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5. Diskussion

5.5 Genistein- und Daidzeingehalte im Kolostrum als Biomarker?

Der Hyperöstrogenismus bei neugeborenen Ferkeln wird häufig mit einer Zearalenonbelastung der Muttersau in Verbindung gebracht (BÖHM 2000; WALDMANN u. WENDT 2004). Vor dem Hintergrund anderer möglicher Ursachen sollte untersucht werden, ob die estrogene Aktivität im Kolostrum der Muttersau Rückschlüsse auf eine erhöhte Isoflavonaufnahme zulässt und die Isoflavongehalte im Kolostrum als Marker im Screeningverfahren verwendet werden können. Von besonderem Interesse war in diesem Zusammenhang die Frage, ob es bei den mit der Nahrung aufgenommenen Isoflavonen Genistein und Daidzein zu einer Anreicherung im Organismus kommt. Von anderen lipophilen Stoffen wie z. B. DDT, PCBs und Dioxinen weiß man, dass sie sich im Fettgewebe anreichern und unter ungünstigen Bedingungen (z. B. Hungerzustand) aus diesen Depots wieder freigesetzt werden (BOLT u. DEGEN 2002). Eine weitere Ursache für die Freisetzung aus den Fettdepots stellt bei der Milchkuh der Übergang von einer Trockenstehphase in die Laktation dar (SCHULZ et al. 2005). Untersuchungen mit Milchkühen zeigten z. T. hohe Transferraten (= Übergang als Anteil in das Gemelk/Tag) von derartigen Stoffen aus den Futtermitteln in die Milch; sie lagen für DDT bei 80 %, für PCBs zwischen 2 – 70 % und für Dioxine bei 25 % (BLÜTHGEN 2006). Mit der Nahrung aufgenommene Phytoestrogene ließen sich bei stillenden Müttern in der Milch nachweisen (FRANKE u. CUSTER 1996; FRANKE et al.

1998). Entsprechend einem schnellen und steilen Anstieg von Isoflavongehalten im Plasma nach dem Verzehr von Sojabohnen, zeichnete sich in den Untersuchungen entsprechend dem Mechanismus der Blut-Milch-Schranke ein ebenso schneller und dosisabhängiger Anstieg in der Muttermilch ab. Das Maximum der Isoflavonkonzentration in der Milch wurde 10 bis 14 Stunden nach Sojaaufnahme erreicht; ein Konzentrationsplateau stellte sich nach zwei bis vier Tagen ein.

Die Sekretion von Phyoestrogenen aus der Nahrung in die Milch zeigte sich gegenüber den oben genannten Stoffen als sehr gering; sie lag in einem Fütterungsvorhaben mit Ratten bei lediglich 0,04

% nach einmaliger Aufnahme von 50 mg Isoflavone/kg Körpermasse (LEWIS et al. 2003). Die eigenen Untersuchungen mit Sauenkolostrum (Aufnahme von durchschnittlich 42 mg

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Genistein/Daidzeingemisch pro Tier und Tag ca. sieben Tage vor der Abferkelung, KARALJOV Dissertation in prep.) führten zu ähnlichen Ergebnissen. Die Gesamtgehalte an Genistein und Daidzein lagen bei durchschnittlich 274,8 µg/L Kolostrum (Min 163, 9 g/L, Max 386, 5 µg/L, siehe Tabelle 4.16); somit konnten umgerechnet ca. 0,03 % der aufgenommenen Isoflavone (10 g/Tier/Tag; rechnerisch 10 Liter Milch pro Tag) nachgewiesen werden. Insgesamt war der Übergang von Phyoestrogenen in die Muttermilch somit relativ niedrig gegenüber den hohen Transferraten von z. B. DDT oder Dioxinen und entsprach eher dem Transferverhalten von Stoffen wie z. B. Mykotoxinen (Transferrate in Kuhmilch: Aflatoxin 1 - 7 %, übrige Mykotoxine bis 0,3 %), Phthalaten (Transferrate: 0,2 %) oder Nitrofen (Transferrate: 0,05 %; BLÜTHGEN 2006).

