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5. Diskussion

5.4 Gehalte estrogenartig wirkender Substanzen in Futtermitteln für Sauen

Vor dem Hintergrund möglicher negativer Effekte auf die Fertilität von Sauen wurden mit dem Luciferaseassay Futtermittel auf estrogenartig wirkende Substanzen „gescreent“. Die Futtermittel stammten aus Betrieben mit dem Vorbericht „Fruchtbarkeitsstörungen“ und zum Vergleich wurden Proben untersucht, die keinen negativen Vorbericht aufwiesen. Im Vorfeld wurden zunächst exemplarisch Futtermittel (n = 3) analysiert, die durch eine klinisch relevante Konzentration an Zearalenon (> 50 µg/kg Futter, HPLC-Verfahren; WOLF persönliche Mitteilung) auffällig wurden.

Die gemessene estrogene Aktivität dieser Futterproben schwankte zwischen 270,3 und 364,9 µg EEQ/kg uS in den alpha HEK Zellen und 284,6 und 358,1 µg EEQ/kg uS in den beta HEK Zellen. Um diese Gehalte beurteilen zu können, war es notwendig, sie mit den Messwerten der folgenden Untersuchungen zu vergleichen. Hierfür wurden gezielt Proben ausgesucht, die Zearalenonkonzentrationen < 5 µg/kg aufwiesen (siehe Tabelle 4.15). Dadurch konnte Zearalenon in diesen Proben als Ursache estrogener Aktivtät ausgeschlossen werden. Die Futtermittelproben

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aus Betrieben mit Fertilitätsstörungen zeigten durchschnittliche estrogene Wirkungen von 275,8 µg EEQ/kg uS (alpha HEK, Min 106,8 µg EEQ/kg uS, Max 532,8 µg EEQ/kg uS) und 295,0 µg EEQ/kg uS (beta HEK, Min 133,1 µg EEQ/kg uS, Max 555,7 µg EEQ/kg uS). Diese Werte waren höher als die gemessenen estrogenen Aktivitäten in Futtermitteln aus Betrieben ohne negativen Vorbericht (siehe Tabelle 4.15, alpha HEK durchschnittlich 204,9 µg EEQ/kg uS; beta HEK durchschnittlich 213,3 µg EEQ/kg uS). Durch die geringe Probenzahl ließen sich der Unterschied in den EEQ-Gehalte der Futtermittel jedoch nicht signifikant absichern. Im Vergleich mit den estrogenen Aktivitäten in Futtermitteln aus Betrieben mit und ohne Hyperöstrogenismus in der Studie von KLUCZKA (2003) zeigten die ermittelten EEQ-Werte der vorliegenden Arbeit z. T. um den Faktor 1,7 x 102 höhere Werte (Betrieb mit Hyperöstrogenismus; 3,4 – 126,3 µg EEQ/kg uS;

ohne Hyperöstrogenismus: 1,2 – 77,5 µg/kg uS, KLUCZKA 2003). Diese Unterschiede in den Dimensionen der estrogenen Aktivität sind auf die unterschiedlichen Extraktionsverfahren zurückzuführen. In der vorliegenden Arbeit wurden die gebundenen Isoflavone durch eine effektive enzymatische Behandlung in freie Aglykone umgewandelt; diese sind estrogenaktiv (siehe Abb.

4.14). Um erhöhte EEQ-Gehalte in einen direkten Zusammenhang mit Fertititätsstörungen zu bringen, fehlen noch weitere Untersuchungen (größere Probenanzahl). TEAGUE konnte nach Verabreichung von 750 µg EEQ/kg Futter bei Sauen eine Vergrößerung von Vulva und Cervix beobachten (TEAGUE 1955). In einer Studie zum Vorkommen von estrogen wirksamen Inhaltsstoffen im Rinderfutter wurden in Grassilagen EEQ-Gehalte von 9 – 1931 µg/kg Trockensubstanz gemessen; negative Auswirkungen auf das Reproduktionsgeschehen konnten für die Proben mit hohen Konzentrationen an estrogen aktiven Substanzen nicht ausgeschlossen werden (KHODABANDEHLOU et al. 1997). Für die Beurteilung quantitativer Angaben der estrogenen Aktivität von Futtermitteln im Zusammenhang mit Fruchtbarkeitsstörungen sind auch die Aspekte der Empfindlichkeit bestimmter Tierspezies gegenüber einzelnen estrogen wirksamen Substanzen sowie die unterschiedlichen Wirkungsweisen im Organismus zu beachten. Auf diese Punkte wird an anderer Stelle genauer eingegangen (siehe unten).

