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Gründe für weitere Alienationen

Im Dokument Wissensraum am Niederrhein (Seite 73-77)

3. Hohenbusch und seine Bibliothek in der Säkularisation

3.4 Gründe für weitere Alienationen

Über den tatsächlichen Umfang der Bibliothek Hohenbusch zur Zeit der Auflösung des Klos-ters kann nur spekuliert werden, doch steht außer Frage, dass das Schönebeck’sche Inventar nur einen Bruchteil der dort vorhandenen Bücher verzeichnet. Dies ergibt sich zum einen aus dem Auftrag Schönebecks selbst, der gemäß Erlass nur aufbewahrenswerte Bücher für den Aufbau der Zentralschul- bzw. Departementsbibliothek auswählen sollte.347 Zum anderen las-sen sich weltweit einige Bücher nachweilas-sen, die nicht auf dieser Liste stehen, gemäß Besitz-vermerk aber aus Hohenbusch stammen. Und schließlich gibt es noch Bände, die sich auf der Liste finden, denen aber der typische, mit der Position auf der Liste korrespondierende Ver-merk Schönebecks „Hohenbusch N[umér]o …“ (Abb. 2) fehlt. Vielleicht hat er diesen dann

340 Vgl. BAEUMKER,CHRONIK II, S. 15f.: Der Katalog sei 1890 fertig gewesen. THEIL 1995, S. 138f. bringt weitere, diesen Angaben teils widersprechende Nachrichten über Fertigstellung und Umfang des Katalogs.

341 Vgl. BAEUMKER,CHRONIK II, S. 1: Verzeichnung durch den ersten nebenamtlichen Bibliothekar der Seminarbiblio-thek, Prof. Dr. Josef Vogt. Dieser gibt 1901 die Zahl der Handschriften mit „etwa 70“ an (S. 4).

342 Vgl. BAEUMKER,CHRONIK II, S. 15.

343 Vgl. BAEUMKER,CHRONIK II, S. 37, 144.

344 Zur Geschichte der Diözesan- und Dombibliothek vgl. jetzt zusammenfassend ALBERT 2014, hier S. 14-29; zur Diözesanbibliothek bis 1958 außerdem THEIL 1995.

345 HEUSGEN,HANDSCHRIFTEN.

346 LENZ,INKUNABELN.

347 S. oben Anm. 289.

lediglich vergessen; vielleicht handelt es sich dabei aber auch um Dubletten, die der Kloster-bibliothek anderweitig entfremdet wurden.

Ursachen für solche Entfremdungen gab es viele. Oben wurde etwa schon die 1794 bis 1796 umherziehende Commission temporaire des arts erwähnt348, die jedoch mit großer Wahr-scheinlichkeit wegen der geringen kunsthistorischen Bedeutung seiner Bestände nicht nach Hohenbusch gekommen ist. Unmittelbar anschließend, von 1796 bis 1798, suchte der gebür-tige Franke Anton Keil im Auftrag des französischen Innenministers „noch einmal die kirchli-chen Einrichtungen auf, um wertvolle Werke ausfindig zu makirchli-chen, die die Sammlungen der französischen Nationalbibliothek ergänzen konnten […].“349 Doch auch er scheint sich auf die sehr alten Bibliotheken der Konvente in den größeren Städten konzentriert zu haben.350

