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5.2 Wissenschaftlicher Diskurs

5.2.3 Familie und Haushalt

Durch die Flexibilisierung der Arbeitswelt steht das Familienleben vor immer mehr Herausforderungen. Zum einen benötigt man ein gutes Zeitmanagement, damit man Beruf und Familienangelegenheiten unter einen Hut bekommt. Zum anderen verschwimmen Grenzen zwischen Arbeitszeit und Familienzeit, vor allem durch moderne Kommunikationsmittel, immer mehr. Dadurch werden nicht selten auch abendliche Stunden oder das Wochenende für Arbeitsaufgaben genutzt (vgl. Dörfler et al. 2018, S. 6).

Die Koordination von Erwerbsarbeit, Familienarbeit und anderen Tätigkeiten verursachen Überbelastungen und Stress bei Müttern und Vätern. Diese Mehrfachbelastungen werden hauptsächlich durch den raschen beruflichen Wiedereinstieg nach der Geburt eines Kindes verstärkt, welcher durch verbesserte Kinderbetreuungsangebote erleichtert werden soll (vgl. Dörfler et al. 2018, S. 88).

Trotz täglicher Routinearbeiten müssen Familienmitglieder das Zusammenspiel von Arbeit und Familie jeden Tag aufs Neue planen, insbesondere wenn neue Anforderungen anfallen. Jurczyk et. al sprechen von der Aufgabe „Doing Boundary“ – übersetzt „Grenzen machen“ – und meinen damit ein Grenzmanagement im Alltag.

Vor allem in Familien ist es wichtig, sich klare Grenzen zwischen Familie und Erwerbsarbeit zu schaffen. Je mehr Termine im Alltag zusammentreffen – angefangen von schulischen Angelegenheiten, Freizeitaktivitäten, beruflichen Aufgaben etc. –

desto schwieriger und komplexer wird die Koordinationsaufgabe (vgl. Jurczyk et. al 2009, S. 61). Diese umfangreichen Anforderungen an die Gestaltung des Alltages haben aber nicht nur Auswirkungen auf die Familie und Freizeit, sondern auch auf die Erwerbsarbeit selbst. Durch die Doppelbelastung Familie und Beruf sind ArbeitnehmerInnen bei der Planung des Alltages damit konfrontiert, wichtige Dinge vor unwichtige zu stellen. Dies betrifft sowohl familiäre und freizeitbezogene als auch berufliche Angelegenheiten. Die Entscheidungen sind abhängig von bestimmten Rahmenbedingungen, Ressourcen und Zwängen und produzieren neben der eigentlichen Arbeit zusätzliche Anstrengungen (vgl. Jurczyk et. 2009, S. 71f.). Durch den 12-Stundentag kommt es vor allem zwischen den Bereichen Arbeit und Familie zu

„Zeitkonkurrenzen“. 12 Stunden am Tag zu arbeiten, bedeutet gleichzeitig weniger Zeit für Familie zu haben. Kommt durch die Arbeitszeitflexibilisierung auch der Druck dazu, ständig erreichbar zu sein, reduziert sich die Abgrenzung von Familie und Beruf.

Kinder werden von einem Elternteil oft nur zum Schlafengehen gesehen oder tageweise überhaupt nicht. Zudem führt eine ständige Erreichbarkeit dazu, dass sich ArbeitnehmerInnen gedanklich schwer von Arbeitsangelegenheiten trennen können, was sich wiederum auf die Familienzeit negativ auswirkt (vgl. Jurczyk et. al 2009, S.

192f.).

Sich selbstständig den Alltag zu gestalten, bietet aber auch die Möglichkeit, dass sich verstärkt Männer in den Familienkontext einbinden und sich Frauen stärker in die Arbeitswelt integrieren können (vgl. Jurczyk et. al 2009, S. 71f.).

Statistik Austria hat 2018 die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhoben. Diese Erhebung ist zwar nicht speziell auf den 12-Stundenarbeitstag ausgerichtet, jedoch können einige Daten für dieses Thema herangezogen werden. Statistik Austria ist bei dieser Umfrage zum Ergebnis gekommen, dass die Geburt eines Kindes, vor allem für Frauen (61%), Veränderungen mit sich bringt. Durch die steigenden Betreuungspflichten müssen viele Frauen eine Verringerung der Arbeitszeit von Vollzeit auf Teilzeit, ein Wechsel des Berufes oder andere Folgen auf sich nehmen (vgl. Statistik Austria 2019b, S. 35f.).

Die Studie hat die Auswirkungen je nach Branchen differenziert betrachtet. So zeigt sich bspw. im Bereich des Gesundheits- und Sozialwesens, in dem ein erhöhter Arbeitstag auch vor der Einführung des 12-Stundentages 2018 üblich war, größere Schwierigkeiten, Betreuungspflichten und die Arbeitszeiten unter einen Hut zu bringen.

