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Informationelle Bedeutung des Lageberichts

Informationen kapitalmarktorientierter Unternehmen 1 Bedeutung von Informationen im Kontext des Kapitalmarktes

3 Externe Rechnungslegung als Instrument

3.3 Der Lagebericht als Element der Rechnungslegung .1 Rolle des Lageberichts innerhalb der Rechnungslegung .1 Rolle des Lageberichts innerhalb der Rechnungslegung

3.3.3 Informationelle Bedeutung des Lageberichts

Aufgrund seiner Konzentration auf qualitativ-verbale, nicht-finanzielle Berichts-inhalte kommt dem Lagebericht im Kontrast zum weitgehend quantitativ ausge-richteten Jahresabschluss bereits auf den ersten Blick erhebliche informationelle Bedeutung zu.438 Als eigenständiges Element der Rechnungslegung bietet dieser genug Flexibilität, das unternehmerische Geschehen über die reine Aggregation finanzieller Angaben hinaus gesamthaft sowie „frei von den Fesseln der GoB"439 darzustellen und er erscheint folglich als wichtiges Instrument zur Überwindung informationeller Grenzen der Abschlüsse. Durch Bereitstellung verdichteter und ergänzender Informationen ist er dazu vorgesehen, Adressaten vor Irrtümern und falschen Schlussfolgerungen aus der Lektüre des Abschlusses zu bewahren und sie bei der Einschätzung der Lage und Entwicklung einer Gesellschaft - und den auf dieser Basis zu treffenden Entscheidungen - zu unterstützen.440 Neben jener bemerkenswerten Leistungsfähigkeit des Lageberichts zur Fundierung von Ent-scheidungen besitzt er als eigenständiges Element der Rechnungslegung zudem eine Rechenschaftsfunktion, da das Management das wirtschaftliche Geschehen im Unternehmen erläutert und seine Sicht der Lage und Entwicklung darstellt.441 Die informationelle Bedeutung nicht-finanzieller Unternehmensinformationen, die der Lagebericht klassischerweise zeigt, ist empirisch bereits mehrfach belegt worden:442 So ergab bspw. eine Studie von Ernst & Young, dass nicht-finanzielle Informationen einen Anteil von nahezu einem Drittel an den zur Fundierung von Anlageentscheidungen insg. verwendeten Informationen repräsentieren.443 Auch eine Erhebung des US-amerikanischen Standardsetters AICPA zeigt die zentrale

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Vgl. Kirsch/Scheele (2005), S. l 149f. Anders als der Abschluss stellt dieser keine Basis gesellschafts-/steuerrechtlicher Anspruchsbemessung dar, vgl. Baetge et al. (1989), S. 8.

Ballwieser (1997a), S. 155; Baetge et al. (2009b), S. 727 „befreit vom engen Gerüst".

Die traditionellen Funktionen des Lageberichts der Verdichtung und Ergänzung werden hier deutlich. Insb. die zeitliche Ergänzung des vergangenheitsorientierten Abschlusses um zukunftsorientierte Angaben ist hervorzuheben, vgl. Baetge et al. (2010), S. 77. Erst durch spätere Reformschritte ist der Lagebericht sodann um eine Beurteilungs- und eine Analysefunktion ergänzt worden.

Vgl. u.a. Kropff (1980), S. 514ff.

Vgl. Brotte (1997), S. 44ff., auch Labhart (1999), S. 239ff.; Vaivio (1999), S. 412f.

Vgl. Ernst & Young (1997), S. 13. Diese Ergebnisse beziehen sich strenggenommen auf Kapitalanlageentscheidungen in den USA und in Großbritannien.

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Bedeutung nicht-finanzieller Informationen sowie deren Kommentierung durch das Management für die Adressaten.444 Als Einschränkung bei einer Betrachtung der angesprochenen Studien muss jedoch gelten, dass die Entscheidungsrelevanz nicht-finanzieller Faktoren nicht eindeutig herausgearbeitet wurde, sondern viel-mehr nur die allg. Relevanz nicht-finanzieller Informationen aufgezeigt wird.445 Unter Rückgriff auf den weitgehend akzeptierten Vorläufercharakter qualitativer Größen bzw. bestehende Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge mit Finanzgrößen kann ein Werteinfluss nicht-finanzieller Angaben aber grds. vermutet werden.446 Umso erstaunlicher scheint daher, dass von der Möglichkeit der Vermittlung er-gänzender, wertorientierter Inhalte in praxi kaum Gebrauch gemacht wird:447 So zeigten diverse empirische Untersuchungen auf, dass die Erwartungen an die Lageberichterstattung in der deutschen Berichterstattungspraxis oftmals nur un-zureichend erfüllt werden.448 Im Einzelnen werden zahlreiche Defizite ermittelt:

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Vgl. AICPA (1994), S. 25ff. Die Bedeutung nicht-finanzieller Informationen und deren Kommentierung durch das Management werden klar hervorgehoben. Vgl. hierzu auch Fey (2001 ), S. 58ff. sowie Jenkins (1994), S. 78ff. Die AICPA ist der US-amerikanische Berufsverband der ,Certified Public Accountants'. Als solcher veröffentlicht die AICPA Vorschläge bzw. Standards zur Rechnungslegung als Empfehlung für seine Mitglieder.

