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1 Einführung

1.7 Forschungsstand zur Vergletscherungsgeschichte des Arbeitsgebietes

Die Namen der Gletscher, Talschaften oder Flussläufe in der Literatur variieren nicht selten.

Daher sind in diesem Kapitel die in der eigenen Arbeit verwandten Bezeichnungen - sofern sie von denen der jeweiligen Autoren abweichen - in Klammern mit angeführt.

HAGEN (1968, S. 61) beschreibt eiszeitliche Moränendepositionen im Marsyandi Khola bei Braga und Manang, die an den Talflanken bis 200 m über die rezente Schottersohle hinaufreichen. Hieraus schließt er auf eine extrem mächtige pleistozäne Vereisung. In eine spätere interglaziale Phase stellt HAGEN (1968, S. 61) aufgrund beinahe den gesamten Talboden einnehmenden diamiktischen Ablagerungen ein von orographisch links herrührendes Murereignis. Diese Mursedimente, unterlagen laut HAGEN darauffolgend fluvialer Erosion bzw. wurden während einer diluvialen Phase durch Aufschotterung einer Sohle nivelliert. Für die anschließende Ausräumung jener Schotter macht er Schmelzwasser- und Gletschererosion im Bereich der Tiefenlinie verantwortlich. Hierbei, so beschreibt HAGEN, blieben jedoch Reste der zuvor ausgebildeten Schotterebene auf den Randbereichen der nun entstandenen Terrassen erhalten. Anhand von Lateralmoränen, die eben jenen Terrassen auflagern, schließt er auf eine erneute Vorstoßphase des Marsyandi-Gletschers.

Weiterhin berichtet HAGEN (1968, S. 110) von Ufermoränen im Narsing Tal, einem orographisch linken Nebental des Thak Khola (Kali Gandaki). Gut erhaltene Lateral- sowie

Endmoränen findet er in den Zusammenflussbereichen der tributären von Westen ins Kali Gandaki mündenden Täler Kyugoma, Thakmar, Karr, Charang und Mustang. Er diagnostiziert sie als eiszeitliche Rückzugsstadien (HAGEN 1968, S. 131). End- und Ufermoränendepositionen zwischen Jomosom und Lete belegen nach HAGEN eiszeitlich bis zum Thak Khola Talbodenniveau hinabfließende Nebentalgletscher (HAGEN 1968, S. 153).

Bezüglich der vorzeitlichen Vereisung als grundlegend müssen die Abhandlungen von KUHLE

(1980, 1982a, 1982b, 1983, 1986a, 1987a, 1988a, 1988b, 1989, 1993, 2004a, 2007) gelten, in denen eine umfängliche hochglaziale Vergletscherung des Dhaulagiri- und Annapurna-Himalaja rekonstruiert wird und darüber hinaus eine relativchronologische Einordnung der holozänen Rückzugsstadien der einzelnen Talgletscher erfolgt. Viele der in der eigenen Arbeit untersuchten Gletscher sind hierin bereits beschrieben. Im Hochglazial (wahrscheinlich würmzeitlich) verlief nach KUHLE die klimatische Schneegrenze N-lich des Hohen Himalaja in 3981 m ü. M., was eine Schneegrenzdepression von 1634 m bedeutet (KUHLE 1982, S.

151). Nach KUHLE bestand eine hochglaziale Gletscherausfüllung des Thak Khola (Kali Gandaki) bis 960 m ü. M. hinab (1983, S. 124) (bis zum Bereich der Einmündung des Au Khola). Jener Gletscher bezog sein Eis nicht nur aus den Nährgebieten des Dhaulagiri- und Annapurna-Himalaja, sondern, in jüngeren Arbeiten KUHLES (2004a, 2007, S. 123, Foto 1) belegt durch in Grundmoränen schwimmende erratische Blöcke im Oberen Thak Khola (Mustang), auch durch einen an die Lokalvergletscherung angeschlossenen tibetischen Auslassgletscher, der würmzeitlich über den Kore La (4661 m ü. M.) abfloss und Eisinjektionen aus Nährgebieten des Sangda- und Damodar-Himalaja erfuhr. Im Oberen Marsyandi Khola rekonstruiert KUHLE (1982a, S. 41) eine 1100 m mächtige hochglaziale Eisverfüllung, die über den Thorung La (Abb. 1; 6) und den Mesokantu La (Abb. 1; 5) Anschluss an den eiszeitlichen Thak Khola-Gletscher fand. Die zu jener Vergletscherungsphase gehörige Zunge des Marsyandi Khola-Gletschers reichte nach JACOBSEN (1990, S. 38) mindestens bis in 1050 m ü. M. herunter. KUHLE (2004a, S. 192, Fig.

