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6.2 Inhaltliche Implikationen der Vergleichsergebnisse

6.2.5 Diskussion zusätzlicher Einflussfaktoren auf den Wissensstand

6.2.5.3 Bedeutung von Erfahrung

6.2.5.3.1 Erfahrung mit dem eigenen Kind

Dass Erfahrungswissen eventuell Einfluss auf Verhalten hat, lässt sich auch an der Kor-relation zwischen Familienurlauben in sonnigen Gebieten in den letzten Jahren mit der Kenntnis des Hautkrebsrisikofaktors „Anzahl Sonnenbrände im Kindesalter“ zeigen. Der Zusammenhang deutet darauf hin, dass Konfrontation mit akuter Problematik auf Wissen eher förderlich wirkt. Denkbar wäre, dass Wissen nach kurz zurückliegender Erfahrung präsenter ist. Wie Bandura (Bandura 1977, 1982) postuliert, wirkt sich Erfahrung über

die Selbstwirksamkeitserwartung auf gezeigtes Verhalten aus. Eine Stufe darunter steht das Wissen um das beabsichtigte Verhalten an sich. Auch direkt ist bekannt, dass Lernen bei Erwachsenen am nachhaltigsten ist, wenn es anhand eigener praktischer Erfahrung erworben wurde (Breuer et al. 2017). Breuer formuliert dazu, dass „Lernen bei Erwach-senen (…) v.a. als praktisches und erfahrungsbasiertes Lernen beschrieben“ wird.

Beim Thema Sonnenschutz wäre demnach vor allem die Erfahrung negativer Konsequen-zen oder aber erlebte Schutzwirkung von Präventivmaßnahmen für Lernerfolge bei den befragten Erwachsenen bedeutsam. Im Fall der oben genannten Korrelation wäre so mög-licherweise die Erfahrung im Rahmen eines Strandurlaubes mit dem eigenen Kind aufge-treten. In der Regel wäre zu erwarten, dass es sich bei der gemachten Erfahrung um Son-nenbrand oder andere akute Schäden durch UV-Strahlung handelt, oder deren Ausbleiben nach Eincremen mit Sonnencreme oder ähnlichen Schutzmaßnahmen. Allerdings zeigt sich, dass in der vorliegenden Auswertung für Kinder, die in südlichen Gebieten Urlaub machten, zwar signifikant mehr Sonnenbrände erinnert wurden, der Erfahrungseffekt aber sehr gering ist. Das würde bedeuten, dass nicht die abgefragten Sonnenschäden als Erfahrung benötigt werden (oder nicht im Sommer 2015 gemacht wurden), sondern dass auch frühere Schäden (vor 2015) oder das Erfolgserlebnis wirkungsvollen Sonnenschut-zes einen positiven Lerneffekt erzeugen. Mehrere Items des Fragebogens bieten sich an, um zu prüfen, ob sich bessere Lerneffekte zeigen lassen, wenn das Kind eines Befragten mit besonders hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht direkt angegebene Sonnenschäden erfahren hat.

Postulat ist dabei, dass helle Hauttypen leichter Sonnenbrand oder Hautrötungen als schmerzhafte Konsequenz von übermäßiger UV-Exposition davontragen.

Die Kenntnis der Risikofaktoren für Sonnenschäden sollte sich nach dem Erleben der negativen Konsequenzen für das eigene Kind verbessern.

Eltern heller pigmentierter Kinder hätten demnach bessere Sonnenschutz-Kenntnisse ent-wickelt und es ließen sich tendenziell bessere Kenntnisse für diesen Teil der Elterngruppe zeigen.

Kurze, intensive Sonneneinstrahlung tritt besonders in Urlauben in südlichen Gebieten auf. Aus diesem Grund erwartete Zusammenhänge zwischen der Kenntnis dieses Haut-krebsrisikofaktors analog zu „Anzahl der Sonnenbrände im Kindesalter“ und Urlauben ließen sich in dieser Auswertung jedoch nicht zeigen. Möglicherweise werden Zusam-menhänge auch nicht sichtbar, da dieser Risikofaktor generell eher weniger bekannt ist.

