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1 Einleitung und Begriffsbestimmung

Allgemein spricht man von Lernschwierigkeiten, wenn Schülerinnen und Schüler den Leistungsnormen und -erwartungen nicht gerecht werden. Die Ursachen von Lernschwierigkeiten im Unterricht können dabei vielfältig und variantenreich sein.

Lernschwierigkeiten können unter anderem durch Funktionsdefizite der individuel-len Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler (z. B. durch Dyskalkulie, Legas-thenie), mangelnde Adaptivität des Unterrichts oder durch allgemein ungünstige Rahmenbedingungen im Unterricht hervorgerufen werden (Gold, 2011).

Insbeson-dere mangelndes fachliches Vorwissen (Zinn, Wyrwal, Sari & Louis, 2015) und die hier im Beitrag fokussierten präunterrichtlichen natur- und technikwissenschaft-lichen Konzepte (kurz Präkonzepte) von Schülerinnen und Schülern zu den im Un-terricht behandelten Themen können ebenfalls einen zentralen Ausgangspunkt für Lernschwierigkeiten in der gewerblich-technischen Bildung darstellen.

Unter natur- und technikwissenschaftlichen Präkonzepten werden Fehlvorstel-lungen von Individuen zu naturwissenschaftlichen und technischen Phänomenen, Begriffen und Prinzipien verstanden. Diese individuellen Vorstellungen der Schüle-rinnen und Schüler stimmen mit den zu lernenden wissenschaftlichen Vorstellun-gen nicht überein und bilden damit eine grundleVorstellun-gende Ursache für Lernschwierig-keiten in der gewerblich-technischen Bildung (Duit, 2009, S. 605 ff.). Zur Definition dieser subjektiven Vorstellungen herrscht begrifflich einige Vielfalt. Sie werden neben Präkonzepten (Nachtigall, 1986) auch Schülervorstellungen (Niedderer & Schecker, 2004), intuitive science (Preece, 1984) oder Alltagsvorstellungen und Fehlvorstellun-gen Fehlvorstellun-genannt (für einen weiteren Überblick siehe Gauld, 1986; Wodzinszki, 1996). Im vorliegenden Beitrag werden die Begriffe Präkonzept, Fehl- und Schülervorstellung synonym verwendet.

Im gewerblich-technischen Unterricht decken sich die subjektiven Vorstellun-gen der Schülerinnen und Schüler häufig nicht mit den zu erarbeitenden wissen-schaftlichen und an der beruflichen Praxis orientierten Konzepten, sind zugleich aber wichtiger Ausgangspunkt für erfolgreiche Lernprozesse in der technischen Bil-dung und zeigen damit schon eine zentrale Bedeutung für den beruflichen Lernpro-zess und die fachdidaktische Lehrerbildung im beruflichen Bereich auf.

Curricular verankert, soll der berufsschulische Unterricht berufsfeldübergreifend handlungsorientiert erfolgen. Handlungen müssen dabei von den Lernenden mög-lichst selbstständig geplant, durchgeführt, überprüft und abschließend bewertet wer-den. Folgt man in der unterrichtlichen Umsetzung dabei den lerntheoretischen Er-kenntnissen des Konstruktivismus, so müssen Lernende im Lehr- und Lernprozess eine individuelle Repräsentation der Lerninhalte vornehmen. Was ein Individuum in der individuellen Bedingung lernt, hängt dabei neben weiteren Voraussetzungen maßgeblich von den subjektiven Vorstellungen und Konzepten der Schülerinnen und Schüler ab. Das heißt, neues Wissen kann nur auf der Basis und unter Berück-sichtigung des vorhandenen Wissens aufgebaut werden. Eine wissensbasierte Grund-lage ist in diesem Prozess ausdrücklich erwünscht und grundsätzlich auch vorteil-haft für den Wissenserwerb. Ausubel postuliert hierzu: „The most important single factor influencing learning is what the learner already knows. Ascertain this and teach him accordingly“ (Ausubel, 1968, S. vi). Offensichtlich wird hierbei aber auch, dass sich mögliche subjektive (Fehl-)Vorstellungen und Konzepte der Schülerinnen und Schüler, die sich nicht mit den zu erarbeitenden wissenschaftlichen Konzepten decken, Ausgangspunkt für unterrichtliche Lernschwierigkeiten bilden können (Duit, 2009, S. 605 ff.).

