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3.2 Geschichtlicher Rückblick

3.2.8 Arbeitsbezogene Umbrüche im 20. Jahrhundert

Seit den 1860er Jahren wurde der Ruf nach einem 8-Stundentag immer lauter, welcher gesetzlich jedoch erst nach dem ersten Weltkrieg durchgesetzt wurde. Der Staat handelte immer mehr im Interesse der Bevölkerung, wodurch die Sonntagsarbeit abgeschafft und samstags die Arbeitszeit verkürzt wurde. Zudem übernahm der Staat auch sozialpolitische Aufgaben, wie z. B. die Altersvorsorge, Krankenversicherung und Schutz bei Unfall und Invalidität, weshalb der Staat auch Interesse am Wohlergehen der Bevölkerung zeigte (vgl. Prahl 2002, S. 100).

Das Zeitalter der Industrialisierung war der Beginn der Entstehung eines österreichischen Sozialstaates. Einige der in dieser Zeit entstandenen Arbeitsverhältnisse, wie z. B. Arbeitszeit und –entgelt, wurden im Laufe des 20.

Jahrhunderts mithilfe von Gesetzen einheitlich für unselbstständige Erwerbstätige festgelegt (vgl. Stelzer-Orthofer 2012, S. 47). 1919 wurde bspw. die maximale Arbeitswochenstundenzahl auf 48 reduziert (vgl. Astleithner 2017, o.S.). Durch diese Gesetze wurden Erwerbstätige einerseits sozial abgesichert und andererseits konnte man auf arbeitsrechtliche Festlegungen zurückgreifen. Dauerhafte und gerecht entlohnte Vollzeitberufe bildeten die Basis für soziale Integration und individuelle Sicherheit. Frauen waren von diesem Normalarbeitsverhältnis jedoch meist nicht betroffen, da ihrer Rolle in der Gesellschaft familiäre Angelegenheiten zugeschrieben wurden (vgl. Stelzer-Orthofer 2012, S. 47). „Voraussetzung für das Gelingen eines Familienlebens ist in hohem Masse die Tüchtigkeit der Hausfrau und Mutter beim Haushalten und der Kindererziehung“ (Hanselmann 1959, S. 22 zit. n. Bähler 1996, S.

189). Trotz der Festlegung wöchentlicher Maximalarbeitsstunden kam es häufig zu (unbezahlten) Überstunden, die vor allem für Frauen eine Herausforderung waren, da sie neben dem Beruf auch noch den Haushalt und familiäre Angelegenheiten erledigen mussten (vgl. Kessel 1995, S. 116f.).

In Zeiten der Weltkriege wurde die vorherrschende Arbeitssituation in Österreich auf den Kopf gestellt. Der erste Weltkrieg 1914 – 1918 brachte Gesetzesveränderungen mit sich, die ArbeiterInnen dazu zwangen, militärische Zwecke zu unterstützen. Zudem wurden geltende Arbeitsbestimmungen über Zeit, Pausen, Ruhetage etc. aufgehoben und dem Bedarf des Krieges angepasst, was auch arbeitsreiche Sonntage mit sich brachte. Die Kriege hatten zwar auf den durchschnittlichen Lohn der ArbeiterInnen keinen Einfluss, jedoch sank im Laufe der Jahre der Wert des Geldes, wodurch ein männlicher Arbeiter 1917/18 um 63% weniger verdiente als im Jahr 1914.

ArbeiterInnen waren demzufolge gezwungen, durch Arbeitsüberstunden ihren Lohn zu erhöhen, da man sich den Lebensunterhalt sonst kaum finanzieren konnte. In dieser Zeit mussten auch immer mehr Frauen Arbeiten erledigen, die zuvor von Männern verrichtet wurden, wie bspw. Fabrikarbeiten, da der Großteil der Männer dem Kriegsdienst nachgehen musste. Das Ende des ersten Weltkrieges brachte hohe Arbeitslosigkeit (vor allem in der Metallbranche) sowie Lebensmittelknappheit mit sich.

Viele Unternehmen kamen in ausländische Hände, die immer mehr Einfluss auf die österreichische Wirtschaft hatten. Zwar stiegen die durchschnittlichen Einkommen der

ArbeitnehmerInnen, jedoch war der Anstieg der Lebenserhaltungskosten noch höher, wodurch das Realeinkommen 1924 um ein Viertel niedriger war als vor 1914. Die Jahre darauf erhöhte sich das Einkommen wieder und erreichte 1931 einen Höhepunkt, der 27% über dem Durchschnitt von 1913 lag und fiel in den Jahren darauf bis 1937 wieder langsam ab (vgl. Hautmann/Kropf 1974, S. 112-115; 127ff.; 166).

