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Eiweiße und Gesundheit

Im Dokument ERNAHRUNG HEUTE UND MORGEN (Seite 67-71)

Welche Rolle spielen Eiweiße?

Gibt es aus gesundheitlicher Sicht Unterschiede zwischen tierischem und pflanzlichem Eiweiß?

Sollte man im Alter mehr Eiweiß essen?

Hat eine eiweißreiche Ernährung gesundheitliche Gefahren?

Kann man mit eiweißreicher Kost abnehmen?

Eiweiße (auch Proteine) sind neben Kohlenhydraten und Fetten der dritte Hauptnährstoff un-serer Ernährung. Dieser grundlegende Stoff wurde im Eiklar des Hühnereis entdeckt – daher der Name. Erst später wurde deutlich, dass sich Proteine auch im Eigelb und in allen unseren Körperzellen befinden. Eiweiße sind aus Ketten von Aminosäuren komplex zusammengesetzt.

Es gibt 20 verschiedene Aminosäuren. Sie haben alle eine Grundstruktur, die aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff besteht. Proteine werden im Stoffwechsel von Men-schen, Tieren, Pflanzen, Pilzen, Bakterien und Hefen gebildet.

Eiweiße liefern uns wie Kohlenhydrate und Fette Energie. Sie haben aber eine Sonderstel-lung, weil sie vor allem als Struktur- und Baumaterial für unsere Zellen von großer Bedeutung sind. Ob Muskelgewebe, Organe, Blut oder Immunsystem, an allen Zellen sind Eiweiße struk-turell beteiligt. Außerdem haben sie als Bestandteil von Enzymen und Hormonen wichtige regulierende Funktionen. Insulin, das den Blutzuckerspiegel reguliert, ist ein Beispiel dafür.

Auch wichtige Schutzfunktionen für unseren Körper übernehmen Eiweiße. Die Antikörper des Immunsystems sind aus Aminosäuren aufgebaut. Sie binden eingedrungene Fremdstoffe und Krankheitserreger und machen sie auf diese Weise unwirksam.

Aus den 20 Aminosäuren werden um die 100.000 verschiedene Proteine in unserem Körper zusammengesetzt.132 Die Baupläne der Proteine sind im genetischen Code, der DNA, festge-legt. Einige Eiweiße sind nur aus zwei Aminosäuren aufgebaut, andere aus 30.000. Neun der 20 Aminosäuren (Isoleucin, Leucin, Lysin, Methionin, Phenylalanin, Threonin, Tryptophan, Valin, Histidin), die für die Konstruktion von Eiweißen benötigt werden, können im mensch-lichen Organismus nicht neu aufgebaut werden: Sie sind daher essenziell (unentbehrlich), wir müssen sie mit der Nahrung aufnehmen.

Um die 75 bis 80 Prozent der freien Aminosäuren im Körper befinden sich in der Musku-latur, der Rest in Leber, Darmschleimhaut, Gehirn und im Blut.47 Eiweiße aus der Nahrung werden von unserem Verdauungssystem so lange zerlegt, bis nur noch einzelne Aminosäuren übrig sind. Die Darmzellen nehmen sie auf und transportieren sie über die Blutbahn zu den Körperzellen. Dort werden sie zu verschiedenen Eiweißen zusammengebaut, die der Körper benötigt. Beim Eiweißstoffwechsel entstehen auch Abbauprodukte, die entsorgt werden müs-sen. Dies geschieht in der Leber. Die Fettdepots speichern so gut wie keine Eiweiße. Nicht

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benötigte Aminosäuren werden in ihre Stickstoffverbindungen zerlegt und von den Nieren ausgeschieden. Der kontrollierte Auf-, Um- und Abbau von Aminosäuren ist für den mensch-lichen Organismus essenziell und überlebenswichtig.47

Viele wissen nicht, dass zu viel Protein in der Nahrung auch zu Übergewicht führen kann.

Nehmen wir größere Mengen Eiweiß zu uns, zum Beispiel bei einem Grillabend, wandelt der Körper überschüssige Aminosäuren durch Gluconeogenese in Zucker um. Sind die Glukose-speicher voll, wird die Glukose in Fett umgewandelt und eingelagert. Über diesen Mechanis-mus kann eine hohe Proteinaufnahme zu einer Insulinausschüttung und langfristig zu Über-gewicht führen.133

In fast allen Lebensmitteln – pflanzlichen wie tierischen – kommen Eiweiße vor. Besonders proteinreiche Lebensmittel sind: Fisch, Fleisch, Ei, Milch, Käse, Hülsenfrüchte (Bohnen, Lin-sen), Nüsse und Vollkornprodukte. Sehen Sie dazu auch die Tabelle auf Seite 71.

