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Teil III: Methodologische Grundlagen der Untersuchung

8.3 Erhebungsmethode

8 Forschungsmethodisches Vorgehen

Abbildung 9: Zusammensetzung des Samples (eigene Darstellung)

Die Entwicklung der sechs Schülerinnen und Schüler wird über ein Jahr verfolgt. Zu Beginn der Pilotphase findet die erste Interviewphase statt, gefolgt von einer Rückmeldung erster Zwischenergebnisse an die Lernenden nach einem halben Jahr. Ein Jahr später findet das zweite Interview statt. Aufgrund der zwei Erhebungszeitpunkte können die Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler nicht nur fallübergreifend sondern auch innerhalb eines Falles verglichen werden. Von besonderem Interesse ist hierbei die Frage nach der Entwicklung von Selbststeuerungskompetenzen sowie einer veränderten Wahrnehmung des Lernsettings. Im Folgenden wird nun auf die Ausgestaltung der episodischen Interviews eingegangen.

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als andere Annäherungen, die auf abstrakte Begriffe und Antworten im engeren Sinne abzielen (Flick 2007: 159).

Kernpunkt episodischer Interviews ist die regelmäßige Aufforderung zum Erzählen von Situationen („Erzähl mal, wie eine ganz normale Stunde Lernzeit abläuft.“). Neben solchen Erzählaufforderungen zählen Fragen nach subjektiven Definitionen (z.B. „Wozu ist deiner Meinung nach das Logbuch da?“), nach Phantasien in Bezug auf Veränderungen („Wie müsste Unterricht gestaltet sein, sodass du gerne lernst?“) und nach abstrakteren Zusammenhängen („Warum glaubst du, lernt ihr nun überwiegend alleine?“) zu den zentralen Bestandteilen der Interviews. Zur Orientierung über die thematischen Bereiche, zu denen Erfahrungen erzählt werden sollen, wird ein Leitfaden erstellt (vgl. ebd.: 160f.;

Flick et al. 2008: 312f.). Durch offen formulierte Fragen und Erzählimpulse haben die Befragten die Möglichkeit, sich das Themengebiet der Untersuchung selbst zu strukturieren. Die Reihenfolge der Fragen oder der Erzählimpulse des Leitfadens wird der Struktur des Befragten angepasst, sodass die Reihenfolge der Themen je nach Interview variieren kann. Gleichzeitig sichert der Leitfaden die Vergleichbarkeit der Interviews sowie den thematischen Zusammenhang zum Forschungsgegenstand. Werden einige Themengebiete nicht angesprochen, so kann mithilfe des Leitfadens nachgefragt werden.

Das episodische Interview verbindet somit die Vorteile leitfadengestützter sowie narrativer Interviews und stellt sich für diese Untersuchung mit den zentralen Ansätzen Verstehen und Vergleichen von Erfahrungen im Rahmen eines spezifischen Settings als die ideale Erhebungsmethode heraus (für die Interviewleitfäden vgl. den Anhang).

Allerdings hat das Interview als Methode auch seine Grenzen, die kurz erwähnt werden sollen: Interviews – egal welcher Ausprägung – geben keine Informationen darüber, wie das Subjekt tatsächlich gehandelt hat. Vielmehr zeigt ein Interview, wie das Subjekt sein Handeln gegenüber anderen darstellt, wie es dieses begründet, deutet und in welche kognitiven, emotionalen und aktionalen Zusammenhänge es sein Handeln einordnet. Es geht also darum, die Relevanzsysteme der Befragten zu erfassen, indem ihnen möglichst viel Freiraum zur Verbalisierung ihrer Sichtweisen und Erfahrungen gegeben wird (vgl.

Bohnsack 2005: 64). Damit diese Freiräume von den Befragten auch für längere Erzählungen genutzt werden, ist der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zur befragten Person unabdingbar (vgl. Merziger 2007: 118; Flick 2007: 166; Friebertshäuser 2010: 308).