In der vorliegenden Studie zeigten die EEQ-Werte der Futtermittel generell große Spannungsbreiten. Um die Ursache für die Schwankungen zu klären, mussten die Futtermittelproben bezüglich ihrer Zusammensetzung genauer betrachtet werden. Es lag die Vermutung nahe, dass bei den gegebenen Mischfutterzusammensetzungen mit einem mehr oder weniger großen Anteil an Sojaextraktionsschrot, die Isoflavone aus dem Soja einen wesentlichen

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Teil der estrogenen Aktivität verursachten (BINGHAM et al. 1998). Durch die Messung der Hauptisoflavongehalte mittels HPLC-UV Verfahren sollte geprüft werden, welche Bedeutung die Isoflavone bei der estrogenen Gesamtaktivität hatten und ob nicht vielleicht weitere unbekannte Faktoren mit estrogener Wirkung eine Rolle spielten. In die Korrelationsberechnung wurden weitere Futtermittel einbezogen, die sich durch einen geringen Isoflavongehalt auszeichneten (siehe Tabelle 4.15, alpha HEK 19,6 µg EEQ/kg uS; beta HEK 22,1 µg EEQ/kg uS). Es ergaben sich sowohl für die alpha als auch für die beta HEK Zellen enge Korrelationen zwischen dem Gesamtgehalt an Genistein und Daidzein sowie dem EEQ-Wert der Proben (siehe Abbildung 4.16, alpha HEK r2 = 0,974, beta HEK r2 = 0,972). Dies legte die Vermutung nahe, dass in den meisten Fällen die in den Futtermitteln gemessene estrogene Aktivität auf die Wirkung von Genistein und Daidzein zurückzuführen war. Unterstellt man den Isoflavonen aus dem Sojaextraktionsschrot eine estrogene Aktiviät im Bereich von 2328,2 µg EEQ/kg uS (alpha HEK Zellen) und 2681,8 µg EEQ/kg uS (beta HEK Zellen), so spiegelt sich der Isoflavongehalt (Sojaschrotanteil) in den meisten Fällen in den estrogenen Aktivitäten wider (siehe Abbildung 4.17 und Tabelle 9.13). Um estrogene Wirkungen zu detektieren, die sich nicht durch die Genistein- und Daidzeingehalte erklären lassen, war es notwendig, die Anteile an Sojaextraktionsschrot im Futtermittel zu berücksichtigen. Bei einer Einteilung der Mischfuttermittelproben auf der Basis des Sojaanteils (Gruppen 0 – 8 %, 10 – 14 % und 15 – 20 % Sojaextraktionsschrot) wurden gewisse Spannungsbreiten innerhalb dieser Gruppen deutlich. Die estrogenen Aktivitäten der jeweiligen Gruppen setzten sich dabei klar voneinander ab (p<0,05) und schwankten jeweils in einem umschriebenen Bereich (siehe Abbildung 5.1). Diese Schwankungen sind auf die unterschiedlichen Gehalte an Isoflavonen in Sojabohnen unterschiedlicher Herkunft, Sorte und Erntejahr bzw. -zeitpunkt etc. zurückzuführen (ELDRIGE u. KWOLEK 1983). Die Konzentration an Isoflavonen kann nach FRANKE et al. 1995 dabei in verschiedenen Sojabohnen- und sorten zwischen „nicht nachweisbar“ und Gehalten in g/kg-Bereich liegen (siehe auch Tabelle 2.3).

