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4 Herausforderungen für Lehrkräfte im Umgang mit Lernemotionen im Gruppenunterricht

Die vorangestellten Ausführungen verdeutlichen, dass der erfolgreiche Einsatz von Gruppenarbeiten im Unterricht nicht ausschließlich mit der Förderung kognitiver Lernprozesse zusammenhängt. Vielmehr gilt es, Emotionen im Lernprozess ernst zu nehmen und den Umgang mit diesen zu unterstützen, insbesondere wenn penarbeiten mit dem Ziel der Potenzialorientierung und Partizipation aller Grup-penmitglieder in inklusiven Lernsettings eingesetzt werden. Ziel von Gruppenarbei-ten sollte sein, Motivationsverluste und negative Emotionen zu vermeiden sowie positive Emotionen zu stärken. Da sich Erfahrungen aus vergangenen Gruppen-arbeiten durch habitualisierte perzeptive Emotionsauslösung auf nachfolgende Gruppen- und Lernprozesse auswirken können (Frenzel et al., 2015, S. 212 f.), ist es wünschenswert, Gruppenarbeiten zu einem „emotionalen und motivationalen Er-folgserlebnis“ zu machen (Mulder, Messmann & Gruber, 2009, S. 401 f.). Dafür ist es notwendig, dass die Lehrkraft die Verantwortung annimmt, die Lernenden vor, wäh-rend und nach Gruppenarbeiten emotional und motivational zu stärken (Kunter, Klusmann & Baumert, 2009, S. 153). Dazu werden im Folgenden beispiel- und hypo-thesenhaft Handlungsoptionen von Lehrkräften begründet, deren Wirksamkeit in zukünftigen empirischen Studien abgesichert werden sollen. Dies soll vor allem

auf-zeigen, welch vielfältiges Potenzial darin liegt, die emotional-motivationalen Befind-lichkeiten der Lernenden in Gruppenarbeiten sowie deren Unterstützungsmaßnah-men durch die Lehrkraft zu untersuchen.

Prospektive Unterstützung der Lernenden bei Gruppenarbeiten

Die ausführliche Vorbereitung von Gruppenarbeiten durch die Lehrperson ist wich-tig, da Lerngruppen häufig nicht unvermittelt erfolgreich miteinander lernen (Kopp, Germ & Mandl, 2009, S. 695). Eine Stellschraube, um negativ-deaktivierenden Emo-tionen und motivationalen Verlusten prospektiv entgegenzuwirken, ist die Gruppen-größe. Größere Gruppen (ab fünf Lernende) sind hinsichtlich der Förderung der Diskussionsfähigkeit oder des kritischen Denkens vorteilhaft. Gleichzeitig ist insbe-sondere mit dem Auftreten von Phänomenen wie Social Loafing, Freeriding oder dem Sucker Effect zu rechnen, insbesondere auch in größeren Gruppen. So besteht die Gefahr, dass z. B. Lernende mit größerem Vorwissen diejenigen mit weniger Kenntnissen in der gemeinsamen Arbeit dominieren und die Partizipation eines je-den Gruppenmitglieds nicht realisiert wird (Cohen, 1994, S. 1 ff.). In kleineren Grup-pen (zwei bis fünf Lernende) kann dagegen von aktiverer Teilnahme aller Lernen-den, einer wirksameren Zusammenarbeit und tendenziell positiven Lernemotionen ausgegangen werden (Lou, Abrami & Spence, 2000, S. 101 ff.).

Auch der Bekanntheitsgrad der Mitglieder untereinander beeinflusst die Quali-tät der Gruppenarbeit. Kennen sich die Mitglieder von Lerngruppen nicht, sind ein-zelne Verhaltensweisen oder Präferenzen der anderen schwer einzuschätzen. Diese Unsicherheit kann Befürchtungen bezüglich Social Loafing, Freeriding oder des Su-cker-Phänomens auslösen (Gudykunst, 2005, S. 284 ff.). Zudem kann im Falle einer aktiven Mitarbeit der unbekannten Mitglieder bei gleichzeitig fehlender Anerken-nung der Leistung der übrigen Lernenden ein Übergangenheitsgefühl aufkommen.

Dagegen kann Zufriedenheit vor allem dann entstehen, wenn das Engagement wahrgenommen wird. Um Unsicherheiten bei gänzlicher oder teilweiser Unbe-kanntheit in Lerngruppen zu reduzieren, ist der fachliche Austausch in konstruktiv-vertrauensvoller Atmosphäre hilfreich. Dies wiederum gilt es zu fördern, da damit tiefer gehende Lernerfahrungen sowie positive Emotionen wie Zufriedenheit oder Freude einhergehen. Die Lernenden antizipieren dann bereits im Vorfeld eine gute Zusammenarbeit (Schultz & Wosnitza, 2018, S. 145 f.), initiieren mehr aufgabenbezo-gene Diskussionen, leisten mehr gegenseitige moralische Unterstützung (Shah &

Jehn, 1993, S. 149) und erleben infolgedessen verstärkt positive sozial-aktivierende Emotionen (Frenzel et al., 2015, S. 207 ff.).

