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Historischer Überblick

Im Dokument Wissensraum am Niederrhein (Seite 24-32)

2. Zur Geschichte des Kreuzherrenklosters Hohenbusch

2.1 Geschichte, Spiritualität und Wirken des Kreuzherrenordens

2.1.1 Historischer Überblick

Mit dem Begriff Kreuzherren werden mehrere voneinander unabhängige religiöse Orden be-zeichnet, die „die Verehrung des Kreuzes gemeinsam haben und ihre Anfänge mit den Kreuz-zügen in Verbindung bringen können […].“39 Ihre Gründungen im 12. und 13. Jahrhundert zielten also, wie die vieler anderer Hospital- und Ritterorden, auf die Betreuung von Armen und Kranken und die Beherbergung von Pilgern ab. Die spätere Geschichtsschreibung dieser Orden versuchte jedoch in aller Regel, deren Ursprünge bis in die Zeit des frühen Christen-tums zurückzuführen oder sie in Zusammenhang mit der Kreuzauffindung durch die römische Kaiserin Helena († um 330) zu bringen.40

Ähnliches gilt für den heute noch bestehenden belgisch-niederländischen Kreuzherrenorden (Ordo Sanctae Crucis – OSC), zu dem das Kloster Hohenbusch gehörte: Historische Quellen aus der Gründungszeit im frühen 13. Jahrhundert existieren nicht; um seine Ursprünge ranken sich entsprechend Legenden, die von frühneuzeitlichen Chronisten des Ordens gerne aufge-griffen und ausgeschmückt wurden. Die aktuelle Forschung, vertreten insbesondere durch den Ordensarchivar Roger JANSSEN und den Geschichtskreis Clairlieu, versucht daher, durch eine kritische Synthese von Überlieferungen, gesicherten Quellen und spirituellen Aussagen der Gründungsdokumente zu einer historischen Grundlegung des Ordens zu gelangen.41 So steht mittlerweile außer Frage, dass der (legendarische?) Ordensgründer Theodorus von Celles erstmals durch den Ordenshistoriker Henricus RUSSELIUS im 17. Jahrhundert erwähnt wird.42 Dass dieser Theodorus am 3. Kreuzzug (1189-1191) teilgenommen und zusammen mit vier oder fünf weiteren Kanonikern ein Clarus locus (Clairlieu) genanntes Haus in der Nähe des belgischen Ortes Huy gegründet haben soll, ist ebenfalls historisch nicht zweifelsfrei zu bele-gen.43 Hatte diese Erkenntnis die Geschichtsschreibung und das Selbstverständnis des Kreuz-herrenordens in den 1960er Jahren noch schwer erschüttert, hält dieser mittlerweile an dem

39 ELM 1991, Sp. 1500.

40 Vgl. ELM 1991, Sp. 1500-1502.

41 Vgl. die jüngste ausführliche und kritische Quellenbetrachtung bei JANSSEN 2004.

42 Vgl. RUSSELIUS,CHRONICON, S. 32ff.

43 Eine ausgewogene aktuelle Darstellung der Fakten und Legenden bringt JANSSEN 1999A, S. 45-50 (in englischer Übersetzung: JANSSEN 1999B, S. 29-32). Eine ausführliche kritische Untersuchung und Würdigung der erhaltenen Quellen folgt in JANSSEN 2004, S. 45-120.

legendarischen Gründungsjahr 1210 offiziell fest44, spricht aber von einer ‚Findungsphase‘

der Ordensgründer, die erst durch die päpstliche Anerkennung im Jahr 1248 abgeschlossen gewesen sei.45