Vor allem lange und unvorhersehbare Arbeitsstunden führen zu Herausforderungen bei der Vereinbarkeit. Weniger Probleme gaben Personen bei einem erhöhten Arbeitstag an, wenn diese nur Teilzeit arbeiteten (vgl. Statistik Austria 2019b, S. 38ff.).

Für einen 12-Stundenarbeitstag benötigt man entweder eine Betreuungseinrichtung, die 13 bis 14 Stunden täglich offen hat, oder ein gutes privates Netzwerk, um die Kinder oder auch pflegebedürftige Angehörige während der Arbeitszeit unterzubringen. Um die Vereinbarkeit von Familie und einem 12-Stundentag zu unterstützen, braucht es einen noch besseren Ausbau des Kinderbetreuungssystems in Österreich.

Im Jahr 2018/2019 gab es in Österreich 9.342 institutionelle Kinderbetreuungseinrichtungen, wovon 4.565 Kindergärten, 2.185 Kinderkrippen und Kleinkinderbetreuungseinrichtungen, 1.005 Horte und 1.587 altersgemischte Betreuungseinrichtungen waren. Über 90% aller Einrichtungen hatten ganztags geöffnet, wobei „ganztags“ mindestens 6 Stunden am Tag bedeutet. Lediglich 14 Einrichtungen hatten bundesweit mehr als 5 Tage pro Woche offen, die die Vereinbarkeit von Wochenenddiensten erleichterten. Nur 998 Einrichtungen hatten in diesem Jahr 12 oder mehr Stunden am Tag geöffnet, das sind gerade einmal 10%.

Zudem hatten die Einrichtungen – je nach Betreuungsform – im Jahr durchschnittlich 7 bis 34 Tage geschlossen, was zusätzlich zu Herausforderungen in der Alltagsgestaltung führt (vgl. Statistik Austria 2019a, S. 11ff.).

Neben den institutionellen Betreuungseinrichtungen gab es 2018 in Österreich auch 2.391 Tagesmütter bzw. –väter, die 11.127 Kinder betreuten (vgl. Statistik Austria 2019a, S. 24).

Insgesamt wurden im Jahr 2018/19 365.359 Kinder in Tageseinrichtungen betreut, wobei nur 11% davon täglich 12 oder mehr Stunden in der Einrichtung verweilten. Die Mehrheit der Kinder besuchte eine Institution 8 bis 10,9 Stunden am Tag (vgl. Statistik Austria 2019a, S. 83).

Ein Ausbau der Kinderbetreuungssituation ist also eine Voraussetzung dafür, dass der 12-Stundentag, vor allem in Familien mit Kindern, nicht zu Problemen bei den Betreuungsaufgaben führt.

Betreuungspflichten haben erwerbstätige Personen aber nicht nur gegenüber Kindern, sondern oft auch gegenüber hilfsbedürftigen Angehörigen. Auch hier entstehen durch

ungünstige und lange Arbeitszeiten Herausforderung für die Vereinbarkeit (vgl.

Statistik Austria 2019b, S. 51).

Die Studie von Blasche, Bauböck und Haluza, welche in diesem Kapitel schon vorgestellt wurde und sich vor allem mit gesundheitsbezogenen Aspekten beschäftigt, hat auch die Zufriedenheit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf der Krankenschwestern mit 12-Stundenschichten erhoben. Anders als den Erwartungen zufolge, sahen die Mehrheit der Befragten längere Tagesschichten als familienfreundlich an, da dadurch mehr freie Tage entstehen, die sie dann für Familienangelegenheiten nutzen können (vgl. Bauböck/Blasche/Haluza 2016, S. 202).

Wenn der Beruf es zulässt, dass sich Eltern die Arbeitszeit und –tage so einteilen können, dass mindestens einer Zuhause bei den Kindern oder den pflegebedürftigen Angehörigen ist, entsteht gleichzeitig jedoch der Nachteil, dass sich die Paare gegenseitig seltener sehen und auch weniger Zeit für die gesamte Familie übrig bleibt.

Neben den Zwei-Eltern-Familien, die die Erwerbsarbeit und das Familienleben untereinander abstimmen können, gibt es jedoch auch Ein-Eltern-Familien, für die ein 12-Stunden-Arbeitstag eine große Herausforderung darstellt. In Österreich gab es 2018 durchschnittlich 305.000 Alleinerziehende mit Kindern unter 25 Jahren, wovon knapp 85% – ca. 257.000 Personen – Frauen waren (vgl. Statistik Austria 2019c, o.S.).

Generell sind Alleinerziehende vor die Aufgabe gestellt, ein tragfähiges Einkommen nach Hause zu bringen, da das Fehlen des Einkommens eines zweiten Elternteils großen Einfluss auf die Alltagsgestaltung hat. Ebenso bedarf es einer außerfamiliären Betreuung, die den Bedürfnissen des Kindes/der Kinder entsprechen soll (vgl.