Während die Kalorienmenge, die wir aus Zuckern und leicht verdaulichen Kohlenhydraten zu uns nehmen, seit den 1970er-Jahren stark angestiegen ist,134 liegt der Proteinanteil in der Ernährung westlicher Länder seit Jahrzenten relativ stabil bei etwa 16 Prozent.135 Auch die verschiedenen Ernährungsweisen der Blue Zones (► Seite 28ff.) haben einen Eiweißanteil von 14 bis 17 Prozent.136

Eiweiße und Gesundheit

Im Vergleich zu Fetten und Kohlenhydraten, die abwechselnd immer wieder verteufelt wur-den, haben Proteine einen viel besseren Ruf und spielen in den meisten Diäten eine wichtige Rolle. Auch viele Sportler schwören auf eine proteinreiche Kost, um ihre Leistungsfähigkeit zu steigern. Die Industrie nutzt dieses positive Image und bewirbt proteinreiche Lebensmittel als besonders gesund. So ist nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung der Umsatz von proteinreichen Produkten 2020 im Vergleich zu 2019 um satte 26 Prozent gestiegen.

Proteinverdünnung in hoch verarbeiteten Lebensmitteln

Im Jahr 2005 formulierten zwei Forscher von der University of Sydney, Stephen J. Simpson und David Raubenheimer, erstmals ihre Hypothese von der Proteinverdünnung in unserer Ernährung.137 Viele der modernen, hoch verarbeiteten Lebensmittel werden mit ungesun-den Fetten und schnell verdaulichen Kohlenhydraten angereichert und haben dadurch im Verhältnis einen kleineren Proteinanteil als wenig verarbeitete Lebensmittel. Die Proteine werden sozusagen „verdünnt“. Die Hypothese besagt, dass Proteine so wichtig für unser Überleben sind, dass wir erst satt sind, wenn wir ausreichend Proteine aufgenommen ha-ben.137 Sättigungsgefühl und Proteinaufnahme hängen eng zusammen, wie viele Studien bestätigen.138 Die beiden Forscher nehmen an, dass wir uns auf der Suche nach ausreichend Proteinen, die unser Körper braucht, mit Fetten und Kohlenhydraten in den verarbeiteten Lebensmitteln überessen.139 Wir nehmen auf diese Weise ständig zu viel zu uns und sind trotzdem nie lange satt. Dieser Effekt könnte ganz erheblich zu der globalen Übergewichts- und Fettleibigkeitsepidemie beitragen.

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Eiweiße

Welche Rolle spielen Eiweiße?

Gibt es aus gesundheitlicher Sicht Unterschiede zwischen tierischem und pflanzlichem Eiweiß?

Sollte man im Alter mehr Eiweiß essen?

Hat eine eiweißreiche Ernährung gesundheitliche Gefahren?

Kann man mit eiweißreicher Kost abnehmen?

Eiweiße (auch Proteine) sind neben Kohlenhydraten und Fetten der dritte Hauptnährstoff un-serer Ernährung. Dieser grundlegende Stoff wurde im Eiklar des Hühnereis entdeckt – daher der Name. Erst später wurde deutlich, dass sich Proteine auch im Eigelb und in allen unseren Körperzellen befinden. Eiweiße sind aus Ketten von Aminosäuren komplex zusammengesetzt.

Es gibt 20 verschiedene Aminosäuren. Sie haben alle eine Grundstruktur, die aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff besteht. Proteine werden im Stoffwechsel von Men-schen, Tieren, Pflanzen, Pilzen, Bakterien und Hefen gebildet.

Eiweiße liefern uns wie Kohlenhydrate und Fette Energie. Sie haben aber eine Sonderstel-lung, weil sie vor allem als Struktur- und Baumaterial für unsere Zellen von großer Bedeutung sind. Ob Muskelgewebe, Organe, Blut oder Immunsystem, an allen Zellen sind Eiweiße struk-turell beteiligt. Außerdem haben sie als Bestandteil von Enzymen und Hormonen wichtige regulierende Funktionen. Insulin, das den Blutzuckerspiegel reguliert, ist ein Beispiel dafür.