Das Fähigkeitsniveau der Lernenden gilt als weiteres Kriterium, das auch die emotionalen und motivationalen Befindlichkeiten der Lernenden während der Grup-penarbeit beeinflusst (Krause, 2007, S. 86). Ein ähnliches Fähigkeitsniveau einer Gruppe gilt als verbindendes Merkmal, das eine einheitliche und gemeinsame Ziel-erwartung sowie positive Emotionen wie Sicherheit und Stolz zulässt. Ebenfalls müssen Lernende in homogenen Gruppen ihre Lernziele und -geschwindigkeit nicht verändern, was wiederum deaktivierende Emotionen und Motivationsverluste

vermeiden kann (Lou et al., 1996, S. 423 ff.). Lou, Abrami und d’Apollonia (2001) ge-hen auch davon aus, dass Schülerinnen und Schüler mit niedrigerem Leistungs-niveau stark von leistungsstärkeren Lernenden und deren direkter Unterstützung profitieren. Allerdings geschieht das nicht automatisch. Bei schwächeren Lernenden sind durchaus Emotionen wie Unsicherheit und Frustration anzunehmen (Bump, 1990, S. 49 ff.). Vergebliche Versuche der Unterstützung können auch bei den stärkeren Lernenden Gefühle wie Enttäuschung auslösen, aber auch i. S. des Big-Fish-Little-Pond-Effekts Motivationsverluste hervorrufen. Lehrende können diesen negativ-deaktivierenden Emotionen vorbeugen, indem sie z. B. spezifische Rollenver-teilungen im Gruppenprozess festlegen (Kopp et al., 2009, S. 698 f.). Konkrete Kon-zepte sind bspw. Scripted Cooperation (O’Donnell & Dansesreau, 1992, S. 120 ff.) oder Reciprocal Teaching (Palinscar & Brown, 1984, S. 117 ff.). Diese Konzepte der Ressourcen- und Rollenverteilung werden mit hoher Motivation bezüglich der Ko-operation und positiven Interdependenzen bei den Lernenden verbunden (Johnson

& Johnson, 1992, S. 147 ff.). Zudem kann die Aufgabenart die emotionalen und moti-vationalen Prozesse während der Gruppenarbeit positiv bedingen (Cohen, 1994, S. 1 ff.). Fruchtbar erscheinen Aufgaben, welche gegenseitige Erklärung, koordinierte Strukturierung, vertiefende Fragen in der Gruppe (Renkl & Mandl, 1995, S. 295) und eine Bearbeitung unter Nutzung zusätzlicher Ressourcen und Unterlagen fördern.

Werden solche Maßnahmen transparent ein- und durchgeführt, kann an Facetten der sozialen Umwelt, z. B. der Vergegenwärtigung des individuellen Beitrags und Wertes bei der Aufgabenbewältigung, als Einflussgröße für Appraisals und die damit einhergehenden Emotionen von Lernenden angesetzt werden (Pekrun, 2006, S. 318 f.).

Daneben erscheint es wichtig, vor Beginn der Gruppenarbeit gemeinsame Re-geln zu entwickeln, um Störungen in der Zusammenarbeit zu vermeiden, die ihrer-seits mit Motivationsdefiziten und negativen Emotionen einhergehen. Je klarer und besser akzeptiert die Verhaltensregeln sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass diese eingehalten und sensible Umgangsformen zwischen den Lernenden realisiert wer-den. Dies wiederum kann die bereits angesprochene soziale Bindung und eine posi-tive Atmosphäre im Klassenraum unterstützen sowie posiposi-tive soziale Emotionen hervorrufen (Klippert, 2012, S. 59 ff.).

Prozessuale Unterstützung

Lehrende können die Lernenden im Hinblick auf deren Umgang mit Motivationen und Emotionen während der Gruppenarbeit z. B. durch professionelle emotionale Unterstützung oder gezieltes Feedback begleiten. Mazer, McKenna-Buchanan, Quin-lan & Titsworth (2014, S. 159 ff.) fanden empirische Hinweise, dass emotionale Un-terstützung der Lernenden durch die Lehrkraft jeweils signifikant und negativ mit den negativen Lernemotionen Ärger, Angst, Scham, Hoffnungslosigkeit und Lange-weile zusammenhängt. Die Lernenden fühlen sich von Lehrenden besonders dann emotional unterstützt, wenn sich die Lernenden in der Beziehung zum Lehrenden wahrgenommen fühlen, ihre Bedürfnisse einbezogen, emotionale Belastungen ver-ringert oder adaptive Bewältigungsstrategien angeboten werden (Burleson, 2009,

S. 21 ff.). Relevant für das Erleben emotionaler Unterstützung ist überdies das wahr-genommene Ausmaß der Verfügbarkeit der Lehrkraft (Titsworth, Quinlan & Mazer, 2010, S. 431 ff.).