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Abb. 5.1: Estrogene Aktivität in Mischfutterproben (n = 17) unter Berücksichtigung der Anteile an Sojaextraktionsschrot, dargestellt sind Mediane, Quantile mit Bereichen ohne Ausreißer sowie Ausreißerwerte und Proben mit klinisch relevanten Zearalenongehalten

Unterschiedliche Kleinbuchstaben kennzeichnen signifikante Unterschiede unter den Gruppen (p>0,05)

Durch die Berücksichtigung der zu erwartenden estrogenen Aktivität (ausgedrückt in Quantilen), waren Futtermittelproben aufgefallen (= Ausreißer), die eine unerwartet hohe estrogene Aktivität aufwiesen, welche sich nicht durch die üblichen Gehalte von Genistein und Daidzein erklären ließen (Gruppe 10 – 14%: 391,7 µg EEQ/kg uS in alph HEK Zellen; 406,9 µg EEQ/kg uS in beta HEK Zellen, Gruppe 15 – 20 %: 555,7 µg EEQ/kg uS in beta HEK Zellen). Wie zu Beginn berichtet, kann eine Zearalenonkontamination in diesen Fällen ausgeschlossen werden, so dass andere Quellen wie weitere Phytoestrogene aus anderen Futtermittelkomponenten (z. B. Leinsamen und Rapsextraktionsschrot) in Betracht gezogen werden können. Neben den Isoflavonen, Coumestanen und Lignanen als natürlich vorkommende estrogen aktive Substanzen in Futtermitteln, können als mögliche Quelle estrogen wirkender Stoffe auch solche anthropogenen Ursprungs in Frage kommen. Rückstände einer Vielzahl von xenobiotischen Substanzen wie Industriechemikalien (v. a. Pestizide) oder Phthalaten haben eine estrogene Potenz und können in

Ausreißer

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die Futtermittel gelangen (SONNENSCHEIN u. SOTO 1998). So wurden weltweit Pestizide eingesetzt, ohne die enorme Persistenz in der Umwelt zu berücksichtigen. Ein negatives Beispiel ist das Insektizid Dichlorodiphenylenetrichlorethan (DDT), das seit den 70er Jahren verboten, aber dennoch bis heute in der Umwelt nachweisbar ist. Die Reihe der Pestizide mit estrogener Wirkung kann auf Stoffe wie Methoxychlor, Endosulfan, Toxaphen, Dieldrin und Pentachlorphenol ausgeweitet werden (SOTO et al. 1995; K. J. TURNER u. SHARPE 1997). Des Weiteren kann es bei Verarbeitung, Transport und Lagerung der Futtermittel durch Migration von Phthalaten aus vorhandenen Kunststoffmaterialien zu einer Kontamination kommen, wie es seit längerem für die Lebensmittel bekannt ist (PETERSEN u. BREINDAHL 2000). Die Wirkung der Xenoestrogene ist wesentlich geringer als die von natürlichen Estrogenen; ihre relative estrogene Aktivität schwankt in einem Bereich von 10-7 bis 10-3 gegenüber 17-ß-Estradiol (SOTO et al. 1995; NAKAI et al.

1999). Bei einer durchschnittlichen Belastung der Futtermittel durch Umweltkontaminanten erscheint eine biologische Relevanz der genannten Chemikalien im Organismus fraglich. Jedoch können durch lokale Besonderheiten, die zu erhöhten Konzentrationen in der Umwelt führen, Konzentrationen erreicht werden, die nachweislich als schädlich eingestuft werden. Des Weiteren sind additive Effekte zu berücksichtigen; schwach estrogen wirksame Chemikalien (Pestizide) zeigten in Kombination einen größeren Effekt als die Einzelkomponenten (GAIDO et al. 1997).

Während die Phytoöstrogene Genistein und Daidzein untereinander - aber auch mit Estradiol – in den eigenen Untersuchungen rein additive Effekte zeigten (siehe 5.3), sind additive oder auch synergistische Effekte mit den Chemikalien nicht auszuschließen und bedürfen weiterer Untersuchungen. Entsprechende Wirkungen der Phytoestrogene in Kombination mit Zearalenon sind ebenfalls denkbar. In Futtermitteln treten häufig mehrere Mykotoxine gleichzeitig auf; die möglichen Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Toxinen sind z. T. gegensätzlich, da die einzelnen Symptome auf unterschiedliche Mechanismen zurückzuführen sind. In einer Studie, in der mögliche Wechselwirkungen von Deoxynivalenol (DON), Zearalenon (ZEA) und Fumonisin B1

untersucht wurden, führte die Kombination hoher Konzentrationen von DON und ZEA zu synergistischen Wirkungen (BOEIRA et al. 2000). Die erwähnten Untersuchungen von Futterproben mit einer Zearalenonkontamination (> 50 µg/kg uS) zeigten im Luciferaseassay eine estrogene Aktivität, die unter Berücksichtigung der Wirkungen von Genistein und Daidzein zu erhöhten EEQ-Gehalten (siehe Abb. 5.1, mit Sternchen markierte Ausreißer) führten. Diese waren eben nicht mit den Gehalten an Isoflavonen zu erklären, sondern sind auf die estrogenen Wirkungen