Tatsächlich gab es bis dahin wohl mehrere Gruppen von Klerikern in der Diözese Lüttich, die sich durch eine besondere Verehrung des Heiligen Kreuzes auszeichneten und als Gemein-schaft der Regel des hl. Augustinus († 430) folgten. Zu Beginn des Jahres 1248 erlaubte der erst kurz zuvor ernannte Bischof von Lüttich, Heinrich III. von Geldern (1247-1274), einer solchen Gruppe von „fratres Sanctae Crucis ordinis Sancti Augustini“46, bei Huy eine Kirche bzw. ein Kloster47 neu zu errichten. Mit der Bulle Religiosam vitam eligentibus 48vom 1. Oktober 1248 gewährte Papst Innozenz IV. diesem Kloster Sanctae Crucis de Claro Loco sowie seinen schon zahlreichen Besitzungen und Filiationen den Schutz des Heiligen Stuhls, womit er es auch der Jurisdiktion des Ortsbischofs entzog.49 Er verpflichtete die Gemeinschaft auf die Augustinusregel und, wie er in einem wenig später erlassenen Schreiben an Bischof Heinrich präzisierte, auf Konstitutionen nach dem Vorbild des Dominikanerordens.50 In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden in Frankreich, den damaligen südlichen Nie-derlanden (d.h. Belgien) und England51 etliche Häuser des Kreuzherrenordens, deren Bezie-hung zum Mutterhaus in Huy jedoch noch nicht restlos geklärt ist.52 Die erste Gründung auf deutschem Boden erfolgte 1298 auf dem gräflich-bergischen Gut Steinhaus bei Beyenburg (heute ein Stadtteil von Wuppertal); sie besteht als einzige deutsche Niederlassung des Ordens

44 Vgl. JANSSEN 2010 mit dem Untertitel „800 jaar Orde van het Heilig Kruis“; außerdem IN CRUCE SALUS 2010 mit dem Ausstellungs- und Untertitel „800 Jahre Klosterleben“.

45 Vgl. etwa JANSSEN 1999A, S. 47-50 / JANSSEN 1999B, S. 31f.

46 ANNALES OSCBd. 2, S. 63; VAN ROOIJEN 1961, S. 200.

47 So die Interpretation von JANSSEN 2004, S. 74f. Die etwas unklare Ausgangslage kann hier nicht im Einzelnen dar-gestellt werden. Die Originale der genannten päpstlichen Urkunden sind verloren gegangen; JANSSEN (vgl. ebda., S. 80-82) vermutet, dass die weitaus später zu datierenden Abschriften verfälscht wurden. So sei der Clarus locus ursprünglich nicht in Huy, sondern in dem nicht weit entfernten Seilles zu verorten. Dieses Haus habe an Bedeu-tung verloren und aufgegeben werden müssen; zum Mutterkloster wurde spätestens 1322 (Weihe einer neuen Kir-che) die Gründung in Huy. Die ältesten Dokumente habe man dementsprechend ‚anpassen‘ müssen.

48 Vgl. ANNALES OSC Bd. 2, S. 64-68; VAN ROOIJEN 1961, S. 200-203. Der Orden sieht diese Bulle als Zentraldoku-ment seiner Existenz.

49 Dies galt zunächst nur für Huy und seine Filiationen. Die vollständige Exemtion erhielt der Orden durch ein Privileg Papst Johannes’ XXII. im Jahr 1318 (ANNALES OSC Bd. 2, S. 105-107), vgl. JANSSEN 2004, S. 99-100.

50 Bulle Cum dilecti filii vom 23. Oktober 1248, vgl. RUSSELIUS,CHRONICON, S. 52f.; ANNALES OSC Bd. 2, S. 68f.;

VAN ROOIJEN 1961, S. 205. Fast wortgleich formuliert bereits das apostolische Schreiben mit gleichem Titel vom 21. Mai 1247 an Dekan und Kapitel des Bistums Lüttich, dessen Bischofssitz zu der Zeit noch vakant war; vgl.