Auch wichtige Schutzfunktionen für unseren Körper übernehmen Eiweiße. Die Antikörper des Immunsystems sind aus Aminosäuren aufgebaut. Sie binden eingedrungene Fremdstoffe und Krankheitserreger und machen sie auf diese Weise unwirksam.

Aus den 20 Aminosäuren werden um die 100.000 verschiedene Proteine in unserem Körper zusammengesetzt.132 Die Baupläne der Proteine sind im genetischen Code, der DNA, festge-legt. Einige Eiweiße sind nur aus zwei Aminosäuren aufgebaut, andere aus 30.000. Neun der 20 Aminosäuren (Isoleucin, Leucin, Lysin, Methionin, Phenylalanin, Threonin, Tryptophan, Valin, Histidin), die für die Konstruktion von Eiweißen benötigt werden, können im mensch-lichen Organismus nicht neu aufgebaut werden: Sie sind daher essenziell (unentbehrlich), wir müssen sie mit der Nahrung aufnehmen.

Um die 75 bis 80 Prozent der freien Aminosäuren im Körper befinden sich in der Musku-latur, der Rest in Leber, Darmschleimhaut, Gehirn und im Blut.47 Eiweiße aus der Nahrung werden von unserem Verdauungssystem so lange zerlegt, bis nur noch einzelne Aminosäuren übrig sind. Die Darmzellen nehmen sie auf und transportieren sie über die Blutbahn zu den Körperzellen. Dort werden sie zu verschiedenen Eiweißen zusammengebaut, die der Körper benötigt. Beim Eiweißstoffwechsel entstehen auch Abbauprodukte, die entsorgt werden müs-sen. Dies geschieht in der Leber. Die Fettdepots speichern so gut wie keine Eiweiße. Nicht

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benötigte Aminosäuren werden in ihre Stickstoffverbindungen zerlegt und von den Nieren ausgeschieden. Der kontrollierte Auf-, Um- und Abbau von Aminosäuren ist für den mensch-lichen Organismus essenziell und überlebenswichtig.47

Viele wissen nicht, dass zu viel Protein in der Nahrung auch zu Übergewicht führen kann.

Nehmen wir größere Mengen Eiweiß zu uns, zum Beispiel bei einem Grillabend, wandelt der Körper überschüssige Aminosäuren durch Gluconeogenese in Zucker um. Sind die Glukose-speicher voll, wird die Glukose in Fett umgewandelt und eingelagert. Über diesen Mechanis-mus kann eine hohe Proteinaufnahme zu einer Insulinausschüttung und langfristig zu Über-gewicht führen.133

In fast allen Lebensmitteln – pflanzlichen wie tierischen – kommen Eiweiße vor. Besonders proteinreiche Lebensmittel sind: Fisch, Fleisch, Ei, Milch, Käse, Hülsenfrüchte (Bohnen, Lin-sen), Nüsse und Vollkornprodukte. Sehen Sie dazu auch die Tabelle auf Seite 71.

Während die Kalorienmenge, die wir aus Zuckern und leicht verdaulichen Kohlenhydraten zu uns nehmen, seit den 1970er-Jahren stark angestiegen ist,134 liegt der Proteinanteil in der Ernährung westlicher Länder seit Jahrzenten relativ stabil bei etwa 16 Prozent.135 Auch die verschiedenen Ernährungsweisen der Blue Zones (► Seite 28ff.) haben einen Eiweißanteil von 14 bis 17 Prozent.136

Eiweiße und Gesundheit

Im Vergleich zu Fetten und Kohlenhydraten, die abwechselnd immer wieder verteufelt wur-den, haben Proteine einen viel besseren Ruf und spielen in den meisten Diäten eine wichtige Rolle. Auch viele Sportler schwören auf eine proteinreiche Kost, um ihre Leistungsfähigkeit zu steigern. Die Industrie nutzt dieses positive Image und bewirbt proteinreiche Lebensmittel als besonders gesund. So ist nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung der Umsatz von proteinreichen Produkten 2020 im Vergleich zu 2019 um satte 26 Prozent gestiegen.