Der Nationalsozialismus hatte sich ähnlich wie der Erste Weltkrieg im Arbeitsbereich bemerkbar gemacht. Wirtschaftspolitiker des Nationalsozialismus versuchten bewusst, kleine Handwerks- und Handelsbetriebe zu Fall zu bringen, damit für Kriegszwecke mehr Rohstoffe und Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Die Arbeitslosenzahl hatte sich in den Jahren 1937 bis 1939 im Deutschen Reich von 912.312 auf 38.379 Personen extrem reduziert, da der Großteil der tauglichen ArbeiterInnen für die Kriegswirtschaft eingesetzt wurde. Auch in dieser Zeit kam es, durch eine Lebensmittelknappheit, zu einem großen Anstieg der Lebenserhaltungskosten, währenddessen sich der Lohn vergleichsweise nur gering erhöhte. Nach Kriegsbeginn stieg die gesetzliche Tagesarbeitszeit von 9 auf 10 Stunden. Mitglieder des Nationalsozialismus versuchten durch Ablenkung und Motivation die wirtschaftliche Ausbeutung der Arbeiterschaft zu verdecken. Den ArbeiterInnen wurden Veranstaltungen angeboten, damit die aktuelle Arbeitssituation ausgeblendet und mehr Arbeitsleistung hervorgebracht wird. In der Zeit von 1938 bis 1945 wurden Personen, die gegen den Nationalsozialismus handelten, z. B. auch durch Verweigerung der Arbeit, sofort in Gefangenschaft genommen oder sogar getötet (vgl. Hautmann/Kropf 1974, S. 181-184; 186f.).

Frauen waren im Nationalsozialismus im Arbeitsbereich im Vergleich zu den Männern kaum benachteiligt. Auch diese hatten im Durchschnitt Anspruch auf 7 bis 12 bezahlte Urlaubstage im Jahr, ein System, welches erst mit dem Nationalsozialismus ins Leben gerufen wurde (vgl. Kessel 1995, S. 23).

Später gab es noch manche Versuche, berufstätige Frauen, die sich nebenbei um den Haushalt kümmern mussten, zu entlasten. 1948 wurde in Nordrhein-Westfalen ein Gesetz für einen Hausarbeitstag eingeführt, der berufstätigen Frauen, die mindestens 40 Stunden pro Woche arbeiteten, die Möglichkeit gab, einen arbeitsfreien Tag pro Woche für die Hausarbeit nutzen zu können, und dafür einen durchschnittlichen Tageslohn zu bekommen. Dieses Gesetz wurde jedoch nicht von allen

ArbeitgeberInnen angenommen und umgesetzt. Viele Arbeitnehmerinnen lehnten diesen Hausarbeitstag aus Angst vor Nachteilen auch ab (vgl. Kessel 1995, S. 94f.).

1975 wurde die maximale Wochenarbeitsstundenzahl von 48 auf 40 heruntergesetzt und bis 1986 eine schrittweise Erhöhung auf fünf Wochen Urlaub pro Jahr eingeführt (vgl. Astleithner 2017, o.S.).

3.2.9 21. Jahrhundert: Von der Arbeitszeitverkürzung zur Arbeitszeitflexibilisierung

Ende des 20. Jahrhunderts und Anfang des 21. Jahrhunderts ließ sich in Österreich eine Entwicklung der Arbeitsverhältnisse beobachten. Seit den 1980er Jahren war neben der Arbeitszeitverkürzung auch die Diskussion der Arbeitsflexibilisierung ständiges Thema der Öffentlichkeit. Im Gegensatz zur Flexibilisierung blieb die Verkürzung jedoch auf der Strecke (vgl. Astleithner 2017, o.S.). Atypische Verhältnisformen werden immer häufiger. Darin eingeschlossen sind flexible Arbeitszeiten und –orte sowie Abweichungen von der Beschäftigungsdauer bei Teilzeit, geringfügiger oder befristeter Beschäftigung. Solche Arbeitsverhältnisse sind meist nicht von langer Dauer, was sich auch negativ auf eine eigenständige Existenzsicherung auswirkt. 2009 waren 48% der weiblichen und 13% der männlichen unselbstständig Erwerbstätigen in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis. Die meist verbreitete Form der atypischen Beschäftigungen ist die Teilzeit (vgl. Stelzer-Orthofer 2012, S. 48f.). Nachfolgende Abbildung veranschaulicht die Entwicklung des Beschäftigungsausmaßes von Frauen und Männern im Zeitraum 1974 bis 2015.