VAN ROOIJEN 1961, S. 199. – Die älteren Konstitutionen wurden auf dem Reformkapitel des Ordens 1410 für un-gültig erklärt und sollten vernichtet werden. Es finden sich daher nur Abschriften, deren älteste aus dem 15. Jahr-hundert stammen. Der Text findet sich in ANNALES OSC Bd. 2, S. 30-59, sowie, auf einer breiteren Grundlage ediert und rekonstruiert, bei VAN DE PASCH 1952, S. 42-95. Änderungen gegenüber den Statuten der Dominikaner betreffen vor allem die Wahl des Generalpriors, die wissenschaftliche Ausbildung der Novizen, den gemeinsamen Besitz und die Kleidung, vgl. JANSSEN 2004, S. 81.

51 Zu den englischen Kreuzherren und der disparaten Quellenlage dort vgl. zuletzt HAYDEN 1989.

52 Vgl. JANSSEN 2004, S. 84-91.

noch heute.53 Die Konvente Hohenbusch und Köln wurden 1302 bzw. 1307 gegründet. Häuser in den nördlichen Niederlanden folgten erst im 14. Jahrhundert.

Obwohl die Kreuzherren als Regularkanoniker galten, zu einer besonderen Beachtung des gemeinsamen Chorgebets angehalten waren und Gemeinschaftseigentum besitzen durften, übernahmen sie zunächst auch einige Besonderheiten der Mendikantenorden: 1318 erhielten sie die Privilegien des Predigens, des Beichthörens sowie des Terminierens, d.h. sie durften einmal im Jahr im Umkreis ihres Klosters Almosen erbetteln.54 Dieser widersprüchliche Cha-rakter des Ordens zwischen gemeinschaftlichem Gebet und Seelsorge, zwischen Besitz und Bettel stieß häufig auf Kritik und Misstrauen.55 Hinzu kamen Missbräuche des Bettelprivilegs, die immer wieder von den Generalkapiteln eingedämmt werden mussten.

So geriet der Orden seit der Mitte des 14. Jahrhunderts in eine Krise, die sich einerseits in der Vernachlässigung von Klosterzucht und Armenfürsorge, andererseits in der Anhäufung von privatem (!) Besitz und Simonie (Ämterkauf) manifestierte. Der Wendepunkt kam mit dem Generalkapitel von 1410, bei dem der umstrittene Generalprior Johannes von Avins (1396-1410)56 unter Einfluss kirchlicher wie weltlicher Kreise57 zum Rücktritt bewegt werden konn-te. Zu seinem Nachfolger wählte das von den nordniederländischen Klöstern dominierte Ge-neralkapitel den bisherigen Prior von St. Agatha bei Cuijk an der Maas, Libertus Janssen van Bommel (1410-1411).58 In einer radikalen Reformgeste erklärten die Anwesenden alle Be-schlüsse der Generalkapitel seit 1248 für nichtig, da sie in vielen Punkten vom Kanonischen Recht abwichen, und forderten eine Rückkehr zur unverfälschten Beobachtung der seinerzeit

53 Zum Kloster Beyenburg vgl. zuletzt ausführlich WASSERFUHR 1998; außerdem HAAß 1932, S. 42-58; KREUZHERREN

2004, S. 249f. Das Haus wurde in der Säkularisation 1803 aufgehoben, die Konventualen 1804 vertrieben. 1963 zogen wieder Kreuzherren in die zum Pfarrhaus umgebauten, noch erhaltenen Klostergebäude. Zur Zeit (Mai 2017) leben dort zwei Kreuzherren, die einzigen in Deutschland.

54 Vgl. FINGER 1995. Text des Bettelprivilegs in ANNALES OSC Bd. 2, S. 106; vgl. auch JANSSEN 1999A, S. 51f. / J ANS-SEN 1999B, S. 33.

55 Vgl. hierzu etwa die Studie von Wilhelm JANSSEN zum Kölner Kreuzbrüderkonvent, der in der Stadt lange als „so dubiose wie regellose und gefährliche Kommunität“ galt: JANSSEN 2007B, Zitat S. 182.