Proteinverdünnung in hoch verarbeiteten Lebensmitteln

Im Jahr 2005 formulierten zwei Forscher von der University of Sydney, Stephen J. Simpson und David Raubenheimer, erstmals ihre Hypothese von der Proteinverdünnung in unserer Ernährung.137 Viele der modernen, hoch verarbeiteten Lebensmittel werden mit ungesun-den Fetten und schnell verdaulichen Kohlenhydraten angereichert und haben dadurch im Verhältnis einen kleineren Proteinanteil als wenig verarbeitete Lebensmittel. Die Proteine werden sozusagen „verdünnt“. Die Hypothese besagt, dass Proteine so wichtig für unser Überleben sind, dass wir erst satt sind, wenn wir ausreichend Proteine aufgenommen ha-ben.137 Sättigungsgefühl und Proteinaufnahme hängen eng zusammen, wie viele Studien bestätigen.138 Die beiden Forscher nehmen an, dass wir uns auf der Suche nach ausreichend Proteinen, die unser Körper braucht, mit Fetten und Kohlenhydraten in den verarbeiteten Lebensmitteln überessen.139 Wir nehmen auf diese Weise ständig zu viel zu uns und sind trotzdem nie lange satt. Dieser Effekt könnte ganz erheblich zu der globalen Übergewichts- und Fettleibigkeitsepidemie beitragen.

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Wer aus der These zur Proteinverdünnung nun den Schluss zieht, dass es gesund sei, ganz viel Eiweiß zu essen, hat sie gründlich missverstanden. Die Autoren betonen immer wieder ausdrücklich, dass es bei einer optimalen Ernährung vor allem um die ausgewogene Zusam-mensetzung der Lebensmittel geht.139 Wir sollten also abwechslungsreiche und unverarbeitete Lebensmittel essen. Dann nehmen wir auch die drei Hauptnährstoffe im richtigen Verhältnis zueinander auf und verhindern, dass wir ständig zu viel essen und trotzdem dauernd Heiß-hunger haben.

Helfen Proteine beim Abnehmen?

Im Alltag und in wissenschaftlichen Studien hat sich immer wieder bestätigt, dass man mit einer eiweißreichen Diät innerhalb von kurzer Zeit ziemlich viel Gewicht abbauen kann.140 Eine solche Diät sättigt, wirkt sich positiv auf den Blutzucker aus und hat eine bessere Ener-giebilanz als andere Diätformen.138 Sollten wir dann nicht alle viel mehr Protein essen? Nein, denn wie so oft gibt es eine Kehrseite. Eine proteinreiche Ernährung wirkt sich zwar positiv auf Gewicht und den Blutzucker aus, langfristig führt sie aber zu vorzeitiger Alterung und er-höht das Risiko für Krebs.141

Ein Zuviel an Proteinen ist gesundheitsschädlich

Durch zu viel Eiweiß geraten regulierende Stoffwechselmechanismen aus dem Gleichge-wicht. Protein bedeutet immer Wachstum von Zellen. Dabei wachsen aber nicht nur Mus-kelzellen, sondern auch Zellen, die unserer Gesundheit schaden, wie Krebszellen. Einer der wichtigsten Altersforscher, Valter Longo von der University of Southern California, konnte mit seinem Team zeigen, dass ein hoher Proteinkonsum das Risiko für Krebs eindeutig er-höht.141 Eine eiweißreduzierte Kost hat dagegen eine lebensverlängernde Wirkung bei Mäu-sen142, 143 und auch beim Menschen.141 An diesen erstaunlichen Ergebnissen scheinen zwei bestimmte wachstumsregulierende Moleküle mit den kryptischen Namen mTOR und IGF-1 beteiligt zu sein.

Das Eiweiß mTOR (mammalian target of rapamycin) kommt in allen Zellen von Säugetieren vor. Es überwacht die Nahrungs- und Energieversorgung. Wenn genug Nahrung da ist, gibt es den Zellen das Signal zu wachsen. Umgekehrt signalisiert es bei Nahrungsmangel, dass sich Zellen seltener teilen, dafür aber alte Zellbestandteile repariert werden. In der heutigen Zeit, in der wir durchgehend Zugriff auf Nahrung haben und nie hungern, bekommen die Zellen also fortwährend Wachstumssignale. Damit bewirkt mTOR auch, dass Krebszellen wachsen.