Als Reaktion auf die Studie des AICPA setzte das FASB das sog. ,Business Reporting Research Project' auf, dessen Ergebnisse in 2001 vorgelegt wurden, vgl. die Darstellung bei Haller/Dietrich (2001 b), S. 206ff. Es wurden sog. ,Best Practices' einer ergänzenden Berichterstattung für fünf Branchen erarbeitet. Insgesamt bestätigte sich die Bedeutung nicht-finanzieller Größen, vgl. im Detail FASB (2001a). Zudem initiierte die AICPA in 2002 das Projekt ,Enhanced Business Reporting' mit dem Ziel, klare Leitlinien für eine ergänzende Berichterstattung zu erarbeiten, vgl. bspw. Kleinmanns (2004), S. 1022.

Studien zur Entscheidungsrelevanz nicht-finanzieller Informationen wurden bislang nur mit spezifischem Fokus durchgeführt, z.B. zu konkreten Daten in begrenzten Bereichen, u.a. Branchen, vgl. Malone et al. (1993); Amir/Lev (1996); Riley et al. (2003); Laitinen (2004); Hughes (2000). Zur Entscheidungsrelevanz grds. Ruhwedel/Schultze (2004).

Vgl. Ernst & Young (1997), S. !0f. Küting (2000a), S. 157 und ders. (2000b) beschreibt nicht-finanzielle Daten als maßgebliche Werttreiber, die Entscheidungsrelevanz sei aber anderer Natur als bei finanziellen Daten, die als direkte Inputgröße für Prognosen nutz-bar sind. Nicht-finanzielle Daten seien insb. flankierend für Prognosen zu verwenden, als Ergänzung finanzieller Daten aber unabdingbar, so Günter/Beyer (2001 ), S. 1627.

Vgl. Labhart/Volkart (2001 ), S. 126, die ebenfalls einen großen Hebel nicht-finanzieller Kennzahlen auf den Wert postulieren, insb. in der längetfristigen Perspektive.

Vgl. Schildbach et al. (1990), S. 2300, im Detail Krumbholz (1994); Kajüter (2001), S.

107; Kajüter/Winkler (2003), S. 217. Dietsche/Fink (2008) vermerken die Heterogenität der Qualität bzw. Gestaltung der Lageberichte. Zu folgern wäre daher, dass z.T. bereits Verstöße gegen die ,Grundsätze ordnungsgemäßer Lageberichterstattung' vorliegen.

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Neben vagen sowie z.T. recht allgemein gehaltenen Informationen zur Lage und zukünftigen Entwicklung und nur mangelhafter Darstellung der Risiken fehlt es - in rein struktureller Hinsicht - außerdem an der eindeutigen Bezeichnung von Lageberichten und klarer, mit den Vorjahren konsistenter Gliederung.449 Der Be-richterstattung im Lagebericht ist folglich erhebliches Verbesserungspotenzial zu attestieren, jener ist „obviously an area of the annual report capable of assuming a greater significance than it already does. Analysts in the study looked at it for [ ... ] hints about the future, statements of management's intentions".450 · Von den Aufstellem werden v .a. zeitliche Engpässe als wesentliche Begründung dafür genannt, dass der Lagebericht eher „stiefmütterlich" behandelt wird.451 Die damit oftmals einhergehende Argumentation, der Lagebericht werde erst mit Be-ginn der Abschlussprüfung erstellt und dies würde dann zu zeitlichen Engpässen führen, kann vor dem Hintergrund der bestehenden Prüfungspflicht des Lagebe-richts nicht überzeugen.452 Auch wird die Zurückhaltung in der Berichterstattung mit der Sensibilität der enthaltenen Informationen begründet, es wird befürchtet, dass Wettbewerber und andere Anspruchsgruppen des Unternehmens durch eine Offenlegung Einblicke erhalten, die sie für die Durchsetzung ihrer Positionen im Rahmen von Verhandlungssituationen nutzen könnten.453 Diese Argumentation

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Vgl. Kajüter (2001), S. I07f.; Kajüter/Winkler (2003), S. 217f., mit Fokus auf zukunfts-orientierte Aspekte Glaum/Friedrich (2006), S. 165f. Zur Risikoberichterstattung zudem Solfrian (2005), S. 917f., der feststellt, dass - sofern über Risiken berichtet wird - diese oftmals nicht so bezeichnet oder in anderen Teil-Berichten nur umschrieben werden. Er vermutet, Unternehmen seien besorgt, Adressaten könnten Risiken überbewerten. Er ar-gumentiert aber, Adressaten sei bewusst, dass unternehmerisches Handeln nicht risiko-frei ist und es verwundert, wenn laut Management keine Risiken bestehen. Da es im Er-messen des Managements liegt, wie über Risiken berichtet wird, könnte der Umfang der Berichterstattung als Indiz für Wahrnehmungsfähigkeit und Risikoeinstellung dienen.