Das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler respektive die subjektiven Vor-stellungen zu den Begriffen, Phänomenen und Prinzipien sind für den Lernprozess

und das -ergebnis bedeutsam. Ohne detaillierte Kenntnis der Lehrkräfte über Prä-konzepte ist es kaum möglich, an das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler an-zuknüpfen. Im Einklang mit den Erklärungsmodellen im allgemeinbildenden Be-reich (im Überblick Helmke & Weinert, 1997; Wang, Haertl & Walberg, 1993) erweist sich in vorliegenden Erklärungsmodellen zur beruflichen Bildung (Lehmann & See-ber, 2007; Nickolaus, Geißel & Gschwendtner, 2008) das fachspezifische Vorwissen als stärkster Prädiktor für die berufliche Fachkompetenz. Studien im gewerblich-technischen Bereich, mit denen das allgemeine naturwissenschaftliche und techni-sche Wissen, in den Studien meistens als fachspezifitechni-sches Vorwissen bezeichnet, bei Schülerinnen und Schülern erhoben wird, belegen in mehreren Studien der beruf-lichen Bildung ein entsprechend geringes Vorwissensniveau und zeigen Wissensde-fizite in der allgemein naturwissenschaftlichen und technischen Bildung auf (Geißel et al., 2013; Zinn & Wyrwal, 2014; Zinn et al. 2015).

Dass ein fundiertes allgemeinbildendes natur- und technikwissenschaftliches Wissen und damit verbundene Fähigkeiten für die Entwicklung der berufsfachlichen Kompetenzen von Bedeutung sind, wird in mehreren Studien vorausgesetzt. In ge-werblich-technischen Berufen werden elaborierte naturwissenschaftliche Kenntnisse und Fähigkeiten für die berufliche Handlungskompetenz bedeutsam (Lehmann &

Seeber, 2007; Nickolaus et al., 2010; Zinn & Wyrwal, 2014; Geißel et al., 2013; Zinn, 2016). Besonders in modernen technischen Hybridberufen wie z. B. Mechatroni-ker/-in oder Produktionstechnologe/-in kann davon ausgegangen werden, dass na-turwissenschaftliche Kompetenzen für die berufliche Entwicklung der Handlungs-kompetenz relevant werden. Auch in traditionell handwerklichen Berufen wie beispielsweise Maurer/-in oder Zimmerer/-in wird in den beruflichen Anforde-rungssituationen deutlich, dass fundierte angewandte naturwissenschaftliche Kennt-nisse und Fähigkeiten für die berufliche Handlungskompetenz als besonders wich-tig angesehen werden (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Bundesrepublik Deutschland, 1998; 1999; 2008). So können folgende natur- und technikwissenschaftliche Begriffe, Phänomene und Prinzipien für bedeutungsvoll erachtet werden: Strom, Spannung, Energie, Licht für das Berufsfeld Elektrotechnik;

Kraft, Energie, Wärme, Licht für das Berufsfeld Bautechnik; Kraft, Energie, Wärme, Licht für das Berufsfeld Metalltechnik. Für diese und weitere Berufsfelder ließen sich auch zu den Basiskonzepten der Biologie und Chemie Anknüpfungspunkte fin-den (für die Bautechnik z. B. die Bauchemie und Baubiologie; für die Metalltechnik z. B. die Elektrochemie; Zinn, 2016).