Möglicherweise erklärt das, warum Überernährung und Krebs zusammenhängen.144 Außer-dem könnte es die gesundheitsfördernde Wirkung des Fastens erklären, denn mTOR aktiviert bei Nahrungsmangel die Autophagie und damit das Zellreparaturprogramm (► Seite 216).

IGF-1 (insulin-like growth factor 1) ist ebenfalls ein Eiweiß und gehört zu den Hormonen.

Es ist strukturell dem Insulin sehr ähnlich und wie mTOR ein wesentlicher Faktor für die Steuerung des Zellwachstums. Es wird überwiegend in der Leber hergestellt und reguliert Wachstum, Differenzierung und Vermehrung von Zellen. Zwischen dem IGF-1-Spiegel und

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der Sterblichkeit ließ sich ein enger Zusammenhang herstellen.145 Ein erhöhter Eiweißkon-sum hängt mit höheren IGF-1-Werten zusammen und diese erhöhen das Risiko für Krebs und andere chronische Erkrankungen – das ließ sich besonders für einen hohen Anteil von tieri-schem Protein in der Nahrung nachweisen.141

Eine erhöhte Proteinzufuhr steigert also den Level der Wachstumsfaktoren mTOR und IGF-1 und beschleunigt damit den Alterungsprozess und das Wachstum von Krebszellen. Über kom-plexe Stoffwechselprozesse sind mTOR und IGF-1 auch an der Entstehung von Übergewicht und Diabetes beteiligt. Positiv lassen sich die beiden Wachstumsfaktoren durch Kalorien- reduktion beeinflussen, zum Beispiel mit Fasten.146, 147 Die Reduktion der Wachstumsfaktoren könnte ein wichtiger Mechanismus für ein gesundes, langes Leben sein.148

Sind pflanzliche oder tierische Proteine gesünder?

Wir Deutsche beziehen unsere Proteine vor allem aus tierischen Lebensmitteln wie Fleisch, Wurst, Milch, Käse und Butter. Seit vielen Jahren gibt es eine hitzige Debatte darüber, ob tierische oder pflanzliche Eiweiße gesünder für den Menschen sind. Grundsätzlich sind beide Eiweißarten aus den gleichen 20 Aminosäuren aufgebaut. Sie unterscheiden sich allerdings zum Teil erheblich in ihrer Zusammensetzung und darin, wie effizient sie zur Bildung von körpereigenem Protein genutzt werden können. Man nennt das die biologische Wertigkeit.

Zur Berechnung wurde Volleiprotein willkürlich als Referenzprotein mit einer biologischen Wertigkeit von 100 festgelegt.47

Der Aufbau von tierischen Eiweißen ist menschlichen Eiweißen ähnlicher und dadurch ha-ben diese Eiweiße eine besonders hohe biologische Wertigkeit. Aber auch zahlreiche pflanzli-che Eiweißquellen können mit einer sehr guten Wertigkeit aufwarten. Dazu gehören Bohnen, Linsen, Soja, Leinsamen, Nüsse, Getreide, Buchweizen und Algen. Durch die geschickte Kom-bination von Lebensmitteln kann die Wertigkeit verbessert werden, sogar über 100. Kombi-niert man Ei und Kartoffeln, kann man zum Beispiel eine Wertigkeit von bis zu 136 erreichen47, Kartoffeln mit Rindfleisch weisen eine Wertigkeit von bis zu 114 auf. Auch rein pflanzliche Kom-binationen können mit einer hohen biologischen Wertigkeit überzeugen: Soja und Reis kom-biniert, weisen Werte von bis zu 111 auf, der Mix aus Bohnen und Mais bis zu 99.

Viele Wissenschaftler und Ernährungsberater empfehlen wegen der hohen Wertigkeit, tie-rische Eiweißquellen für eine optimale Gesundheit zu nutzen. Der Langlebigkeits-Forscher David A. Sinclair ist Professor für Genetik an der Harvard Medical School und beschreibt in seinem Buch „Das Ende des Alterns“, dass wir die Aminosäuren aus tierischen Quellen zwar gut verwerten können, dass wir aber eindeutig weniger davon essen sollten, als wir es tun.149 Denn größere Mengen rotes oder verarbeitetes Fleisch (wie zum Beispiel Wurst) schaden unserer Gesundheit und wurden von der Weltgesundheitsorganisation als krebserregend ein-gestuft (► Seite 137). Viele Studien weisen nach, dass der hohe Konsum von tierischen Amino-säuren zu zahlreichen negativen Stoffwechselvorgängen und chronischen Krankheiten führt.

