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Wenn Getreide nicht vertragen wird – über Gluten, FODMAPs und ATI

Im Dokument ERNAHRUNG HEUTE UND MORGEN (Seite 117-123)

Der Verzehr von Weizenprodukten sorgt bei einigen Menschen für Beschwerden. Vor allem Gluten (auch Klebereiweiß) gilt hier als Hauptverdächtiger. „Gluten“ ist ein Sammelbegriff für bestimmte Eiweiße, die in Weizen 80 bis 90 Prozent des Gesamtproteins ausmachen.277 Neben Weizen enthalten auch alle mit ihm verwandten Getreidearten Gluten, also Roggen, Gerste, Dinkel und die sogenannten alten Weizensorten. Unter den bei uns heimischen Ge-treiden ist einzig der Hafer nicht mit dem Weizen verwandt. Er enthält kein beziehungsweise kaum Gluten. Hafer kann durch Abfüllanlagen mit Gluten „verunreinigt“ sein; in Bioläden gibt es geprüft sicher glutenfreien Hafer. Gluten ist als Bausteinlieferant für das Wachstum des Keimlings verantwortlich und verleiht dem Getreide die Backfähigkeit, die für Volumen und Elastizität des Teiges sorgt – daher auch sein Name „Klebereiweiß“. Hirse, Hafer, Mais und Reis lassen sich deshalb auch nur zu Fladengebäck verarbeiten.

Etwa 1 Prozent der weltweiten Bevölkerung leidet unter der Autoimmunerkrankung Zö-liakie, einer angeborenen Unverträglichkeit gegenüber Gluten.280 Zöliakie ist kein modernes Phänomen und wurde schon bei den alten Griechen beschrieben. Die klassischen Symptome sind Durchfall und Bauchschmerzen. Denn das Gluten verursacht im Dünndarm Entzündun-gen der Dünndarmzotten, die für die Nährstoffaufnahme zuständig sind. Dadurch wird die

EIN UMSTIEG AUF RATEN

Falls Sie bisher kaum Vollkornerzeugnisse gegessen haben und bei einer Umstellung mer-ken, dass Sie diese nicht gut verdauen können, gehen Sie nicht gleich davon aus, dass Sie eine Unverträglichkeit haben. Ihr Darm muss nun anders verdauen und braucht Zeit für die Umstellung. Essen Sie also zunächst nur kleine Mengen Vollkornprodukte und stellen Sie langsam über zwei bis drei Monate um. Achten Sie auch darauf, gut zu kauen. Nach einer Umstellungszeit vertragen die meisten Menschen Vollkornerzeugnisse gut.

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Viele „Schwarzbrote“ sind eigentlich Weißbrote, die mit Malz, also Zucker, gefärbt wurden, um einen gesunden Eindruck zu erwecken. Nur wo „Vollkorn“ draufsteht, ist auch Vollkorn drin, denn dieser Begriff ist gesetzlich geschützt. Lassen Sie sich also nicht von der Optik täu-schen und fragen Sie bei Ihrem Bäcker nicht nach „dunklem Brot“ oder nach „Schwarzbrot“, sondern immer nach „Vollkornbrot“.

Empfehlenswert ist zum Beispiel auch Pumpernickel. Diese ursprünglich westfälische Brotspezialität gibt es schon seit 450 Jahren. Sie ist heute in ganz Deutschland und auch in Österreich bekannt und beliebt. Dabei handelt es sich um ein sehr dunkles Vollkornbrot aus Roggenschrot, das besonders lange haltbar ist. Vollkorn-Pumpernickel wird aus mindestens 90 Prozent Roggenvollkornschrot hergestellt. Die Backzeit muss mindestens 16 Stunden betragen.