Eine dritte Mission zur Konfiskation wertvollen Archiv- und Bibliotheksguts von 1802 bis 1805 fällt mit den Klosteraufhebungen zusammen und ist mit dem Namen des ehemaligen Metzer Benediktiners Jean-Baptiste Maugérard verbunden. Er war selbst leidenschaftlicher Büchersammlunger und wird als „hervorragender Kenner auf typographischem und bibliogra-phischem Gebiete“351 charakterisiert, aber auch als „ein sehr mittelmässiger eigentlicher Ge-lehrter“352 beschrieben. Schon 1790 war er nach Köln gekommen, baute dort Kontakte zum Klerus auf und erwarb – nicht immer auf legale Weise – erste Handschriften und Kunstgegen-stände.353 Seine offizielle ‚Sammeltätigkeit‘ als Staatskommissar ab 1802 wurde von der Re-gierung und den verantwortlichen Konservatoren der Pariser Nationalbibliothek offenbar als Sicherstellung von Kulturgütern verstanden, die der Nation gehörten und „zu denen die breite Öffentlichkeit Zugang haben soll[te].“354 In den rheinischen Departements hingegen versuch-ten Persönlichkeiversuch-ten wie etwa Ferdinand Franz Wallraf 355 oder Johann Bernhard von Schöne-beck, diese als Raubzüge eines Büchermarders empfundenen Beschlagnahmungen zu

348 S. oben Kap. 3.2.

349 REUß 2002, S. 154.

350 Vgl. REUß 2002, S. 154f., die Trier, Koblenz, Bonn, Köln und Aachen angibt. Am stärksten war wohl die Bibliothek der Kölner Kartause betroffen.

351 VOLLMER 1937, S. 120.

352 CLASSEN 1937, S. 280 Anm. 2 als Zitat Schönebecks.

353 Vgl. BLÖCKER 2002, S. 380 Anm. 41. Ausführliche Darstellung seiner Person und seines Wirkens bei SAVOY 2011, S. 93-116 und passim; außerdem REUß 2002, S. 156-159 mit einer differenzierteren Beurteilung als die von ihr zi-tierten früheren Studien des frühen 20. Jahrhunderts, die häufig von antifranzösischen Ressentiments geprägt wa-ren.

354 REUß 2002, S. 160.

355 Geboren am 20. Juli 1748 in Köln, Kanoniker an St. Maria im Kapitol und St. Aposteln, Professor an der Universi-tät zu Köln seit 1784 und deren Rektor 1793-1796, 1799 Professor an der Zentralschule, Universalgelehrter und Sammler, † 18. März 1824. Seine der Stadt Köln hinterlassenen Sammlungen bilden den Grundstock des Wallraf-Richartz-Museums und stellen umfangreiche eigene Bestandsgruppen im Historischen Archiv (Handschriften) und der Universitäts- und Stadtbibliothek (Alte Drucke). Eine ausführliche, doch etwas ältere Würdigung gibt der Aus-stellungskatalog DEETERS 1974; seine Rolle in der Säkularisation schildert BLÖCKER 2002, passim.

dern.356 Schönebeck – der 1801 ja selbst in staatlichem Auftrag unterwegs gewesen war – verweigerte offenbar lange Zeit erfolgreich Maugérard den Zutritt zu den Depots der Zentral-schule; außerdem will er „einen großen Theil der seltensten gedruckten Bücher und Manuscripten“357 vor ihm versteckt haben. Die von Maugérard am 1. November 1803 erstellte Liste seiner nach Paris gesandten Bücherauswahl umfasst dennoch 22 Handschriften und 235 Drucke allein aus den Kölner Depots.358 Da sich die Hohenbuscher Bibliothek zu dieser Zeit noch nicht in Köln befand, sind daraus keine Exemplare darunter zu vermuten; doch auch die an anderen Orten eingesammelten Titel bieten keine Hinweise auf eine Herkunft aus Hohen-busch.

Aber vermutlich waren es nicht einmal die bekannten Personen, die die Verlagerung von Bü-chern und anderen Kulturgütern aus Hohenbusch zu verantworten hatten. Wie schon erwähnt, führte die Klostergesetzgebung in den besetzten Gebieten zur Verarmung des Klerus: „[…]

