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4.1 Theatralität in Die Schrecken des Eises und der Finsternis

4.1.2 Inszenierung monarchischer Größe

graphierung für unzureichend und den Bericht der Mühsal für erfunden, ja für „sehr fabelhaft, pure Literatur …“592 halten.

Theatralität und Dramatik findet sich in Ransmayrs Roman, vom Titel ausgehend, in mehrfacher Hinsicht: Bei der Expeditionsfahrt der Tegetthoff macht das Abenteuerliche die dramatische Hand-lung aus. Ransmayr fesselt seinen Leser, indem er ihn die Schrecken des Eises und der Finsternis in seinem Lesesessel spüren lässt. Die Erzählweise ist die eines spannenden Abenteuerromans, der den Leser trotz und wegen des dokumentarischen Materials in die Geschichte hineinzieht und ihm streckenweise nicht erlaubt, Distanz zum ‚Drama‘ der historischen Expedition zu wahren.

Das Dramatische ist somit auf semantischer Ebene zum Teil in der Erzählweise angelegt, auf formaler Ebene verweist der Text jedoch über die abenteuerliche Fahrt der Tegetthoff hinaus, in-dem er durch seine Komposition (Stiche, Originalstimmen etc.) das Performative daran zur Schau stellt.

ressen, vor allem aus Abenteuerlust und Forscherdrang. Weiter in den Norden vorzudringen, näher an den Nordpol heranzukommen und einen neuen Rekord aufzustellen, der die Konkur-renten aus anderen Nationen in den Schatten stellen würde, war oft ein Bestreben unter den Ex-peditionsteilnehmern jener Zeit. Vornehmlich wurden diese Expeditionen von der Marine finan-ziert, so dass ihre Teilnehmer im Interesse ihres Landes reisten und zur Rechenschaft verpflichtet waren. Ihr Heldentum ist damit getragen und eingebettet in die Institutionen, die sie ausgebildet und finanziert haben. Das Gelingen der Expedition wird so zum Nationalinteresse und ihre Hel-den werHel-den zu einem konstituierenHel-den Element des Nationalgefühls, dessen Stärkung gerade für die im Untergang begriffene Doppelmonarchie wesentlich war. Weyprecht und Payer werden nach ihrer Rückkehr aus dem Eis zu Nationalhelden, ein Status, den der (Sub-)Text des Romans als einen zweifelhaften suggeriert. Die Expedition erfüllt ihre Mission; zwar wird die Nordostpas-sage nicht gefunden, die Monarchie sichert sich aber durch die Entdeckung des Kaiser-Franz-Josef-Landes, zumindest namentlich, einen Platz im hohen Norden. Mit der Entdeckung des Franz-Josef-Landes feiert sich die k. u. k. Monarchie noch einmal selbst und genießt den imperia-len Glanz, der Mazzini nostalgisch werden lässt – er will die (Helden-)Abenteuer nacherleben, nicht erinnern. Insofern hat der Chronist recht, wenn er behauptet, dass er durch sein Schreiben nichts beendet und nichts aus der Welt schafft.595 Mazzinis Sehnsucht ist erst durch seinen eige-nen performativen Akt zu befriedigen, indem er sich auf die Bühne des Eises und der Finsternis begibt. Hingegen erleben die historischen Figuren des Dramas eine Katharsis: „Julius Payer, der Held, der nicht bloß geachtet, sondern verehrt, geliebt! sein will, ist verletzbar geblieben – und wird verletzt“596. Als gebrochener Held wird er Maler, der die Arktis in großformatigen Bildern malt, Vorträge hält und schließlich zur prophetischen Figur wird, die in Rußland eine Revolution und noch einiges mehr vorhersagt. Payer erkennt, so der Chronist, dass er fernab von den politi-schen Umwälzungen seiner Zeit mit dem Franz-Josef-Land ein Paradies entdeckt hat. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs markiert der Text einen Kulminationspunkt der imperialisti-schen Bestrebungen, der ein Ende der monarchiimperialisti-schen Eitelkeiten bedeutet, die Franz Josef I. in seinem Manifest seinen Völkern noch als Kriegsgrund mitteilt und zu verteidigen gedenkt: „[…]

zur Wahrung der Ehre meiner Monarchie, zum Schutze ihres Ansehens und ihrer Machtstellung, zur Sicherung ihres Besitzstandes […].“597 Ransmayr legt seine Kritik an nationalistischen Bestrebungen, für den die Nation die „jüngste und dümmste Perversion der Horde“598 bedeutet, in den Mund von Carl Weyprecht, der Ransmayrs geläuterte Figur des Arktisabenteuers ist. Nach der Rückkehr aus dem Eis kommt er zu dem Schluss,

[d]ie arktische Forschung sei doch zu einem sinnlosen Opferspiel verkommen und er-schöpfe sich gegenwärtig in der rücksichtslosen Jagd nach neuen Breitenrekorden im In-teresse nationaler Eitelkeit. Aber nun sei es an der Zeit, mit solchen Traditionen zu

bre-595 Ebd., S. 274.