In diesem Fall wäre eine dezidierte Untersuchung hier hilfreich, um Effekte aufzudecken.

Nicht nur Urlaube in südlichen Gebieten erhöhen das Risiko für Sonnenbrände. Auch helle Haut-, Augen- und Haarfarbe erhöhen die Sonnenbrandgefährdung, da helle Fitz-patrick-Typen weniger endogene Schutzkapazitäten gegen UV-Strahlung besitzen. Und hier ließ sich in der Tat ein Zusammenhang zeigen: Hatte ein Kind helle Augen, war es wahrscheinlicher, dass das befragte Elternteil die Risikofaktoren „Anzahl der Sonnen-brände im Kindesalter“, „Anzahl der Sonnenbäder“ und „Lange, intensive Sonnenein-strahlung“ als richtig identifizierte. Ferner stimmten signifikant mehr Eltern von Kindern mit helleren Augenfarben der Aussage „Sonnenschutz ist für mein Kind notwendig bei bewölktem Himmel“ zu. Gemäß obigem Erklärungsansatz resultiert dieser Wissensvor-sprung aus vermehrtem Auftreten von Sonnenbrand bei leichtpigmentierten Kindern.

Sonnenbrand tritt bei diesen Kindern in allen sonnenbrandgefährlichen Situationen wahr-scheinlicher auf, was die Wahrscheinlichkeit, dass Eltern sich mit dem Thema Sonnen-schutz befasst haben, tendenziell erhöht. Insgesamt ist es nicht unwahrscheinlich, dass Eltern hellhäutiger Kinder während deren Lebenszeit insgesamt häufiger erleben, dass fehlender Sonnenschutz zu UV-Schäden bei ihrem Kind führt. Damit wäre auch hier die Konfrontation mit der tatsächlichen Konsequenz des Verhaltens der beste Lehrer. Es zeigt sich eine Reihe weiterer höchstsignifikanter Zusammenhänge mit der Augenfarbe des Kindes, welche in Tabelle des Ergebnisteils aufgelistet sind. Insgesamt ist die Augenfarbe des Kindes dasjenige Item, welches die

Auch die Haarfarbe des Kindes scheint ein Prädiktor für besseres Sonnenschutzwissen der Eltern zu sein, womöglich, wie Cramers V indiziert, auch ein verlässlicherer als die Augenfarbe des Kindes. Besonders bei sehr jungen Kindergartenkindern ist die Augen-farbe noch nicht vollständig ausgereift, im Alter von drei Jahren, also dem Mindestalter für Studieneinschluss, sollte diese jedoch bereits endgültig sein. Im Gegensatz zur Augenfarbe ändert sich die Haarfarbe bei Kindern häufig noch bis zur Pubertät. In der Regel bedeutet das, dass die Haarfarbe eher dunkler wird, jedoch ändert sich der Fitz- patrick-Typ dabei nicht. An anderer Stelle konnte zuvor schon gezeigt werden, dass die Haarfarbe der Kinder einer der stärkeren Prädiktoren für Sonnenbrandgefährdung ist:

Uter et al. stellten für Kinder kaukasischen Typs fest, dass Haarfarbe und Sommerspros-sen am stärksten mit der UV-Empfindlichkeit korreliert sind (Uter et al. 2004).

Die Annahme, Haarfarbe und Hauttyp korrelieren stärker miteinander, wird auch durch einen Zusammenhang zwischen Haarfarbe und Anzahl der Muttermale gestützt. Für Augenfarbe und Anzahl der Muttermale ließ sich eine solche Korrelation nicht nachwei-sen. Tatsächlich zeigen schwächer pigmentierte tendenziell mehr Muttermale als stärker pigmentierte Hauttypen. Im Vergleich zur Augenfarbe scheint die Haarfarbe stärker mit