Abbildung 1 zeigt, dass der Anteil an Frauen im Bereich der Teilzeit im Zeitraum von 1974 bis 2015 deutlich höher ist als der Anteil an Männern. Während 2015 nur 12%

Abb. 1: Beschäftigungsausmaß von Frauen und Männern im Zeitraum von 1974 bis 2015 (vgl. Dörfler et. al 2018, S. 13)

von den berufstätigen Männern in Teilzeit arbeiteten, waren es bei den Frauen bereits 49% (vgl. Dörfler at. al 2018, S. 12).

In Österreich werden zwar immer mehr Frauen in den Arbeitsmarkt integriert – 2015 arbeiteten bereits 75% der Frauen (vgl. Dörfler at. al 2018, S. 11) – jedoch ist von einer Gleichstellung von Männern und Frauen noch lange keine Rede. 2013 war das durchschnittliche Bruttojahreseinkommen von Männern 35.167€, im Vergleich lagen Frauen nur bei 20.596€. Einkommensunterschiede findet man auch dann, wenn Mann und Frau dieselben Tätigkeiten verrichten. Internationale Studien zeigen, dass Österreich – mit 23% Lohndifferenz – zu den Ländern mit dem größten Gender Pay Gap zählt. Eine höhere Differenz weist nur Estland auf (vgl. Eder 2016, S. 4; 8).

Neben den unterschiedlichen Gehältern übernehmen Frauen zusätzlich den Großteil der Sorgetätigkeiten in der Familie. Dazu zählen neben der Betreuung von Kindern oder Pflegebedürftigen auch der Haushalt und das Kochen. Sorgetätigkeiten sind noch immer eng verknüpft mit moralischen Werten, wodurch diese Tätigkeiten als selbstverständlich wahrgenommen und wenig vergütet werden. Karenz- und Kinderbetreuungsgeld, Familienbeihilfen und das Pflegegeld reichen oft nicht aus, um der Armut zu entkommen. Zudem lassen sich Sorgetätigkeiten nur schwer mit der Erwerbsarbeit vereinbaren. Zum einen ist in Österreich das Kinderbetreuungssystem nicht ausreichend dafür ausgebaut und zum anderen ist das Auslagern von Hausarbeiten, wie z. B. Putzen, Waschen oder Bügeln, für viele Familien nicht bezahlbar. Frauen werden, sofern sie sich für Familie und Kinder entscheiden, durch das vorherrschende Wirtschaftssystem in prekäre Lebensverhältnisse gedrängt (vgl.

Moser 2012, S. 99f.).

Die Stabilität und Normalität, die im 19. und 20. Jahrhundert durch die Arbeit aufgebaut wurden, gehen in der heutigen Zeit durch atypische Beschäftigungen und flexible Arbeitsformen immer mehr verloren. Bevor Menschen ins Arbeitsleben einsteigen können, müssen in vielen Bereichen (oft wenig oder unbezahlte) Praktika absolviert werden, unabhängig von deren Qualifizierungen. Zudem werden bestimmte Personengruppen durch die vorherrschende Arbeitssituation vor große Herausforderungen gestellt, was nicht selten zur Arbeitslosigkeit führt. Gefährdete Gruppen sind einerseits SchulabbrecherInnen, bei denen knapp die Hälfte über zwei Jahre für den Übergang von der Schule in den Arbeitsmarkt benötigt. Und zum anderen auch gering qualifizierte sowie ältere Personen, deren Beschäftigung oft

zeitlich begrenzt ist, bspw. in Projekten des Arbeitsmarktservices oder in der Leih-/Zeitarbeit. Durch die steigende Wettbewerbsfähigkeit, die am Arbeitsmarkt herrscht, werden vor allem unqualifizierte und ältere Personen immer häufiger durch junge und qualifizierte ArbeiterInnen ersetzt. Dadurch werden betroffene Menschen in prekäre Lebenslagen gedrängt, was zu Unsicherheit, finanziellen Belastungen und geringen Leistungen der Versicherungen führt (vgl. Stelzer-Orthofer 2012, S. 49ff.). „Working poor“ ist ein immer häufiger vorkommender Begriff, der vor allem in Verbindung mit unteren Berufsschichten und Teilzeitbeschäftigten steht. Darunter versteht man ArbeitnehmerInnen, die trotz Arbeit armutsgefährdet sind bzw. mehreren Beschäftigungen nachgehen müssen, damit ein „besseres“ Einkommen zur Verfügung steht, welches trotzdem nicht immer ausreichend ist (vgl. Kern 2012, S. 63).