Um das Vertrauen zu den Interviewpartnerinnen und –partnern zu stärken und um relevante situationsbezogene Aspekte des Unterrichtsalltags zur Ausdifferenzierung des Leitfadens wahrzunehmen, liegen den Interviews dieser Untersuchung mehrere Tage Hospitationen durch die Forscherin zugrunde. Diese werden in Form von Protokollen

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teilnehmender Beobachtung verschriftlicht und ausgewertet. Zudem beginnt das Interview mit einem Einstieg, der den Befragten – vor allem durch den Hinweis, dass es in dem Interview kein Richtig oder Falsch gibt, – die Scheu nehmen soll.

Hallo _________, wir waren ja im Februar bei euch in der Klasse, um uns mal ein bisschen umzugucken – was ihr so macht und wie der Unterricht an einer Gemeinschaftsschule läuft. Wir arbeiten in der Uni Hamburg und wollen etwas darüber schreiben, was in Gemeinschaftsschulen so gemacht wird und was die Schüler und Lehrer dazu sagen. Für mich ist ganz besonders wichtig, was ihr Schüler und Schülerinnen über die Gemeinschaftsschule und den Unterricht hier denkt, was sich jetzt mit dieser neuen Schulform für euch und euer Lernen verändert hat. Es gibt hier in diesem Interview kein Richtig oder Falsch, alles was dir zu den Fragen in den Kopf kommt, ist für mich und meine Arbeit interessant.

Wir wollen das Interview aufnehmen, damit wir nicht alles mitschreiben müssen und hinterher noch genau wissen, was du gesagt hast. Das, was du uns erzählst, bleibt unter uns. Deine Lehrer bekommen das nicht zu sehen. Und später im Bericht, wenn wir aufschreiben, was die Schüler von der Gemeinschaftsschule und dem neuen Unterricht halten, verändern wir die Namen von euch – ihr bleibt also anonym.

Wir machen das so, dass ich mit dir das Gespräch führe und Doris Lohmann sich Notizen dazu macht.

Hast du noch Fragen? --- Dann fang ich jetzt einfach mal an.

Abbildung 10: Intervieweinstieg

Eine ebenfalls entscheidende Rolle kommt in einem offen geführten Interview der Anfangssequenz zu. Zu Beginn eines Interviews ist der Freiraum für die eigene Darstellung des Relevanzsystems am Größten, da die Befragten hier besonders stark konstruieren müssen; denn es liegen weder durch die Befragten noch die Befragenden begonnene Konstruktionen vor (Nohl 2009: 23f.). Die Anfangssequenz dieser Untersuchung prägen folgende zwei Leitfragen:

„Als erstes möchte ich dich bitten, dich zurück an deine Grundschulzeit zu erinnern.

Kannst du dich erinnern, wie es war, zur Schule gekommen zu sein? Erzähl mal.“

„Und wenn du deine vorherige Schule mit der jetzigen, der Gemeinschaftsschule, vergleichst, was ist jetzt anders? Erzähl mal.“

Abbildung 11: Erste Fragen im Interview

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Die Interviews mit den Schülerinnen und Schülern dauern im Schnitt 60 Minuten und werden audiographiert und im Anschluss daran transkribiert. Die Transkription wird nach der Maxime, „nur so genau zu transkribieren, wie die Fragestellung es tatsächlich verlangt“

(Flick 2008 et al.: 264), durchgeführt. Dies bedeutet für die vorliegende Untersuchung, dass die gesamten gesprochenen Aufzeichnungen wortgetreu transkribiert werden. So wird verhindert, dass Textpassagen wegfallen, die zunächst in Bezug auf die Fragestellung unwesentlich erscheinen, im Verlauf des Forschungsprozesses nach intensiver Beschäf-tigung mit den Fällen wider Erwarten aber doch noch eine Bedeutung bekommen können.

Bei der Transkription werden Pausen durch Punkte in runden Klammern markiert und Wortabbrüche durch einen Bindestrich angedeutet (vgl. zum Vorgehen Langer 2010: 515–

526). Auf die weitere Darstellung von Betonung, Lauten oder Mundart wird jedoch verzichtet, da keine linguistische Analyse angestrebt ist. Nach dem zweiten Erhebungszeitpunkt liegen zwölf transkribierte Interviews à ca. 30–40 Seiten vor, sodass der Auswertung dieser Untersuchung ca. 450 Seiten Textmaterial zugrunde liegen.