Wie erkenne ich Vollkornmehl? Ganz einfach daran, dass auch „Vollkorn“ draufsteht. Alle anderen Mehle haben eine Type-Kennzeichnung – das ist die Nummer, die auf Mehlen steht, zum Beispiel 405 oder 1050. Die Type-Kennzeichnung auf dem Mehl gibt seinen Mineralstoff-gehalt (Milligramm/100  Gramm) an. Höhere Zahlen sind also besser. Mehl vom Type 1050 enthält 1050 Milligramm Mineralstoffe pro 100 Gramm. Type 405 enthält dagegen 60 Prozent weniger Nährstoffe, nämlich nur noch 405 Milligramm. Zum Vergleich: Vollkornmehle ent-halten etwa 1800 Milligramm Nährstoffe auf 100 Gramm, also 4,5-mal so viel.

Viele stellen sich die Frage, ob es Getreidesorten gibt, die besonders gesund sind. Immer wieder hört man zum Beispiel, dass Dinkel gesünder sei als Weizen. Unseres Wissens existie-ren keine hochwertigen wissenschaftlichen Analysen, die eine eindeutige Bewertung zulassen, zumal Dinkel und Weizen eng miteinander verwandt sind. Deswegen empfehlen wir beim

Der Brotkorb der Deutschen

Bisher machen Vollkornbrote nur 11 Prozent des Brotkorbs der Deutschen aus. Verzehren Sie möglichst nur Vollkornbrot und sorgen Sie mit Ihrer Nachfrage dafür, dass das Angebot steigt.276

Mischbrot 24 % Toastbrot

26 %

Sonstige Sorten

7 % Dinkelbrot

4 % Roggenbrot

6 %

Vollkornbrot 11 %

Brote mit Körnern & Saaten

15 %

Weizenbrot 7 %

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Getreideverzehr genauso wie bei anderen Lebensmitteln, besonders auf die Vielfalt in der Er-nährung zu achten. Jedes Getreide hat sein eigenes Nährstoffprofil und die Vielfalt in unserer Ernährung sorgt für eine optimale Versorgung mit Mikronährstoffen. Probieren Sie doch mal Hirse statt Reis als Beilage oder Nudeln aus Emmer.278

Vielfalt und Qualität erreichen Sie beim Getreide, indem Sie unterschiedliche Sorten in Vollkornqualität – am besten aus nachhaltiger Landwirtschaft – verzehren. Bisher ist das Voll-kornangebot in manchen Segmenten allerdings noch recht dünn. Tragen Sie mit Ihrer Nach-frage dazu bei, dass es sich vergrößert. Aber auch die Politik ist hier gefragt. Eine öffentliche Kampagne hat in Dänemark dafür gesorgt, dass sich der Anteil von Vollkornprodukten an der Ernährung innerhalb von zehn Jahren verdoppelte.279 Trotzdem liegen selbst die vorbildlichen Dänen durchschnittlich immer noch deutlich unter den Verzehrempfehlungen der Gesund-heitsorganisationen.

Wenn Getreide nicht vertragen wird – über Gluten, FODMAPs und ATI

Der Verzehr von Weizenprodukten sorgt bei einigen Menschen für Beschwerden. Vor allem Gluten (auch Klebereiweiß) gilt hier als Hauptverdächtiger. „Gluten“ ist ein Sammelbegriff für bestimmte Eiweiße, die in Weizen 80 bis 90 Prozent des Gesamtproteins ausmachen.277 Neben Weizen enthalten auch alle mit ihm verwandten Getreidearten Gluten, also Roggen, Gerste, Dinkel und die sogenannten alten Weizensorten. Unter den bei uns heimischen Ge-treiden ist einzig der Hafer nicht mit dem Weizen verwandt. Er enthält kein beziehungsweise kaum Gluten. Hafer kann durch Abfüllanlagen mit Gluten „verunreinigt“ sein; in Bioläden gibt es geprüft sicher glutenfreien Hafer. Gluten ist als Bausteinlieferant für das Wachstum des Keimlings verantwortlich und verleiht dem Getreide die Backfähigkeit, die für Volumen und Elastizität des Teiges sorgt – daher auch sein Name „Klebereiweiß“. Hirse, Hafer, Mais und Reis lassen sich deshalb auch nur zu Fladengebäck verarbeiten.