56 Vgl. REPERTORIUM OSC Bd. 4, S. 271f. unter „Avins van (Avinus, Davinus) Joannes“: Professkloster Huy, bis 1396 Prior in Namur, 1396-1410 durch Simonie Prior von Huy und damit Ordensgeneral, † nach 1410 in Namur. Vgl.

auch VAN DE PASCH 1959, S. 112; JANSSEN 1999A, S. 54 / JANSSEN 1999B, S. 35; JANSSEN 2004, S. 145.

57 Der OrdenshistorikerHenricus Russelius (RUSSELIUS,CHRONICON, S. 88-91) berichtet vom entscheidenden Einfluss des Aachener Kanonikers Arnoldus von Merode († 1445; zu ihm vgl. DOMSTA 1974 Bd. 1, S. 108-112), Siegelbe-wahrer des Bischofs von Lüttich und (Halb-)Bruder des Venloer Kreuzherren Johannes von Merode († nach 1434;

zu ihm vgl. DOMSTA 1974 Bd. 1, S. 231), den der Orden „nach Gott“ als Initiator der Erneuerung des Ordens ansah und ihm ein ewiges Gedenken sicherte (vgl. Generalkapitel 1446 in: DEFINITIONES OSC, S. 85). Die politischen Dimensionen, die hier nicht dargestellt werden können, arbeitet auf VAN DEN BOSCH 1968, S. 33-44 und kürzer VAN DEN BOSCH 1989, S. 73f.; kritisch hinterfragt wird dessen These, dass die Reform auch in Zusammenhang mit der Schlacht von Othée 1408 stehe, von ELM 1971, S. 294-298.

58 Vgl. REPERTORIUM OSC Bd. 5, S. 921 unter „Janssen van Bommel Libertus“: Professkloster St. Agatha, bis 1399 und in 1410 Prior von St. Agatha, 1399-1410 erster Prior von Venlo, 1410-1411 Generalprior, † 8. November (8. Januar?) 1411. Vgl. auch VAN DE PASCH 1960, S. 13f.

erlassenen Statuten.59 Die Reformer drängten auf die „Wiederherstellung des gemeinschaftli-chen Lebens und ein gewissenhaftes Befolgen des Armutsgelübdes, […] Befolgung der Fas-ten- und Abstinenzvorschriften, die Beobachtung des Stillschweigens im Kloster und das Tra-gen der vorgeschriebenen Klosterkleidung.“60 Die Kreuzherren wurden somit von den in allen Orden auftretenden Observanzbewegungen des späten Mittelalters61 sehr früh erfasst. Die großen Erfolge der Reformer – bis 1450 schlossen sich mit Ausnahme der englischen und einiger französischer Klöster praktisch alle Häuser der Observanz an – waren weitgehend „auf das energische Vorgehen des Generalkapitels und seiner Visitatoren zurückzuführen“62, wo-durch die Bewegung den Charakter einer ‚Reform von oben‘ erhielt.63

Das 15. Jahrhundert gilt infolgedessen als die Zeit der größten Blüte des Kreuzherrenordens.

Gehörten um 1410 lediglich 29 Konvente zum Orden, wuchs deren Zahl bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts auf mindestens 66 an.64 In dieser Zeit, die von niederländischen und deut-schen Prioren dominiert wurde, stand der Orden in engem Kontakt mit führenden Personen der Devotio moderna und ihrem Gedankengut – deren auf Innerlichkeit gerichtete Spiritualität wurde infolgedessen gar als Schlüsselelement der Observanzbewegung bei den Kreuzherren angesehen.65 Auch hatte diese Frömmigkeitsbewegung Auswirkungen auf die Buchproduktion der Klöster, worauf später noch zurückzukommen ist.

Der Einfluss des christlichen Humanismus auf den Orden in der zweiten Hälfte des 15. Jahr-hunderts ist ebenfalls unverkennbar. Hatten die Statuten von 1248 das Studium der artes libe-rales und anderer ‚säkularer‘ Wissenschaften noch ausdrücklich untersagt66, wurde den

59 Text der Beschlüsse bei DEFINITIONES OSC, S. 25-27.

60 VAN DEN BOSCH 1989, S. 77; vgl. dazu ausführlicher JANSSEN 2005, S. 7-22.

61 Vgl. die Beiträge im Tagungsband zu diesem Thema: ELM 1989; darin S. 71-82 zu den Kreuzherren (= VAN DEN

BOSCH 1989).