die Kloster- und Stiftsgeistlichen verloren ihre soziale Stellung und waren herausgerissen aus ihrem Lebensumfeld […] – die Geistlichkeit ingesamt war der eigentliche gesellschaftliche Verlierer der Säkularisation.“359 Unter diesen Umständen kann es nicht verwundern, wenn Konventualen Bücher und andere Gegenstände aus dem Besitz ihres Klosters schon vor der Aufhebung aus purer Existenznot verkauften. Für passionierte Sammler wie Wallraf oder Ba-ron Hüpsch360, aber auch viele andere weniger bekannte Buchhändler „tat sich plötzlich ein Schlaraffenland auf. Hier konnte – und musste man zugreifen – schnell und unter der Hand.“361 Für die Rekonstruktion der Klosterbibliothek Hohenbusch bleibt insofern nur fest-zustellen, dass ihr Bücher entfremdet wurden. Wann und wie dies geschah, erschließt sich dann nur zum Teil aus entsprechenden Einträgen darin.

3.5 Fazit

Das Inventar des Johann Bernhard von Schönebeck stellt kein letztgültiges Verzeichnis der gesamten Bibliothek des Klosters Hohenbusch dar. Es verzeichnet lediglich eine Auswahl aus dem Buchbestand des Konvents, die sich an den Interessen der Kölner Zentralschule

356 Vgl. VOLLMER 1937, S. 122-126.

357 CLASSEN 1937, S. 284f.; vgl. ebda., S. 280 Anm. 2 mit einem weiteren Briefzitat Schönebecks.

358 Vgl. LAV NRW R, Roerdepartement (AA 0633) 2739, Nr. 155-176 (Handschriften) und 410-644. Die Liste der

„Codices manuscripti“ ist vollständig abgedruckt bei VOLLMER 1937, S. 131f.

359 OEPEN 2005, S. 104 u. 106.

360 S. oben Anm. 292.

361 BLÖCKER 2002, S. 379 mit weiteren Beispielen S. 379-382.

tete.362 Ein Teil der Bücher, der nicht auf dieser Liste stand, hat auf anderen Wegen neue Be-sitzer gefunden. Der größte Teil der Bibliothek jedoch, ob aufgelistet oder nicht, muss als ver-schollen gelten, und das heißt vermutlich: er ist vernichtet worden. Ein Beispiel aus Bayern mag belegen, dass demgegenüber die Umverteilung von Büchern, ob nun von staatlichen oder privaten Interessen geleitet, nur einen winzigen Bruchteil des vorhandenen Kulturguts er-fassen konnte. Die Ausstellung „Bayern ohne Klöster? Die Säkularisation 1802/03 und ihre Folgen“ im Jahr 2003 zeigte unter der Überschrift „Büchervernichtung im großen Stil“ eine Addition von Quittungen, mit denen ein bayerischer Papierhersteller den Erhalt von ausge-schiedenen Büchern aus der Hand verschiedener Bibliothekskommissare bestätigte.363 Es war mit ihm vereinbart worden, dass er diese Bücher „zum Preis von 50 Kreuzer pro Zentner Pa-pier“364 aufkaufen und zur Herstellung von Pappen verwenden könne. Der Papierfabrikant schuldete dem bayerischen Staat gemäß seiner Addition über 1125 Gulden – woraus sich er-rechnen lässt, „dass er mehr als 94 Tonnen Bücher aus den altbayerischen Klosterbibliotheken für die Papier- und Pappeherstellung käuflich erwarb.“365 Im Licht solcher Zahlen erscheint das Sicherstellen von Büchern für staatliche Zwecke oder das Sammeln mit dem Ziel per-sönlicher Bereicherung, auch wenn damit größere Umschichtungen verbunden waren, fast schon als generöse Rettungsaktion für gefährdete Kulturgüter.366

362 Zu den genauen Kriterien von Schönebecks Auswahl s. unten Kap. 6.3.3.

363 Vgl. BRAUN/WILD 2003, S. 128f. Nr. 122 mit Abbildung der Zusammenstellung.

364 BRAUN/WILD 2003, S. 127.

365 BRAUN/WILD 2003, S. 128.

366 Vgl. dazu auch den die Ausstellung begleitenden Artikel von MÜLLER 2003, bes. S. 246.

4. Die Bibliothek von Hohenbusch – Rekonstruktion anhand

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