Etwa 1 Prozent der weltweiten Bevölkerung leidet unter der Autoimmunerkrankung Zö-liakie, einer angeborenen Unverträglichkeit gegenüber Gluten.280 Zöliakie ist kein modernes Phänomen und wurde schon bei den alten Griechen beschrieben. Die klassischen Symptome sind Durchfall und Bauchschmerzen. Denn das Gluten verursacht im Dünndarm Entzündun-gen der Dünndarmzotten, die für die Nährstoffaufnahme zuständig sind. Dadurch wird die

EIN UMSTIEG AUF RATEN

Falls Sie bisher kaum Vollkornerzeugnisse gegessen haben und bei einer Umstellung mer-ken, dass Sie diese nicht gut verdauen können, gehen Sie nicht gleich davon aus, dass Sie eine Unverträglichkeit haben. Ihr Darm muss nun anders verdauen und braucht Zeit für die Umstellung. Essen Sie also zunächst nur kleine Mengen Vollkornprodukte und stellen Sie langsam über zwei bis drei Monate um. Achten Sie auch darauf, gut zu kauen. Nach einer Umstellungszeit vertragen die meisten Menschen Vollkornerzeugnisse gut.

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Nährstoffaufnahme reduziert und es kann zu Mangelerscheinungen kommen. Menschen, die eine Zöliakie haben, sollten sich lebenslang glutenfrei ernähren.

Wie kann man eine Zöliakie testen? Die Diagnose der Zöliakie erfolgt heute auf drei Ebe-nen: der Antikörperbestimmung, der Bestimmung genetischer Risikomarker (HLA-DQ2/

DQ8) sowie der Dünndarmbiopsie. Die Antikörper und genetischen Risikomarker können Sie relativ einfach über eine Blutabnahme bei Ihrem Hausarzt bestimmen lassen. Wer einen negativen Gentest hat, leidet mit etwa 95-prozentiger Sicherheit nicht unter Zöliakie. Ist der Gentest positiv, berechtigt er zu keiner Aussage, sondern muss mit einer Dünndarmbiopsie abgesichert werden. Allerdings ist eine Dünndarmbiopsie bei einem Menschen, der glutenfrei isst, nicht sinnvoll.

Neben der Unverträglichkeit von Gluten (Zöliakie) gibt es auch Allergien gegen Weizen. Da-bei reagiert der Körper auf bestimmte Eiweiße im Getreide. Betroffene, fast nur Bäcker und Konditoren, zeigen meist innerhalb von Minuten Symptome wie Niesreiz, Atembeschwerden und Hautausschlag, aber auch Bauchschmerzen, Durchfall oder Erbrechen. Nachweisen lässt sich die selten vorkommende Allergie durch einen Allergietest beim Arzt. Die Therapie be-steht darin, weizenhaltige Lebensmittel strikt zu meiden.

Es berichten aber deutlich mehr Menschen von Beschwerden nach Weizenverzehr als die we-nigen, die eine Zöliakie oder Weizenallergie haben. Diese Beschwerden werden unter dem sper-rigen Begriff „Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität“ (kurz: Weizensensitivität)

DAS ABC DER UNVERTRÄGLICHKEITEN

„Nahrungsmittelunverträglichkeit“ ist der Oberbegriff für alle reproduzierbaren gesund-heitlichen Beschwerden, die in Zusammenhang mit dem Verzehr von Lebensmitteln auf-treten. Nahrungsmittelallergien sind bei bestimmten Nahrungsmitteln auftretende Unver-träglichkeiten, denen eine krankhaft überschießende Immunreaktion zugrunde liegt (zum Beispiel Milcheiweißallergie, Haselnussallergie oder Zöliakie), während „Nahrungsmittel-intoleranz“ der Sammelbegriff für Unverträglichkeiten ist, an denen das Immunsystem nicht beteiligt ist. Bei einer Intoleranz bildet der Körper zum Beispiel nicht ausreichend spezifische Enzyme oder Transportproteine, um bestimmte Bestandteile der Nahrung ab-zubauen oder in den Körper aufzunehmen. Beispiele: Laktose-, Fruktose-, Histamin- oder FODMAPs-Intoleranz. Eine Malabsorption ist eine Unterform der Intoleranz und bezeich-net die mangelhafte Aufnahme (Absorption) von Lebensmittelbestandteilen. Beispiel:

