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1   Einleitung

1.2   Zielgerichtete Adressierung solider Tumore

1.2.1   Fibronektin-Spleißform mit ED-B in der Tumorangiogenese

Ein zentraler Mechanismus der Tumorgenese ist die Neubildung von Blutgefäßen (Vaskularisierung) sowie die Sprossung von neuen Kapillaren aus dem umliegenden, gesunden Gewebe (Angiogenese), da der Diffusionsweg von Sauerstoff im Gewebe auf 100 bis 200 μm limitiert ist (Hanahan &

Folkman, 1996; Bergers & Benjamin, 2003; Hoeben et al., 2004). Während diese Prozesse bei der Entwicklung und im gesunden Gewebe zeitlich begrenzt und streng reguliert ablaufen, stimulieren schnell proliferierende Tumorzellen die Ausbildung abnormaler neuer Gefäßstrukturen, in dem sie proangiogene und Wachstumsfaktoren sezernieren. Dazu müssen vaskuläre Endothelzellen und die Extrazelluläre Matrix (ECM) miteinander interagieren (Lu et al., 2012). Proteoglykane und fibrilläre Proteine, wie Kollagen, Elastin, Laminin und Fibronektin sind die Hauptkomponenten der ECM (Järveläinen et al., 2009).

Das von den Gefäßendothelzellen sezernierte Glycoprotein Fibronektin (Fn) interagiert als Dimer in-nerhalb der ECM mit vielen Oberflächenproteinen, insbesondere mit den heterodimeren Rezeptoren der Integrin-Familie (Astrof & Hynes, 2009). Hier bedingt vor allem die Wechselwirkung mit dem Integrin α5β1 die Ausbildung einer funktionellen, fibrillären Matrix von Fn-Molekülen (Schwarzbauer

& Sechler, 1999; Mao & Schwarzbauer, 2005). Generell ist Fn in viele lebenswichtige physiologische Prozesse involviert, z.B. der Zellmorphologie, Zelladhäsion und –migration, der Differenzierung und Proliferation sowie der Wundheilung und Hämostase (Hynes, 1990). Weiterhin zirkuliert eine lösliche Variante von Fn in hoher Konzentration (300-400 μg/mL) im Blutplasma (Pankov & Yamada, 2002), welche in den Leberzellen produziert wird (To & Midwood, 2011).

Abbildung 2. Schematischer Aufbau von Fibronektin. Jede Polypeptidkette eines kovalenten Fn-Dimers ist auf mo-dulare Weise aus den homologen Domänen der drei Typen FnI, FnII und FnIII zusammengesetzt, welche mit den unter-schiedlichen Komponenten der ECM (Integrine, Kollagen, Heparin, Fibrin) interagieren und auf diese Weise die Fi-brillogenese beeinflussen. Dabei ist FnIII als häufigste Domäne insbesondere für die integrinvermittelte Zellbindung verantwortlich. Je nach Gewebe bzw. dessen Entwicklungsstadium enthält FnIII zusätzliche Domänen (Extra-Domäne

NH2 COOH

A, ED-A; Extra-Domäne B, ED-B; Typ III Connecting Segment, IIICS), die auf mRNA-Ebene an drei verschiedenen Spleißstellen inseriert werden. Positionen, an denen N- bzw. O-Glykosylierung auftreten, sind durch schwarze Kopf-striche markiert (White & Muro, 2011).

Zellassoziiertes Fn besteht aus zwei nahezu identischen Untereinheiten, welche durch zwei C-termi-nale Disulfidbrücken kovalent miteinander verknüpft sind (Abbildung 2). Jede Untereinheit mit einer Masse von ca. 250 kDa folgt einem modularen Aufbau aus insgesamt 30-32 Domänen, die sich in re-petitiver Weise perlenschnurartig aneinanderreihen (Hynes, 1990; White et al., 2008). Jede Domäne gehört zu einem von drei unterschiedlichen Faltungstypen (FnI, FnII und FnIII), deren gemeinsames Strukturmerkmal jeweils ein anti-paralleles β-Sandwich darstellt (Fattorusso et al., 1999; Hohenester

& Engel, 2002). Während FnI und FnII durch intrachenare Disulfidbindungen stabilisiert werden, be-wirkt deren Abwesenheit in FnIII eine gewisse strukturelle Elastizität, was insbesondere bei der Reor-ganisation in der ECM während der Wundheilung von Bedeutung ist (Erickson, 2002). Das Auftreten von FnI beschränkt sich vornehmlich auf die N- und C-terminalen Bereiche des Proteins, während der zentrale und mit bis zu 15 Domänen größte Abschnitt allein durch den Faltungstyp FnIII gebildet wird.

FnII dagegen ist mit nur zwei Domänen in der Nähe des N-Terminus nur untergeordnet repräsentiert.

Von besonderer Bedeutung für den FnIII-Abschnitt sind die drei alternativen Exon-Spleißstellen in der mRNA, wodurch im Menschen mehr als 20 verschiedene Fn-Isoformen gebildet werden können (Ffrench-Constant, 1995). Durch die Spleißstelle zwischen FnIII14 und FnIII15 wird in Abhängigkeit von Spezies und Gewebe die größte Variation in der Polypeptidkette erzeugt, da das Segment IICS in sehr unterschiedlichen Spleißvarianten auftreten kann. Die Bildung von Fn-Isoformen mit inserierter Extra-Domäne (ED)-A oder -B zwischen den Domänen FnIII7 und FnIII8 bzw. FnIII11 und FnIII12 kor-reliert stark mit den angiogenen Prozessen in der Embryonalentwicklung (Fukuda et al., 2002) sowie der Wundheilung und Gewebsneubildung im gesunden adulten Gewebe (White & Muro, 2011). In reifen Geweben und Organen von Erwachsenen sind diese Isoformen dagegen außer im weiblichen Fortpflanzungstrakt kaum zu finden (Menrad & Menssen, 2005).

