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Der Genuss liegt im Komfort – Der „Hotel“wanderer

4. Die Praxis – Menschen und Hütten / Hütten und Menschen

4.3. Menschen und Hütten

4.3.2. Der Genusswanderer

4.3.2.3. Der Genuss liegt im Komfort – Der „Hotel“wanderer

Der „Hotel“wanderer braucht vor allem Sicherheit und Komfort. Die Sicherheit steht bei ihm in einem starken Verhältnis zum Genuss. Er geht daher auf keine Hütte ohne nicht vorher zu wissen, was ihn dort erwartet und muss er doch einmal eine Hütte besuchen, bei der er nicht vorher weiß worauf er sich einlässt, reicht eine minimale Abweichung von dem, was er als Standard beansprucht, um diese Hütte danach als

„nicht angemessen“ zu betrachten. Er reserviert grundsätzlich und ist fast ungehalten, wenn er nicht genau das Bett im Matratzenlager erhält, welches ihm einige Stunden zuvor vom Hüttenwirt zugewiesen wurde. (Dabei ist zu bemerken, dass es derlei Reservierungen eines bestimmten Bettes in einem Matratzenlager eigentlich nicht gibt.) Gibt es die Möglichkeit in der Hütte ein Zimmer mit zwei oder vier Betten zu erhalten, dann entscheidet er sich fast stets dafür, denn die Lager sind ihm „zu eng“. Auch die Möglichkeit der Vorausbuchung von Halbpensionsverpflegung nimmt er, wo möglich, wahr. Eine warme Dusche ist für ihn notwendig und er ist ungehalten darüber, wenn der Hüttenwirt diese separat berechnet. Er macht sich demnach nicht viele Gedanken, wie auf einer Höhe von 2400m Wasser erhitzt wird und ob dies Mehrkosten verursacht oder nicht. Er geht davon aus, dass er sich in einer Hütte befindet, die gleich einem Hotel im Tal diese Annehmlichkeiten einfach haben muss. Dieser Wanderer möchte auch nicht auf das Bier verzichten und hat, wenn ihm gesagt wird, dass es, wie auf der See-Hütte, keines gebe einen ungläubigen Gesichtsausdruck. Als Hütte bezeichnet er somit ein Haus, welches im Grunde kaum mehr einen Unterschied zu einer Herberge oder einem Hotel im Tal oder im Flachland aufweist. Eine Hütte muss für ihn einem zivilisierten, voll ausgerüsteten, also modernen Standard entsprechen. Er bezeichnet als Hütte das, was andere174 als Hotel bezeichnen und als „einfache Hütte“ das, was bei diesen anderen als Berghütte bezeichnet wird. Die, in seinem Wortlaut, einfachen Hütten werden von ihm zwar als „schön“ oder „urig“ bezeichnet, sind ihm aber in Form und Komfort (Architektur, Essen, Getränke, Sanitäreinrichtungen, Schlafplätze) zu einfach, zu unzivilisiert. Sie sind einen Besuch wert, aber dann nur „zum anschauen“.

„Übernachten muss man dort nicht“ (so die Empfehlung eines Vertreters dieser Gruppe). Dies will er auch nicht, denn, wenn mehr oder weniger alles in einem Raum ist, dann ist das „zu eng“, dann „stinkt alles“ nachher nach Essen und Holzfeuer und der „Hotel“wanderer wird um seinen Schlaf gebracht.

174 Siehe weiter unten (4.3.2.4.).

Zur Ausrüstung wurde bereits einiges weiter oben gesagt. Dennoch finden sich Besonderheiten, die hier nicht außer Acht gelassen werden sollen und die meines Erachtens das Bild abrunden. Die Ausrüstung des „Hotel“wanderers ist zwar, wie bereits erwähnt, den Gegebenheiten angepasst. Es lässt sich auch keineswegs sagen, dass er nachlässig ist. Im Gegenteil: Sie besteht zumeist aus dem Besten, was der Outdoor-Markt zu bieten hat. Die Schuhe sind Vollleder oder haben Gore- Tex-Membranen, die Jacken sind von führenden Markenherstellern, die Teleskopstöcke haben eingebaute Handgelenkfederungen und die Hosen sind aus atmungsaktivem Material und lassen sich durch Reisverschlüsse zu kurzen Hosen umwandeln.

Fügt man diese Einzelheiten zu einem Bild zusammen, dann entsteht das, was in der Überschrift bereits angesprochen wurde: Der Genuss liegt im Komfort.

Der „Hotel“wanderer ist demnach derjenige, der, wenn man sich hier so ausdrücken darf, den Komfort des Tals oder des Hotels in die Berge trägt oder genauer, den Komfort in die Berge getragen bekommen möchte. Er geht davon aus, dass die

„Moderne“ den Berg erklommen hat und ist enttäuscht, wenn dies nicht der Fall ist.

Er will in den Bergen und vor allem in der Hütte nicht auf die ihm bekannten Annehmlichkeiten verzichten. Verzicht zu üben als Inhalt einer Bergtour oder des Hüttenbesuchs oder zumindest als ein Bestandteil derselben ist ihm fremd. Das

„Alte“ oder „Urige“ wird zwar gesehen und bestaunt, aber auf Distanz gehalten.