Brand/Hammer 2002, S. 16).

5.2.4 Freundschaft

Freundschaft ist ein Thema, welches in Bezug auf die Flexibilisierung der Arbeitszeiten eher weniger Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit bekommt. Die nachfolgende Abbildung der „Europäischen Wertestudie“ – eine Initiative der interdisziplinären Werteforschung der Universität Wien – zeigt jedoch, dass die Bedeutung von sozialen Interaktionen mit Freunden und Bekannten in den Erhebungszeiträumen immer weiter angestiegen und 2018 – nach der Familie – an zweiter Stelle der zentralen Lebensfelder der österreichischen Bevölkerung angelangt ist (vgl. Berghammer et. al 2018, o.S.).

Welche Auswirkungen lange Arbeitstage für ArbeitnehmerInnen haben können, zeigen einige Studien, die einerseits den Fokus auf Freundschaften von ArbeitnehmerInnen mit flexiblen Arbeitszeiten gelegt haben und andererseits Freundschaften von bestimmten Berufsgruppen analysierten. Nachfolgend wurden zwei Studien ausgewählt, die mögliche Auswirkungen veranschaulichen.

Eine Studie von Flick (2013) hat sich die Freundschaften von höher qualifizierten ArbeitnehmerInnen, mit flexiblen Arbeitszeiten, angeschaut. Dabei wurden zum einen enge, meist alte Freundschaften erwähnt, die gemeinsame Erfahrungen als Grundlage aufweisen. Solche Freundschaften sind für Betroffene für die individuelle Selbstwahrnehmung sowie für die Lebensbewältigung von großer Bedeutung, auch wenn es – aufgrund des Berufes – den ArbeitnehmerInnen schwer fällt, genug Zeit für die Freundschaft zu finden. Zum anderen sind viele Freundschaften im Arbeitsumfeld entstanden, deren Gemeinsamkeiten vor allem im Arbeitsalltag liegen. Diese Freundschaften werden von den Befragten zwar als sehr nützlich für die Selbstsorge gesehen, da man sich über Arbeitsbelastungen etc. austauschen kann, gleichzeitig werden solche Freundschaften aber als leicht austauschbar beschrieben. Ebenso wird das eigene Verhalten gegenüber diesen Bekanntschaften so inszeniert, dass Abwertung und Neid vermieden werden (vgl. Linek 2017, S. 572).

Eine weitere Studie von Alleweldts (2013) hatte zum Ziel, die Bedeutung und Funktionen von Freundschaften zu erheben, unter dem Fokus des Wandels der Arbeit sowie der Individualisierung der Lebensformen. Befragt wurden Frauen von drei

Abb. 7: Zentrale Lebensfelder der österreichischen Wohnbevölkerung ab 18 Jahren (vgl. Berghammer et. al 2018, o.S.)

verschiedenen Berufsgruppen: Journalistinnen mit hohem Einkommen, Sozialarbeiterinnen mit mittlerem Einkommen sowie Verkäuferinnen mit niedrigem Einkommen. Die Gruppe der Journalistinnen bezeichnet Alleweldts als „egozentrische Netzwerkerinnen“, deren große Freundeskreise, die zur Selbstbestätigung dienen, sich hauptsächlich im Arbeitsumfeld bewegen. Die Journalistinnen gaben bei der Erhebung an, dass der Stress der Aufrechterhaltung dieser Freundschaften dem Stress der Arbeit gleichkommt (vgl. Linek 2017, S. 572f.).

Sozialarbeiterinnen, deren Freundeskreis meist auf wenige enge Beziehungen beschränkt war, gelang es leichter die Freundschaften zu pflegen, jedoch sahen auch sie Probleme bei der Spontanität und Organisation von Treffen. Gleichzeitig war auch ein Zwangsgefühl vorhanden, sich Zeit für Freunde nehmen zu müssen, dem einige Sozialarbeiterinnen damit entgegenwirkten, indem diese sich bewusst von den Freunden unabhängig machten (vgl. Linek 2017, S. 573).

Verkäuferinnen, die eine niedrige formale Qualifikation aufwiesen, besaßen wenige enge Freundschaften, die auch nicht regelmäßig gepflegt wurden. Alleweldts verband dies mit der starken Familienorientierung der Berufsgruppe und der Erkenntnis, dass Familie und Freunde in dieser Berufsgruppe oft als Konkurrenten angesehen werden (vgl. Linek 2017, S. 573).

Die Studien zeigen, dass es in Berufen mit flexiblen Arbeitszeiten, wie z. B. bei den Sozialarbeiterinnen, zu größeren Herausforderungen kommt, vorhandene Freundschaften regelmäßig zu pflegen. Zwar entstehen häufig berufliche Freundschaften, diese unterscheiden sich jedoch in der Qualität von den Freundschaften außerhalb der Arbeit.

Empirischer Teil

6 Methodisches Vorgehen