Day (1986), S. 306. Die Aussage bezieht sich auf Geschäftsberichte in Großbritannien.

Kajüter (2004), S. 197, der ein ernüchterndes Bild von der Umsetzung der Lageberichts-normen zeichnet: Als Argument für die späte Erstellung wird lt. Autor genannt, dass In-halte vor der Prüfung nicht endgültig seien und sich noch Änderungen ergeben könnten.

Vgl. Kajüter (2004), S. 197f. Lageberichte sind gern.§ 317 Abs. 2 HGB Gegenstand der Abschlussprüfung, die verspätete Vorlage führt zu zeitlichem Verzug der Prüfung. Diese Prüfungspflicht beschreibt eine sog. ,Einklangsprüfung', die „Chancen und Risiken der [ ... ) Entwicklung" sind in § 317 Abs. 2 HGB explizit als Teil der Prüfung genannt.

Diese Argumentation wird z.T. auch bei Verstößen gegen die Offenlegungsvorschriften gern. § 325 HGB vorgebracht. Gedacht sei an Gewerkschaften, Zulieferer, Kunden etc.

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lässt insofern aufhorchen, als sie impliziert, dass Unternehmen die Aussagekraft bzw. Bedeutung der im Abschluss inkludierten Informationen als geringwertiger für ihre Adressaten einstufen - zu vermuten wäre, dass Unternehmen davon aus-gehen, der Abschluss würde nur von fachlich ausreichend versierten Lesern ver-standen. In Bezug auf die Wettbewerbssensibilität ist zudem einzuwenden, dass der Ersteller des Lageberichts immer noch einen zeitlichen Vorsprung hätte, so-fern in der Tat ein Wettbewerber Nutzen aus den Angaben ziehen könnte.454 Es lässt sich folglich resümieren, dass die Aussagekraft des Berichtsinstruments Lagebericht realiter als nur schwach zu beurteilen ist bzw. für berichtspflichtige Unternehmen das Potenzial bestehen sollte, sich durch solide Berichtsqualität zu differenzieren. Argumentativ könnte insofern gelten, dass das Management eines Unternehmens durch umfassende sowie qualitativ hochwertige Darstellung bzw.

Analyse des Geschäftsverlaufs, der Lage bzw. der angestrebten Entwicklung des Unternehmens demonstrieren kann, dass es Umfeld und Märkte, in denen dieses agiert, sowie die eigene Position in diesem Kontext hinreichend genau kennt.455 Eine unzureichende Berichterstattung könnte dementsprechend schließlich auch als Unkenntnis oder unfundiertes bzw. intransparentes Management interpretiert werden.456 Interessant wäre auch - vor dem Hintergrund der Ereignisse der Jahre 2008 und 2009 - den Lagebericht insb. in ,Krisensituationen' als ein Instrument zur Bereitstellung zusätzlicher Informationen zu verwenden, da gerade dann der Abschluss nicht geeignet ist, ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild von der Lage und des künftigen Entwicklungspotenzials der Gesellschaft zu vermitteln.457 Abschließend sei - der Vollständigkeit halber - auch die Möglich-keit erwähnt, die Imagewirkung der Berichterstattung für Marketing-strategische Zielsetzungen zu nutzen, wenngleich dies nicht im Vordergrund stehen sollte.458

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Vgl. die Veröffentlichungsfristen in Abschnitt B 3.1.3. Ebenso kann die Argumentation der Wettbewerbssensitivität strategieorientierter Angaben in B 2.3.3 angewandt werden.

Vgl. dazu bereits Semler (1980), S. 177ff.

Vgl. Solfrian (2005), S. 916f.

Vgl. bereits Kropff ( 1980), S. 514f. Auf Basis eines Abschlusses lassen sich insb. dann wenige Schlüsse ziehen, wenn erst am Jahresende eine Besserung der Lage eintritt. Zum Niederschlag rezessiver Tendenzen in der Berichterstattung vgl. Ruhwedel et al. (2009).

Zur Imagewirkung des Geschäftsberichts vgl. umfassend Baetge/Kirchhoff ( 1997).

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3.4 Würdigung der Erkenntnisse und überleitende Anmerkungen