62 VAN DEN BOSCH 1989, S. 77; vgl. ausführlich VAN DEN BOSCH 1968, S. 45-104; außerdem JANSSEN 1999A, S. 59-61 / JANSSEN 1999B, S. 36f.

63 Vgl. BRINGER 2006, S. 179.

64 Vgl. JANSSEN 2007A, S. 12; dazu die tabellarischen Übersichten in JANSSEN 2005, S. 253f., JANSSEN 2006, S. 175 und JANSSEN 2007A, S. 138-144. Möglicherweise waren es auch mehr Häuser, doch „die genaue Zahl ist wegen der unsicheren Quellenlage in England nicht zu ermitteln“ (BRINGER 2006, S. 180).

65 Vgl. etwa VAN DIJK 2011, S. 9. Die These von Petrus VAN DEN BOSCH, die Kreuzherrenspiritualität sei derart eigen-ständig gewesen, dass man sogar von einem Einfluss des Kreuzherrenordens auf die Devotio moderna – und nicht umgekehrt – auszugehen habe (vgl. VAN DEN BOSCH 1968, besonders S. 156-159; erneut VAN DEN BOSCH 1989, S. 80f.), wurde bereits von ELM 1971, hier S. 298-306, widerlegt. Zur Spiritualität der Devotio moderna und ihrem Einfluss auf das Ordensleben der Kreuzherren vgl. Abschnitt 2.1.3.

66 Constitutiones dist. 2, cap. 8 =ANNALES OSC Bd. 2, S. 57; vgl. VAN DE PASCH 1952,S. 92: „saeculares scientias non addiscant, nec artes, quas liberales vocant, […] sed tantum libros Theologicales tam juvenes quam alii legant.“

Möglicherweise hängt die Skepsis gegenüber akademischen Studien mit der Nähe der frühen Kreuzherren zu den Mendikanten zusammen. Kurt FLASCH formuliert – etwas populär – die Haltung des radikal armutsbewegten Franz von Assisi bei seiner Ordensgründung so: „Francesco sah wohl auch, dass man mit Syllogismen Gewalt ausüben und reich werden kann, z. B. als Advokat oder Kirchenjurist; deshalb hielt er sich und seine Brüder in Distanz zur akademischen Welt. Er wollte keinen Klerikerorden; die zu seiner Gruppe kamen, sollten nicht studieren.“ (FLASCH

2013, S. 395.)

densbrüdern unter dem Generalprior Nicolaus van Haarlem (1473-1482)67 das wissen-schaftliche Studium in Leuven68, Paris, Köln, Toulouse und Caen erlaubt. Die Einsicht hatte sich durchgesetzt, dass vertiefte Studien für den Erhalt der klösterlichen Disziplin und für ein fruchtbares geistliches Leben notwendig waren.69

Die Reformationszeit bedeutete einen großen Einschnitt für den Kreuzherrenorden, obwohl dessen Generalprioren entschieden gegen die neuen Lehren vorgingen. Schon 1525 lehnte das Generalkapitel die lutherische Lehre mit harschen Worten ab und stellte die Lektüre oder gar den Besitz der Schriften Martin Luthers unter harte Strafe.70 Stärker als die inneren Probleme fielen jedoch die äußeren ins Gewicht: Durch Konfessionswechsel von Wohltätern fielen Stif-tungen weg und blieben Schenkungen aus – das Kloster Pedernach bei Boppard musste aus diesen rein materiellen Gründen aufgegeben werden. In einigen Gegenden hoben protestan-tisch gewordene Landesherren ganze Klöster auf – so gingen sämtliche Niederlassungen in England, zwölf Häuser in den nördlichen Niederlanden und drei in Westfalen verloren.71 Am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges gehörten somit nur noch 46 Klöster zum Orden.72 Wo dies möglich war, setzten sich jedoch die Kreuzherren im Zeitalter der Konfessionalisie-rung für den Erhalt des katholischen Glaubens in ihrer Umgebung oder ihren Pfarreien ein73