Solche Menschen staunen über die noch immer existierenden Hütten der alten Form (See-Hütte) als seien sie in einem Museum. Solche Hütten gelten somit dem

„Hotel“wanderer als Antiquitäten, als Dinge, die es zwar zu erhalten gilt, die aber nicht zu seinem eigenen Lebensraum werden sollen. Den Aufenthalt in Berghütten genießt er, aber es sollte eben den heimischen Wänden oder zumindest dem Hotel mit gehobenem Standard gleichen. Der „Hotel“wanderer kann somit als derjenige bezeichnet werden, der die Tradition des Wanderns und Bergsteigens zwar weiterführt, aber auf die modernen Möglichkeiten dabei keinesfalls verzichten will.

4.3.2.4. „Das ist eben noch eine richtige Hütte“ – Der „Hütten“wanderer

Der „Hütten“wanderer ist das Gegenstück zum „Hotel“wanderer. Ich sage hier bewusst nicht Gegenteil, denn sie gehören beide zum selben Grundtypus. Der

„Hütten“wanderer vermeidet es die Hütten zu betreten, die, ähnlich der

Hochtal-Hütte, die „Moderne“ nach „oben“ gebracht haben. Sie sind ihm zuwider. Dies äußert sich darin, dass er, wenn er eine Nacht dort verbringen muss, am nächsten Morgen sehr schnell wieder weg ist. Er bedauert es, dass Hütten zu Hotels werden und jeder Zugang zu den Bergen erhält, noch dazu mit allem möglichen Komfort. Dies wird dann deutlich, wenn man immer wieder Äußerungen wie diese hört: „Leider gibt es kaum mehr Hütten wie es sie früher gab.“ Oder „Die XY-Hütte da hinten im nächsten Tal, das ist eben noch eine richtige Berghütte.“

Der „Hütten“wanderer plant seine Touren vorbei an den großen Hütten und steuert diejenigen an, „die noch richtige Hütten sind“. Richtige Hütten sind in seinem Verständnis die, welche der beschriebenen See-Hütte ähneln, die noch ein „Flair“

haben, die nicht aus der Landschaft herausstechen, sondern zur Umgebung dazugehören; bei denen man, und das scheint entscheidend zu sein, den persönlichen Kontakt zum Wirt und zu vielen anderen Gästen hat und pflegen kann und wo man nicht einer unter Hunderten ist und „seine Teller halt hingeklatscht bekommt“. Er kommt zu den Hütten einfacher Art, weil er hier im Gegensatz zum

„Hotel“wanderer das „Alte“ und „Urige“ sucht. Dies ist für ihn gleichbedeutend mit dem Gemütlichen und damit auch seinem Verständnis von „Genuss“. Die großen Hütten verkörpern für ihn das, was er zu Hause oder im Tal früher oder später wieder sehen wird und genau diesem will er auf der Hütte entfliehen. Er verzichtet gerne, ist fast anspruchslos und bewundert die Fähigkeiten eines Hüttenwirtes, der mit einfachsten Mitteln immer noch ein gutes Essen zubereiten kann.175

Die Ausrüstung eines solchen “Hütten“wanderers betreffend kann man nur sagen, dass von ihm nicht gar so viel Wert auf die äußere Erscheinung und die Neuwertigkeit der Ausrüstung gelegt wird, aber es kann sicher auch nicht behauptet werden, dass es sich dabei um die entgegengesetzte Richtung im Vergleich zum

„Hotel“wanderer handelt. Ausrüstungen sind im Allgemeinen besser geworden, nur eines fällt hier auf: Auf einer großen Hütte wird man mit einer alten Ausrüstung mit abwertenden Blicken bedacht. Auf einer Hütte im Stil der See- Hütte spielt das keine Rolle.

Zusammenfassend lässt sich über diesen Wanderer sagen, dass er genau den Verzicht, der dem „Hotel“wanderer zuwider ist, ausübt und sucht. Er geht mit aus

175 Der einfache Vorwurf, dass ein solches Verhalten finanziell motiviert sein könnte, dass also die modernen Hütten teurer sind und dadurch vom „Hütten“wanderer gemieden werden, wurde im Feld nachgegangen. Preislich konnten keine gravierenden Unterschiede festgestellt werden. Außer, dass Schweizer Hütten meist etwas teurer sind als Österreichische oder Deutsche Hütten. Daher kann die Wahl der See-Hütte als Stützpunkt nicht finanziell motiviert sein.

dem Grund in die Berge und auf die Hütten, dass er dort das im Tal Befindliche hinter sich lassen kann. Er besucht genau diese einfacheren Hütten, weil sie für ihn Genuss, Zufluchtsort oder auch Erinnerungsstätte sind. Und weil er daran glaubt, dass solche Hütten bewahrt werden sollten. Zum einen aus dem selbstlosen Grund ihre sowieso schon geringe Anzahl als Teil einer Kultur schützen und erhalten zu wollen, zum anderen aus dem Grund, dass dort Ursprünglichkeit noch erhalten zu sein scheint. Der „Hütten“wanderer ist somit ein Zeitgenosse, der der Tradition des Bergsteigens, Wanderns und des Hüttenlebens tief verbunden ist.