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Begriffs- und Konstruktverständnis

einer ergebnisorientierten Resilienzerfassung und Ansatzpunkte für die schulische und

2.1 Begriffs- und Konstruktverständnis

Der Begriff „Resilienz“ entstammt dem englischen Wort „resilience“ und kann mit

„Spannkraft, Widerstandsfähigkeit, Elastizität“ übersetzt werden (Wustmann, 2011).

Ausgehend von einem physikalischen Resilienzverständnis (Toleranzfähigkeit eines Systems gegenüber Störungen; Callister & Rethwisch, 2011) wurde dieses Konzept auf den psychologischen Bereich übertragen. Lange Zeit hielt man Resilienz für eine Eigenschaft, über welche nur besondere Kinder verfügen. Diese nannte man dann

„unverwundbar“. Existierende psychologische Ansätze zur Modellierung von Resi-lienz unterscheiden sich so meist darin, ob sie ResiResi-lienz als ein spezifisches Persön-lichkeitsmerkmal betrachten (z. B. Block & Block, 1980) bzw. als Maß für eine globale Stressbewältigungsfähigkeit ansehen (Connor & Davidson, 2003; Bengel & Lyssenko, 2012) oder ob sie zur Messung ein Konglomerat aus empirisch belegten Schutzfakto-ren heranziehen (u. a. Problemlösefähigkeiten, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen;

z. B. Wagnild & Young, 1993; Schumacher, Leppert, Gunzelmann, Strauß & Brähler, 2005).

Im Mittelpunkt des personenzentrierten Ansatzes steht die Betrachtung indivi-dueller Merkmalskonfigurationen, welche für das zu untersuchende Problem rele-vant sind (Bergmann & Magnusson, 1997). Die Ursache für eine angepasste oder un-angepasste Entwicklung läge demnach allein im Kind bzw. dessen angeborenen Merkmalen (Rutter, 1993). Eine solche Betrachtung würde jedoch zu der Annahme führen, dass eine Förderung von Resilienz nur sehr eingeschränkt oder gar nicht möglich ist. Luthar, Cicchetti und Becker (2000) grenzen deswegen den Resilienzbe-griff von der Ego-Resilienz nach Block und Block (1980) ab, welche Resilienz als sta-biles Persönlichkeitsmerkmal sehen und keine Belastungssituation voraussetzt.

Demgegenüber handelt es sich nach Luthar (2006) bei Resilienz um ein zweidimen-sionales Konstrukt, welches sich aus (1) dem Vorliegen einer Belastungssituation und (2) der erfolgreichen Anpassung an bzw. Bewältigung dieser Situation zusam-mensetzt (siehe auch Luthar & Cicchetti, 2000; Masten, 2001). Wustmann (2011) be-tont in ihrer Auffassung des Resilienzkonstrukts insbesondere die Bedeutung der transaktionalen Kind-Umwelt-Interaktion, durch welche Resilienz im Entwicklungs-verlauf erst erworben wird. Das Kind nimmt dabei eine aktive Rolle ein, indem es Stress- und Risikosituationen wahrnimmt, bewertet und entsprechend auf sie rea-giert. Resilienz resultiert danach aus einer Funktion des grundlegenden mensch-lichen Anpassungssystems (Masten, 2001). Grundlegend ist nach heutiger Ansicht die aktive Rolle des Individuums im Bewältigungsprozess. Resilienz ist danach keine zeit- und situationsinvariante Immunität, sondern ein Konstrukt, welches über die Zeit sowie situativ variiert. Dieser dynamische Aspekt von Resilienz bedeutet deswe-gen im Begriffsverständnis nach Luthar und Cicchetti (2000, S. 858): „Resilience is a dynamic process wherein individuals display positive adaptation despite experiences of significant adversity or trauma.“

Neuere Beiträge gehen weiterhin davon aus, dass Resilienz ein multidimensio-nales Konstrukt darstellt. Resilienz wird hierbei als dynamisch, variabel und situa-tionsspezifisch angesehen. Sie variiert mit dem Kontext, Alter, Geschlecht und kultu-rellem Hintergrund und mit unterschiedlichen Lebensumständen, was jedoch ihre Operationalisierung erschwert (Wustmann, 2011). Oder wie es Waller (2001, S. 290) zum Ausdruck bringt: Resilienz ist ein „multidimensionales und sich ständig verän-derndes Produkt aus interagierenden Kräften in einem gegebenen ökosystemischen Kontext“. Nach Luthans, Vogelgesang und Lester (2006) wird die individuelle Resi-lienz als dynamischer Prozess betrachtet, der aus dem Zusammenspiel von internen (psychologischen) und externen (kontextuellen) Faktoren erwächst und einen erfolg-reichen Umgang mit herausfordernden Situationen ermöglicht. Aus diesem Grund haben sich die Forschungsbemühungen verstärkt den dynamischen Prozessen und Mechanismen zugewandt, welche zwischen den risikoerhöhenden und -mildernden Bedingungen vermitteln, um komplexe Wirkzusammenhänge sowie die Heterogeni-tät innerhalb und zwischen Entwicklungsverläufen erklären zu können (Fingerle 1999; Luthar & Cicchetti, 2000; Wustmann, 2011).