67 Zu Nicolaus (Nicolaas) van Haarlem vgl. REPERTORIUM OSC Bd. 5, S. 766: Professkloster Köln, 1456-1462 dort nachgewiesen, 1462-1473 Prior von Hoorn, 1473-1482 Generalprior, † 1.11.1482 während einer Visitation in Köln.

Vgl. auch VAN DE PASCH 1960, S. 22-24. Nach Russelius war Nicolaus selbst „Professor sacrae Theologiae“

(RUSSELIUS,CHRONICON, S. 118-120, hier 118; vgl. etwas differenzierter, aber doch spekulativ: JANSSEN 2007A, S. 19).

68 Dort wurde 1498 sogar ein eigenes Studienkolleg des Ordens eröffnet; vgl. JANSSEN 2010, S. 145f.; ANNALES OSC Bd. 1,1, S. 156-159.

69 Vgl. JANSSEN 1999A, S. 64f. / JANSSEN 1999B, S. 39f.; BRINGER 2006, S. 180. Außer in Theologie durfte jedoch kein akademischer Grad erworben werden – auch dies eine Folge der Demut und Bescheidenheit, die die modernen De-voten mit Thomas von Kempen in dem Spruch „ama nesciri et pro nihilo reputari – strebe danach, unbekannt zu bleiben und für nichtig erachtet zu werden“ ausdrückten (vgl. hierzu z. B. SCHÖLER 2005, S. 67).

70 Die „teuflische lutherische Lehre“ drohe die Herzen zu vergiften, deshalb wurde ihren Anhängern die Kerkerhaft angedroht, vgl.DEFINITIONES OSC, S. 282f.: „instigante diabolo Lutheranum dogma […] multorum corda pestifere infecit et inficit cotidie […] sub poenis gravissime culpe, quam carcerem vocamus, omnibus interdicimus […].“ Im Jahr 1534 traf die Bücher des Erasmus von Rotterdam ein ähnlicher, wenngleich milder formulierter Bann, vgl. eb-da., S. 309: „Item eciam in eodem capitulo generali injunctum fuit, ne quis uteretur libris Erasmi Roterodamensis.“

Dieser Satz war auf Druck der rheinischen Klöster eingeschoben worden, wohl weniger aus

inhaltlich-dogmatischen Gründen als aufgrund der Toleranz, die Erasmus den Reformatoren entgegenbrachte; vgl. JANSSEN

1999A, S. 92 / JANSSEN 1999B, S. 51.

71 Vgl. die Darstellungen bei JANSSEN 1999A, S. 93-97 / JANSSEN 1999B, S. 51-55; BRINGER 2006, S. 181f.; JANSSEN

2008, S. 15; zuletzt ausführlich bei JANSSEN 2010, S. 111-126.

72 Vgl. JANSSEN 2009, S. 189.

73 So etwa im niederrheinischen Wickrath, wo die Kreuzherren der dortigen Kanonie erfolgreich verhinderten, dass der protestantisch gewordene, reichsunmittelbare Landesherr Johann von Quadt nach 1555 seine Untertanen zur Kon-version zwingen konnte. Ein zu diesem Zweck bestellter reformierter Prediger wurde aufgrund massiver Wider-stände 1569 endgültig abgesetzt; die dem Kloster inkorporierte Pfarrei blieb katholisch. „Nur jene Dörfer in der Herrschaft Wickrath, die nicht dem Kloster inkorporiert waren, wurden protestantisch.“ (BRINGER 2006, S. 184;

vgl. ebda., S. 183-185, sowie LÖHR 2009/10). Dass das Leben der Kreuzherren und Katholiken in der Enklave auch lange danach nicht konfliktfrei verlief, bezeugt die gedruckte Beschwerdesammlung von 1747 in der Hohenbu-scher Bibliothek, s. Kap. 4.1, Nr. 247.