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des ZEA zurückzuführen. Inwiefern es sich in diesen Fällen sogar um synergistische Effekte zwischen den Phytoestrogenen und Zearalenon handelt, muss weiter untersucht werden. Für die Beurteilung der estrogenen Aktivität in zearalenonkontaminierten Proben sind ebenfalls die Verhältnisse in vivo zu berücksichtigen. Estrogene Wirkungen, die bereits im Luciferaseassay deutlich sichtbar sind, können im Körper zu noch stärkeren Effekten führen. Im Gegensatz zu den Phytoestrogenen nimmt die estrogene Aktivität von ZEA nach der Metabolisierung im Organismus zu, und die primären Metaboliten alpha- und beta-Zearalenol besitzen eine höhere Aktivität als das Toxin selbst (OLSEN u. KIESSLING 1983). Die Konzentration jedes Metaboliten von ZEA ist stark abhängig von der jeweiligen Spezies. Beim Menschen und beim Schwein werden hauptsächlich an Glukuronsäure konjugiertes ZEA und alpha-Zearalenol gebildet; beim Rind konnten vor allem Sulfatkonjugate und beta Zearalenol nachgewiesen werden (GAREIS et al.

1990). Des Weiteren spielt die relativ lange biologische Halbwertszeit des ZEA (mehrere Tage) eine große Rolle; es zirkuliert lange zwischen Darm und Leber (BÖHM 2000).

Es besteht kein Zweifel darüber, dass Schweine (v. a. Jungsauen) eine besondere Empfindlichkeit gegenüber ZEA aufweisen und die Aufnahme erhöhter Gehalte (> 50 µg/kg uS) negative Effekte auf die Fruchtbarkeit hat (BÖHM 2000). Im Gegensatz dazu weiß man noch sehr wenig über die Effekte der Phytoestrogene auf die Reproduktion der Schweine (LUNDH 1995). In Studien mit gezielter Zulage von Soja (20%) bzw. Isoflavonkonzentraten (8 mg/kg Futter bis 3,3 g/kg Futter) zum Mischfutter für Schweine, konnten keine belastbaren Aussagen zu gravierenden Störungen der Reproduktion gemacht werden (DRANE et al. 1981; KARALJOV, Dissertation in prep.). DRANE et al. (1981) stellte nach fünfwöchiger Fütterung (20 % Soja) von tragenden bzw. laktierenden Sauen zwar eine Vergrößerung der Vulva fest; eine histologische Untersuchung des Reproduktionsapparates ergab jedoch keine Unterschiede zwischen Versuchs- und Kontrollgruppe.

Auch in den neueren Studien konnte das Bild des Hyperestrogenismus mit der Zugabe von Phytoestrogenen nicht provoziert werden (XIHUI et al. 2004, KARALJOV Dissertation in prep.).

Die Studien wurden jedoch mit sehr geringen Tierzahlen durchgeführt, so dass weiterführende Untersuchungen noch ausstehen. Grenzwerte für tolerierbare Konzentrationen von Phyotestrogenen im Futter können bisher weder für Schweine noch für andere Tierarten angegeben werden. Die gemessene durchschnittliche estrogene Aktivtät in Futtermitteln von Betrieben mit Fertilitätsstörungen (alpha HEK: 275,8 µg EEQ/kg uS; beta HEK: 295,0 µg EEQ/kg uS) war höher als die durchschnittliche estrogene Wirkung im Futter der Betriebe ohne negativen Vorbericht, doch

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müssen aufgrund der geringen Probenzahl weitere Untersuchungen zur statistischen Absicherung durchgeführt werden.