Vielfach stellen sich das Wissen und die Fähigkeiten einschließlich der Präkon-zepte im Bezugsfeld der Naturwissenschaften bei Schülerinnen und Schülern am Ausbildungsbeginn, der sogenannten ersten Schwelle, als defizitär und entwick-lungsbedürftig dar (Geißel et al., 2013; Zinn, Wyrwal, Sari & Louis, 2015). Das trifft insbesondere auf Schülerinnen und Schüler nicht gymnasialer Schularten zu. Be-trachtet man beispielsweise die Befunde der PISA-Studie zur naturwissenschaft-lichen Grundbildung (Scientific Literacy) von Jugendnaturwissenschaft-lichen und unterstellt, dass ein substanzieller Anteil der schwächeren Schülerinnen und Schüler in die berufliche

Bildung einmündet, wird die Problematik deutlich. Entsprechend den Ergebnissen der PISA-Studie 2015 ist ein nicht unwesentlicher Teil der Schülerinnen und Schüler (17 Prozent) am Ende seiner Pflichtschulzeit praktisch nicht in der Lage, basales All-tagswissen der Naturwissenschaften und Technik zu nutzen, um einfach Daten zu interpretieren, Erklärungen zu identifizieren oder valide Schlussfolgerungen im Be-zugsfeld naturwissenschaftlicher und technischer Fragestellungen zu erkennen (Schiepe-Tiska et al., 2016, S. 45 ff.). Es zeigt sich, dass fast jeder vierte Jugendliche (22,7 Prozent) in nicht gymnasialen Schularten niedrige natur- und technikwissen-schaftliche Kompetenzen besitzt und diese eine Standardabweichung bzw. fast ein-einhalb Kompetenzstufen schlechter abschneiden als Schülerinnen und Schüler an Gymnasien (ebd.).

In Anbetracht dieser Ausgangslage und obwohl die fachdidaktische Forschung zu Präkonzepten und deren Einfluss auf das Lernen substanzielle anschlussfähige Erkenntnisse in mehreren allgemeinbildenden Unterrichtsfächern bereitstellt (für Physik z. B. Duit, 2009; für Biologie z. B. Riemer et al., 2010; für Chemie z. B. Sum-fleth & Pitton, 1998; für Mathematik z. B. Hartmann, 2002), haben einschlägige Befunde bislang wenig Einzug in die fachdidaktische Ausbildung von Lehrkräften an gewerblich-technischen Schulen gehalten. Anzunehmen ist, ohne dass uns hierzu eine belastbare Studie im Kontext der beruflichen Bildung vorliegt, dass ent-sprechende fachdidaktische Kompetenzen zur Ausgangsthematik im Wesentlichen bislang nur im beruflichen Lehramtsstudium in Kombination mit einem naturwis-senschaftlichen Fach (Physik, Chemie, Biologie) erworben werden können. Im na-turwissenschaftlichen Lehramtsstudium gehört die Thematik „Präkonzepte“ zum curricularen Kern der Fachdidaktik. Dass Präkonzepte in beruflichen Handlungszu-sammenhängen gegenüber dem allgemeinbildenden Bereich zwar eine besondere Charakteristik aufweisen, kann grundsätzlich angenommen werden (Gerlach, 2011).

So belegen Studien im allgemeinbildenden Bereich, dass sich die Präkonzepte von Schülerinnen und Schülern situations- und kontextbezogen darstellen (Niedderer &

Schecker, 1992; Kaiser, Jonides & Alexander, 1986). Dennoch kann davon ausgegan-gen werden, dass die fachdidaktischen Erkenntnisse zu naturwissenschaftlichen Prä-konzepten aus dem allgemeinbildenden Bereich auch Orientierungspotenziale für die Weiterentwicklung der gewerblich-technischen Fachdidaktiken beinhalten.

Vor dem skizzierten Hintergrund thematisiert der Beitrag im Folgenden zen-trale Erkenntnisse zu den naturwissenschaftlichen Präkonzepten von Schülerinnen und Schülern und den damit verbundenen induzierten Lernschwierigkeiten im Bezugsfeld der gewerblich-technischen Bildung. Zudem werden fachdidaktische Ansätze zum Umgang mit Präkonzepten aus dem allgemeinbildenden Unterricht naturwissenschaftlicher Domänen vorgestellt. Abschließend werden weiter gehende Perspektiven für die Lehrerbildung in gewerblich-technischen Domänen im Bezugs-feld der Ausgangsthematik aufgezeigt.