und ließen sich auch in den Dienst der Gegenreformation nehmen.74 Hatte es bislang nur we-nige Häuser gegeben, denen Pfarreien inkorporiert waren75, übernahmen im Verlauf des 17. Jahrhunderts immer mehr Konvente die Pfarrseelsorge in ihrer näheren oder weiteren Umgebung. Als Folge dieser neuen Form des Apostolats stiegen die Kreuzherren auch in die Jugendbildung ein: Sie übernahmen als Lehrer die Pfarrschule eines Ortes oder gründeten Lateinschulen im eigenen Haus76, aus denen sie natürlich auch Ordensnachwuchs rekrutierten.

Zur Erwachsenenseelsorge gehörte die Betreuung von Bruderschaften, die je nach dem spiri-tuellen Kontext des einzelnen Klosters dem Heiligen Kreuz, der Heiligen Dreifaltigkeit, der Gottesmutter oder anderen Heiligen geweiht waren. Der Schwerpunkt dieser vom Trienter Konzil (1545-1563) wiederbelebten Laienbruderschaften lag zum Teil auf dem Sammeln von Almosen für Arme, grundsätzlich jedoch auf dem gemeinsamen, fürbittenden Gebet.77 Für das Gebet mit vom Generalprior geweihten Rosenkränzen hatte schon Papst Leo X. (1513-1521) im Jahr 1516 dem Orden ein besonderes Ablassprivileg verliehen, das bis ins 20. Jahrhundert hinein als Kreuzherrenablass bekannt war.78

Die Übernahme seelsorglicher Aufgaben erforderte jedoch eine bessere Ausbildung der Pries-ter im Orden. Schon „in der Auseinandersetzung mit dem Protestantismus“ war deutlich ge-worden, „dass der theologische Diskurs und die zu vermittelnde Katechese des katholischen Glaubens ein tragfähiges wissenschaftliches Fundament haben musste.“79 Der verbesserten Ausbildung sollte auch die Errichtung eines zentralen Noviziats auf Provinzebene dienen, das sich für die Provinz Germania und später für die Maasprovinz zeitweise in Hohenbusch be-fand.80 Mit der Zuwendung zur Wissenschaft ging eine gesteigerte Publikationstätigkeit von Ordensangehörigen einher, bei der die Erforschung der eigenen Ordensgeschichte im Vorder-grund stand.81 In Köln, wohin der Orden seine künftigen Kleriker bevorzugt zum studium generale schickte, lehrten Kreuzherren auch als Magistri und Professoren an der Universität.82

74 In den Generalstaaten (‚Republik der Sieben Vereinigten Provinzen‘), die ab 1581 ihre Unabhängigkeit von den spanischen Habsburgern erkämpften, wurde die Ausübung des katholischen Glaubens vollständig verboten. In der zunächst im Geheimen stattfindenden Rekatholisierung, der sog. Missio Batava, spielten ebenfalls Kreuzherren ei-ne Rolle, die hier nicht uei-nerwähnt bleiben soll. Vgl. dazu aber JANSSEN 2013, S. 14-17 mit weiteren

Lite-raturangaben.

75 JANSSEN 1999A, S. 96 Anm. 74 / JANSSEN 1999B, S. 54 Anm. 74 nennt als frühe Beispiele die Klöster Marienfrede, Brüggen, Schwarzenbroich, Ehrenstein, Helenenberg und Glindfeld.

