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Teil IV: Ergebnisse der Untersuchung

10.3 Schulische Lernumgebungen und die Entwicklung von

10.3.2 Dimension 2: Interaktion mit der Lehrkraft

10 Fallübergreifende Darstellung der Ergebnisse

Selbststeuerung an. Ob diese Reaktion auf das unterfordernde Setting auch auf seinen Orientierungsrahmen zurückzuführen ist, wird in Kapitel 11.3 untersucht.

Gamze kann in den individualisierten Unterrichtsphasen ihre metakognitiven Kompetenzen weiter ausbauen: Das selbstgesteuerte Lernen ermöglicht ihr, eigenständig zu prüfen, ob sie die Lerninhalte verstanden hat. Damit kann sie selbst ihre inhaltlichen Stärken und Schwächen identifizieren. Karim kann auch im zweiten Jahr keine Fähigkeiten zur Selbststeuerung entwickeln. Warum Gamze im Unterschied zu Karim und Faruk im zweiten Jahr metakognitive Kompetenzen zur Selbststeuerung entwickeln kann, lässt sich möglicherweise mit ihrem Orientierungsrahmen begründen (vgl. Kapitel 11.3).

--Abbildung 21: Förderliche Bedingungen bezüglich der Dimension Struktur des Unterrichtssettings (eigene Darstellung)

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gut von ihren Lehrkräften betreut. Dies ist ein Erklärungsansatz dafür, weshalb es den Schülerinnen und Schülern dieser Gemeinschaftsschule gelingt, sich zum Lernen zu motivieren. In den lehrerzentrierten Phasen erklären die Lehrkräfte ausführlich die Lerninhalte, sodass alle befragten Schülerinnen und Schüler dem gemeinsamen Unterricht folgen können. Ebenso erleben sie in den individualisierten Phasen eine besonders gute Betreuung. Dazu stellvertretend für alle Lernenden der Schüler Faruk:

Und sie [die Lehrkräfte; Anm. PH] erklären es öfter und wenn man es nicht kapiert, dann kommt der Lehrer zu einem ganz privat und erzählt es dir eben.

Also dann kommt er zu dir an den Tisch […] und erklärt es auch an einem Beispiel und so. [FaI 659–661]

Durch die soziale Interaktion mit der Lehrkraft erleben sich die Lernenden als sozial eingebunden und kompetent. Es existiert demnach ein partnerschaftliches Lehrer-Schüler-Verhältnis: Die Lernenden fühlen sich von den Lehrkräften unterstützt, wahrgenommen und werden nicht – so Gamze und Karim – „hart rangenommen“.

An der Schule Am Walde zeigt sich im zweiten Jahr eine soziale Interaktion mit der Lehrkraft, die die Entwicklung von Fähigkeiten zur Selbststeuerung unterstützt. Hier gelingt es den Lehrkräften, eine dem offenen Setting entsprechende, intensive Lernprozessberatung durch die Einführung eines Coachgruppensystems zu ermöglichen.

Wie bereits unter 10.3.1 deutlich wurde, spielt die Einbeziehung der Instrumente Logbuch und Wochenplan in die Lernprozessberatung eine wesentliche Rolle. Die Interaktion umfasst nicht nur die inhaltliche Ebene in Form von Erklärungen, sondern auch die Unterstützung bei dem Umgang mit den Lerninstrumenten zur Selbststeuerung. Insofern verstärkt die soziale Interaktion mit der Lehrkraft die Entwicklung metakognitiver und motivationaler Kompetenzen. Finn und Laura nutzen die soziale Interaktion mit den Lehrkräften insbesondere zur Motivierung. Dabei helfen den beiden Lernenden die verbindlichen Ansagen, was zu tun ist, sowie die Motivierung der Coaches, die gesetzten Ziele zu erreichen. Belinda benötigt die Lehrkraft nicht nur zur Aktivierung, sondern auch bei der Überwachung ihres Lernprozesses, dem Vergleichen des Ist- und des Soll-Zustandes. Erst mit Unterstützung durch die Klassenlehrerin bei der Selbstkontrolle, die ihr die Bedeutung des Wochenplans beim individualisierten Arbeiten nahebringt, gelingt es Belinda, den Überblick über die Lernaufgaben zu behalten und sich zum Arbeiten zu motivieren:

Seit wir mit Frau Meitner auf diesem Zettel abhaken, was wir gemacht haben, schaffe ich meist alles zu Ende zu machen. […] Wir hatten den nie ausgefüllt,

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aber seit zwei Monaten hakt Frau Meitner da richtig nach: „Belinda, du musst noch Mathe machen“ und so [BI 201–212].

Es ist möglich, dass die unterschiedliche Nutzung der Interaktion mit der Lehrkraft von Laura, Finn und Belinda auf die individuellen Orientierungsrahmen zurückzuführen ist (vgl. Kapitel 11.2).