40) rekonstruiert den Eisrand des nach seinen Angaben letztglazial ebenfalls von einer tibetischen Auslassgletscherzunge miternährten Marsyandhi Khola-Gletschers gar in 460 m ü.

M. im Himalajavorland, bei der Siedlung Dumre (460 m ü. M.).

Werden die postglazialen Gletscherstände in der Habilitationsschrift KUHLES (1982a u.

1982b, 1983)zunächst für den Annapurna- und Dhaulagiri-Himalaja relativ eingeordnet, so wird jene Stadienabfolge in den Folgejahren, gestützt auf einer Vielzahl glazialgeomorphologischer Feldbefunde sowie Datierungen aus Tibet und den das tibetische

Gletscherstandschronologie umfasst 14 Stadien und greift bis zum vorletzten glazialen Maximum (150.000-120.000 vor heute) zurück (siehe Abb. 112) (siehe u. a. KUHLE 1986a, 1987b, 2001, 2005). KUHLE (1985) rekonstruiert zum LGM (Last Glacial Maximum) ein Inlandeis grönländischen Ausmaßes, das das tibetische Plateau bedeckte und durch seine Randgebirge drainierte. Jene Vergletscherungsrekonstruktion stellt die empirische Grundlage der reliefspezifischen Eiszeittheorie KUHLES (1985, 2002) dar. Von den nacheiszeitlich von KUHLE etablierten Rückzugsstadien sind hinsichtlich der eigenen Arbeit die drei ausgewiesenen neoglazialen Gletscherstände V-`VII (5500-1700 v. 1950 AD), mit Schneegrenzdepressionen zwischen 300 und 80 m, sowie die fünf historischen Stadien VII-XI (1700-400 v. 1950 AD), mit Schneegrenzabsenkungen von 80-20 m, von gesteigertem Interesse (siehe Abb. 112). Die von KUHLE vorgenommene Ausweisung des historischen Zeitraums (<1700 v. 1950 AD bis 1950 AD) wurde mit der Festlegung des historischen Zeitrahmens auf <~1760 vor heute übernommen, wobei mit heute ca. der Abfassungszeitraum der vorliegenden Arbeit (2007-2010 AD) gemeint ist. Unter dem rezenten Zeitrahmen werden im Folgenden die sechs zwischen den Jahren 1950 und 2010 vergangenen Jahrzehnte verstanden.

Im Zusammenhang mit dem empirischen Teil der vorliegenden Schrift finden verstärkt - weil glazialgeomorphologische Forschung der Arbeitsgebiete zum Inhalt habend - die Beiträge KUHLES (1982a u. 1982b) aus dem Jahr 1982 Berücksichtigung. Die dort vorgenommene relative Einordnung des Formeninventars bietet sich an vielen nachfolgend vorgestellten Lokalitäten als Bezugsmöglichkeit an. Darüber hinaus ermöglichen die in den Jahren 1976 und 1977 gemachten Aufnahmen der Gletscherzungen direkte Vergleichsmöglichkeiten mit der Situation während der eigenen Feldkampagne.

Im Rahmen zweier bereits im Zusammenhang des Klimas erwähnten glaziologisch ausgerichteten japanischen Feldforschungen wurden in den Jahren 1974 (siehe FUJII et al.

1976,NAKAWO et al.1976, SHRESTHA et al. 1976) und1994 (FUJII et al. 1996,FUJITA et al.

1997,FUJITA et al. 2001) mittels barometrischem Höhenmesser die Eisrandlagenhöhen von sechs im Unbekannten Tal verorteten Gletschern bestimmt. Hieraus ergibt sich, dass zwei der betrachteten Gletscher in den 30 Jahren zwischen den Messkampagnen vorstießen, während sich die übrigen Eisfronten laut FUJITA et al. (1997, S. 584) zurückverlegt haben. Weiterhin konnte für denselbigen Zeitraum im Fall des rezent größten im Unbekannten Tal befindlichen Eisstroms - dem Rikha Samba-Gletscher (Mukut-Gletscher) - durch Gletscheroberflächen- sowie Echolotmessungen ein Massenverlust von 13% nachgewiesen werden (FUJITA et al.

1997, S. 584).

