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1   Einleitung

1.2   Zielgerichtete Adressierung solider Tumore

1.2.2   Carcinoembryonales Antigen (CEA)

Das Carcinoembryonic Antigen (CEA; CEACAM5, CD66) wurde erstmals durch Gold und Freedman beschrieben (Gold & Freedman, 1965a; Gold & Freedman, 1965b). Dieses Protein wurde sowohl in Kolonkarzinomzellen als auch im embryonalen Gewebe des humanen Verdauungstraktes jedoch nicht im gesunden adulten Kolongewebe nachgewiesen. Nach Klonierung der CEA cDNA aus humanen Kolorektalkarzinomzellen konnte auf dem Chromosom 19q13.1-13.2 ein Cluster von insgesamt 22 Genen identifiziert werden, das für insgesamt 12 Carcinoembryonic Antigen-related Cell Adhesion Molecules (CEACAMs) sowie für eine Subgruppe aus 10 Pregnancy-specific Glycoproteins (PSG) co-diert (Oikawa et al., 1987; Zimmermann et al., 1987; Thompson et al., 1987; Beauchemin et al., 1987).

CEA besitzt mit ca. 180 kDa (668 AS) die größte Molekülmasse unter den CEACAM-Proteinen und besteht aus einer variablen IgV-ähnlichen Domäne (N Domäne), an die sich sechs konstante IgC2-ähnliche Domänen (Typen A oder B) anschließen (Abbildung 3A; Westwood et al., 1974; Yamashita et al., 1987). Einen erheblichen (bis zu 50 %) Anteil an der Gesamtproteinmasse haben zudem kom-plexe, in ihrer Zusammensetzung und Länge extrem heterogene Zuckerketten (Oligosaccharide) beste-hend aus Fucose, Galactose, Mannose, N-Acetylglucosamin sowie N-Acetylneuraminsäure, die N-gly-kosidisch mit den in diesem Bereich liegenden 28 Asn-Seitenketten verknüpft sind (Huang et al., 2015). Wie andere CEACAMs ist auch das normalerweise als Monomer vorliegende CEA durch einen Glycosylphosphatidylinositol (GPI)-Anker mit der Zellmembran verbunden (Jean et al., 1988; Hefta et al., 1988). Trotz des hohen Kohlenhydratanteils konnte anhand von Röntgen- und Neutronenbeu-gungsmessungen ein vollständiges Homologiemodell der sieben extrazellulären CEA-Domänen kon-struiert werden (Boehm et al., 1996; Boehm & Perkins, 2000), das auf einer Länge von 27-33 nm zu-einander Zick-Zack-artig ausgerichtete Domänen in nahezu gestreckter Konformation zeigt (Abbildung 3B).

Damit stehen viele Epitope von CEA für die Ausbildung stabiler homo- oder heterophiler Zell-Zell-Kontakte zur Verfügung, was sowohl Interaktionen mit den übrigen Vertretern der CEACAM-Familie als auch mit anderen Zelloberflächenproteinen, z.B. dem Death Receptor 5 (DC5), dem Tumor Growth Factor (TGF)-β Rezeptor 1 sowie dem α5β1 Integrin, einschließt (Zhou et al., 1993; Voges et al., 2012; Li et al., 2010; Camacho-Leal et al., 2007). In Folge dessen fungiert CEA als Zelladhäsions-molekül und ist gleichzeitig in der Lage, verschiedene intrazelluläre Signalkaskaden der Differenzie-rung oder des programmierten Zelltods (Eidelman et al., 1993; Ilantzis et al., 2002; Ordonez et al., 2000) sowie der Zellpolarisation und Gewebearchitektur zu beeinflussen (Obrink, 1997). Darüber hinaus konnte für CEA im Fall von Tumorerkrankungen immunmodulatorische Wirkung nachgewie-sen werden (van Gisbergen et al., 2005; Engering et al., 2002; Stern et al., 2005).

Abbildung 3. Vertreter der humanen CEACAM-Familie. (A) Bis auf CEACAM16 weisen alle Proteine eine varia-ble IgV-ähnliche Domäne (N Domäne; rot) auf und sind entweder durch einen GPI-Linker oder mittels einer Trans-membrandomäne in der Zellmembran verankert. Dazwischen besitzen die CEACAMs eine unterschiedliche Anzahl von konstanten IgC2-ähnlichen Domänen (A bzw. B; blau bzw. grün), welche jeweils eine intramolekulare Disulfid-brücke aufweisen. Charakteristisch ist außerdem die starke Glycosylierung der extrazellulären Domänen (schwarze Kopfstriche). Die Nomenklatur der gesamten CEA-Familie wurde nachträglich vereinheitlicht (Beauchemin et al., 1999). Abbildung nach (Thomas, 2009). (B) Homologiemodell der extrazellulären Domänen A (blau), B (grün) und N (rot) von CEA (PDB: 1E07); gezeigt ist das Polypeptidrückgrat. Die zwei jeweils pro Domäne an der Ausbildung der Disulfidbrücke beteiligten Cys-Seitenketten sind in Orange hervorgehoben. Das Strukturmodell wurde mit Hilfe von Chimera v1.9 erstellt (Pettersen et al., 2004).

Weiterhin existiert eine lösliche Variante von CEA, da die GPI-vermittelte Verankerung in der Zell-membran durch Phospholipasen gespalten werden kann (Sack et al., 1988). Plasma-CEA wird durch rezeptorvermittelte Endozytose in die Kupffer-Zellen des Lebergewebes aufgenommen und später lysosomal in den Hepatozyten abgebaut (Toth et al., 1982; Thomas & Zamcheck, 1983; Toth et al., 1985). Plasma-CEA eignet sich jedoch nicht als diagnostischer Tumormarker, da nur eine geringe Korrelation zwischen dessen Konzentration und der Menge an zellassoziiertem CEA besteht (Urva &

Balthasar, 2010).