Fruktose-Malabsorption. Eine Nahrungsmittelsensitivität (auch Überempfindlichkeit) ist eine Unverträglichkeit, deren genaue Ursache noch unbekannt ist. Symptome bessern sich aber durch eine Auslass-Diät. Beispiele: Weizen- oder ATI-Sensitivität. Nahrungs-mittelunverträglichkeiten beeinträchtigen mehr als 20 Prozent der Bevölkerung in Indus-trieländern. Bei einem Viertel der betroffenen Kinder und einem Zehntel der betroffenen Erwachsenen basiert die Unverträglichkeit auf einer Allergie.47

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zusammengefasst.281Offizielle Diagnosekriterien gibt es bislang nicht. Es handelt sich eher um die Beschreibung eines Symptomclusters, das sich durch Bauchschmerzen und Verdauungs-probleme, aber auch viele andere unspezifische Symptome wie Müdigkeit und Kopfschmerzen auszeichnet.

„Weizensensitivität“ ist also ein „nicht definiertes Krankheitsbild mit fehlenden Diagnose-kriterien und unbekannter Häufigkeit“, für das bislang keine zuverlässigen Tests auf Biomarker existieren.282 Daher verwundert es nicht, dass die Häufigkeitsangaben erheblich schwanken und zwischen 0,5 und 13 Prozent der Bevölkerung angegeben werden.283Diese Häufigkeiten beruhen meist auf Selbsteinschätzung und zeigen vor allem, wie viele Menschen glauben, von dem Krankheitsbild betroffen zu sein. Als Auslöser für die Beschwerden werden verschiedene Bestandteile von Weizen diskutiert. Die heißesten Kandidaten sind das Getreideprotein ATI (Amylase-Trypsin-Inhibitoren) und die Fructane, wasserlösliche Zucker aus der Gruppe der FODMAPs (fermentable oligo-, di-, monosaccharides and polyols, zu Deutsch: fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und Polyole).

Neben Gluten enthält Weizen Hunderte anderer Proteine, die verschiedene regulieren-de Aufgaben bei Keimung und Wachstum haben.279ATI ist eines von diesen Proteinen und kommt in Weizen, aber auch in Roggen und Gerste vor.284Alte Weizensorten wie Dinkel, Em-mer und Einkorn enthalten weniger ATI als moderner Hochleistungsweizen, haben aber im-mer noch einen im Vergleich zu Hafer, Quinoa und Reis hohen ATI-Gehalt.

Sorte Gluten ATI Fructane

Weizen hoch hoch hoch

Roggen hoch hoch hoch

Gerste hoch hoch hoch

Dinkel hoch mittel hoch

Emmer hoch mittel hoch

Einkorn hoch mittel hoch

Hafer frei frei frei

Mais frei frei frei

Hirse frei mittel frei

Buchweizen frei mittel frei

Quinoa frei gering frei

Amarant frei frei frei

Reis frei frei frei

GEHALT VON GLUTEN, ATI UND FRUCTANEN IN GETREIDE

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Nährstoffaufnahme reduziert und es kann zu Mangelerscheinungen kommen. Menschen, die eine Zöliakie haben, sollten sich lebenslang glutenfrei ernähren.

Wie kann man eine Zöliakie testen? Die Diagnose der Zöliakie erfolgt heute auf drei Ebe-nen: der Antikörperbestimmung, der Bestimmung genetischer Risikomarker (HLA-DQ2/

DQ8) sowie der Dünndarmbiopsie. Die Antikörper und genetischen Risikomarker können Sie relativ einfach über eine Blutabnahme bei Ihrem Hausarzt bestimmen lassen. Wer einen negativen Gentest hat, leidet mit etwa 95-prozentiger Sicherheit nicht unter Zöliakie. Ist der Gentest positiv, berechtigt er zu keiner Aussage, sondern muss mit einer Dünndarmbiopsie abgesichert werden. Allerdings ist eine Dünndarmbiopsie bei einem Menschen, der glutenfrei isst, nicht sinnvoll.