IWATA (1984) unterscheidet aufgrund des Lagebezugs und anhand der Frische von moränalen Depositionen vier verschiedene Gletscherstadien in der Umgebung von Muktinath sowie zwischen Ghasa und Tukuche. Als jüngste glaziale Ablagerungen beschreibt er Moränenrücken an der Ostabdachung des Dhaulagiri Massivs sowie E-lich des Kali Gandaki unterhalb des Thorung La (Abb. 1) und im die Nilgiri N-Abdachung entwässernden Tal.

Diesen Akkumulationen, die er als „recent moraines“ bezeichnet, ist gemein, dass sie sich in unmittelbarer Nähe zu den Gletscherzungen befinden. Er stellt sie ins Neoglazial (IWATA

1984, S. 29). Bei Moränen zwischen Tukuche und Lete nahe der Tiefenlinie, in den tributären Nebentälern Lete Khola und Kaiku Khola, im Becken von Muktinath (hier allerdings nur kleinräumig S-lich nahe des Muktinath Tempels) sowie hinter Tukuche spricht er von Ablagerungen des Tukuche Stadiums. Er setzt sie zeitlich gleich, da sie die gleichen internen Strukturen aufweisen (IWATA 1984, S. 29). Moränen des nächstälteren Khingar Stadiums befinden sich laut IWATA in der Umgebung von Khingar, N-lich des Jhong Khola im Muktinath Becken, S-lich der Siedlung Thini und nahe dem Dorf Tagrung. Diese Ablagerungen werden als letztglazial entstanden angesprochen (IWATA 1984, S. 30). Auf eine umfänglichere Vergletscherung zu älteren Glazialen weisen, so IWATA, Moränen hin, die er am Fuße des Beckens von Muktinath, hinter Tukuche (die Moränenoberflächen verlaufen 400 m über der rezenten Tiefenlinie), NE-lich des Dorfes Dhampu (430 bis 460 m über die Schottersohle des Kali Gandaki hinaufreichend) und im Bereich der Siedlungen Jhong (im Becken von Muktinath), Khinga und Marpha findet, (IWATA 1984, S. 31).

NachFORT (1985, S. 164 ff, 2000, Fig. 3) beschränkte sich die hochglaziale Vergletscherung N-lich des Dhaulagiri- und Annapurna-Himalaja auf die Nebentäler des Thak Khola. Ihr zu Folge erreichten die aus den Gebirgsgruppen W-lich des Thak Khola sowie N-lich des Dhaulagiri-, Nilgiri- und Thorung-Himal (Muktinath-Himal) hinabfließenden Gletscher mit ihren Eisrandlagen Höhen zwischen 3200 m (Jhong Khola) bis 2000 m (Ghasa).

Die Schlussfolgerungen FORTS (1985) und IWATAS (1984) stehen im Widerspruch zur umfänglicher rekonstruierten Vereisung KUHLES (1980, 1982a, 1982b, 1983, 1986a). In ihren Abhandlungen werden jedoch die Befunde KUHLES nicht diskutiert. Eine ausführliche Aufarbeitung dieses Sachverhaltes findet sich bei WAGNER (2007, S. 45-50, S. 71-73, S. 93-96, S. 113-116, S. 135-141 u. S. 169).

RÖTHLISBERGER (1986, S. 126 ff) rekonstruiert mit Hilfe von 14C Daten des im Marsyandi Khola orographisch rechts nahe der Siedlung Manang liegenden Gangapurna N-Gletschers (28°39'N/84°00'E) (Annapurna III N-Gletscher nach JACOBSEN [1990, S. 33]) einen

weiteren nach 1200 v. 1950 AD. Die hier von RÖTHLISBERGER datierten Moränen der Gletscherzungenumgebung des Gangapurna N-Gletschers wurden bereits von KUHLE (1982a, S. 100 u. 1982b, Abb. 56) den Stadien VI-VIII zugeordnet, die in späteren Arbeiten KUHLES

(1986a, S. 454 u. 2001, S. 125) ins Neoglazial (Stadium VI-`VII = 4000-1700 v. 1950 AD;

Stadium VII-VII = 1700-300 v. 1950 AD) (siehe Abb. 112) fallen. Vom Gangapurna N-Gletscher, vom Gletscher bei Braga (28°38'N/84°02'E), vom Gletscher bei Ungre (28°35'N/84°03'E) als auch vom Khangsar Khang-Gletscher (28°40'N/83°53'E) berichtet RÖTHLISBERGER (1986, S. 126 ff) von „neuzeitlichen“ (1550-1875 AD) Moränen, die belegen, dass die Gletscher in diesem Zeitraum nicht oder nur annähernd die maximale Ausdehnung der nacheiszeitlichen Hochstände erreichten.