Anders als zunächst angenommen, wird zellassoziiertes CEA nicht nur in der frühen Embryonal- und Fötalentwicklung exprimiert (Nap et al., 1988; Eades-Perner et al., 1994), sondern ist auch im gesun-den Gewebe und Organen, wie dem Magen, der Speiseröhre, gesun-den Schweißdrüsen, der Prostata und der Zunge von Erwachsenen nachweisbar (Hammarström, 1999). Die höchste CEA-Expression zeigen allerdings die Epithel- und Becherzellen des Darms. Zudem wurde CEA in Folge maligner

Transfor-CEACAM3 CEACAM16 CEACAM18 CEACAM19 CEACAM20

mation in Karzinomen der Lunge, des Pankreas, der Gallen- und Harnblase, den Schleimhäuten der Gebärmutter und der Eierstöcke nachgewiesen (Hammarström, 1999) und ist vor allem in Kolorektal- und Magenkarzinomen signifikant überexprimiert (Jothy et al., 1993; Kodera et al., 1993).

CEA fungierte bereits kurz nach seiner Entdeckung als Tumormarker vor allem für Kolorektalkarzino-me sowie als Angriffspunkt für die Therapie von Tumorerkrankungen epithelialen Ursprungs (Goldenberg et al., 1978; Mach et al., 1974; Thompson & Zimmermann, 1988; Thompson et al., 1991). Daneben dient CEA heutzutage vor allem für die Radioimmuntherapie und -diagnostik solider Tumore. Hierfür wurden eine Reihe von CEA-spezifischen Antikörpern hergestellt, die entweder di-rekt oder chelatvermittelt mit einem Nuklid beladen werden können, wie beispielsweise 90Y-cT84.66 (Wong et al., 2003), 111In/64Cu⋅DO3A-VS-hT84.66 (Li et al., 2008) und 131I-Labetuzumab (Liersch et al., 2005; Liersch et al., 2007). Ebenso sind eine Vielzahl verschiedener Antikörperformate Gegen-stand präklinischer oder klinischer Studien, darunter 125I-scFv (Monomer, Dimer; (Wu et al., 1996), ein 125I-scFv-Albuminfusionsprotein (Yazaki et al., 2008), 124/125/131I- oder Me⋅DOTA-markierte Mini-bodies und DiaMini-bodies (Yazaki et al., 2001; Sundaresan et al., 2003; Olafsen et al., 2004; Kenanova et al., 2005), ein 18F-Diabody (Cai et al., 2007) sowie ein 64Cu-Minibody (Wu et al., 2000). Darüber hinaus existiert das 1996 von der FDA und EMEA (European Medicines Agency) zugelassenes Fab-Fragment 99mTc-Arcitumomab (CEA-SCAN™) zur Behandlung von Kolorektalkarzinomen, welches allerdings seit dem Jahr 2005 auf Wunsch des Herstellers Immunomedics aus kommerziellen Gründen nicht mehr auf dem europäischen Markt verfügbar ist (Kaur et al., 2012).

Tabelle 2. Pretargeting-Studien zur Diagnostik und Therapie CEA-exprimierender Tumore.

Bispezifisches Radiopharmakon Referenzen

anti-CEA (ZCE-025) Fab' x anti-111In-Benzyl-EDTA Fab' (Stickney et al., 1991)

anti-CEA (mF6) Fab' x anti-111In⋅DTPA (m734) Fab' (Le Doussal et al., 1993; Gautherot et al., 1997; Barbet et al., 1998; Chatal et al., 2006) anti-CEA hT84.66-M5A Antikörper x anti-Me⋅DOTA (C8.2.5) scFv (Yazaki et al., 2013)

anti-CEA (hMN-14; Labetuzumab) Fab' x anti-HSG (Histamin-succinylglycin) Fab' x anti-HSG (Histamin-succinylglycin) Fab' (TF2)

(Gestin et al., 2001; Sharkey et al., 2005a;

McBride et al., 2006; Schoffelen et al., 2010;

Schoffelen et al., 2012)

anti-CEA (hMN-14) Fab' x anti-111In⋅DTPA (m734) Fab' (Kraeber-Bodèrè et al., 2006; Chatal et al., 2006; Salaun et al., 2012)

Des Weiteren sind Ansätze für das Pretargeting von CEA mit bispezifischen Antikörperformaten be-schrieben (siehe Tabelle 2), wobei in einigen präklinischen sowie klinischen Studien auch ein bivalen-ter Metallchelat-Komplex, fusioniert durch einen Dipeptid-Linker, getestet wurde. Hierbei wurde im Vergleich zur Verwendung eines direkt mit einem Radionuklid konjugierten Bindeproteins zwar nur eine niedrigere oder ähnliche Akkumulation im Tumor beobachtet, jedoch waren gleichzeitig die Tu-mor/Blut- bzw. Tumor/Leber-Verhältnisse signifikant erhöht (Frampas et al., 2013). In Folge dessen konnte eine höhere Radioaktivitätsdosis – bei ähnlicher hämatologischer Toxizität – injiziert werden, wodurch das Tumorwachstum deutlich länger inhibiert war als bei der Therapie mit dem direkt mar-kierten Radiopharmakon.

1.3 Anticaline als alternative Bindeproteine zu therapeutischen Antikörpern