondern spiegeln eher ein empathisches Verstehen wieder. Da jedoch diese Merkmale sehr intensiv waren und stets in Verbindung mit eben diesen Themen auftraten, ist davon auszugehen, dass hier auch eine Verwendung dieser Merkmale gerechtfertigt ist.

Erinnerung und in der Hoffnung darauf, dass trotz der neuen Arbeitsumstände eine Bewahrung der Ursprünglichkeit möglich ist. Bei dem dritten Wirt äußert sich dieser Wunsch im Handeln. Er grenzt sich selbst stark gegen die „Welt da unten“, gegen die

„Stadtmenschen“ ab und spricht davon, dass die Menschen, die zu ihm kommen, „so in der modernen Welt integriert sind“, dass sie erst wieder lernen müssen, was es heißt auf gewisse Dinge zu verzichten und damit dem ursprünglichen Charakter dieser Welt wieder näher zu kommen. Bei ihm wird der Wunsch, die Ursprünglichkeit zu erhalten, gelebt.

Bezieht man hier nun den Gast mit ein und fragt nach seiner Perspektive auf den Wirt, dann wird die Stellung und Position des Wirtes sehr viel schneller verständlich. Diese Position, also die Position eines Mittlers zwischen der

„Talgesellschaft“ und der „Hüttengesellschaft“, die der Wirt meiner Ansicht nach bewusst innehat, wird ihm durch den Gast auch immer wieder zugewiesen. Dadurch behält der Wirt diese Position innerhalb der Hüttenstrukturen. Wird aber diese Position von einem Hüttenwirt nicht eingenommen oder kann er sie aus bestimmten Gründen nicht einnehmen194, dann ist zum einen die Vorstellung des Gastes zerstört, dass ein Wirt die erwähnte Mittler-Stellung hat und zum anderen ist der Wirt dann dieser Position, durch das fehlende und enttäuschte Vertrauen des Gastes beraubt und verliert dadurch seine hohe Stellung innerhalb der Strukturen des Hüttenlebens sowie einen Teil der eigenen Existenzgrundlage.195 Der Wirt und der Gast produzieren und reproduzieren also wechselseitig ihre Rollen und Positionen. Der Wirt zieht aus diesem Verhältnis zwischen sich selbst und dem Gast sein eigenes Selbstverständnis, seine eigene Identität.

Wir haben gesehen, dass es zwei Dimensionen von Arbeitsweisen gibt: Die Managerseite und die Selbstständigenseite. Diese Dimensionen betrafen zunächst nur die Arbeitsweise der Wirte. Wie sich herausstellte können diese Arbeitsweisen, allerdings nicht ganz deckungsgleich, mit dem „alten“ und dem „jungen“ Wirt in Verbindung gebracht werden. Arbeitsweisen bewegen sich meist an der Oberfläche

194 Verhält sich ein Hüttenwirt zum Beispiel sehr unfreundlich gegenüber den Gästen oder gibt kaum Auskünfte über die Region und mögliche Touren. Teilt er also sein Wissen und seine Erfahrung nicht mit anderen, die ja genau nach seiner Erfahrung und seinem Wissen verlangen, sei es weil, er sein Wissen nicht mitteilen will oder sei es, weil er über dieses Wissen nicht in vollem Maße verfügt.

195 Als Existenzgrundlage wird hier demnach auch sein Wissen und seine Erfahrung verstanden. Denn sein Wissen und seine Erfahrung sind es, die ihn als zentrale Figur der Hütte auszeichnen. Verliert er diese Stellung, muss er zwangsläufig auch einen Teil des Bezugs zu den Gästen verlieren, wodurch zum Beispiel „Hütten“wanderer seine Hütte in geringerer Zahl besuchen werden.

eines Menschen und können durchgeführt werden, wenn es als notwendig erachtet wird. Tiefer liegende Einstellungen oder Überzeugungen können mit diesen Arbeitsweisen in Einklang liegen oder aber sie zum notwendigen Übel machen. Der

„junge“ Wirt lebt meines Erachtens die Einstellung des Managers und sieht in der übernommenen Aufgabe auch nichts anderes als die Möglichkeit Geld zu verdienen indem er seine Gäste versorgt. Der „alte“ Wirt kann, zum Beispiel aufgrund der stattlichen Größe seiner Hütte, dazu gezwungen sein, sich die Arbeitsweisen des Managers zueigen zu machen, sieht es aber nach wie vor als seine Pflicht und auch seinen Wunsch den Gast als Menschen in den Vordergrund zu stellen und ihm das traditionelle Leben in den Bergen und auf einer Hütte zu vermitteln. Der „alte“ Wirt, der sich nicht der Aufgabe gegenübergestellt sieht eine große Hütte zu bewirtschaften, stellt den Gast an erste Stelle und seine Intention dabei ist es die Lebensweise und vor allem die Ursprünglichkeit des Lebens in den Bergen seinen Gästen näher zu bringen und sie denjenigen, die diese Lebensweise kennen, auch zu erhalten. Der Hüttenwirt, sehen wir hier vom „Jungen“ einmal ab, betrachtet die Hütte und auch die Region, in der sie steht, als seine Welt. In dieser Welt ist er der Mittelpunkt und hat durch seine Erfahrung einen Status erreicht, der ihn zur zentralen Figur und zu einem Experten machen. Dass er diese Position innehat, ist ihm bewusst und er sieht es als seine Pflicht diese Position in den Dienst der Bergreisenden, also seiner Gäste, zu stellen. Seine Gäste wiederum weisen ihm diese Position auch zu, wodurch wechselseitig die Positionen und Rollen des Gastes und des Wirtes von der jeweils anderen Seite (also dem Gegenüber in einer bestimmten Interaktion) reproduziert werden und eine Art Gemeinschaft der Bergreisenden entstehen kann, deren Mittelpunkt die Hütte selbst darstellt.