dem Hauttyp der Kinder zu korrelieren und ist wohl deswegen auch ein stärkerer Prädik-tor für das elterliche Sonnenschutzwissen. Trotz gezeigter Zusammenhänge zwischen UV-Gefährdung und Sommersprossen beim Kind, zeigt sich für dieses Merkmal keine Korrelation mit dem Sonnenschutzwissen der Eltern. Möglicherweise ließe sich für grö-ßere Stichproben ein Zusammenhang zeigen, 326 der Kinder hatten in der Stichprobe der FRANCIS-Studie Sommersprossen. Obwohl sich für Sommersprossen selbst kein Zu-sammenhang zeigt, lässt sich bei Items, die auch für die Haarfarbe stärkere Korrelation zeigen‚ z.B. für „Im Sommer ist Sonnenschutz notwendig bzw. wichtig für mein Kind bei bewölktem Himmel“, eine Tendenz in eine ähnliche Richtung feststellen, wobei die Kor-relationskoeffizienten für verlässliche Aussagen allerdings zu schwach bleiben.

Es ließ sich ferner zeigen, dass die Sonnenbrand- bzw. Hautrötungsinzidenz bei Kindern mit Sommersprossen im Gesicht im Sommer 2015 im Vergleich mit anderen Kindern erhöht war. Dies wäre mit einem bei diesen Gruppen tendenziell helleren Hauttyp und damit geringerem endogenen UV-Schutz mit höherer Sonnenbrandgefahr vereinbar.

Die These, dass Haar- und Augenfarbe nicht nur mit Wissen zu Sonnenschutz korrelieren, sondern auch mit dem Hauttyp, der die Sonnenbrandgefährdung bestimmt, konnte nicht direkt gezeigt werden. Damit stellt sich die Frage, ob die oben angeführte Erklärung zu Selbstwirksamkeit und Erfahrung stichhaltig ist, denn die Sonnenbrandgefährdung bei hellen Typen wäre ja maßgeblich für die Wahrscheinlichkeit von Sonnenbranderfahrung.

Grundsätzlich sind mehrere Gründe denkbar, warum „Hauttyp“ als Merkmal in den Daten der FRANCIS-Studie nicht direkt mit Sonnenbrandhäufigkeit korreliert:

Möglich ist erstens, dass ein Zusammenhang nicht gezeigt werden konnte, da explizit nach Sonnenbränden des zum Zeitpunkt der Studie letzten vorhergehenden Sommers ge-fragt wurde. Da die Kinder zu diesem Zeitpunkt alle mindestens zwei Jahre oder älter waren, ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Eltern entsprechende Sonnenbranderfah-rungen bereits vorher gemacht haben, falls sie SonnenbranderfahSonnenbranderfah-rungen nicht bei sich selbst zuvor schon machten, wenn sie denselben Hauttyp aufweisen wie ihr Kind. Auf die Erfahrung hin würde womöglich mit verstärkten Sonnenschutzüberlegungen und even- tuell auch -handlungen reagiert, sodass es tatsächlich zu einem Rückgang der Sonnen-brände besonders gefährdeter Kinder käme. Um diese Überlegung zu prüfen, wurden Kreuztabellen für die vermuteten Hauttypmerkmale der Kinder und dem Fragebogen- Item „Wann denken Sie bei Ihrem Kind an Sonnenschutz?“ erstellt. Wann an Sonnen-schutz gedacht wird, ist möglicherweise durch derartige zurückliegende Erfahrungen be-stimmt. Das Ergebnis stützt den dargestellten Gedankengang für hellhaarige Kinder.

Neben Einschränkungen beim Zusammenhang zwischen gemachter Erfahrung und Son-nenbränden gibt es noch zwei weitere Limitationen, die hier Erwähnung finden sollen:

Zweitens ist es vorstellbar, dass Hautrötungen nach Sonnenaufenthalten nicht erinnert werden, vor allem, wenn sie nur kurz auftraten.

Drittens kann nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass einige Sonnenbrandereig-nisse verschwiegen werden, aus Angst vor negativen Konsequenzen für das befragte El-ternteil. Möglich ist, dass beispielsweise die Trägerschaft des Jugendamtes oder von Son-nenschutzvereinen bei den Eltern diese Vorsicht erzeugen. Dies bleibt jedoch spekulativ.

Insgesamt lässt sich an einigen Stellen der Datenauswertung ein Zusammenhang zwi-schen Sonnenbrandgefährdung durch konstitutionelle Faktoren und dadurch womöglich größere Lerneffekte bezüglich Sonnenschutzbedarf feststellen