76 Vgl. JANSSEN 2010, S. 183.

77 Ein ausführlicher Überblick dazu bei JANSSEN 2010, S. 178-183; vgl. auch JANSSEN 2014, S. 70f.

78 Durch das Rosenkranzgebet wurde ein Ablass von 500 Tagen gewährt; vgl. dazu RAMAEKERS 1948, hier S. 4.

79 BRINGER 2006, S. 190.

80 S. dazu Kap. 2.2.4.

81 JANSSEN 2013, S. 244-249 nennt 22 Kreuzherren aus der Zeit von 1620-1720, die gedruckte Werke veröffentlichten, und sechs, von denen Werke in Handschriften erhalten sind.

82 Vgl. JANSSEN 2010, S. 183f.; eine genauere Übersicht mit Namen und Erwähnung einer Publikationstätigkeit gibt JANSSEN 2013, S. 243-249.

Um 1750 entstand sogar der Plan, in Köln ein seminarium generale – also ein eigenes geistli-ches Studienhaus – für die belgisch-deutsche Provinz zu errichten, was jedoch nicht zustande kam.83

Die Kehrseite dieser Übernahme von pastoralen und pädagogischen Aufgaben zeigte sich in einer deutlichen Akzentverschiebung im klösterlichen Leben: Das gemeinschaftliche Chorge-bet verlor an Gewicht; die Kreuzherren hatten sich von einem eher kontemplativen zu einem zunehmend aktiven Orden gewandelt.84 Allerdings wurden sie dadurch in der Öffentlichkeit besser wahrgenommen, so dass sich die finanzielle Situation der Konvente insbesondere nach dem Dreißigjährigen Krieg wieder besserte. War das Terminieren schon seit der Konfessiona-lisierung in nicht-katholischer Umgebung schwieriger geworden, wurde es durch den Zu-wachs an Ländereien und damit an Wohlstand nun gänzlich überflüssig.85 Im Zuge dieser Entwicklung ist auch eine Änderung in der Bezeichnung der Kreuzherren festzustellen, die den Wandel von einem mendikantisch geprägten Orden hin zu einer Gemeinschaft von regu-lierten Chorherren dokumentiert: Wurden Mitglieder des Ordens zunächst als fratres Cruciferi oder Fratres Sanctae Crucis bezeichnet – in verschiedensten Schreibweisen der Volkssprache also als ‚Kreuzbrüder‘ –, findet sich in Urkunden und anderen Dokumenten seit dem 15. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts immer häufiger die Form fratres canonici oder canonici regulares, umgangssprachlich ‚Kreuzherren‘.86

Der Wandel in der Ausrichtung des Ordens erfasste auch die Führungsstrukturen. 1630 erhielt der Generalprior Renerus Augustinus Neerius (1619-1648)87 für sich und seine Nachfolger die Pontifikalien verliehen, d.h. er durfte wie ein Bischof eine violette Mozzetta (Schulterkragen) und in der Liturgie Stab und Mitra tragen. In der Folge verhielten sich die Generalprioren ge-nauso wie die barocken Prälaten anderer Orden: Sie kreierten eigene Wappen und Siegelringe, zogen mit eigenen Bediensteten in das 10 Kilometer von Huy entfernte Landhaus Lamalle, beanspruchten aber zusätzlich im Kloster einen separaten Flügel für sich. Auch die Prioren

Der Wandel in der Ausrichtung des Ordens erfasste auch die Führungsstrukturen. 1630 erhielt der Generalprior Renerus Augustinus Neerius (1619-1648)87 für sich und seine Nachfolger die Pontifikalien verliehen, d.h. er durfte wie ein Bischof eine violette Mozzetta (Schulterkragen) und in der Liturgie Stab und Mitra tragen. In der Folge verhielten sich die Generalprioren ge-nauso wie die barocken Prälaten anderer Orden: Sie kreierten eigene Wappen und Siegelringe, zogen mit eigenen Bediensteten in das 10 Kilometer von Huy entfernte Landhaus Lamalle, beanspruchten aber zusätzlich im Kloster einen separaten Flügel für sich. Auch die Prioren

Im Dokument Wissensraum am Niederrhein (Seite 24-32)