Die relativ niedrigen Genistein- und Daidzeinkonzentrationen der Versuchsgruppe und auch der Vergleich mit den Gehalten der Kontrollgruppe (durchschnittlich 110,7 µg Genistein und Daidzein pro Liter Kolostrum, siehe Tabelle 4.16) lassen keine klaren Aussagen zu einem Depotverhalten der beiden Substanzen im Organismus zu. Nach der Aufnahme von hohen Isoflavongehalten über einen längeren Zeitraum wurden im Kolostrum der Tiere aus der Versuchsgruppe bei einem möglichen Depotverhalten der Substanzen höhere Konzentrationen als lediglich das zweifache der Kontrollgruppe erwartet. Die Tatsache jedoch, dass die Kontrolltiere Gehalte an Genistein und Daidzein aufzeigten, sprach für ein Depotverhalten der Isoflavone. Bei der einsetzenden Laktation wurden eventuell gespeicherte Substanzen freigesetzt. Dies ist jedoch nicht eindeutig zu klären, da auch der Wechsel von „üblichen“ sojahaltigen Futtermitteln auf Kontrollfutter (isoflavonarm) in diesem Versuch für die Kontrolltiere z. T. nur drei Tage zurücklag. Die Rückkehr von Isoflavongehalten zu einem niedrigen Ausgangswert im Plasma kann jedoch je nach Umfang der enterohepatischen Zirkulation mehere Tage in Anspruch nehmen (BARNES et al. 1996).

Gesetzmäßigkeiten zu dem Einlagerungsmechanismus sprechen ebenfalls nicht für ein Depotverhalten. Unpolare freie Substanzen zeigen hohe Übertrittsraten in das Fettgeweben.

Genistein und Dadizein besitzen jedoch in ihrer chemischen Struktur zum einen aromatische Formen mit unsubstituierten Kohlenstoffatomen, die eine Möglichkeit zur erleichterten hydrophilen Komplexierung und damit beschleunigter Ausscheidung aus dem Organismus darstellen. Zum anderen finden sich bei Genistein und Daidzein phenolische Gruppen, die im Körper durch den Phase-II-Metabolismus glukuronidiert bzw. sulfatiert werden. Die entstehenden Konjugate werden umgehend eliminiert. Bei der gegebenen Isoflavonexposition war nicht mit einer Sättigung des Phase-II-Metabolismus zu rechnen, und somit war auch die Gefahr einer Anreicherung im

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Organismus gering. Dies bestätigten auch tierexperimentelle Daten nach mehrfacher Verabreichung von Bisphenol A und p-tert-Octylphenol, bei der es nicht zu Depoteffekten der Stoffe kam (DEGEN et al. 2002).

Die Ergebnisse der Kolostrumuntersuchung mittels HPLC-UV Verfahren ließen eine Unterscheidung zwischen Sauen der Kontroll- und Versuchsgruppe zu. Die Gehalte von Genistein und Daidzein im Kolostrum der Sauen aus der Versuchsgruppe entsprachen dabei jedoch lediglich dem Zweifachen der Kolostrumgehalte der Kontrolltiere (siehe Abbildung 4.29). Mit steigender Aufnahme von Genistein und Daidzein erhöhten sich die Gehalte dieser Substanzen im Kolostrum.

Eine derartige Beobachtung konnte mit dem Luciferaseassay nicht gemacht werden; die Gehalte an EEQ im Kolostrum schwankten sowohl bei den Tieren der Kontrollgruppe als auch bei denen der Versuchsgruppe um nahezu einen Wert (alpha HEK: 1,37 µg EEQ/L, beta HEK: 1,38 µg EEQ/L).

Die EEQ-Werte sind dabei vermutlich nicht auf die estrogene Aktivität der Isoflavone zurückzuführen, sondern resultieren vielmehr aus den Estradiolkonzentrationen zum Zeitpunkt des Abferkelns. Untersuchungen zu den 17-ß-Estradiolgehalten im Plasma und Kolostrum von tragenden Sauen zum Zeitpunkt des Abferkelns zeigten Gehalte von 1,5 – 2 µg 17-ß-Estradiol pro Liter Kolostrum unmittelbar nach dem Abferkeln (DEVILLERS et al. 2004). Diese Werte korrelieren eng mit den gemessenen EEQ-Werten von 1,04 µg EEQ/L bis 1,63 µg EEQ/L. Die Abbildung 5.2 macht deutlich, dass der Luciferaseassay für die Untersuchungen von Kolostrum im Rahmen eines Screeeningverfahrens ungeeignet ist; eine Differenzierung zwischen den Gehalten an EEQ bei Kontroll- und Versuchstieren ist aufgrund der hohen Estradioleffekte nicht möglich und somit sind keine Rückschlüsse auf eine erhöhte Isoflavonaufnahme möglich.

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Abb. 5.2: Ergebnisse der Kolostrumuntersuchungen auf Genistein- und Daidzeingehalte (µg/L) bzw. EEQ-Werte (µg/L). Darstellung der Ergebnisse als Box-Plots im Bezug auf die unterschiedlichen Untersuchungsverfahren HPLC-UV und Luciferaseassay (Median, Quantile und Bereiche ohne Ausreißer)