Eine weitere Auswirkung der rasanten Arbeits- und Technologienentwicklung ist die Flexibilität bezüglich Zeit und Ort. Heutzutage ist das Arbeiten kaum mehr an bestimmte Orte und feste Zeiten gebunden. Dies führt einerseits dazu, dass sich viele Menschen die Arbeit besser einteilen können, andererseits birgt dies die Gefahr, dass Arbeits- und Freizeit kaum mehr auseinanderzuhalten sind. Ständiges Erreichbar-sein, Angst um den Arbeitsplatz sowie Druck vom / von der ArbeitgeberIn führen nicht selten zur Arbeit in der Freizeit. Arbeitsleistung wird immer häufiger anhand des Outputs und nicht mehr anhand der Zeit gemessen. Österreich war bereits vor Einführung des neuen Arbeitszeitgesetztes neben Großbritannien ein Land mit der höchsten Arbeitszeitflexibilität, in Bezug auf Teilzeit, Überstunden sowie der gesetzlichen Überschreitung der wöchentlichen Arbeitszeiten (vgl. Stelzer-Orthofer 2012, S. 53f.).

Die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit verschwimmt immer mehr ineinander.

Dabei stellt sich die Frage, welche Tätigkeiten als Arbeit zählen und welche nicht.

Einen Fachtext auf dem Weg zur Arbeit lesen, im Urlaub Mails checken oder arbeitsrelevante Themen beim Essen mit der Familie besprechen, sind bspw.

arbeitsbezogene Tätigkeiten, die immer mehr im Alltag vorkommen und als entgrenzte Arbeit gesehen werden. Zwischen Arbeitszeit und Freizeit gibt es also einen großen Graubereich, welcher unbezahlt bleibt. Einige ArbeitnehmerInnen machen dies, weil sie es von sich aus freiwillig und gerne machen, andere weil es der/die ArbeitgeberIn (vermutlich) erwartet oder es sich (möglicherweise) karrierefördernd auswirkt. Immer häufiger wird die Freizeit für arbeitsbezogene Tätigkeiten aber aufgrund von sozialer Verantwortung, Qualitätsbewusstsein oder der Identifikation mit der Arbeit geopfert (vgl. Fritsch 2012, S. 69f.).

Von ArbeitnehmerInnen werden immer mehr Eigenschaften verlangt, die typisch für ArbeitgeberInnen sind, wie z. B. Gesamtverantwortung, Selbststeuerung, Selbstorganisation, Selbstmanagement etc. Dies führt unter anderem dazu, dass äußere Erwartungen verinnerlicht werden und ArbeitnehmerInnen diese Eigenschaften von sich selbst erwarten. Damit kommt es zu einer Verschiebung der Verantwortung, was immer mehr Einfluss auf Arbeitszeit und Freizeit hat. Wenn Dinge nicht in der regulären Arbeitszeit geschafft werden, wird dafür auch die Freizeit hergenommen. Für viele ArbeitnehmerInnen wird dies zur Gewohnheit und nistet sich in der Normalität ein (vgl. Fritsch 2012, S. 72ff.).

Bereits seit einigen Jahrzehnten wird vor allem von FeministInnen gefordert, dass sich das Arbeitsverständnis ändern muss. Erwerbsarbeit, Reproduktionsarbeit, Gemeinwesenarbeit und Eigenarbeit müssen besser miteinander verbunden und dementsprechende Zeitverteilungs- und Einkommensmodelle entwickelt werden.

Dafür wäre, für die deutsche Soziologin und Philosophin Frigga Haug bspw., eine Verkürzung der Arbeitszeit sowie eine Festsetzung eines gewissen Grundeinkommens notwendig. Wirtschaftliche Handlungen müssen mehr in die soziale Lebenswelt integriert werden. Im Mittelpunkt sollten Vorsorge, Kooperation und Orientierung am Leben stehen, anstelle von Nachsorge, Konkurrenz und Profitmaximierung. Dafür müsse es Veränderungen im Steuersystem sowie in der sozialen Infrastruktur geben (vgl. Moser 2012, S. 102ff.).