Neben der Unverträglichkeit von Gluten (Zöliakie) gibt es auch Allergien gegen Weizen. Da-bei reagiert der Körper auf bestimmte Eiweiße im Getreide. Betroffene, fast nur Bäcker und Konditoren, zeigen meist innerhalb von Minuten Symptome wie Niesreiz, Atembeschwerden und Hautausschlag, aber auch Bauchschmerzen, Durchfall oder Erbrechen. Nachweisen lässt sich die selten vorkommende Allergie durch einen Allergietest beim Arzt. Die Therapie be-steht darin, weizenhaltige Lebensmittel strikt zu meiden.

Es berichten aber deutlich mehr Menschen von Beschwerden nach Weizenverzehr als die we-nigen, die eine Zöliakie oder Weizenallergie haben. Diese Beschwerden werden unter dem sper-rigen Begriff „Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität“ (kurz: Weizensensitivität)

DAS ABC DER UNVERTRÄGLICHKEITEN

„Nahrungsmittelunverträglichkeit“ ist der Oberbegriff für alle reproduzierbaren gesund-heitlichen Beschwerden, die in Zusammenhang mit dem Verzehr von Lebensmitteln auf-treten. Nahrungsmittelallergien sind bei bestimmten Nahrungsmitteln auftretende Unver-träglichkeiten, denen eine krankhaft überschießende Immunreaktion zugrunde liegt (zum Beispiel Milcheiweißallergie, Haselnussallergie oder Zöliakie), während „Nahrungsmittel-intoleranz“ der Sammelbegriff für Unverträglichkeiten ist, an denen das Immunsystem nicht beteiligt ist. Bei einer Intoleranz bildet der Körper zum Beispiel nicht ausreichend spezifische Enzyme oder Transportproteine, um bestimmte Bestandteile der Nahrung ab-zubauen oder in den Körper aufzunehmen. Beispiele: Laktose-, Fruktose-, Histamin- oder FODMAPs-Intoleranz. Eine Malabsorption ist eine Unterform der Intoleranz und bezeich-net die mangelhafte Aufnahme (Absorption) von Lebensmittelbestandteilen. Beispiel:

Fruktose-Malabsorption. Eine Nahrungsmittelsensitivität (auch Überempfindlichkeit) ist eine Unverträglichkeit, deren genaue Ursache noch unbekannt ist. Symptome bessern sich aber durch eine Auslass-Diät. Beispiele: Weizen- oder ATI-Sensitivität. Nahrungs-mittelunverträglichkeiten beeinträchtigen mehr als 20 Prozent der Bevölkerung in Indus-trieländern. Bei einem Viertel der betroffenen Kinder und einem Zehntel der betroffenen Erwachsenen basiert die Unverträglichkeit auf einer Allergie.47

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zusammengefasst.281Offizielle Diagnosekriterien gibt es bislang nicht. Es handelt sich eher um die Beschreibung eines Symptomclusters, das sich durch Bauchschmerzen und Verdauungs-probleme, aber auch viele andere unspezifische Symptome wie Müdigkeit und Kopfschmerzen auszeichnet.

„Weizensensitivität“ ist also ein „nicht definiertes Krankheitsbild mit fehlenden Diagnose-kriterien und unbekannter Häufigkeit“, für das bislang keine zuverlässigen Tests auf Biomarker existieren.282 Daher verwundert es nicht, dass die Häufigkeitsangaben erheblich schwanken und zwischen 0,5 und 13 Prozent der Bevölkerung angegeben werden.283Diese Häufigkeiten beruhen meist auf Selbsteinschätzung und zeigen vor allem, wie viele Menschen glauben, von dem Krankheitsbild betroffen zu sein. Als Auslöser für die Beschwerden werden verschiedene Bestandteile von Weizen diskutiert. Die heißesten Kandidaten sind das Getreideprotein ATI (Amylase-Trypsin-Inhibitoren) und die Fructane, wasserlösliche Zucker aus der Gruppe der FODMAPs (fermentable oligo-, di-, monosaccharides and polyols, zu Deutsch: fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und Polyole).