596 Ebd., S. 267.

597 Ebd., S. 273, Kursivsetzung im Original.

598 https://www.sueddeutsche.de/politik/profil-christoph-ransmayr-1.4197415, zuletzt aufgerufen am 04.04.2020.

chen und andere, der Natur und den Menschen gerechtere Wege der Wissenschaft zu be-treten. Denn der Forschung und dem Fortschritt sei nicht mit immer neuen Opfern an Menschen und Material zu dienen, nicht mit immer neuen Polfahrten in den Untergang, wohl aber mit einem System von Beobachtungsstationen, von Polwarten, die der Be-schreibung der arktischen Erscheinungen Beständigkeit und dem Menschen ein Min-destmaß an Sicherheit garantieren würden. Solange der nationalistische Ehrgeiz einer bloßen Entdeckungsreise und die qualvolle Eroberung von Eiswüsten die Hauptmotive der Forschung blieben, sei kein Platz für die Erkenntnis.599

Mit seinem Anspruch an solche Expeditionen, die weniger ein sportlich-wettkämpferisches Ziel als einen der Wissenschaft dienenden Zweck haben sollten, legte der historische Carl Weyprecht die Grundlage für die wissenschaftliche Polarforschung. Die Dienstfahrt der Cradle, auf der Maz-zini bis Spitzbergen mitfährt, ist demnach eine Konsequenz dieser Errungenschaften in der Po-larfahrt, für die Weyprecht nach seiner Rückkehr geworben hatte. Mazzini wird der Heldenstatus von Anfang an von seinem Chronisten verweigert, für den er höchstens ein privater Trauerfall ist.

Als Speditionsfahrer, der sich als Tourist durch die Institutionen der inzwischen etablierten Po-larforschung mogeln muss, um einen Platz auf einem Forschungsschiff zu ergattern, verfügt Ma-zzini weder über das Profil der historischen Entdecker, noch hat er die Eigenschaften der mythi-schen Helden, die die Selbsterkenntnisse ihrer Heldenreise als Einsicht in ein besonneneres Ver-halten nach ihrer Rückkehr nutzen. Ganz im Gegenteil, Mazzini ist ein Dilettant, der selbstre-dend mit seiner Reisemethode scheitern muss.

Mit der in Lyotards 1979 erschienenem Werk La condition postmoderne: rapport sur le savoir geäußer-ten Skepsis gegenüber Großnarrativen kann Die Schrecken des Eises und der Finsternis als Drift zwi-schen Formen der Erzählbarkeit verstanden werden. Dem Abenteuer als Großnarrativ der Ent-deckungsreise im 19. Jahrhundert wird am Ende des 20. Jahrhunderts dasselbe Abenteuer als postmoderne Polyphonie entgegengesetzt, um zu verdeutlichen, dass die Wirklichkeit in so viele Varianten teilbar ist, wie sie von Erlebenden wahrgenommen wird. Als Figur des ausgehenden 20. Jahrhunderts ist Mazzini in seinem Scheitern die Symbolfigur für die Unerzählbarkeit einer Abenteuer- und Heldengeschichte im Stil des 19. Jahrhunderts. Dies wird gerade daran deutlich, dass er keine eigene Stimme im Text hat, und auch in der Erzählung (durch die Begrenztheit des Spurenmaterials für den Chronisten) der Endlichkeit preisgegeben ist. Mit der Bezeichnung

‚Chronist‘ unterläuft der Text die Konzeption des Erzählers eines Großnarrativs. Ransmayr kon-zipiert seine Schrecken des Eises und der Finsternis gerade an der Bruchkante von grand récit und Chronik, indem er – auch bildlich, z. B. in der Tabelle der Ereignisse der ‚Chronik des Scheiterns‘

– Elemente in den Text integriert, die dem Roman ein postmodernes Aussehen geben. Mazzini wird zwar als modernes Subjekt durch das Erzählen des Chronisten vor dem endgültigen Verges-sen gerettet, jedoch scheitert sein Rettungsversuch ihn vor dem Verschwinden zu bewahren, denn auch der Chronist erreicht das Ende seiner Recherchen und kommt an den Punkt, wo es für ihn, in Ermangelung weiterer Spuren anhand derer er sich in der Fortsetzung seiner Ge-schichte orientieren könnte, nicht mehr weitergehen kann. Die Ungewissheit als

anthropologi-599 Ebd., S. 263.

sche Konstante wird damit zur impliziten Kernaussage des Chronisten, der sich zeitweise zwar an Mazzinis Obsession für das polare Eis orientiert, letztendlich jedoch das Scheitern einer endgülti-gen Orientierung am Ende seines Projekts erkennen muss, das ihn ohne Trost zurücklässt und auf ihn selbst zurückwirft.

4.2 Eine Frage der Perspektive – Raoul Schrotts Literatur- und