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Differenzierung von Handlungsstrategien

Die Interviews zeigen, dass mehrere Lehrpersonen Handlungsstrategien für die Umsetzung der Aufgaben Unterrichten, Erziehen, Beurteilen unter der Perspektive Umgang mit Heterogenität verfügbar haben bzw. entwickeln. Darüber hinaus wer-den durch die Interviewten Bedarfe hinsichtlich des verfügbaren methodischen Re-pertoires für eine abwechslungsreiche Gestaltung der Lehr-Lern-Prozesse sowie der prozessbegleitenden Diagnose von Lernausgangslagen genannt. Im erstgenannten Punkt geht es den Lehrpersonen vor allem um die Gestaltung der Oberflächenmerk-male des Lehr-Lern-Prozesses, z. B. die Nutzung bestimmter Sozialformen oder die Aufmerksamkeitserhöhung der Lernenden durch ansprechend gestaltete Arbeits-blätter. Die Gestaltung der Lehr-Lern-Prozesse wird weniger unter Berücksichtigung lerntheoretischer Grundlagen gespiegelt. So wird im ersten Interviewausschnitt z. B.

explizit darauf verwiesen, dass auf die unterschiedlichen Lerntypen nicht eingegan-gen wird (006, #92). Diese Perspektive auf Lerntypen und die kognitiven Prozesse ist allerdings notwendig, um den vollständigen Gestaltungsspielraum des methodi-schen und pädagogimethodi-schen Handelns erkennen und nutzen zu können. Zudem ist dies auch eine Basis für die lernprozessbegleitende Diagnostik sowie die Bewertung

Abbildung 1:

der Passung von Aufgaben- und Personenmerkmalen (vgl. hierzu die Bildungsstan-dards der KMK bzw. Abb. 1).

Potenziale eines entsprechenden lerntheoretisch begründeten fachdidaktischen Zugangs zu Differenzierungsmöglichkeiten werden mit dem nachfolgenden Krite-rienkatalog aufgezeigt, welcher über die Reflexion des Lernprozesses abgeleitet wurde. In der Abbildung 2 wird eine konstruktivistisch unterlegte Modellvorstellung vom Lernen als kognitiven Prozess skizziert. Zur ausführlichen Begriffsdarlegung sei auf Feuser (1989) bzw. auf Niethammer und Geisler (2017) verwiesen. Dem Lern-prozess, der neben psychischen Prozessen auch die physischen Seiten der Wahrneh-mung einschließt, wird in der Abbildung 2 die Interaktion nebengeordnet. Durch die Interaktionen zwischen Lernenden sowie Lernenden und Lehrenden wird der je-weils betrachtete Wirklichkeitsausschnitt erst konstituiert und die Lernanlässe er-zeugt bzw. gesteuert.

Denkoperationen (psychische Prozesse)

Erscheinungen, Theorien ... Das „Denken“ der lernenden Person

(natürliche,

4 Interaktionen in Form von Kommunikationen oder, präziser formuliert, in

„professionell betreute[r] Interaktion unter Anwesenden“

(Kurtz, 2000, S.170, Hervorheb. im Orig.; Luhmann, 2002, S. 56), worüber der betrachtete Wirklichkeitsbereich sowie die Auseinandersetzung mit demselben konstituiert werden. Verhandelt werden u. a. Inhalte (Schnittstelle Lernprozess),

Werte und Normen, soziale Beziehungen.

2

Verändern/Gestalten von Wirklichkeit

Der Lernprozess als Bezugspunkt didaktischen Handelns (eigene Darstellung auf Basis von Rubinstein, 1958; Vollmer, 2002; Feuser, 1989; Renkl, 2009; Schnotz & Bannert, 2003; vgl. Niethammer &

Geisler, 2018)

Differenzierungsoptionen für die Gestaltung von Lehr-Lern-Settings lassen sich nun entlang der modellhaft dargestellten Phasen des Lernprozesses systematisch benen-nen und ordbenen-nen. In der folgenden Aufzählung werden diese in Form verkürzter Fra-gen formuliert. Auch wenn die Aufzählung dies suggerieren könnte, gibt es keine hierarchische Ordnung der Kriterien. Die Nummerierung ergibt sich lediglich durch die Zuordnung zu den Ziffern in Abbildung 2, die jeweils auf bestimmte Aspekte des Lernprozesses verweisen. Für die Gestaltung bzw. Analyse von Unterricht gilt zudem, dass nicht immer alle Kriterien zum Tragen kommen (können):

Abbildung 2:

Fachdidaktisch begründete Differenzierungspotenziale für die Gestaltung inklusionsbezoner Lehr-Lern-Prozesse (die Ziffern markieren den jeweiligen Bezug zum Lernprozess ge-mäß Abb. 2):

1) Wirklichkeitsausschnitt: Welcher Wirklichkeitsausschnitt wird avisiert?

1.1 Wird ein gemeinsamer Gegenstand skizziert?

1.2 Werden Variationen des Wirklichkeitsausschnittes avisiert?

1.2.1 Wird der Inhalt über verschiedene Repräsentationen inkl. Original angeboten bzw. ist er durch die Ln differenzierbar?