Auffällig bezüglich der Datenbefunde zur Dimension soziale Interaktion mit der Lehrkraft ist, dass sich jeweils in den Jahren, in denen die Selbststeuerungskompetenzen sich bei den Schülerinnen und Schülern nicht gut entfalten können (vgl. Kapitel 10.2), aus den Äußerungen der Lernenden eine mangelnde soziale Interaktion mit der Lehrkraft rekonstruieren lässt. An der Schule Am Walde zeigt sich dies im ersten Jahr insbesondere an einer fehlenden Lernprozessberatung. Die Schülerinnen und Schüler benötigen eine verlässlichere Begleitung, um die selbstständige Arbeit mit dem Logbuch und dem Wochenplan zu bewältigen. Bei der Schule Wiesenufer zeigt sich im zweiten Jahr die fehlende soziale Interaktion in der Zunahme frontaler Phasen, in denen sich keine Fähigkeiten zur Selbststeuerung entfalten können (vgl. 10.3.1 Struktur der Lernumgebung).

Diese Begebenheit sorgt bei Gamze dafür, dass sie sich in den vorherrschenden lehrerzentrierten Unterrichtsphasen zurückzieht. An diesem Ergebnis zeigt sich die hohe Bedeutung der sozialen Interaktion mit der Lehrkraft für die Entwicklung von Selbststeuerungskompetenzen.

Die Ergebnisse zur sozialen Interaktion mit der Lehrkraft zeigen schulübergreifend die herausragende Bedeutung der Möglichkeit, Fragen jeglicher Art stellen zu können. Dazu stellvertretend Belinda:

In einer Lernzeit, da hatte ich Matheaufgaben und andauernd Fragen. Und da ist Frau Meitner dauernd zu mir gekommen und hat mir alle Aufgaben erklärt. Und die war auch nicht genervt oder so. [BII 747–757]

e) Schüler-Eltern-Lehrer-Gespräch

Gemeinschaftsschule Am Walde und Wiesenufer

An den Äußerungen der Lernenden zeigt sich, dass das Schüler-Eltern-Lehrer-Gespräch förderlich für die Entwicklung von Kompetenzen zur Selbststeuerung ist. Sowohl Laura und Finn (Schule Am Walde) als auch Gamze, Faruk und Karim (Schule Wiesenufer) gelingt es mindestens zu einem der beiden Erhebungszeitpunkte, sich während des Schüler-Eltern-Lehrer-Gesprächs Ziele zu setzen und diese über einen längeren Zeitraum hinweg zu verfolgen. Die Ziele beinhalten ein Spektrum von „nicht mehr zu spät zum Unterricht kommen“, „sich Nachfragen zutrauen“, „sich für das Klassenklima engagieren“, bis hin zu

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fachbezogenen Zielen wie „in Englisch entsprechend der eigenen Fähigkeiten höhere Lernziele setzen als der Rest der Klasse“, „Anwendung einer Strategie, um immer wieder auftretende Fehler zu vermeiden“, „Leistungen in einem bestimmten Fach durch ein bestimmtes Verhalten verbessern.“ Diese Ziele tragen bei allen Lernenden – mit Ausnahme von Belinda – dazu bei, verstärkt selbstgesteuert zu lernen. Allein Belinda lässt sich durch die Anwesenheit ihrer Eltern und Lehrkräfte so sehr beeinträchtigen, dass sie das Gespräch nicht für sich nutzen kann.

An den Beurteilungen des Schüler-Eltern-Lehrer-Gesprächs zeigt sich zudem eine Veränderung der Wahrnehmung – und das über beide Schulen hinweg: Durch die Beteiligung der Lernenden an der Ausrichtung und Reflexion ihres Lernprozess durch das Gespräch sowie durch die Erfahrungen im Unterrichtsalltag wandelt sich die Wahrnehmung der Interaktionsstruktur des Gesprächs. Wird es bei einigen der Lernenden im ersten Jahr noch als eine Situation bezeichnet, in der die Schüler dabei sein „dürfen“

(Gamze, Finn), zeigt sich im zweiten Jahr ein neues Verständnis: Das Gespräch wird als eine gemeinsame Reflexion der Lernerfolge wahrgenommen, für die die Anwesenheit und die Einschätzungen der Lernenden von Bedeutung sind. Der Umgang der Lehrenden mit den Lernenden führt zu einer veränderten Wahrnehmung. Die Lernenden haben verstanden: „Es geht um mein Lernen, ich bin mit verantwortlich, das Gespräch dient meinem Vorankommen und meine Einschätzungen sind ebenso gefragt wie die der Lehrkraft und der Eltern“. Sie erleben in dem Gespräch demnach die Möglichkeit, sich aktiv mit ihren Bedürfnissen und Erwartungen einbringen zu können.

Abbildung 22: Förderliche Bedingungen bezüglich der Dimension Soziale Interaktion mit der Lehrkraft (eigene Darstellung)

soziale Interaktion

mit der Lehrkraft

d) Lernprozessberatung in individualisierten Phasen bietet:

- Unterstützung beim Planen, Überwachen, Regulieren

- Einbeziehung der Lerninstrumente -Zuspruch und Zuwendung

e) Schüler-Eltern-Lehrer-Gespräch bietet:

-Unterstützung bei der Zielformulierung -Einbringung der eigenen Person in den Lernprozess

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