ZECH et al. (2001a) untersuchten mit Hilfe von bodenkundlichen Arbeitstechniken sowie 14C Analysen die Moränen im Umfeld des Annapurna III Gletschers (Gangapurna N-Gletscher). Sie differenzieren zwei neoglaziale und vier spätglaziale Ufermoränen des vorzeitlichen Annapurna III N-Gletschers sowie drei weitere durch den zum Spätglazial im Marsyandi Khola liegenden Haupttalgletscher angelagerte orographisch rechte Moränenleisten. Es besteht ein Unterschied zur vorherigen zeitlichen Einordnung KUHLES

(1982a, S. 100), der die nach ZECH et al. (2001a, S. 153) jüngste spätglaziale Ufermoräne orographisch links des rezenten Gletschers als Nauri Stadium (Stadium V) ausweist, welches in der später für ganz Hochasien etablierten Gletscherstandschronologie ein erster neoglazialer Eisvorstoß (5500-4000 v. 1950 AD) ist (KUHLE 1986a,S.454u.2001, S. 125).

Sich auf die Aussagen älterer Bewohner Manangs berufend, reichte laut ZECH et al (2001a, S.

146) die Gletscherzunge des Annapurna III N-Gletschers zwischen 1920 und 1925 noch bis nahe der Tiefenlinie im Marsyandi Khola (3480 m ü. M.) hinab. Der dort ausgebildete See wird umrahmt von drei Moränenwällen. Die beiden Inneren werden von ZECH et al. (2001a) als im 19. Jahrhundert aufgeschoben eingeordnet, während der äußere Wall neoglaziales Alter haben soll. Zwischen See und rezentem Eisrand befindet sich ein Moränenlobus, der in einer Höhe von 3650 m endet, nach ZECH et al. (2001a, S. 146) genetisch zu einer orographisch linken Laterofrontalmoränenleiste (ZECH et al. 2001a, Foto 1; 1 2) gehört und nach Aussagen Einheimischer einen Eisrand um 1970/75 repräsentiert. Vergleicht man jedoch die fotographische Aufnahme KUHLES (1982b, Abb. 56) aus dem Jahr 1977 mit dem Foto von ZECH et al. (2001, Foto 1), ist anhand des Lagebezugs zu einer orographisch rechts des proglazialen Schmelzwasserabflusses befindlichen Baumgesellschaft deutlich erkennbar, dass die Gletscherzungenfront 1977 und zum Zeitpunkt der Aufnahme ZECHS et al. (das Aufnahmedatum wird in der Arbeit leider nicht mit angegeben) die gleiche Position einnahm.

Auch die absoluten Höhenangaben der beiden Autoren bezüglich der jeweils vorgefundenen Gletscherzungenenden stimmen mit in beiden Fällen 3750 m ü. M. genau überein (KUHLE

1982a, S. 100, ZECH et al, S. 146). Da es als unwahrscheinlich gelten muss, dass sich das Zungenende des Annapurna III N-Gletschers in zwei bis sieben Jahren (ZECH et al. ordnen den Eisstand zwischen 1970 und 1975 ein; das Foto KUHLES wurde 1977 aufgenommen) um 100 Höhenmeter zurückgezogen hat, ist der vorliegende Moränenlobus als älter einzuordnen.

Die von ZECH et al. (2001a, S. 145) vorgenommene Zuordnung der orographisch linken Laterofrontalmoränenleiste zu einem Gletscherstand 1970/75 erweist sich jedoch durch die Abb. 56 bei KUHLE (1982b) als ca. richtig. Jene Leiste fällt mit dem orographisch linken Eisrand auf dem Foto von 1977 zusammen, das heißt sie wurde tatsächlich in den 1970er Jahren gebildet.

Die Ergebnisse von im Kali Gandaki und seinem Dhaulagiri- und Annapurna-Himalaja-Einzugsgebiet vorgenommenen geomorphologischen Untersuchungen, die im Rahmen sich vornehmlich der pedologischen Relativdatierung sowie unterschiedlichen Methoden der Schneegrenzberechnung widmenden Arbeiten WAGNERS (2005, 2007) durchgeführt wurden, stehen im Einklang mit der generellen räumlichen und zeitlichen Gliederung der von KUHLE

(1980, 1982a, 1982b, 1983) rekonstruierten Vergletscherungsausdehnung (WAGNER 2005, 2007,S.169,2009).