– Modalität (bildhaft/verbal-geschrieben, verbal-gesprochen/gegenständlich) – Abstraktion (Original/erscheinungsbezogen/merkmalsbezogen/symbolisch) – Komplexität der Repräsentation (Umfang der repräsentierten

Erscheinun-gen)

1.2.2 Wird die Komplexität der Inhalte variiert (= Anzahl der impliziten Zusam-menhänge und der Verknüpfungen)?

1.2.3 Wird die Tiefe der Durchdringung variiert (Abstraktheit, Mathematisierung)?

2 & 3) Werden die Motive/Ziele für diese Auseinandersetzung gesetzt und werden diese variiert?

– Wird ein Gestaltungsinteresse in den Mittelpunkt gestellt, indem Wirklich-keit nachhaltig gestaltet/verändert werden soll (= problemgeleitet)?

– Wird ein Erkenntnisinteresse in den Mittelpunkt gestellt (= fragengeleitet)?

a) Geht es darum, Wirklichkeit (experimentell) zu erkunden, zu verstehen und zu verallgemeinern (= vom Phänomen zur Theorie)?

b) Geht es darum, mittels Theorie Wirklichkeit vorauszusagen und dies (expe-rimentell) zu bestätigen?

– Wird das Interesse, Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten zu erwerben, in den Mittelpunkt gestellt (= konkrete Lernaufgaben sind zu lösen, wie z. B.

Rechenaufgaben, Schreiben lernen, Vokabeln lernen, Regeln der Gramma-tik lernen, Geschichtsdaten lernen, Gesetze der StaGramma-tik lernen, Aufbau eines Atoms lernen usw.)?

4) Durch wen werden Problemstellungen/Fragen formuliert?

4.1 Durch Lernende (forschendes Lernen)

4.2 Durch Lehrende (entdeckendes Lernen, erarbeitendes Lernen) 4.3 Durch externe Auftraggeber (Schnittstelle zum Außerschulischen) 2 & 3) Wird der komplexe Prozess der Auseinandersetzung mit der

Problemstel-lung/Frage (dem gemeinsamen Gegenstand) reflektiert?

– Inhaltliche Strukturierung als Unterstützungs- und Differenzierungsele-ment?

– Aufgabenteilung/-gliederung (Teilaufgaben) als Strukturierungs-/Differen-zierungselement?

– Vorstrukturierungsgrade der Lösungswege/Freiheitsgrade als Differenzie-rungselement?

a) Phasen werden vorgeplant (z. B. Fallmethode, bei der der Lösungsweg durch alle gemeinsam erarbeitet wird, oder experimentelles Arbeiten, bei dem Handlungsschritte vorgegeben werden [Protokoll, Arbeitsblatt]).

b) Ln entwickeln Lösungsweg selbst (z. B. Projektlernen, wobei das allge-meine Vorgehen [Heuristik] bereits bekannt sein kann oder erst durch die Ln erarbeitet werden muss, oder selbstständiges erkundendes Experimentieren).

– Wahl der Handlungsmuster als Unterstützungs- und Differenzierungsele-ment (Recherche, experiDifferenzierungsele-mentelles Arbeiten, Modelllernen, Gespräche, In-terviews …)?

4) Wird thematisiert, durch wen Strategien der Bewältigung der Problemstellun-gen/Fragen erarbeitet werden?

4.4 Sozialformen (Einzelarbeit, parallele vs. arbeitsteilige Gruppenarbeit, regel-lose Gruppenarbeit im Stationslernen …) als Unterstützungs- und Differenz-ierungselement?

5), 6) & 7) Wird der komplexe Lernprozess in seinen Phasen Wahrnehmung, Er-kenntnisprozess, Interiorisationsprozess und Anwendung reflektiert und wer-den unterschiedliche Wege für die Realisierung diskutiert?

5) Wahrnehmung (und Kommunikation)

5.1 Wird die Wahrnehmung der Wirklichkeit als Lernphase reflektiert?

5.2 Erfolgt die Steuerung der Wahrnehmung/Aufmerksamkeit durch Sprache und Bild?

5.3 Erfolgt die lerneradäquate Gestaltung von Sprache und Bildern/sprachsensib-ler Unterricht?

5.4 Wird die Wahrnehmungsschulung, Kompensation fehlender Sinneswahrneh-mungen angeboten?

5.5 Erfolgt eine Effektverstärkung oder Vermeidung störender Effekte gemäß Wahrnehmungsgesetzen?

6) Erkenntnis: Werden Erkenntniswege als variable Elemente des Lernprozesses reflektiert (Regeln des logischen Schließens, des empirischen Vorgehens, des Modelllernens, des intuitiven Vorgehens [z. B. Kreativtechniken, Simulation]?

7) Interiorisation und Anwenden

7.1 Werden Lernzeiten und Lerntechniken reflektiert (z. B. Methoden für Wieder-holung; Übertragen einer Inhaltsrepräsentation in eine andere Form)?

7.2 Werden Schwierigkeitsgrade für Anwendungsaufgaben gestuft?

Z Zusätzliche Differenzierungsmaßnahmen für die Unterstützung des Erkennt-nisprozesses 3) – 5)

Z1 Werden Lernhürden in Korrespondenz zu den verschiedenen Phasen des Lernprozesses reflektiert (Aufgabenverständnis, Wahrnehmung, Erkenntnis-prozess, Interiorisation)?

Z2 Werden Lernhilfen differenziert?

Z3 Wird differenziertes Feedback (Narciss, 2006; Peters, Körndle & Narciss, 2017) reflektiert?

Extra: Wird die lehr-lern-prozessbegleitende Diagnostik als Element der Lehrhand-lung wahrgenommen?