Neben Gluten enthält Weizen Hunderte anderer Proteine, die verschiedene regulieren-de Aufgaben bei Keimung und Wachstum haben.279ATI ist eines von diesen Proteinen und kommt in Weizen, aber auch in Roggen und Gerste vor.284Alte Weizensorten wie Dinkel, Em-mer und Einkorn enthalten weniger ATI als moderner Hochleistungsweizen, haben aber im-mer noch einen im Vergleich zu Hafer, Quinoa und Reis hohen ATI-Gehalt.

Sorte Gluten ATI Fructane

Weizen hoch hoch hoch

Roggen hoch hoch hoch

Gerste hoch hoch hoch

Dinkel hoch mittel hoch

Emmer hoch mittel hoch

Einkorn hoch mittel hoch

Hafer frei frei frei

Mais frei frei frei

Hirse frei mittel frei

Buchweizen frei mittel frei

Quinoa frei gering frei

Amarant frei frei frei

Reis frei frei frei

GEHALT VON GLUTEN, ATI UND FRUCTANEN IN GETREIDE

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Die experimentelle Forschung zeigt, dass ATI Entzündungen im Dünndarm und eine Ak-tivierung des Immunsystems bewirken können.284Die Erkenntnisse zu einer ATI-armen Er-nährung befinden sich aber noch in einem frühen Stadium. Trotzdem kann es sinnvoll sein, bei chronischen Darmbeschwerden Getreide mit hohem ATI-Gehalt zu reduzieren und auszu-probieren, ob diese Maßnahme das Wohlbefinden bessert. Dabei können ATI-sensitive Men-schen eine einfache Diätfaustregel beachten und sich glutenfrei ernähren. Denn glutenfreie Getreide haben nur wenig oder gar kein ATI.279

Neben ATI werden bestimmte Zucker verdächtigt, für die Symptome nach Getreideverzehr verantwortlich zu sein, die sogenannten FODMAPs. FODMAPs sind eine große Gruppe von Zuckern, darunter Fruktose in Obst und Gemüse, Laktose in Milchprodukten, Polyole in Zu-ckeraustauschstoffen und Fructane in Getreide (vor allem Roggen und Weizen). Diese werden bei Betroffenen im Dünndarm nicht aufgespalten und gelangen weitgehend unverdaut in den Dickdarm. Dort zerlegen dann Bakterien die Zucker, was zu unangenehmer Gasbildung führt und Beschwerden wie Bauchmerzen und Durchfall auslösen kann (► Abbildung unten).285 Fructanhaltige Getreide wie Roggen, Weizen und Dinkel gehören damit – genau wie Bohnen und Kohl – zu den sogenannten blähenden Lebensmitteln.

In einer doppelblinden, randomisierten und placebokontrollierten Studie, also in einer Stu-die, in der weder die Teilnehmer noch die Versuchsleiter wussten, wer was bekommt, fand man tatsächlich heraus, dass nicht Gluten, sondern Fructan die Ursache für die Beschwerden bei Menschen mit Weizensensitivität sein kann.286

Getreidearten unterscheiden sich in ihrem FODMAP-Gehalt erheblich. Roggen, Weizen und Dinkel haben einen hohen Gehalt,287,288während zum Beispiel Hafer, Hirse, Reis und Mais wenig oder gar keine FODMAPs aufweisen (► Tabelle Seite 119).285Da glutenfreie Getreide

FODMAPs

FODMAPs (Fructane) können Beschwerden im Darm auslösen. 285

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auch nur wenig Fructane haben, profitieren Menschen mit einer FODMAP-Intoleranz von glutenfreien Produkten.289Oft berichten Betroffene auch, dass sie Dinkelbrot deutlich besser vertragen als Brot aus Weizen. Vermutlich liegt das aber nicht an der Getreideart, sondern vor allem daran, dass Dinkelbrot häufiger in traditioneller Teigführung mit langen Gehzeiten hergestellt wird. Durch die lange Fermentierung werden die Zucker, also die FODMAPs, von Mikroorganismen verdaut und das Brot enthält weniger FODMAPs als ein Brot mit kurzer Teigführung.285,290Auch durch die Backzeit werden FODMAPs reduziert.