Zudem finden sich Ergebnisse, die eine signifikante Beziehung zwischen der emotionalen Unterstützung und der Kommunikationskompetenz der Lehrkräfte auf-zeigen (Titsworth et al., 2010, S. 431 ff.). Emotionale Unterstützung kann somit u. a.

über die Kommunikation der Lehrkraft gegenüber den Lernenden vermittelt werden.

Feedback ist ein möglicher Weg, nicht nur inhaltliche Lernprozesse, sondern auch emotionale und motivationale Aspekte zu thematisieren. Bei komplexeren Aufga-benstellungen ist es hilfreich, dass Feedback über das Aufzeigen der richtigen Lö-sung und des aktuellen Leistungsstandards hinausgeht (Ryssel, 2012, S. 99) und An-reize für künftige Aufgaben setzt (Narciss, 2006, S. 78 ff.). Feedback scheint zudem fruchtbar zum Lernprozess und zur Selbstregulation während der Gruppenarbeit und der Verweis auf vorhandene externe Ressourcen (u. a. mehrere Lernende) zu sein. Ebenfalls kann Feedback die Lernenden darin unterstützen, den Lernprozess (ihren eigenen und den der Gruppe) wirkungsvoll zu planen, zu überwachen und zu evaluieren (metakognitive Lernstrategien), aber auch Wissen sinnvoll zu strukturie-ren und zu validiestrukturie-ren (kognitive Lernstrategien) (King, 2007, S. 13 ff.). Wild (2005, S. 193) betont, dass Feedback zu und Förderung von Lernstrategien bei Lernenden nicht nur kognitive Prozesse, sondern ebenfalls motivationale und affektive Zu-stände positiv beeinflussen kann. Feedback über das Selbst als Person nimmt hinge-gen Bezug zur individuellen Anstrengung. Werden z. B. motivationale Defizite wie Social Loafing oder Freeriding thematisiert, kann eine verstärkte Beteiligung erwar-tet und die in H2 bis H5 angenommenen Emotionen in Lerngruppen aufgefangen werden (Hattie & Timperley, 2007, S. 81 ff.).

Retrospektive Unterstützung

Da sich Erfahrungen von zurückliegenden auf zukünftige Gruppenarbeiten auswir-ken (Schultz & Wosnitza, 2018, S. 145), erscheint es wichtig, (retrospektiv) Reflexion und Evaluation von Motivationsverlusten und negativen Emotionen anzustoßen.

Idealerweise gelingt es, positive Erlebnisse und die Attribution von positiven Emotio-nen zu Gruppenarbeiten zu festigen, sodass diese zukünftig mit positiv-habitualisier-ten Emotionen verbunden werden (Pekrun, 2006, S. 315 ff.). Das Modell von Boud, Keogh & Walker (1985, S. 20) bezieht als Ausgangspunkt des Reflexionsprozesses die Emotionen der Lernenden ein. Lernende können durch das erneute „Durchspielen“

und Explizieren der Erfahrungen die Ebene der unmittelbaren Betroffenheit verlas-sen und eine Perspektive auf Metaebene einnehmen (ebd., S. 27 ff.). Solche Refle-xionsprozesse können z. B. in Teilaufgaben der Gruppenarbeit oder in anschließen-den Gesprächen mit anschließen-den einzelnen Gruppen angestoßen und integriert weranschließen-den.

Wichtig dabei scheint, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Erfahrungen schil-dern und auf Ereignisse oder getätigte Interpretationen hingewiesen werden, die bis-her unbemerkt blieben. Es gilt, eine wertschätzende Atmosphäre zu schaffen und kontraproduktivem Verhalten in der Gruppe (z. B. belustigten Kommentaren)

ent-gegenzuwirken, sodass Lernende ihre Emotionen offen ansprechen können. Wenn realistische Selbsteinschätzungen und positive Emotionen der Lernenden in der Gruppenarbeit gefördert werden, beschäftigen sich die Lernenden mit den Situatio-nen, in denen sie erfolgreich waren oder sich gut gefühlt haben.

5 Diskussion und Ausblick: Unterstützung motivationaler