2.2 Forschungslinien

Warum bleiben manche Personen trotz ausgeprägter Belastungen und Risiken ge-sund oder erholen sich relativ leicht von Störungen, während andere unter vergleich-baren Belastungsbedingungen besonders anfällig sind? Diese grundlegende Frage stellt den Ausgangspunkt der Resilienzforschung dar (Bender & Lösel, 1998; Lösel &

Bender, 1997). In deren Mittelpunkt stehen die folgenden drei zentralen Indikatoren, welche Resilienz ausmachen bzw. auf diese schließen lassen:

1. eine gesunde und positive Entwicklung trotz anhaltender Risikoeinflüsse (sog.

entwicklungspsycho[patho]logischer Ansatz),

2. die Fähigkeit einer schnellen Erholung von traumatischen Ereignissen und 3. eine fortwährende Stressregulationskompetenz unter alltäglichen und

chroni-schen Stressbedingungen (Masten, Best & Garmezy, 1990; Wustmann, 2011).

Zu (1): Die meisten Studien, welche dem entwicklungspsycho(patho)logischen Ansatz folgen, zielen darauf ab, Hochrisikoindividuen zu identifizieren, welchen trotz ihrer Situation eine positive Entwicklung gelingt. Diese Gruppe wird anschließend mit In-dividuen verglichen, welche sich bei vergleichbarer Belastungssituation weniger günstig entwickelt haben. Auf diese Weise erhoffte man sich Erkenntnisse darüber, welche Merkmale für die Unterschiede im Entwicklungsverlauf verantwortlich sind (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2014; Laucht, 1999; Laucht, Esser & Schmidt, 1997; Laucht, Schmidt & Esser, 2000; Masten, 2001). Das bekannteste Beispiel für eine solche Studie ist die Längsschnittuntersuchung von Werner und Smith (1982;

2001; Werner, Bierman & French, 1971), die sog. „Kauai-Studie“, welche in den Jah-ren zwischen 1955 und 1999 durchgeführt wurde. Bei dieser Art von Forschung bleibt jedoch unklar, ob es sich bei den identifizierten schützenden Merkmalen um Faktoren handelt, welche generell zu einer positiven Entwicklung beitragen, unab-hängig vom Bestehen einer Risikobelastung, oder ob sie nur während einer Gefah-rensituation wirksam werden, also eine mediierende Rolle einnehmen (Masten &

Reed, 2002).

Zu (2): Wustmann (2011) führt eine weitere Merkmalsgruppe auf, von welcher eine extreme risikoerhöhende Wirkung ausgeht: traumatische Lebensereignisse. Zur genaueren Erläuterung bedient sich Wustmann (2011) der Definition von Butollo und Gavranidou (1999, S. 461), wonach es sich bei traumatischen Erlebnissen um

„existenzielle Erfahrungen“ handelt, „in denen die Endlichkeit des eigenen Lebens konkret erfahrbar wird“. Durch die Machtlosigkeit, den erlebten Kontrollverlust und die Lebensgefährdung, welche das Individuum in solchen Situationen erfährt, wer-den die Bewältigungsmechanismen des Menschen außer Kraft gesetzt. Dies führt dazu, dass ein solches Ereignis zunächst einmal ohnmächtig hingenommen wird.

Noeker und Petermann (2008) sowie Masten, Best und Garmezy (1990) fokussieren in ihren jeweiligen Definitionen von Resilienz insbesondere auf die Bewältigung derartiger traumatischer Ereignisse.

Zu (3): Nicht zuletzt spielt Resilienz im Umgang mit alltäglichem und ggf. chro-nischem Stress eine wesentliche Rolle. Obgleich zwar auch im (jungen)

Erwachsenen-alter noch immer Entwicklungsaufgaben zu bewältigen sind (Leipold, 2015), steht vor allem der Faktor Resilienz in Bezug auf die Bewältigung von beruflichen und schulischen Stresssituationen im Vordergrund klinischer Anfragen (Bengel & Lys-senko, 2012). Im Laufe der letzten Jahre nahm die Anzahl stressbedingter psychi-scher Erkrankungen drastisch zu. Eine Veröffentlichung der AOK (2017) zeigt bspw.

von 2006 bis 2016 einen 54-prozentigen Anstieg der psychisch bedingten Krankmel-dungen. Die damit einhergehenden Ausfalltage stiegen sogar um 79 Prozent. Damit nehmen psychische Erkrankungen den zweiten Platz der häufigsten Krankheitsarten ein, nur übertroffen von Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems, und auch diese lassen sich häufig auf psychische Ursachen zurückführen (Marschall, Hildebrandt, Sydow & Nolting, 2017). Eine solche Entwicklung kann nicht „durch gesteigerte Sen-sibilität bei Ärzten und Arbeitnehmern erklärt werden“ (Ulich, 2008, S. 8). Vielmehr scheint sie dem anhaltenden strukturellen Wandel der Arbeitswelt geschuldet zu sein (Scharnhorst, 2008), welcher einen Anstieg psychischer Arbeitsanforderungen mit sich bringt (Lohmann-Haislah, 2012; Gunkel, Böhm & Tannenheimer, 2014). Des Weiteren lassen die ansteigenden Zahlen annehmen, dass die üblichen Stressbewäl-tigungsmöglichkeiten bei vielen Menschen nicht mehr adäquat zu greifen scheinen (Scharnhorst, 2008). Demgegenüber sehen wir, dass trotz der hohen Prävalenz stress-assoziierter somatischer Erkrankungen ausgeprägte Stressoren nur bei bestimmten Menschen zu dauerhaften psychischen Beeinträchtigungen führen (Kalisch, Müller

& Tüscher, 2015).

2.3 Instrumente zur Erfassung von Resilienz