In Untersuchungen der Universität Hohenheim zeigte sich so auch, dass es nicht so sehr die Inhaltsstoffe sind, die die Verträglichkeit von Brot bestimmen, sondern vielmehr die Länge der Gehzeit des Teiges.291 Industriebrote im Supermarkt werden aus Fertigmischungen innerhalb von 2 Stunden hergestellt. In dieser Zeit können die FODMAPs nicht ausreichend abgebaut werden. Bei traditioneller Zubereitung von Brot geht der Teig bis zu 30 Stunden. Dieses Slow Baking scheint für die Verträglichkeit von Brot äußerst wichtig zu sein. Außerdem enthalten Industriebrote oft viele Zusatzstoffe, die zu Beschwerden führen können. Wir kaufen unser Brot deswegen bei einem Hamburger Traditionsbäcker, bei dem der Teig in drei Stufen vom Vorteig bis zum backfertigen Brotteig bis zu 27 Stunden Zeit hat zu gehen. Das schmeckt man.

Ist eine glutenfreie Ernährung für Gesunde sinnvoll? Viele Menschen, die keine Darmbe-schwerden haben, fragen sich, ob sie trotzdem von einer glutenfreien Ernährung gesund-heitlich profitieren können. Glutenfreie Produkte sind inzwischen ein großer Markt, in dem jährlich global knapp 22 Milliarden umgesetzt werden. Durch geschicktes Marketing ist es gelungen, Menschen ohne Beschwerden zu suggerieren, sie könnten sich durch glutenfreie Produkte gesünder ernähren. Das ist Marketing-Humbug. Um das Ausmaß des Glutenfrei-Phänomens zu illustrieren, hier ein paar Zahlen: Im Juli 2021 listete Amazon rund 3000 Bü-cher zum Thema „glutenfrei“ und eine Google-Suche produzierte neun Millionen Einträge in 0,51 Sekunden. In den USA greifen rund 30 Prozent der Bevölkerung regelmäßig zu gluten-freien Produkten,292 in Deutschland sind es nach Angaben von Statista um die 18 Prozent.

Sogar Kinder ohne jegliche Beschwerden werden glutenfrei ernährt.

„Glutenfrei“ bedeutet keinesfalls automatisch „gesund“. Viele glutenfreie Produkte enthal-ten wenig Ballaststoffe, viel Zucker, ungesunde Fette und Salz. Untersuchungen deuenthal-ten darauf hin, dass eine glutenfreie Ernährung für die allgemeine Bevölkerung eher mit gesundheit-lichen Nachteilen verbunden ist.293 Dazu kommt noch, dass glutenfreie Produkte meist deut-lich teurer sind als herkömmdeut-liche. Falls Sie keine Zöliakie haben, überprüfen Sie regelmäßig,

„Glutenfrei“ bedeutet keinesfalls automatisch „gesund“. Viele glutenfreie Produkte enthal-ten wenig Ballaststoffe, viel Zucker, ungesunde Fette und Salz. Untersuchungen deuenthal-ten darauf hin, dass eine glutenfreie Ernährung für die allgemeine Bevölkerung eher mit gesundheit-lichen Nachteilen verbunden ist.293 Dazu kommt noch, dass glutenfreie Produkte meist deut-lich teurer sind als herkömmdeut-liche. Falls Sie keine Zöliakie haben, überprüfen Sie regelmäßig,

Im Dokument ERNAHRUNG HEUTE UND MORGEN (Seite 117-123)