Allerdings ist die mit der Tumorentwicklung einhergehende Angiogenese und Neovaskularisierung ebenfalls mit der Expression der sogenannten onkofetalen ED-A/B-exprimierenden Fn-Isoformen assoziiert (Khan et al., 2005b). Dabei spielt das aus 91 Aminosäuren bestehende ED-B eine besondere Rolle als diagnostischer Tumormarker, da dessen Auftreten ausschließlich auf pathologisches Gewebe beschränkt und ED-B nicht in gesunden Blutgefäßen zu finden ist. Bisher konnte bei einer Vielzahl von Tumorerkrankungen ED-B-positives Fn nachgewiesen werden, darunter Hirntumore (Castellani et al., 2002), Pankreas- und Leberkarzinome (Wagner et al., 2008), Brustkarzinome (Kaczmarek et al., 1994), Kolorektalkarzinome (Pujuguet et al., 1996), Karzinome des Hals- und Rachenraums (Birchler et al., 2003), nicht-kleinzellige (NSC) Lungenkarzinome (Khan et al., 2005a) sowie hämatologische Neoplasien (Sauer et al., 2009).

Seit der Entdeckung der ED-B Domäne (Zardi et al., 1987) wurde an der Entwicklung von monoklo-nalen Antikörpern zum Nachweis von ED-B-positivem Fn in angiogenem Gewebe gearbeitet. Die

Adressierung der Tumorvaskulatur bietet dabei im Vergleich zu konventionellen Therapieansätzen, in denen die Tumorzellen direkt angegriffen werden, mehrere Vorteile: (i) das Gefäßendothel und die ECM sind aufgrund ihrer Durchblutung gut für (Protein)Wirkstoffe zu erreichen, wodurch (ii) die häu-fig in soliden Tumoren limitierte Gewebepermeabilität keine Rolle spielt; (iii) Endothelzellen unter-laufen selten somatische Mutationen und sind – im Gegensatz zu Tumorzellen – keinem ständigen Se-lektionsdruck ausgesetzt, wodurch sie weniger Resistenzmechanismen ausbilden; (iv) die Expression der mit der Tumorvaskulatur assoziierten Zielmoleküle ist weitaus homogener als die Antigenexpres-sion auf den Tumorzellen (Gerber et al., 2009).

Der erste anti-ED-B Antikörper BC-1 eignete sich bereits sowohl für die immunhistochemische An-färbung von humanem Gewebe (Castellani et al., 1994) als auch für eine ED-B-spezifische Tumoran-reicherung in Mäusen (Mariani et al., 1997), dessen Domäne diesselbe Aminosäuresequenz zeigt. Der Durchbruch gelang allerdings erst mit der Selektion des humanen Antikörper-Fragments L19 aus einer semi-synthetischen scFv-Phagenbibliothek, das – nach zwei aufeinanderfolgenden Affinitätsmaturie-rungen – vorgeblich mit einer Dissoziationskonstante (KD) von 54 pM – an ED-B bindet (Pini et al., 1998). Bei diesen Bindungsstudien blieb jedoch der für scFv-Fragmente typische variable Oligome-renstatus unberücksichtigt, so dass dieser KD-Wert die Affinität einer polydispersen Proteinlösung widerspiegelt (Gebauer et al., 2013). Monomeres wie auch nicht kovalent verknüpftes homo-dimeres L19, welche durch Gelfiltration voneinander separiert wurden, führten zu vielversprechenden Ergeb-nissen in präklinischen Tiermodellen für die Diagnostik und Therapie von unterschiedlichen Erkran-kungen mit angiogenem Hintergrund (Viti et al., 1999; Tarli et al., 1999; Birchler et al., 1999). Das galt ebenso für die in den folgenden Jahren durch Protein Engineering generierten Derivate von L19, wie das L19 Small Immunoprotein (SIP; ein mittels der CH4 Domäne eines IgE fusioniertes chimäres scFv-Fragment), das L19-IgG sowie verschiedene bispezifische Formate (Kaspar et al., 2006). Andere L19-Fusionsproteine mit Cytokinen wie IL2 bzw. TNF sowie ein 131I-markiertes SIP haben bereits die klinische Phase I/II erreicht und werden derzeit hinsichtlich ihres Einsatzes zur Behandlung ver-schiedener Tumorerkrankungen evaluiert (Santimaria et al., 2003; Johannsen et al., 2010; Erba et al., 2012; Papadia et al., 2013; Locher et al., 2014). Trotz der bisherigen Erfolge bleiben scFv-Fragmente vor allem aufgrund ihrer Tendenz, unter bestimmten Bedingungen zu dimerisieren oder sogar zu ag-gregieren (Arndt et al., 1998) und damit eine Wirkstoffheterogenität zu bedingen, für die biopharma-zeutische Industrie eine Herausforderung (Goswami et al., 2013).

Kürzlich wurden im Labor von Prof. Skerra (TU München) alternative Bindeproteine basierend auf dem humanen Lipocalin 2 (siehe Abschnitt 1.3) durch bakterielles Phage Display aus einer Zufallsbi-bliothek selektiert, welche ED-B hochspezifisch und mit einer Affinität im niedrigen nanomolaren Be-reich binden (Gebauer et al., 2013). Diese sogenannten Anticaline erkennen mit einem strikt monome-ren Bindungsmodus neben rekombinanten Fn-Fragmenten auch ED-B-positives Fibronektin auf Tu-morzellen und werden zur Zeit zur Diagnose und Klassifizierung von Glioblastomen in humanen Ge-webeschnitten evaluiert (Albrecht et al., 2016).