Prof. Mingyang Song, ebenfalls von der renommierten Harvard Medical School in Boston, wertete Datensätze von 85.013 Frauen und 46.329 Männern aus. Danach zeigen Menschen,

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Wer aus der These zur Proteinverdünnung nun den Schluss zieht, dass es gesund sei, ganz viel Eiweiß zu essen, hat sie gründlich missverstanden. Die Autoren betonen immer wieder ausdrücklich, dass es bei einer optimalen Ernährung vor allem um die ausgewogene Zusam-mensetzung der Lebensmittel geht.139 Wir sollten also abwechslungsreiche und unverarbeitete Lebensmittel essen. Dann nehmen wir auch die drei Hauptnährstoffe im richtigen Verhältnis zueinander auf und verhindern, dass wir ständig zu viel essen und trotzdem dauernd Heiß-hunger haben.

Helfen Proteine beim Abnehmen?

Im Alltag und in wissenschaftlichen Studien hat sich immer wieder bestätigt, dass man mit einer eiweißreichen Diät innerhalb von kurzer Zeit ziemlich viel Gewicht abbauen kann.140 Eine solche Diät sättigt, wirkt sich positiv auf den Blutzucker aus und hat eine bessere Ener-giebilanz als andere Diätformen.138 Sollten wir dann nicht alle viel mehr Protein essen? Nein, denn wie so oft gibt es eine Kehrseite. Eine proteinreiche Ernährung wirkt sich zwar positiv auf Gewicht und den Blutzucker aus, langfristig führt sie aber zu vorzeitiger Alterung und er-höht das Risiko für Krebs.141

Ein Zuviel an Proteinen ist gesundheitsschädlich

Durch zu viel Eiweiß geraten regulierende Stoffwechselmechanismen aus dem Gleichge-wicht. Protein bedeutet immer Wachstum von Zellen. Dabei wachsen aber nicht nur Mus-kelzellen, sondern auch Zellen, die unserer Gesundheit schaden, wie Krebszellen. Einer der wichtigsten Altersforscher, Valter Longo von der University of Southern California, konnte mit seinem Team zeigen, dass ein hoher Proteinkonsum das Risiko für Krebs eindeutig er-höht.141 Eine eiweißreduzierte Kost hat dagegen eine lebensverlängernde Wirkung bei Mäu-sen142, 143 und auch beim Menschen.141 An diesen erstaunlichen Ergebnissen scheinen zwei bestimmte wachstumsregulierende Moleküle mit den kryptischen Namen mTOR und IGF-1 beteiligt zu sein.

Das Eiweiß mTOR (mammalian target of rapamycin) kommt in allen Zellen von Säugetieren vor. Es überwacht die Nahrungs- und Energieversorgung. Wenn genug Nahrung da ist, gibt es den Zellen das Signal zu wachsen. Umgekehrt signalisiert es bei Nahrungsmangel, dass sich Zellen seltener teilen, dafür aber alte Zellbestandteile repariert werden. In der heutigen Zeit, in der wir durchgehend Zugriff auf Nahrung haben und nie hungern, bekommen die Zellen also fortwährend Wachstumssignale. Damit bewirkt mTOR auch, dass Krebszellen wachsen.

Möglicherweise erklärt das, warum Überernährung und Krebs zusammenhängen.144 Außer-dem könnte es die gesundheitsfördernde Wirkung des Fastens erklären, denn mTOR aktiviert bei Nahrungsmangel die Autophagie und damit das Zellreparaturprogramm (► Seite 216).

IGF-1 (insulin-like growth factor 1) ist ebenfalls ein Eiweiß und gehört zu den Hormonen.

Es ist strukturell dem Insulin sehr ähnlich und wie mTOR ein wesentlicher Faktor für die Steuerung des Zellwachstums. Es wird überwiegend in der Leber hergestellt und reguliert Wachstum, Differenzierung und Vermehrung von Zellen. Zwischen dem IGF-1-Spiegel und

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der Sterblichkeit ließ sich ein enger Zusammenhang herstellen.145 Ein erhöhter

der Sterblichkeit ließ sich ein enger Zusammenhang herstellen.145 Ein erhöhter

Im Dokument ERNAHRUNG HEUTE UND MORGEN (Seite 67-71)